Warum eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht kaum umsetzbar ist

Florian Rötzer über eine mögliche gesetzliche Pflicht zur Immunisierung, Studien zur Wirksamkeit der Vakzine und richtige Falschmeldungen. Ein Kommentar

Österreichs türkis-grüne Regierung will ab Februar eine Impfpflicht einführen, auch in Deutschland wird nun darüber nachgedacht oder entsprechende Forderungen erhoben.

Angesichts einer schnell schwindenden Schutzwirkung und der Notwendigkeit nicht nur einer dritten Impfung, sondern vermutlich regelmäßiger Impfungen über eine unbekannte Zeit, stellt sich alleine die pragmatische die Frage, wie eine solche Impfpflicht umgesetzt werden soll. Also auch die Frage, ab wann eine Person "vollständig geimpft" ist. Mit der zweiten Impfung ist das schon jetzt definitiv nicht mehr der Fall.

Wie lange der Schutz der dritten Auffrischungs- oder Boosterimpfung bei welchen Impfstoffen anhält, ist noch unbekannt und wird sich erst herausstellen. Eine Studie aus Israel hat die Wirkung des mRNA-Impfstoffs BNT162b2 von Biontech/Pfizer bei zwischen dem 30. Juli und 30. September das dritte Mal Geimpften untersucht.

Die zweite Injektion musste fünf Monate zurückliegen, die Geimpften hatten noch keine Infektion, Mitarbeiter im Gesundheitssystem, Menschen in Pflegeheimen und solche, die aus medizinischen Gründen ihr Haus nicht verlassen können, wurden ausgeschlossen.

Die Menschen in der Kontrollgruppe waren zweimal geimpft, aber hatten im Untersuchungszeitraum die Boosterimpfung noch nicht erhalten. Jeweils 728.321 Personen waren in der Kontroll- und Untersuchungsgruppe, die nach Alter, Geschlecht, Wohnort, für Covid-19 riskante Vorerkrankungen etc. zusammengestellt wurden.

Nach durchschnittlich 13 Tagen (Median), maximal 55 Tagen und mindestens sieben Tage nach Impfung, wurde der Impfschutz bewertet, was Hospitalisierung, schwere Erkrankungen und Morbidität betrifft.

Danach liegt im Vergleich mit Personen mit zwei Impfungen der Schutz vor einer mit Covid-19 verbundenen Hospitalisierung bei 93 Prozent, die Verhinderung einer schweren Erkrankung bei 92 Prozent und der Schutz vor dem Tod bei 81 Prozent. Alter und Geschlecht scheinen keine wesentliche Rolle zu spielen.

Der Schutz vor Hospitalisierung setzt nach sechs Tagen ein, vor schwerer Erkrankung und Tod nach acht bis neun Tagen. Doppelt Geimpfte haben ein Risiko von 220 auf 100.000 für eine Hospitalisierung, dreifach Geimpfte von 14,4. Das ist also schon deutlich geringer, was auch für eine schwere Erkrankung und Tod gilt. Offen bleibt, wie lange der Schutz anhält.

Eine israelische Studie vom 7. Oktober untersuchte die Schutzwirkung einer Booster-Impfung für über 60-Jährige, die bereits mindestens fünf Monate zuvor zweimal mit Biontech/Pfizer immunisiert worden waren. Auch hier war die untersuchte Zeitspanne sehr kurz.

Hinweise auf schwindende Wirkung der Vakzine

Spätestens zwölf Tage nach der Boosterimpfung war die Rate der bestätigten Infektionen in der Gruppe mit Nachimpfung um den Faktor 11,3 niedriger als in der Gruppe ohne Auffrischungsimpfung (95 Prozent). Die Rate der schweren Erkrankungen war um den Faktor 19,5 niedriger.

Abgeschätzt wurde aber auch der Schutz vor einer Covid-19-Infektion, der nach der zweiten Impfung schnell zurückgeht. Nach einer großen schwedischen Studie, die am 25. Oktober veröffentlicht wurde, fällt der Schutz nach einer zweifachen Impfung mit dem Biontech/Pfizer-Impfstoff schon nach 120-180 Tagen auf 47 Prozent.

Nach 211 Tagen, also nach sieben Monaten ist kein Schutz mehr erkennbar. Moderna schneidet besser ab, hier ist der Schutz nach 181 Tagen bei 59 Prozent und hält sich dann offenbar.

