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Warum es böses und gutes Erdgas gibt

Energie- und Klimawochenschau: Pipelines, sprudelnde Methanquellen, ein Minister, der vor Klimaschutz warnt, Aussichten auf einen nuklearen Winter sowie Verantwortungslosigkeit in Berlin und Washington

Nun wird also das Zertifizierungsverfahren für die fast fertiggestellte Nord-Stream-2-Pipeline gestoppt [1]. Vorerst. Das Genehmigungsverfahren soll neu aufgerollt werden. Und dieses würde sich hinziehen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz laut Tagesschau wissen lassen.

Klimaschützer hatten den Pipeline-Stopp seit langem gefordert, denn das Erdgas gehört zu den fossilen Energieträgern. Bei seiner Verbrennung und bei seiner Verwendung in der chemischen Industrie wird das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) freigesetzt, wenn auch nicht so viel – gemessen an der Energieausbeute – wie bei der Verbrennung von Stein- oder gar Braunkohle.

Wichtiger noch: Es besteht größtenteils aus Methan, aus einem wesentlich potenteren, weiteren Treibhausgas. Jedes Leck bei der Produktion oder beim Transport trägt also zur Klimakrise bei, und zwar nicht nur in Russland, sondern zum Beispiel auch vor der britischen Küste, wo seit 1990 ein außer Kontrolle geratenes Bohrloch [2] munter vor sich hin sprudelt.

Rund 32 Millionen Tonnen Erdgas – 88 bis 90 Prozent davon Methan – entweichen aus einem Krater am Meeresboden in 118 Metern Tiefe. Zum Glück wird der aller größte Teil davon auf dem Weg an die Oberfläche im Wasser gelöst. Weniger als eine Millionen Tonnen jährlich erreicht die Atmosphäre.

Das entspricht allerdings noch immer rund 20 Millionen Tonnen Kohlendioxid. Und es ist zwar die größte, aber bei Weitem nicht die einzige Methanquelle am Grunde der Nordsee.

Verschiedene deutsche Expedition haben im vergangenen Jahrzehnt festgestellt [3], dass aus zahlreichen der insgesamt rund 15.000 Bohrlöchern Methan entweicht. Dieses stammt in der Regel nicht aus den ausgebeuteten Vorkommen, sondern aus kleineren, kommerziell uninteressanten Reservoirs. Mit weniger als 1.000 Metern Tiefe unter dem Meeresboden sind diese vergleichsweise flach und werden bei den tiefer gehenden Bohrungen nur versehentlich angestochen.

Frackinggas als Alternative

Aber zurück zum russischen Gas. Der Stopp für Nord Stream 2 heißt zunächst nicht, dass weniger Gas aus Russland käme. Es wird halt vorerst weiter durch die alten Pipelines fließen und damit Polen, Weißrussland und der Ukraine Einnahmen aus den Durchleitungsgebühren bescheren.

Angesichts der ökonomischen Ungleichgewichte eigentlich keine schlechte Sache. Wie allerdings der Zustand der alten, seit mehreren Jahrzehnten im Betrieb befindlichen Leitungen ist, steht auf einem anderen Blatt.

Mittelfristig sollen nach dem Willen vieler Grüner und anderer Nato-Freunde die russischen Importe durch Einfuhren aus anderen Ländern ersetzt werden. Das Problem: Die europäischen Nachbarn Großbritannien, Niederlande und Norwegen können dauerhaft kaum mehr fördern, als bisher schon.

Auch wenn in London die ersten Rufe erschallen [4], die Erkundung in der Nordsee wieder aufzunehmen und neue Quellen zu erschließen, bleibt fraglich, wie viel das bringen könnte. Wie die Erdölfelder auch erschöpfen sich die west- und nordeuropäischen Gasvorkommen zunehmend.

Bleibt also nur Flüssiggas, sogenanntes Liquefied Natural Gas (LNG), das für den Transport in speziellen Tankschiffen stark heruntergekühlt werden muss. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich vor einigen Wochen für den Bau sogenannter LNG-Terminals an der Küste ausgesprochen [5].

Voraussichtlich [6] würde das auf diesem Wege importierte Erdgas vor allem aus den USA kommen und aus dem dort betriebenen besonders klimaschädlichen Fracking stammen. Dieses Verfahren ist bei Klimaschützer in Verruf, weil bei ihm größere Mengen des Treibhausgas Methan entweichen.

