"Die Bewegung gegen das Impfen ist in Österreich beklemmend stark"
- "Die Bewegung gegen das Impfen ist in Österreich beklemmend stark"
- Keine Auseinandersetzung mit unwissenschaftlichen Positionen
- Österreich: Soziale Folgen des Lockdowns nicht im Blick
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Der Journalist Frank Jödicke über den Lockdown in Österreich, die Impfpflicht und die Rolle der FPÖ
Sie sind gerade aus Wien nach Kärnten "geflohen" bzw. haben sich aufs Land zurückgezogen. Nun ist in Österreich ein neuer Lockdown in Kraft getreten, auch für Geimpfte. Es war eigentlich immer das Versprechen, dass die Geimpften keinen Lockdown mehr erleben sollten. Wie ist denn die Stimmung im Lande?
Frank Jödicke: Natürlich ist die Stimmung schlecht. Was ich als belastend empfinde ist, dass auch dann, wenn man Entwicklungen vorhersehen kann, sie einem trotzdem kein vorausschauendes Handeln ermöglichen. Ich selbst organisiere für das skug-Magazin Veranstaltungen oder Panel-Diskussionen und wir haben in der Redaktion gesehen, dass die Zahlen höher und immer höher gehen.
Wir haben gedacht: Na ja, was sollen wir jetzt anders machen, als einfach zu hoffen, dass wir es noch irgendwie schaffen, die Veranstaltungen abzuhalten? Aber eigentlich haben wir schon gewusst, dass das nicht mehr möglich sein wird.
Das haben alle gewusst in Österreich, außer dem Bundeskanzler und dem Gesundheitsministerium. Und die mussten dann diese überraschende Kehrtwende machen, die natürlich etwas ist, was man in Österreich im Moment als Kommunikationsdesaster sieht.
Wie kam es zu der Kehrtwende? Sebastian Kurz hat immer geschaut, möglichst schnell wieder aus solchen Maßnahmen herauszukommen, und versprochen, dass alles bald zu Ende ist, vor allem, wenn das Impfen beginnt. Warum hat es so lange gedauert, bis die Regierung eingegriffen hat? Und warum diese Kehrtwende?
Frank Jödicke: Da gibt es eine ganze Reihe von strukturellen Gründen. Ein Grund, den ich mir jetzt mal herauspicke, ist die sogenannte zielgruppenorientierte Kommunikation. Das hat die sogenannte türkise Bewegung, also die neue Volkspartei unter Sebastian Kurz, auf die Spitze getrieben.
Es ist ein Instrument, das einem gut im Wahlkampf hilft. Das funktioniert so, dass man seine Botschaften direkt auf Gruppen von Wählern, auf Wählersegmente zuspitzt, von denen man annehmen darf, dass sie einen wählen, während man anderen Gruppen überhaupt nichts zu sagen hat.
In dem Moment, in dem man ein Regierungsamt übernimmt, also Bundeskanzler ist oder Minister, ist das natürlich fatal.
Wir sehen während der ganzen Pandemie schon diese Situation, dass die Polarisierung, die mit diesem zielgruppenorientierten Kommunizieren einhergeht, also dass man den einen sagt, was sie hören wollen, und den anderen gar nichts sagt, dazu geführt hat, dass die Glaubwürdigkeit eines Bundeskanzlers, der eigentlich zur ganzen Bevölkerung gerade in so einer Krisensituation sprechen müsste, kompromittiert ist und ein großer Teil der Menschen in Österreich ihm sowieso nichts glaubt.
Eine Pandemie bekämpft man aber nur, indem man einen möglichst breiten Schulterschluss erreicht, in dem alle Menschen zusammen diese Anstrengungen unternehmen. Das hat man nicht gemacht.
Zu dieser zielgruppenorientierten Kommunikation gehört auch noch dazu, dass man ein fast pathologisches Verhältnis zu guten Nachrichten unterhält. Die schlechten Nachrichten werden so ganz merkwürdig gedämpft, es gibt dann immer nur gute Nachrichten.
Es gab so die schon zweimal stattgefundene "Auferstehung" nach Ostern, es gab einen coolen Sommer, es war alles in Ordnung. Die Menschen, die nur noch mit einem halben Ohr zugehört haben, haben das geglaubt.
Und im Sommer hat man halt nichts mehr gemacht. Die Impfkampagnen sind völlig eingeschlafen und die ganzen Alarmrufe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wurden geflissentlich überhört. Auch in der Opposition, glaube ich, hat man teilweise gehofft, dass es sich vielleicht ausgeht. Man wollte auch nicht zu denjenigen zählen, die die schlechten Nachrichten verbreiten.
Das war in Deutschland ganz ähnlich. Das wurde gerne auf die Wahlen geschoben, die die Parteien gehindert hätten, Klartext zu reden. Aber es scheint ja einen ähnlichen Verlauf in Österreich gegeben zu haben, wo man einfach darauf gehofft hat, dass es schon vorbeigehen und das Impfen helfen wird.
Frank Jödicke: Ja, das Impfen wurde als ein Heilsversprechen verkauft, während es schon im Frühjahr dieses Jahres klar war, dass die Impfung vielleicht nur sechs Monate hält, dass man also nachimpfen muss. Der amtierende Bundeskanzler Alexander Schellenberg hat sich im Fernsehen so überrascht gezeigt und behauptet, das hätte man nicht wissen können. Doch das hat man gewusst. Möglicherweise stehen wir vor einer Situation, in der wir periodisch nachimpfen müssen. Die Frage ist, in welchen Abständen.
Zudem haben Wissenschaftler und Wissenschaftler immer darauf verweisen, dass die Impfung allein nicht reichen wird. Es wird trotzdem Distanzierung und andere Maßnahmen geben müssen. An gewissen sensiblen Orten muss man weiterhin Maske tragen. Von all diesen schlechten Nachrichten wollte man nichts hören.
Mich hat auch überrascht, dass der kleine Koalitionspartner, also die Grünen, von denen man eigentlich anderes hätte erwarten dürfen, da mitgespielt hat. Gerade erst hat im Fernsehen der grüne Gesundheitsminister (Wolfgang) Mückstein gesagt, Österreich sei im Impfen Europameister.
Also wieder dieser Versuch, eine gute Nachricht zu präsentieren, die einer genaueren Prüfung aber nicht standhält. Tatsächlich gab es in den letzten zwei Wochen viele Impfungen in Österreich. Aber zum überwiegenden Teil sind es Booster-Impfungen gewesen. Die in Österreich sogenannten Erststiche sind nicht so viel gewesen und ihre Zahl sinkt auch schon wieder.