Warum gerade Deutschland diese Waffen nicht an die Ukraine liefern sollte
Historische Dimension der Taurus-Debatte: Die Rückeroberung der Krim würde sich gegen die Mehrheit der dortigen Bevölkerung richten. Was sie zu befürchten hätte.
Vor wenigen Tagen war die Aufregung über Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) groß, weil er sich weiterhin weigerte, Taurus-Raketen an die Ukraine zu liefern. Die Bellizistinnen und Bellizisten von FDP und Grünen in der Bundesregierung gaben sich sogleich empört und erweckten den Eindruck, dass Scholz damit der Ukraine in den Rücken falle.
Da wird wieder – wie in der gesamten Debatte üblich – die Ukraine als Staat mit der ukrainischen Bevölkerung verwechselt. Dabei wird bewusst übersehen, dass es eben nicht nur prowestliche Teile der Bevölkerung gibt.
Viele Menschen sind für eine neutrale Ukraine, weil sie wissen, dass das Land zum Schlachtfeld wird, wenn es sich auf eine der beiden Seiten stellt. Doch solche Kräfte werden aktuell in der Ukraine kriminalisiert und gelten als prorussisch.
Selbst die taz, die in ihren Artikeln ganz deutlich auf Seiten der ukrainischen Regierung steht, muss in ihren Reportagen immer wieder einräumen, dass Teile der Bevölkerung als Kollaborateure Russlands verfolgt werden. Dabei wird nicht eingestanden, dass es sich vielleicht um ukrainische Bürger handelt, die nicht mit der außenpolitischen Linie der Regierungen seit 2014 einverstanden sind.
Es geht um die Rückeroberung der Krim
Wie würde denn der Großteil der Bevölkerung auf der Krim behandelt, wenn es der ukrainischen Regierung gelänge, diese zurückzuerobern? Diese Frage ist schon deshalb sehr aktuell, weil die Anhänger einer schnellen Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine behaupten, diese Waffen würden für die Rückeroberung dieser Halbinsel gebraucht.
Dabei wird schlicht verschwiegen, dass dort – anders als im Donbass – eine große Mehrheit der Bevölkerung auf keinen Fall in einer prowestlichen Ukraine leben will. Auch deutsche Umfragen ergaben dies nach dem Maidan-Umsturz.
Im Frühjahr 2015 gaben laut einer repräsentativen Umfrage der "Gesellschaft für Konsumforschung" (GfK), des größten deutschen Marktforschungsunternehmens, 82 Prozent der Krim-Bevölkerung an, den Anschluss an Russland im Vorjahr rückhaltlos zu befürworten, obwohl "nur" rund 60 Prozent ethnische Russinnen und Russen waren.
Anders als die Annexionen süd- und ostukrainischer Gebiete nach der russischen Invasion im Jahr 2022 war der Anschluss der Krim 2014 ohne einen Schuss vonstatten gegangen.
Das ist nicht schwer zu erklären. Denn es war die autoritäre Politik der Nomenklatura in der UdSSR unter Chruschtschow, die Krim ohne Zustimmung der dortigen Bevölkerung an die Ukraine zu übertragen, die damals noch Teil der Sowjetunion war.
Es ist schon erstaunlich, dass dieser autoritäre Akt kaum auf Kritik stößt und mit der angedrohten Rückeroberung der Krim sogar noch mal mit vielen Toten verteidigt werden soll. Dementsprechend wird auch verschwiegen, dass diese Rückeroberung der Krim der Bevölkerung viel Leid und viele Tote einbringen würde. Sollte diese Rückeroberung gelingen, würden große Teile dieser Bevölkerung als prorussiche Kollaborateure verfolgt werden.
Dafür gibt es Beispiele aus Gebieten, die kurzzeitig unter russischer Kontrolle waren und zurückerobert wurden. Dort werden auch Menschen, die in der Zeit der russischen Besetzung mit dieser auf humanitären Gebiet zusammenarbeiteten, als Kollaborateure verfolgt. Auf der Krim wäre das nicht eine Minderheit, sondern ein Großteil der Bevölkerung.
Erschwerend kommt noch hinzu, dass eine Flucht nach Russland für sie sehr schwer wäre, weil ja die einzige Brücke, die dazu geeignet ist, im Zielfeuer ukrainischer Waffen liegt. Es schon erstaunlich, dass diese blutige Realität bei der ganzen Debatte um die Taurus-Raketen nicht erwähnt wird. Das ist aber typisch und wird in der gesamten Debatte um Waffenlieferungen ausgeblendet.
Deutsche wird Geschichte ausgeblendet
Ausgeblendet wird auch die historische Komponente bei der Krim-Eroberung. Denn das war auch schon das Ziel der NS-Kriegspolitik. Auch das ist nicht verwunderlich, denn in der gesamten Ukraine-Diskussion spielt die gesamte deutsche Geschichte keine Rolle mehr.
Denn es gibt heute kaum noch die deutschlandkritischen Kräfte, die dafür gekämpft haben, dass Deutschland nicht wieder gegen Menschen und Länder Waffen liefert, die vom NS-Terror betroffen waren. Da würden sich Waffen gegen Russland von selbst verbieten.
Es ist ein besonderer Ausdruck der deutschen Schlussstrich-Politik, gegen die deutschlandkritische Linke lange gekämpft haben, dass die deutsche Geschichte in der gesamten Ukraine-Debatte ausgeblendet wird.
Mit AfD-Stimmen gegen Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene
Deshalb sorgt es auch für keine große Aufregung, dass kürzlich CDU und AfD im Kreistag von Gütersloh gegen die Finanzierung der Betriebskosten der Gedenkstätte Stalag 326 gestimmt haben. Mittlerweile gibt es eine Petition für die Rettung der Gedenkstätte.
Dort soll an die Millionen sowjetischer Kriegsgefangener erinnert werden, die noch immer vergessen sind. Auf der Homepage der Gedenkstätte heißt es: "Die Entscheidung der Gütersloher CDU-Fraktion sowie der FWG/UWG und der AfD gegen eine Beteiligung an den Betriebskosten hat uns zutiefst getroffen und schockiert."
Es ist bezeichnend, dass diese Entscheidung in einer Zeit kaum wahrgenommen wird, wo so viel über Brandmauern nach rechts geredet wird. Die Waffenlieferungen an die Ukraine gehen indes auch nach Taurus-Debatte weiter. Scholz hat bereits die Lieferung eines weiteren Patriot-Systems zugesagt.