Der Landesparteitag der schleswig-holsteinischen Grünen hatte sich am vergangenen Wochenende zwar erneut gegen ein solches Terminal ausgesprochen [7]. Allerdings wird die Planung für eine entsprechende Anlage in Brunsbüttel, an der Mündung des Nord-Ostsee-Kanals in die Unterelbe, von der Kieler Landesregierung bereits seit längeren vorangetrieben, ohne dass die grünen Ministerinnen und Minister interveniert hätten. Auch Robert Habeck nicht, der von 2012 bis 2018 im Land zwischen den Meeren Umweltminister war.

Eine weitere Anlage zur Anlandung von Flüssiggas wird gegenüber von Brunsbüttel am niedersächsischen Elbufer bei Stade geplant. Wie die Tagesschau berichtet [8], soll im Sommer das Genehmigungsverfahren gestartet werden.

Allerdings ist Deutschland auch nicht unbedingt auf ein eigenes LNG-Terminal angewiesen, wenn es Frackinggas aus den USA beziehen will. Europa ist mit einem Netz von Gaspipelines durchzogen, das sogar bis Zentralasien reicht und von dort letztlich ganz Eurasien verbindet. US-Frackinggas könnte also auch über eines der 26 anderen LNG-Terminals eingeführt werden, über die die EU-Staaten verfügen.

Am Rande bemerkt: Eine neue Untersuchung [9] des Global Energy Monitor [10] spricht davon, dass derzeit weltweit 79.000 Kilometer neuer Pipelines im Bau und weitere 122.500 Kilometer in der Planung seien.

Die Autorinnen und Autoren gehen davon aus, dass ein erheblicher Teil der hierfür geplanten Investitionen in Höhe von 485,8 Milliarden US-Dollar (429 Milliarden Euro) sich zu sogenannten stranded assets entwickeln werden, also vorzeitig abgeschrieben werden müssten.

Wenn der Himmel sich verdunkelt

Unterdessen wird von allen Seiten kräftig weiter an der Eskalationsspirale gedreht und alle – auch mancher hiesiger Klimaschützer, von denen sich einige nun mit nationalistischen Argumenten gegen den Erdgasbezug aus Russland regelrecht überschlagen – scheinen vergessen zu haben, dass die Nato und Russland über genug Atomwaffen verfügen, um den ganzen Planeten mehrfach in die Steinzeit zurück zu bomben.

In den 1980er-Jahren, als das Wissen um die Gefahren eines Atomkriegs noch weiter verbreitet und die Bedrohung durchaus real [11] war, machten daher der Meldungen von einem nuklearen Winter die Runde.

Geowissenschaftler hatten einmal nachgerechnet, was bei den Explosionen des Arsenals geschehen würde. Das Ergebnis: Die Mengen aufgewirbelten Staubs und Rauchs aus den zahllosen Bränden würde ausreichen, um die Erde für mehrere Jahre erheblich zu verdunkeln.

So sehr, dass es zu einem Kollaps vieler Ökosysteme und dem Ausfall großer Teile der Ernten käme. Was das auf einem Planeten bedeutet, dessen Getreidevorräte (inklusive Reis) nicht einmal für ein ganzes Jahr [12] reichen, kann man sich leicht vorstellen.

Sturmschäden

Nach dem mit "Ylena", "Zenep" und zuletzt "Antonia" gleich drei Sturmtiefs über Deutschland hinweg zogen ist es Zeit für eine erste Schadensbilanz. Die Tagesschau hat mit Versicherern gesprochen [13], die mit 1,6 Milliarden Euro versichertem Schaden rechnen. Demnach würden voraussichtlich 500 Millionen Euro auf "Ylenia", eine Milliarde Euro auf den Orkan "Zeynep" der am Samstag wütete und 100 Millionen Euro auf "Antonia" entfallen.

Aus den Wäldern Mecklenburg-Vorpommerns werden "katastrophale" Schäden [14] gemeldet. Hunderttausende Bäume seien entwurzelt oder abgeknickt. Alleine "Zeynep" habe die Hälfte der Menge vernichtet, die in dem nordöstlichen Bundesland jährlich geerntet werde. Schon Ende Januar hatte der Sturm "Nadia" an der Ostsee über 100.000 Bäume umgeworfen [15].

Aus Nordrhein-Westfalen heißt es [16], dass alle Baumarten betroffen seien. Allerdings seien dort die Schäden nicht sich hoch, wie nach dem Sturm "Kyrill", der 2007 großflächig Baumbestände umlegte.