Bei Astrazeneca ist bereits nach vier Monaten kein Schutz mehr vorhanden. Bei Männern, älteren Menschen und Personen mit Vorerkrankungen schwindet der Schutz vor Infektion noch schneller. Nach 181 Tagen sinkt auch der Schutz vor schweren Covid-19-Erkrankungen auf 42 Prozent. Ähnliche Ergebnisse haben auch andere Studien erbracht.

Eine am 18. November erschienene Metastudie kam zu dem Ergebnis, dass der Impfschutz schon nach dem ersten Monat bis zum sechsten Monat durchschnittlich um 18,5 Prozent mit einer beachtlichen Schwankung von 9,2 bis 36,7 Prozent schwindet. Vor symptomatischen Erkrankungen sinkt er in der Zeit um 25,4 Prozent, für schwere Erkrankungen um acht Prozent.

Die Hinweise aus die Studien zeigen, dass eine zweifache Impfung, die bislang als "vollständig" gilt, schnell schwindet. Ob der Schutz nach einer Boosterimpfung länger anhält, ist ungewiss. Wenn jetzt über eine Impfpflicht nachgedacht wird oder sie, wie in Österreich, geplant ist, müssten diese Erkenntnisse natürlich berücksichtigt werden.

Es dürfte, ganz abgesehen von juristischen Fragen, praktisch schwierig werden, eine solche Impfpflicht anzuordnen und umzusetzen, zumal ja erste Medikamente gegen Corona auf den Markt kommen. Was, wenn diese tatsächlich wirken? Eine Impfpflicht wäre kaum mehr durchsetzbar.

Die Schutzwirkung auch anderer Impfstoffe geht mit der Zeit zurück. In Deutschland wurde in den 1950er-Jahren etwa wieder eine Impfpflicht gegen Pocken eingeführt, die 1983 ganz aufgehoben wurde.

1980 hatte die WHO die Pocken für ausgerottet erklärt. Eine einmalige Impfung schützte drei bis fünf Jahre lang, der Schutz ist aber nach zehn bis 20 Jahren nicht mehr vorhanden, eine Auffrischungsimpfung kann den Schutz verlängern.

Beispiel Pocken: Genesene lebenslang geschützt

Eine lebenslange Immunität haben nur Genesene. Die Impfpflicht wurde auch angesichts relativ häufiger und schwerer Nebenwirkungen eingeführt. Viele Impfungen wie gegen Diphtherie oder Tetanus, die nach der Grundimmunisierung im Kindesalter nach zehn Jahren ihre Wirkung verlieren, müssen regelmäßig wiederholt werden.

Eine hundertprozentige oder sterile Immunität für das ganze Leben gibt es bei praktisch keiner Impfung. Die dreifache Impfung gegen Polio (Kinderlähmung) scheint lange zu immunisieren, führt aber auch nicht zu einer sterilen Immunität.

Wie es aussieht, wird eine Impfung gegen Covid-19 wahrscheinlich alle sechs Monate erforderlich sein. Die Grippeimpfung, die auch nur einen mäßigen Schutz verspricht, muss jährlich aufgefrischt werden. Zu hoffen wäre, dass dies auch bei Covid-19 der Fall sein wird.

Es ist auch nicht bekannt, wie hoch die Immunität in der Bevölkerung, die Herdenimmunität, sein muss, um eine weitere Epidemie zu verhindern, wenn dies überhaupt eintreten sollte. Es ist auch noch nicht bekannt, wie mutationsfreudig Sars-CoV-2 langfristig ist.

Eine Impfpflicht müsste also unter vielen unbekannten Bedingungen angeordnet werden. Ein Problem ist schon, welche der vielen Impfstoffe dafür herangezogen werden sollen. Offenbar dürften Astrazeneca und Johnson & Johnson nicht infrage kommen, eigentlich wegen der geringen Schutzzeit nach zweifacher Impfung auch nicht der von Biontech/Pfizer.

Ein weiteres Problem ist, wie viele Impfungen eine Impfpflicht umfassen soll. Eine einzelne Impfung ist zu wenig, zwei Impfdosen sind im Augenblick auch zu wenig, wenn nicht neue, an die Delta-Variante angepasste Impfstoffe verfügbar sind, wobei natürlich auch weitere Mutanten entstehen können, die wieder zu Impfdurchbrüchen führen.

Wenn auch eine dritte Boosterimpfung nach ein paar Monaten nicht mehr hinreichend schützt, würde das womöglich weitergehen. Dazu kommt, dass auch eine Impfung, die den Empfänger gut vor schweren Erkrankungen, Hospitalisierung und Tod schützt, offenbar nicht verhindert, dass die Geimpften sich anstecken und das Virus verbreiten können.

