Warum ein US-Friedensaktivist in Deutschland ins Gefängnis muss
Nukewatch-Co-Direktor John LaForge nimmt an einer Protestaktion gegen US-Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel in Deutschland teil. Bild: Nukewatch
Während die Atomkriegsgefahr in Europa steigt, wird der US-Amerikaner LaForge in ein Hamburger Gefängnis geschickt. Bei einem Protest gegen US-Atomwaffen betrat er den Fliegerhorst Büchel. Er sagt: Nuklearwaffen sind das Verbrechen.
In Europa erleben wir gerade, wie die Gefahren eines Nuklearkriegs im Zuge des Ukraine-Kriegs weiter anwachsen. Die atomaren Spannungen sind inzwischen auf einem der höchsten Niveaus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs angelangt. Viele Menschen sind besorgt, dass die Konfrontation zwischen Russland und der Nato unter US-Führung in einer Eskalationsspirale außer Kontrolle geraten könnte, bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen.
Währenddessen muss der 66 Jahre alte US-Amerikaner John LaForge, Co-Direktor der Organisation Nukewatch und Anti-Atomwaffen-Aktivist, nun ab dem 10. Januar eine Gefängnisstrafe in Deutschland antreten. Die Strafe beläuft sich auf 50 Tage Haft in der Justizvollzugsanstalt Billwerder in Hamburg. Er wäre damit der erste US-Bürger, der wegen eines Anti-Atomwaffen-Protests in Deutschland hinter Gittern kommt.
LaForge wird vorgeworfen, im Jahr 2018 bei zwei Demonstrationen gegen US-Nuklearwaffen, die im Fliegerhorst Büchel in der Eifel stationiert sind, unerlaubt den Militärflugplatz betreten zu haben. Das Landgericht in Koblenz verurteilte LaForge am 9. Dezember 2021 zur Zahlung von 600 Euro.
Der Friedensaktivist aus dem US-Bundesstaat Wisconsin weigerte sich jedoch, die Strafe zu zahlen und legte Berufung beim Verfassungsgericht in Karlsruhe ein. Eine Entscheidung ist dort bisher nicht getroffen worden. Alle Verfassungsbeschwerden von anderen Büchel-Aktivisten sind in der Vergangenheit allerdings vom Karlsruher Gericht abgewiesen worden.
Es muss also davon ausgegangen werden, dass das auch in diesem Fall geschehen wird. Die Organisation Nukewatch hat bereits ein Gefängnis-Abschiedsevent für LaForge organisiert, das heute Abend um 19 Uhr online stattfinden wird, ein paar Tage, bevor seine Haftzeit beginnt.
LaForge und andere Aktivist:innen hatten während einer Demonstration den Militärstützpunkt betreten und ein Gebäude bestiegen, in dem wahrscheinlich B61 Wasserstoffbomben (Atombomben, die in den 1960er Jahren von den USA entwickelt wurden) gelagert sind. Die 28-Millionen-Dollar-Bombe, dessen militärischer Wert vom US-General und Vize-Stabschef James Cartwright als "praktisch null" bewertet wird, habe laut LaForge die bis zu 40-fache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe, die 1945 170.000 Menschen tötete. Nukewatch schreibt:
Der Luftwaffenstützpunkt Büchel beherbergt – wie sechs weitere europäische Nato-Stützpunkte – im Rahmen eines umstrittenen US/Nato-Programms, das als "nukleare Teilhabe" bekannt ist, mindestens 20 thermonukleare US-Gravitationsbomben (B61). Das 702. Unterstützungsgeschwader der U.S. Luftwaffe hält die US-Bomben für die Besatzungen der deutschen PA 200 Tornado-Kampfjets in Bereitschaft.
Täglich werden auf dem Fliegerhorst Büchel Übungen von deutschen Tornados durchgeführt. Im Ernstfall sollen deutsche Kampfflieger die US-Atombomben an ihr Ziel bringen. Seit einem Vierteljahrhundert finden daher Proteste an der Militärbasis nahe Cochem statt. Es wird gefordert, dass die US-Bomben von deutschem Boden entfernt und die US-Pläne aufgegeben werden, die Nuklearwaffen durch modernere zu ersetzen.