Vom Lobbyisten eingenordet

Derweil meint der neue Bundesverkehrsminister Volker Wissing – "Zeynep" tobte sich gerade über Mitteleuropa aus und sorgte für gefährliche Sturmfluten an der Nordseeküste –, vor "zu viel Klimaschutz" warnen zu müssen [17]. Laut dem Sender ntv meinte er am Samstag, die Regierung dürfe nicht den Bogen überspannen. Man könne die Bevölkerung verlieren, wenn diese zu sehr in ihrer Mobilität eingeschränkt werde.

Allerdings wäre es Wissings Aufgabe durch den massiven Ausbau von Bahn und ÖPNV für Alternativen zum Auto zu sorgen und nicht zuletzt für jene rund 26 Millionen Menschen in Deutschland, darunter knapp 13 Millionen Erwachsene [18], die keinen Führerschein besitzen.

Doch davon ist weiter wenig zu sehen. Ohne Pkw gibt es offensichtlich für einen Liberalen nur einen begrenzten Anspruch auf Mobilität.

Konkret geht es dem Minister darum, die Anforderung an die Autoindustrie weiter niedrig zu halten. Am heutigen Mittwoch beraten die EU-Verkehrsminister über strengere Grenzwerte für den Treibhausgasausstoß von Pkw. Die Bundesregierung, das heißt der Verkehrsminister und Bundeskanzler Scholz sperren sich gegen härtere Auflagen.

Wir hatten bereits darüber berichtet [19], dass Minister Wissing nach einem Gespräch mit Lobbyisten nun mehr darauf verzichtet, vom Offensichtlichen zu reden, nämlich dass der Verbrennungsmotor keine Zukunft mehr hat. Schon die stürmische Entwicklung auf dem Markt für Elektroautos spricht gegen eine solche.

2021 hatten 42,9 Prozent aller neuzugelassenen Pkw einen sogenannten alternativen Antrieb, heißt es [20] Kraftfahrzeugbundesamt in Flensburg. Das heißt, sie wurden mit Gas, Wasserstoff oder Strom angetrieben und waren entweder Hybride oder reine Elektrofahrzeuge. Gegenüber dem Vorjahr hatte sich damit ihr Anteil um 70,2 Prozent gesteigert.

Der Anteil der reinen Elektrofahrzeuge an den Neuzulassungen hatte sich sogar verdoppelt und betrug nun 13,6 Prozent. Im Januar ging es ähnlich weiter [21].

Knapp die Hälfte aller Autos mit unkonventionellem Antrieb wurden importiert. Unter den deutschen Herstellern verkaufte VW mit etwas über 100.000 Wagen die meisten Elektrofahrzeuge.

Aber natürlich ist das Elektroauto aus verschiedenen Gründen nicht die Antwort auf die alten Probleme des motorisierten Individualverkehrs. Unter anderem wegen des großen Platzproblems in den Städten, wegen der vielen Unfallopfer [22] und natürlich wegen des viel zu hohen Rohstoff-, Wasser- und Energieverbrauchs für eine Flotte von deutlich über 40 Millionen Fahrzeugen, die im Durchschnitt mehr als 23 Stunden am Tag herumstehen und einfach nur sehr viel öffentlichen Raum schlucken.

Viel Öl aus Russland

Derweil pausiert der Höhenflug des Ölpreises [23] seit Anfang Februar schwankt er für zwischen 90 und 95 US-Dollar pro 159-Liter-Fass (80 bis 84 Euro), die europäische Standardsorte Brent auch manchmal etwas höher. Das ist weiterhin das höchste Niveau seit seiner großen Talfahrt 2014.

Nicht auszuschließen, dass er angesichts der jüngsten Zuspitzung seinen Gipfelsturm wieder aufnimmt. Umso mehr, als Deutschland immerhin beachtlich knapp 40 Prozent [24] seiner Rohölimporte aus Russland bezieht, worüber übrigens niemand zu sprechen scheint.

Zusammen mit den Importen aus Kasachstan und Aserbaidschan fließt gut die Hälfte der deutschen Rohölimporte [25] durch russische Pipelines. Wäre sicherlich mal eine kleine Recherche wert, herauszufinden, weshalb alles vom Gas spricht, aber die Ölimporte aus Russland überhaupt nicht thematisiert werden.

Bloß keine Verantwortung übernehmen

Ansonsten wäre noch von einem wichtigen Urteil des Bundesgerichtshofs in einem Verfahren privater Pkw-Käufer gegen die VW AG wegen des Verkaufs von Modellen mit zu hohem Schadstoffausschuss im Rahmen des Dieselskandals zu berichten [26]. Die Kläger und andere können jetzt auf Entschädigung hoffen. Das BGH befand, dass in bestimmten Fällen auch nach Ablauf der Verjährungsfrist Ansprüche bestehen.

