Warum Le Pen wohl nicht Präsidentin wird

Screenshot der Debatte, YouTube

Die TV-Debatte zeigt die Grenzen der FN-Kandidatin

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Marine Le Pen wird nicht Präsidentin Frankreichs werden. Nicht im Jahr 2017. In der TV-Debatte vom Mittwoch Abend, die von den ersten beiden Kanälen des französischen Fernsehens übertragen und von fünfzehn Millionen Menschen vor ihren Bildschirmen verfolgt wurde, machte sie nahezu keinen Stich in den zahlreichen Schlagabtäuschen mit ihrem Gegenkandidaten Emmanuel Macron.

Diesen Eindruck erntete der Verfasser dieser Zeilen nach gut zweieinhalbstündiger Betrachtung der Debatte; er deckt sich jedoch mit den noch am späten Abend durchgeführten Umfragen. Ihnen zufolge betrachteten 63 Prozent der Befragten Macron als Sieger der Debatte, zu deren Beschreibung das am häufigsten in den Medien erwähnte Adjektiv "brutal" lautet, gefolgt von "konfus" oder "fahrig".

Vielleicht gelang es Marine Le Pen noch, mit ihrer Sottise zu punkten, die in Medien als Zote bezeichnet wurde: "Frankreich wird auf jeden Fall durch eine Frau regiert werden. Entweder durch mich oder (mit Macron) durch Angela Merkel." Aber über Sprüche hinaus konnte sie keine Erfolge erzielen.

Zwei Optionen für Le Pen

Ursprünglich wollte sie die Debatte zum "Prozess" von Macron als Ex-Minister und "Erben des politischen Systems" machen. Aber sie wirkte über lange Strecken hinweg wie eine schlechte, aggressive Schülerin. Hätte Marine Le Pen in der Debatte obsiegen wollen, dann hätte sie bei einer von zweierlei Optionen erfolgreich vorgehen müssen: Entweder hätte sie sich als "konstruktiv" argumentiernde, die einzelnen Sachfragen beherrschende, potenzielle "Staatsfrau" erweisen können.

Oder aber sie hätte als selbsternannte "Herausforderin des Systems" Macron erfolgreich destabilisieren müssen, ihn aus der Fassung bringen, in die Defensive reden müssen. Dann hätte sie eventuell gepunktet, was aber voraussetzen würde - dass die Unzufriedenheit im Lande stark genug ist, dass es in den Augen der Mehrheit entscheidend ist, dass jemand "tüchtig auf den Tisch klopft".

Beides ist Marine Le Pen jedoch im Endeffekt nicht gelungen.

Vorwurf an Macron: "Alles verkauft"

Zu Anfang attackierte sie Macron, dieser habe als Ex-Wirtschaftsminister "Alles verkauft" (gemeint ist ans Ausland) und behauptete, er habe etwa das Mobiltelefon-Unternehmen SFR verscherbelt. Macron wandte ein, SFR sei schon immer privat gewesen, und er als Minister habe es also nicht verkaufen können. Was übrigens nicht völlig richtig ist - da es sich um die Investitition ausländischen Geldes handelte, muss das Wirtschaftsministerium eine Genehmigung erteilen.

Darauf wandte Marine Le Pen dann ein: "doch doch", er habe es ja selbst gesagt. Sie suchte dann in ihren Akten herum - was etwas bemüht wirkte - und fand ein Zitat, in dem Macron sagte: "Ich habe entschieden, den Verkauf zuzulassen... ".

Bei dem Zitat ging es allerdings nicht um SFR, sondern um Alstom, den 2014 teilweise an General Electric in den USA verkauften Maschinenbaukonzern (auch das deutsche Unternehmen Siemens war zuvor Übernahmekandidat). Macron behandelte Le Pen, als ob er ein Lehrer sei, der seine Schülerin beim Schwindeln oder mit einem Spickzettel ertappt habe; dann wies er sie sanft darauf hin: "SFR baut Telefone, und Alstom baut Turbinen und Maschinen. Das sind zwei verschiedene Sachverhalte."

