Atom-Revolution: Hat Deutschland die falsche Entscheidung getroffen?

Atomkraft weltweit im Aufwind. Über 40 Länder planen Ausbau. Für Deutschland gibt es aber wohl keinen Ausstieg aus dem Ausstieg.
Ein Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sieht die Atomkraft weltweit auf dem Vormarsch. Grund für die besseren Zukunftsaussichten der Atomkraft sei die derzeitige Energiekrise. Demnach befindet sich die Kernenergie derzeit vor einem neuen Aufschwung, wie Fatih Birol, Direktor der IAEA, erklärte. Im Jahr 2025 sei mit einem Rekordlevel bei der Stromproduktion aus Atomkraft zu rechnen.
Weltweit befinden sich laut IAEA gegenwärtig über 70 Gigawatt neue Atomkraftwerksleistung im Bau, so viel wie seit 30 Jahren nicht mehr. Mehr als 40 Länder planten einen Ausbau ihrer Kernenergie.
Dieser Aufschwung wird durch neue Reaktortechnologien wie die sogenannten Small Modular Reactors (SMR) befeuert, von denen sich die IAEA bis 2040 ein Potenzial von 80 Gigawatt installierter Leistung verspricht. Dies würde dann rund zehn Prozent der globalen Kernkraftwerkskapazität ausmachen.
Lesen Sie auch
Gründe für das neue Interesse an der Atomkraft sieht die IAEA vorwiegend im rasant steigenden Strombedarf durch Elektrifizierung, Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Gemäß den aktuellen politischen Rahmenbedingungen dürfte der Strombedarf sechsmal so schnell wachsen wie der Gesamtenergiebedarf.
Um die steigende Stromnachfrage zu decken, seien Technologien gefragt, die zuverlässige und flexible Versorgung garantieren. Hier bietet sich die Kernkraft an, meint die IAEA.
Kleinreaktoren sorgen für Dynamik
Aus technologischer Sicht hebt der IAEA-Report primär den Fortschritt bei den SMR hervor. Diese kleineren, modular aufgebauten Reaktoren könnten schneller installiert werden und böten mehr Möglichkeiten für Kostensenkungen. Auch neuere Großreaktoren machen Fortschritte hinsichtlich Funktionalität und Finanzierbarkeit. Allerdings müsse die Atomindustrie noch einige Hürden in puncto Lieferketten, Finanzierung und Zeitplanung überwinden.
Die Vorteile eines Kernkraft-Ausbaus sieht die IAEA in erster Linie in der Lieferung von zuverlässiger, CO2-freier Grundlast für die wachsende Stromnachfrage. Bis 2040 könnte die Atomkraft damit einen signifikanten Beitrag von bis zu zehn Prozent der globalen Stromerzeugung liefern.
Milliardeninvestitionen nötig
Dazu müssten jedoch die jährlichen Investitionen in neue Kernkraftwerke schon bis 2030 auf 120 Milliarden US-Dollar verdoppelt werden. Dies erfordert stabile, langfristige Rahmenbedingungen und Risikoabsicherungen für private Investoren.
Kernenergie ist laut IAEA nach Wasserkraft derzeit die zweitgrößte Quelle CO2-freier Stromproduktion. Der geografische Schwerpunkt der Kernkraft verlagert sich jedoch zunehmend nach China, wo bis 2030 die größte Atomkraftwerkskapazität erwartet wird – noch vor den USA und Europa. Auch Russland bleibt ein wichtiger Akteur mit einem Anteil von 40 Prozent an der globalen Urananreicherung.
Die Uranversorgung ist laut IAEA eine besondere Herausforderung für den Ausbau der Kernkraft. Über 99 Prozent der weltweiten Anreicherungskapazitäten konzentrieren sich auf nur vier Länder. Hier sei eine stärker diversifizierte Lieferkette nötig, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Die Einschätzungen der IAEA stehen in Kontrast zu den derzeit in Deutschland vorherrschenden Positionen zum Atomausstieg. Wie der Spiegel in einer ausführlichen Reportage schreibt, sehen deutsche Politiker und Energieversorger wie RWE, EnBW und E.ON momentan wenig Perspektiven für eine Reaktivierung der letzten abgeschalteten Meiler. Der geforderte Zeitrahmen und die Investitionskosten werden als unrealistisch eingeschätzt.
Allerdings gibt es auch unter deutschen Politikern wie Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz zunehmend Stimmen, die den Atomausstieg als Fehler bezeichnen. Eine Umfrage zeigt, dass 67 Prozent der Deutschen die Nutzung von Atomkraft unterstützen würden. 42 Prozent sprächen sich sogar für den Bau neuer Reaktoren aus, so das Ergebnis der Umfrage der US-Beratungsfirma Radiant Energy Group.
Experten wie Karen Pittel vom Ifo-Institut sprachen sich für eine unabhängige Prüfung einer möglichen AKW-Reaktivierung aus. Jedoch ist fraglich, ob sich die einstigen Reaktorbetreiber daran beteiligen würden. Diese haben ihre Geschäftsmodelle bereits auf erneuerbare Energien, Netze und Gaskraftwerke ausgerichtet.
Auch die Abhängigkeit von russischer Urantechnologie bleibt ein Problem, wie das Beispiel der Brennelementfertigungsanlage in Lingen zeigt. Hier plant der Betreiber Framatome eine Kooperation mit dem russischen Staatskonzern Rosatom, um Brennstäbe für osteuropäische AKWs herzustellen.
Dies wird von deutscher Seite als Sicherheitsrisiko eingeschätzt. Telepolis hatte diese Woche unter Bezug auf interne EU-Dokumente berichtet, dass die EU-Kommission die komplette Entkopplung von russischen Energieexporten plant.