Auch von den Aktivitäten des Braunkohlekonzerns RWE wäre noch zu erzählen, der kurz vor Ende der Rodungssaison am Tagebau Garzweiler 2 im Rheinland für Tabula rasa sorgt. In den letzten Tagen wurden dort einige Haine gerodet, obwohl es noch immer keine richterliche Entscheidung gibt, ob die benachbarten Äcker zu Gunsten des Konzerns enteignet werden dürfen. Die Entscheidung könnte Ende des Monats fallen.

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, dass der sogenannte Weltklimarat, der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen des Klimawandels (IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) gerade über den zweiten Teil des neuesten Sachstandsberichts debattiert.

Wie immer haben die Vertreter der Mitgliedsländer – also praktisch alle UN-Mitglieder – ein Mitspracherecht der Zusammenfassung des Berichts, in dem es über die Folgen des Klimawandels geht.

Dem Vernehmen nach versuchen die USA mit allem Mitteln zu verhindern, dass in dieser "Zusammenfassung für Entscheidungsträger" von "loss and damage" als von Verlusten und Schäden die Rede ist.

Das hat einen so einfachen wie vielsagenden Hintergrund. Unter diesem feststehenden Begriff versuchen die Entwicklungsländer in den jährlichen Klimaverhandlungen immer wieder Ansprüche für den durch den Klimawandel angerichtete Schäden bei den Verursachern anzumelden.

Verursacher sind die Länder mit den höchsten aufsummierten Emissionen. Deutschland ist ganz vorn auf Platz sechs mit dabei und wehrt sich – auch unter Grünen Umweltministern – in den Verhandlungen ähnlich vehement gegen diese Ansprüche wie die USA.

Die Veröffentlichung des Berichts ist für den 28. Februar geplant.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6519177

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/scholz-nordstream-101.html
[2] https://ui.adsabs.harvard.edu/abs/2014EGUGA..1615169S/abstract
[3] https://www.sciencedaily.com/releases/2020/07/200730113055.htm
[4] https://www.netzerowatch.com/content/uploads/2022/02/Worstall-Restarting-Shale.pdf
[5] https://www.energiezukunft.eu/wirtschaft/falscher-pfad/
[6] https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/fluessiggas-lng-fuer-europa-wie-die-us-wirtschaft-von-der-ukraine-krise-profitiert-a-5bc20801-ee58-4aa8-a69d-2cc58a0a7917
[7] https://twitter.com/ConstZerger/status/1495432475119702026?s=20&t=x1i4qrYx1HILy3bqSz9WgA
[8] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/lng-terminal-deutschland-101.html
[9] https://globalenergymonitor.org/report/pipe-dreams-2022/
[10] https://globalenergymonitor.org/about/our-story/
[11] https://www.heise.de/tp/features/Potentially-Disastrous-5061308.html
[12] https://www.fao.org/3/cb7491en/cb7491en.pdf
[13] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/sturm-schaeden-versicherung-101.html
[14] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Forstverband-Sturmschaeden-in-Waeldern-von-MV-katastrophal,sturm3862.html
[15] https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Sturmtief-Nadia-laesst-mehr-als-100000-Baeume-in-MV-umstuerzen,unwetter3806.html
[16] https://www.forstpraxis.de/sturmschaeden-erste-bundeslaender-ziehen-vorlaeufige-bilanz/
[17] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wissing-warnt-vor-zu-viel-Klimaschutz-article23139196.html
[18] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/172091/umfrage/besitz-eines-pkw-fuehrerscheins/
[19] https://www.heise.de/tp/features/Kommt-der-naechste-Oelpreisschock-6477752.html
[20] https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/AlternativeAntriebe/2022/pm03_2022_Antriebe_12_21_komplett.html?snn=3662144
[21] https://www.kba.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/AlternativeAntriebe/2022/pm07_2022_Antriebe_01_22_komplett.html
[22] https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/strassenverkehr
[23] https://www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis
[24] https://www.produktion.de/wirtschaft/wer-sind-die-groessten-oel-lieferanten-deutschlands-344.html
[25] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Energie/mineraloel-oelimporte-und-rohoelproduktion-in-deutschland.html
[26] https://www.t-online.de/auto/recht-und-verkehr/id_91706074/neues-urteil-im-dieselskandal-hoffnung-fuer-vw-kunden-finanzielle-entschaedigung.html