"Oppositionspolitikerin Nummer 1"

Ab da war sie schon zum ersten Mal halb k.o. In der Folge wirkte sie angeschlagen - bis hin zu der Stelle, wo sie sich selbst darüber beklagte, Macron trete ihr gegenüber wie ein Schüler gegenüber einer Lehrerin auf. Damit sprach sie laut aus, was tatsächlich der augenscheinliche Sachverhalt war, nur eben mit vertauschten Rollen. Es hilft aber wenig, wenn nur sie und eine Minderheit die Rollen so verteilt sehen wollten.

Sicherlich wird es auch Leute geben, die das Auftreten der neofaschistischen Politikerin goutieren, egal was sie inhaltlich von sich gibt. Marine Le Pen besitzt einen Rückhalt in einigen gesellschaftlichen Gruppen, darunter befinden sich relativ viele sozial frustrierte oder real benachteiligte Menschen. Aber auch in Teilen der französischen Polizei besitzt sie solchen Rückhalt.

Dies belegt eine Episode, die zur Überraschung eines aus familiären Gründen verhinderten Wahlberechtigten in Toulouse führte: Er wollte eine Vollmacht ausstellen, um einer anderen Person zu erlauben, bei der Präsidentschaftswahl für ihn zu stimmen - dies ist bei einer Polizeibehörde möglich. Dort, also auf der örtlichen Polizeiwache, reichte man ihm einen Kugelschreiber mit dem Konterfei Marine Le Pens, um zu unterschreiben.

Doch die Chefin des Front National wird nicht Präsidentin werden. Nicht im Jahr 2017. Was danach kommt, steht vorläufig in den Sternen - Macrons soziale Kahlschlagspolitik könnte ihr künftig in die Hände spielen, wenn sie im Falle eines doch relativ beachtlichen Wahlergebnisses (ab 40 Prozent) künftig als "Oppositionspolitikerin Nummer 1" auftritt. Aber da spielt dann auch eine Rolle, wie die Linke, die Gewerkschaften und die sonstige soziale Opposition aufgestellt sein werden.

Neben der TV-Debatte vom gestrigen Abend sollen nun noch einige Eindrücke von einer Publikumsveranstaltung der FN-Kandidatin, die der Verfasser dieser Zeilen sammeln konnte, folgen.

Eindrücke von Marine Le Pens letzter Großveranstaltung vor der Stichwahl

Keine Gegendemonstrantin hat sich bis hierher verirrt. Neugierige Normalbürger, die sich einfach mal vor der Stichwahl um die französische Präsidentschaft informieren möchten, ebenfalls nicht. Den Ort, den der französische Front National (FN) sich Anfang dieser Woche für seine letzte große Saalkundgebung vor der Stichwahl vom Sonntag ausgesucht hat, liegt am Ende der Welt. Genauer gesagt, am nördlichen Rand des Ballungsraums Paris, in der Nähe des Flughafens Roissy-Charles de Gaulle, den fünfundzwanzig Kilometer vom Pariser Stadtzentrum trennen.

Es war auch nicht unter der breiten Bevölkerung im Raum Paris dafür geworben worden. Wohl aber auf den Webseiten des Front National, in der Rubrik "Agenda", die durch die Aktiven konsultiert wird. Villepinte - Messegelände, Halle 5B, hieß es dort. Das Ausstellungs- und Messezentrum hat eine eigene Haltestelle, Salle des expositions, mit einem riesigen Parkplatz, auf dem die Fahrzeuge der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geparkt sind.

Aus ganz Frankreich sind die Anwesenden angereist, kaum jedoch aus dem Raum Paris, abgesehen vom westlich der Hauptstadt gelegenen Verwaltungsbezirk Les Yvelines. Dieses Département, Nummer 78, Hauptstadt Versailles, zählt zu den wohlhabenden Teilen des Großraums Paris.

Und seit Urzeiten, als der Königspalast dort noch von Monarchen bewohnt war und die loyalsten Untertanen sowie Hofschranzen sich um den Palast herum ansiedelten, ist es auch ein Hort der Reaktion. Viele Fahrzeuge kommen aus anderen westlichen Vororten wie Suresne, das von begrünten Abhängen aus einen Blick auf Paris bietet.