Störungen gegen "Vorbereitungen zur Massenvernichtung"
LaForge begründet seine Weigerung, die vom Gericht verhängte Strafe zu zahlen, damit, dass sein Verhalten kein Fehler gewesen sei. Er habe im öffentlichen Interesse gehandelt. Der unbefugte Übertritt sei gerechtfertigt als Versuch, gegen "Vorbereitungen zur Massenvernichtung" vorzugehen und Verbrechen zu verhindern.
LaForge ist Empfänger des US Peace and Justice Studies Association’s Social Courage Award und musste bereits insgesamt 54 Monate aufgrund von zivilen Ungehorsamsaktionen in Gefängnissen einsitzen. Im Online-Magazin Counterpunch schreibt er:
Es kann niemals ein Verbrechen sein, den Einsatz, Einsatzübungen oder die angedrohte Verwendung von Atomwaffen zu stören oder sich den Plänen der amerikanischen und der deutschen Regierungen zu widersetzen, unkontrollierbare Massenvernichtung durch Feuerstürme und Strahlung zu begehen. Keine wie auch immer geartete kriminelle Verschwörung ist mit dem Ausmaß des bewussten öffentlichen Rechtsbruchs vergleichbar, der in den allzu "glaubwürdigen" Atomwaffendrohungen unserer Regierungen enthalten ist. Meine friedliche Störung der nuklearen Angriffsmaschinerie ist kein Hausfriedensbruch, sondern gerechtfertigt, präventiv, dem Vorsorgeprinzip verpflichtet und rechtmäßig.
LaForge bezieht sich auch auf den internationalen Atomwaffensperrvertrag (NPT), der das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen enthält. Die USA und Deutschland haben den Vertrag unterzeichnet. Dazu wollte die Verteidigung von LaForge im Gerichtsprozess drei Experten aussagen lassen, doch das wurde ihr vom Gericht verwehrt.
Eingeladen werden sollten der pensionierte deutsche Richter Bernd Hahnfeld, der Trierer IT-Professor Karl-Hans Bläsius und Francis A. Boyle, Rechtsprofessor an der Universität von Illinois. Sie wollten laut Nukewatch über den Atomwaffensperrvertrag von 1970 und den Zwei-Plus-Vier-Vertrag von 1990 (über die deutsche Wiedervereinigung) sprechen, die die Stationierung von US-Atomwaffen in Deutschland verbieten; über das wachsende Risiko eines computergesteuerten versehentlichen Atomkriegs und die Kriminalität der ständigen Drohungen mit atomaren Angriffen, die als "Abschreckung" bezeichnet wird.
Marion Küpker, Anti-Atomkraft-Aktivistin der Gewaltfreien Aktion Atomwaffen Abschaffen (GAAA), weist darauf hin, dass LaForge kein Einzelfall ist:
In den letzten zwei Jahren gab es in Cochem und Koblenz etwa 50 Gerichtsverfahren mit Dutzenden von Atomwaffengegnern wegen Aktionen des gewaltfreien zivilen Ungehorsams auf dem Fliegerhorst Büchel.
Zwischen 1998 und 2019 mussten 13 Aktivist:innen, die gegen die Stationierung von Atomwaffen in Büchel gewaltfrei protestierten, Haftstrafen absitzen. Küpker sagt, dass die Kampagnen trotz der Prozesse und Strafen weitergehen werden.
Lange konnten sich die Proteste auf eine klare öffentliche Meinung in Deutschland in Bezug auf die "nukleare Teilhabe" berufen. Große Mehrheiten haben sich immer wieder für den Abzug der US-Atomwaffen ausgesprochen. Noch Mitte 2021 waren laut einer Studie der Münchener Sicherheitskonferenz nur 14 Prozent der Befragten für Atomwaffen in Deutschland, eine Mehrheit von 57 Prozent wollte, dass sie abgezogen werden.
Doch das hat sich im Zuge des Ukraine-Kriegs geändert. Bei einer Befragung des ARD-Politikmagazins Panorama Anfang Juni 2022 votierten nur noch 39 Prozent für einen Abzug. 52 Prozent sind jetzt für einen Verbleib der Atomwaffen.