Der wöchentliche Covid-19-Impfbericht des britischen Gesundheitsministeriums für die 46. Kalenderwoche, macht deutlich, dass Geimpfte sogar häufiger positiv sind als Nicht-Geimpfte (weil sie vielleicht unvorsichtiger werden?). In den Kalenderwochen 39 bis 41 waren in der Altersgruppe der 40-49-Jährigen beispielsweise 2.043,5 doppelt Geimpfte pro 100.000 positiv, bei den Ungeimpften waren es nur 929,5.

Der Unterschied wird mit zunehmendem Alter geringer, aber den über 80-Jährigen stecken sich mit 383,2 pro 100.000 weniger zweimal Geimpfte als Ungeimpfte mit 417,9 an. Auch bei den unter 29-Jährigen ist das der Fall.

Wirksam bleibt aber die Impfung als Schutz gegen schwere Erkrankungen, also bei Aufnahmen in die Intensivstation oder Tod. Bei den 40-49-Jährigen wurden 8,5 Geimpfte pro 100.000 in die Notaufnahme aufgenommen, aber 31,2 Ungeimpfte pro 100.000.

Impfpflicht praktisch schwer umsetzbar

Mir scheint, schon alleine praktisch lässt sich angesichts der vielen Unwägbarkeiten und der kurzen Schutzdauer keine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 einführen. Anders ist es vielleicht bei den sogenannten vulnerablen Gruppen, also bei den Jahrgängen ab 60 Jahren, und vor allem bei den Berufsgruppen in Krankenhäusern, Altenheimen und Pflegeheimen, wozu aber dann auch das Reinigungspersonal und andere Beschäftigte zählen müssten.

Studien weisen auch darauf hin, dass die Hoffnung, eine Impfung würde die Pandemie eindämmen, sowieso eine Illusion ist, weil sie eben weder eine sterile Immunität noch einen hundertprozentigen Schutz mit sich bringt.

Im Gespräch mit Frank Jödicke über die Situation in Österreich sagte er, die angekündigte Impfpflicht sei wohl eher als Drohung gedacht, um die Impfquote zu erhöhen. Sie soll im Februar eingeführt werden, dann hat vermutlich die Welle schon ihren Höhepunkt überschritten und die Impfpflicht würde mit beginnendem Frühjahr erst einmal wieder unnötig werden, weil sie schlicht zu spät kommt.

Aber vielleicht soll die Impfpflicht ja auch für den Herbst 2022 gelten, um eine erneute Welle zu verhindern. Aktuell wird eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland, Österreich oder anderswo, auch wenn sie schneller umgesetzt würde, kein Wellenbrecher sein, aber wohl den Unfrieden und die Spaltung in der Gesellschaft weiter vertiefen.

In der Politik scheint man entsprechend verunsichert zu sein. Die Bundesregierung hat in den "Fakten gegen Falschmeldungen zur Corona-Schutzimpfung" am Freitag kurzfristig den Eintrag, der die mögliche Einführung der Impfpflicht als Falschmeldung bezeichnete, gelöscht ("Eine Impfpflicht wird es nicht geben. Nachrichten und Beiträge, die etwas anderes behaupten, sind falsch").

Am Montag wurde eine Korrektur eingefügt, Regierungssprecher Seibert bezeichnete die Löschung als Fehler. So schnell geht es von der Bekämpfung von Desinformation zur Desinformation und wieder zurück.

Es bleibt bei einer Falschmeldung, es wird weiter verkündet: "Es gibt keine allgemeine Impfpflicht." Dazu heißt es nun etwas verschwurbelt, wobei die apodiktisch gehaltene Absage ja derzeit auf der Kippe steht:

Die Impfung gegen das Coronavirus ist freiwillig. Die Behauptung, es werde eine Impfpflicht geben, ist falsch. Es wird jedoch eine starke Impfempfehlung ausgesprochen, um sich nicht nur selbst, sondern die Gemeinschaft zu schützen.

Da gehe es aber nur um die allgemeine Impfpflicht. Die Bundesregierung, wer immer das jetzt noch genau ist, betont, dass "die Bundesländer" aber eine "einrichtungsbezogene" Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen einführen wollen.

Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es zur israelischen Studie vom 7. Oktober fälschlicherweise, der Schutz vor einer Infektion sei zwölf Tage nach der Boosterimpfung um den Faktor 11,3 geringer als bei den nur zweimal Geimpften, der Schutz vor einer schweren Erkrankung sei um den Faktor 19,5 geringer. Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben die Textstelle korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

Das Interview erschien zuerst bei unserem Partnerportal Krass und Konkret.