Alles, was aktiv und mobil ist, herangekarrt

Die Leute aus der Hauptstadtregion, die hierher kamen, zählen offensichtlich nicht zum ärmeren Teil der Bevölkerung, obwohl die Kandidatin des FN - Marine Le Pen - überdurchschnittlich in den sozialen Unterklassen und weit weniger in den Oberschichten mit höherem Bildungsstand gewählt wird. Unter den aufgereihten Bussen finden sich aber auch Kennzeichnen aus Nordfrankreich, etwa Lille, und bis nach Nizza am Mittelmeer herunter.

Der Front National hat also alles, was aktiv und mobil ist, herangekarrt. 26.000 Quadratmeter fasst die Halle, die er für sein Großereignis angemietet hat, und ausweislich der Betreibergesellschaft des Messegeländes bietet sie Platz für 25.000 Personen; Sitz- und Stehplätze zusammengerechnet. Doch, Überraschung: Weite Teile der großen Halle sind, mehr oder weniger notdürftig, mit Vorhängen abgedeckt. Diese sollen die vielen, langen leeren Sitzreihen verdecken.

Auch der französischen Presse fällt dies auf, eine Journalistin von Le Monde wird später von 6.000 Anwesenden sprechen, während der Front National behauptet, es seien über 20.000 gewesen. Dass die rechtsextreme Partei zwar mittlerweile eine breite Wählerschaft aufweist, ihr Organisationsgrad und Mitgliederstand - geschätzt auf real rund fünfzigtausend - weit dahinter zurückhinkt, ist den Expertinnen kein Geheimnis.

"Wir sind hier zu Hause"

Die ganze Veranstaltung, Ankündigung des Redners und der Rednerin und ein bisschen Stimmungsmache inbegriffen, wird nach anderthalb Stunden vorbei sein. Sie sollte vor allem Bilder für das Fernsehen produzieren. Die Ausführungen zu Sachthemen, wie der Europapolitik, werden eher mit relativem Gleichmut aufgenommen. In Schwung kommt der Saal bei den Attacken auf Emmanuel Macron, "den Vertreter der Finanzwelt", den Marine Le Pen als Banker und Globalisten attackiert.

Richtig zum Kochen kommt der Saal aber immer nur dann, wenn die Sprache auf die Einwanderung kommt. "On est chez nous, on est chez nous!", wird dann skandiert. Das bedeutet so viel wie "Wir sind hier zu Hause", impliziert aber an diesem Ort: Wir sind die Herren im Haus, nicht die Einwanderer.

Der FN - Teil der französischen Normalität?

Am Vormittag desselben Tages hatte die neofaschistische Partei versucht, gut’ Wetter zu machen, indem sie eine Abordnung zu einer Gedenkfeier für die aus Frankreich Deportierten im westfranzösischen Saint-Nazaire entsandte. Dort mussten die FN-Vertreter den Saal jedoch mehr oder weniger schamvoll verlassen, nachdem eine resolute 93jährige und frühere Widerstandskämpferin sie energisch aufgefordert hatte, ihre Sachen zu packen und zu gehen.

Am Freitag zuvor musste der Front National in Windeseile seinen kurzzeitigen Interimsvorsitzenden Jean-François Jalkh absetzen, der den Parteivorsitz zwei Tage vorher von Marine Le Pen - die ihn für die Dauer der Wahlperiode niederlegte - übernommen hatte. Ein Journalist der katholischen Zeitung La Croix hatte ein Zitat von Jalkh (Mitglied des FN seit 1974, also zum Urgestein der Partei gehörend ) aus dem April 2000 aufgefunden. Darin behauptet er, Massenvergasungen in den nationalsozialistischen Lagern habe es nicht geben können, weil die Belüftungstechnik dies nicht zugelassen hätte. So sieht der harte Kern dieser Partei nach wie vor aus.

Gar zu gerne möchte der Front National als ein Teil der französischen Normalität erscheinen. Und zugleich als donnernder Herausforderer, der das Establishment zum Erzittern bringt, erscheinen. Bislang jedenfalls scheitert er an beidem.