Warum eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht kaum umsetzbar ist

Seite 2: Beispiel Pocken: Genesene lebenslang geschützt

Eine lebenslange Immunität haben nur Genesene. Die Impfpflicht wurde auch angesichts relativ häufiger und schwerer Nebenwirkungen eingeführt. Viele Impfungen wie gegen Diphtherie oder Tetanus, die nach der Grundimmunisierung im Kindesalter nach zehn Jahren ihre Wirkung verlieren, müssen regelmäßig wiederholt werden.

Eine hundertprozentige oder sterile Immunität für das ganze Leben gibt es bei praktisch keiner Impfung. Die dreifache Impfung gegen Polio (Kinderlähmung) scheint lange zu immunisieren, führt aber auch nicht zu einer sterilen Immunität.

Wie es aussieht, wird eine Impfung gegen Covid-19 wahrscheinlich alle sechs Monate erforderlich sein. Die Grippeimpfung, die auch nur einen mäßigen Schutz verspricht, muss jährlich aufgefrischt werden. Zu hoffen wäre, dass dies auch bei Covid-19 der Fall sein wird.

Es ist auch nicht bekannt, wie hoch die Immunität in der Bevölkerung, die Herdenimmunität, sein muss, um eine weitere Epidemie zu verhindern, wenn dies überhaupt eintreten sollte. Es ist auch noch nicht bekannt, wie mutationsfreudig Sars-CoV-2 langfristig ist.

Eine Impfpflicht müsste also unter vielen unbekannten Bedingungen angeordnet werden. Ein Problem ist schon, welche der vielen Impfstoffe dafür herangezogen werden sollen. Offenbar dürften Astrazeneca und Johnson & Johnson nicht infrage kommen, eigentlich wegen der geringen Schutzzeit nach zweifacher Impfung auch nicht der von Biontech/Pfizer.

Ein weiteres Problem ist, wie viele Impfungen eine Impfpflicht umfassen soll. Eine einzelne Impfung ist zu wenig, zwei Impfdosen sind im Augenblick auch zu wenig, wenn nicht neue, an die Delta-Variante angepasste Impfstoffe verfügbar sind, wobei natürlich auch weitere Mutanten entstehen können, die wieder zu Impfdurchbrüchen führen.

Wenn auch eine dritte Boosterimpfung nach ein paar Monaten nicht mehr hinreichend schützt, würde das womöglich weitergehen. Dazu kommt, dass auch eine Impfung, die den Empfänger gut vor schweren Erkrankungen, Hospitalisierung und Tod schützt, offenbar nicht verhindert, dass die Geimpften sich anstecken und das Virus verbreiten können.

Der wöchentliche Covid-19-Impfbericht des britischen Gesundheitsministeriums für die 46. Kalenderwoche, macht deutlich, dass Geimpfte sogar häufiger positiv sind als Nicht-Geimpfte (weil sie vielleicht unvorsichtiger werden?). In den Kalenderwochen 39 bis 41 waren in der Altersgruppe der 40-49-Jährigen beispielsweise 2.043,5 doppelt Geimpfte pro 100.000 positiv, bei den Ungeimpften waren es nur 929,5.

Der Unterschied wird mit zunehmendem Alter geringer, aber den über 80-Jährigen stecken sich mit 383,2 pro 100.000 weniger zweimal Geimpfte als Ungeimpfte mit 417,9 an. Auch bei den unter 29-Jährigen ist das der Fall.

Wirksam bleibt aber die Impfung als Schutz gegen schwere Erkrankungen, also bei Aufnahmen in die Intensivstation oder Tod. Bei den 40-49-Jährigen wurden 8,5 Geimpfte pro 100.000 in die Notaufnahme aufgenommen, aber 31,2 Ungeimpfte pro 100.000.

Impfpflicht praktisch schwer umsetzbar

Mir scheint, schon alleine praktisch lässt sich angesichts der vielen Unwägbarkeiten und der kurzen Schutzdauer keine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 einführen. Anders ist es vielleicht bei den sogenannten vulnerablen Gruppen, also bei den Jahrgängen ab 60 Jahren, und vor allem bei den Berufsgruppen in Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegeheimen, wozu aber dann auch das Reinigungspersonal und andere Beschäftigte zählen müssten.

Studien weisen auch darauf hin, dass die Hoffnung, eine Impfung würde die Pandemie eindämmen, sowieso eine Illusion ist, weil sie eben weder eine sterile Immunität noch einen hundertprozentigen Schutz mit sich bringt.

Im Gespräch mit Frank Jödicke über die Situation in Österreich sagte er, die angekündigte Impfpflicht sei wohl eher als Drohung gedacht, um die Impfquote zu erhöhen. Sie soll im Februar eingeführt werden, dann hat vermutlich die Welle schon ihren Höhepunkt überschritten und die Impfpflicht würde mit beginnendem Frühjahr erst einmal wieder unnötig werden, weil sie schlicht zu spät kommt.

Aber vielleicht soll die Impfpflicht ja auch für den Herbst 2022 gelten, um eine erneute Welle zu verhindern. Aktuell wird eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland, Österreich oder anderswo, auch wenn sie schneller umgesetzt würde, kein Wellenbrecher sein, aber wohl den Unfrieden und die Spaltung in der Gesellschaft weiter vertiefen.

In der Politik scheint man entsprechend verunsichert zu sein. Die Bundesregierung hat in den "Fakten gegen Falschmeldungen zur Corona-Schutzimpfung" am Freitag kurzfristig den Eintrag, der die mögliche Einführung der Impfpflicht als Falschmeldung bezeichnete, gelöscht ("Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Nachrichten und Beiträge, die etwas anderes behaupten, sind falsch").

Am Montag wurde eine Korrektur eingefügt, Regierungssprecher Seibert bezeichnete die Löschung als Fehler. So schnell geht es von der Bekämpfung von Desinformation zur Desinformation und wieder zurück.

Es bleibt bei einer Falschmeldung, es wird weiter verkündet: "Es gibt keine allgemeine Impfpflicht." Dazu heißt es nun etwas verschwurbelt, wobei die apodiktisch gehaltene Absage ja derzeit auf der Kippe steht:

Die Impfung gegen das Coronavirus ist freiwillig. Die Behauptung, es werde eine Impfpflicht geben, ist falsch. Es wird jedoch eine starke Impfempfehlung ausgesprochen, um sich nicht nur selbst, sondern die Gemeinschaft zu schützen.

Da gehe es aber nur um die allgemeine Impfpflicht. Die Bundesregierung, wer immer das jetzt noch genau ist, betont, dass "die Bundesländer" aber eine "einrichtungsbezogene" Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einführen wollen.

Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es zur israelischen Studie vom 7. Oktober fälschlicherweise, der Schutz vor einer Infektion sei zwölf Tage nach der Boosterimpfung um den Faktor 11,3 geringer als bei den nur zweimal Geimpften, der Schutz vor einer schweren Erkrankung sei um den Faktor 19,5 geringer. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben die Textstelle korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Das Interview erschien zuerst bei unserem Partnerportal Krass und Konkret.