Warum die Wagenknecht-Partei eine Rechtsabspaltung wird
Viele ziehen falsche Schlüsse aus Vergangenheit der Politikerin. Heute steht sie für deutsche Tugenden statt Klassenkampf. Offene Fragen gibt es dennoch – auch für ihre Noch-Partei.
Nach monatelanger quälender Diskussion scheinen die organisatorischen Vorarbeiten für die neue Partei um Sahra Wagenknecht nun abgeschlossen. An diesem Montag sollen die weiteren Pläne in den Räumen der Bundespressekonferenz vorgestellt werden. Damit wird auch klar, dass Wagenknecht und ihre Anhänger das Heft des Handelns weiterhin in der Hand haben und die Linkspartei vor sich her treiben.
Während mehrere Mitglieder der Linkspartei, darunter auch einige Bundestagsabgeordnete, einen erneuten Antrag gestellt haben, Wagenknecht aus der Partei auszuschließen, nimmt die Trennung nun langsam Fahrt auf und noch immer bestimmt Wagenknecht das Tempo.
Dabei ist aber schon jetzt klar, dass dieses neue Parteiprojekt eine Rechts- und keineswegs eine Linksabspaltung von der Linkspartei sein wird. Der falsche Eindruck speist sich vor allem aus Wagenknechts langjährigen Aktivitäten bei der Kommunistischen Plattform in und bei der PDS und ihrem damaligen Liebäugeln mit dem autoritären Staatssozialismus der DDR. Davon hat sich Wagenknecht allerdings schon lange verabschiedet.
Statt auf Karl Marx bezieht sie sich auf Ludwig Erhardt. In den letzten Monaten haben nun Wagenknecht und ihre Unterstützer wirklich zur Genüge deutlich gemacht, dass sie mit linker Kritik nichts zu tun haben. Da war es nur folgerichtig, dass Klaus Ernst, der die Parteivorstufe "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) unterstützt, die Linkspartei einmal mehr als linksradikal und grüner als die Grünen klassifizierte.
Bei Wagenknecht fehlt der Antikapitalismus
Sehr gut hat die Kritik an Wagenknecht der Soziologe Lukas Meisner in seinem kürzlich im Verlag "Das neue Berlin" erschienenen Buch "Medienkritik ist links" auf den Punkt gebracht. Der Autor teilt mit Wagenknecht die Kritik an der linksliberalen Variante der Identitätspolitik, diagnostiziert dann aber bei Wagenknecht Verharmlosung von Rassismus und Sexismus, dessen Opfer als skurril und marottenhaft abgekanzelt werden.
Das ist aber leider noch nicht alles. Ganz unironisch wirbt Wagenknecht in ihrem Buch zentral nicht bloß für deutsches Nationalkapital, also für einen innovativen Standort Deutschland und dessen Industrie, sondern auch für CDU-Werte für Tradition, Gemeinschaft, Fleiß und Anstrengung.
Lukas Meisner, Medienkritik ist links
Meisner bringt auch auf den Punkt, was Wagenknecht in all ihren Schriften fehlt: Der Antikapitalismus. Stattdessen hat sie selbst den Begriff "sozialkonservativ" für sich reklamiert. Sie steht damit in der Tradition einer reaktionären politischen Strömung, die der Politikwissenschaftler Ingar Solty in einem Beitrag in der jungen Welt historisch ausgeleuchtet hat.
Er zeigt auf, wie schon zu Bismarcks Zeiten Sozialkonservative eine Strömung bildeten, die viel mit Nationalismus und vorgeblich deutschen Tugenden, aber gar nichts mit Klassenkampf zu tun hatte. Die Intellektuelle Wagenknecht wird wissen, warum sie diesen Begriff des Sozialkonservativismus für sich und ihre Anhänger reklamiert. In manchen ihrer Unterstützerkreise wird denn auch ganz offen erklärt, dass für sie die Grünen gegenüber das größere Übel sind – und manche diskutieren ganz unbefangen die Frage, ob die neue Wagenknecht-Partei denn mit der AfD koalieren könne.
Nun muss diese neue Partei erst einmal zeigen, ob die Prognosen über das Wählerpotential sich umsetzen auch in entsprechende Wahlergebnisse umsetzen lassen. Das Positivste, was man von ihr sagen kann, ist vielleicht, dass sie der AfD Stimmen wegnehmen könnte. Aber auch das muss sich erst zeigen, und wenn man diese Stimmen für eine bedingte Zusammenarbeit ernst nimmt, dann wäre eine solche Partei eher eine Stütze als eine Barriere.
Wie geht es weiter mit der Linkspartei ohne Wagenknecht?
Doch was passiert mit der Linkspartei, wenn Wagenknecht und ihre Anhänger diese verlassen haben? Dass sie dann ihren Fraktionsstatus verliert, scheint mittlerweile auch für den Noch-Fraktionschef Dietmar Bartsch nicht mehr zu verhindern.
Nun könnte man denken, die Linkspartei wäre froh, wenn sie die Abspaltung hinter sich lässt, damit sie sich wieder auf ihre vielzitierten Kernkompetenzen konzentrieren könnte. Doch welche sind das? Droht nicht weiterer Streit, wenn das gemeinsame Feindbild Wagenknecht wegfällt? So klang der noch amtierende Fraktionsvorsitzende kürzlich wie Wagenknecht, als er betonte, man müsse "die Schleuserindustrie trockenlegen". Damit sind die Menschen gemeint, die Geflüchteten helfen, über die Grenze zu kommen.
Dabei könnte man durchaus auch von Fluchthilfe sprechen und sichere Fluchtmöglichkeiten fordern, statt sich der populistischen Schlepper-Rhetorik zu bedienen, wie Jana Frielinghaus in einem Kommentar für die Tageszeitung Neues Deutschland feststellte. Wird nicht die parteilose Kandidatin der Linkspartei für die Europawahlen, Carola Rackete, eine ähnliche Kritik an Bartschs Rhetorik üben?
Nahost-Resolution: Linke auch ohne Wagenknecht nicht einig
Auch die aktuelle Auseinandersetzung in der Linksfraktion über die Haltung zum Nahostkonflikt nach dem Hamas-Terror orientiert sich nicht an der Fraktion für oder gegen Wagenknecht. Im Neuen Deutschland wird diese Gemengelage zur Nahost-Resolution gut beschrieben.
Die Wahrheit ist, dass ein Teil der Linke-Fraktion dafür plädierte, den Mehrheitsantrag ohne Einschränkung zu unterstützen. Andere nahmen nicht an der Abstimmung teil, weil sie nicht gegen die Solidarität mit Israel und die Verurteilung der Hamas-Verbrechen votieren wollten, aber die Entschließung ergänzungsbedürftig fanden. Wieder andere ließen der Plenardebatte schriftliche Erklärungen folgen, die im Bundestagsprotokoll nachzulesen sind.
Wolfgang Hübner, Neues Deutschland
Dabei wird auch deutlich, dass die Konfliktlinien in dieser Frage eben quer durch die verschiedenen innerparteilichen Fraktionen gehen:
In vier teils identischen Erklärungen geht es unter anderem um die zeitweise israelische Totalblockade von Gaza, um Kritik an der Netanjahu-Regierung, an den guten Beziehungen der Bundesregierung zum Hamas-Sponsor Katar und an einer Kürzung der humanitären Hilfe für die Palästinenser. Die getrennten Erklärungen stammen von kleinen Abgeordnetengruppen, die der Bewegungslinken nahestehen, zu den Wagenknecht-Anhängern gehören bzw. jene Gruppe verkörpern, die sich in der bisherigen Fraktionsarithmetik weder von den Bartsch-Reformern noch von Wagenknecht und Co. vertreten fühlen.
Wolfgang Hübner, Neues Deutschland
So wird es in der Partei auch ohne Wagenknecht sicher noch viele weitere Auseinandersetzungen und Streitpunkte geben. Daher bleibt die Frage, wie es mit der Linken weitergeht, nicht nur für den sozialkonservativen Teil offen. Hier lohnt ein Blick in den oben erwähnten Artikel "Medienkritik ist links". Von Lukas Meisner kann man lernen, wie eine linke Kritik an der neoliberalen Identitätspolitik aussehen kann, die nicht bei deutschen Tugenden ankommt.