Warum grüner Stahl ein Mythos bleibt

Armierungseisen für den Bau. Grün ist da nichts. Bild: dabinielson, pixabay.com

Auch Stahl soll "ökologisch" werden. Doch wie umweltfreundlich kann der Werkstoff wirklich sein? Ein Beispiel aus Schweden

Fossile Treibstoffe sind mal wieder Thema – sowohl der Preis als auch die Umweltauswirkungen. Aber was ist mit dem Material, aus dem Autos sind? Die Fahrzeugindustrie ist neben der Bauindustrie der größte Stahlverbraucher in Deutschland, und das ändert sich auch nicht, wenn die Fahrzeuge mit Strom betrieben werden.

Die Stahlproduktion macht mindestens sieben Prozent der globalen Treibhausemissionen aus. Denn bei der traditionellen Herstellung von Roheisen im Hochofen wird Koks als Reduktionsmittel eingesetzt. Laut World Steel Association werden im Durchschnitt mit jeder produzierten Tonne Stahl 1,85 Tonnen Kohlendioxid freigesetzt.

Das schwedische Projekt Hybrit (Hydrogen Breakthrough Ironmaking Technology) verspricht dagegen "fossilfreien Stahl". Dafür wird ein anderes Verfahren genutzt: die Direktreduktion. Der daraus entstehende Eisenschwamm kann in einem elektrischen Lichtbogenofen verarbeitet werden.

Hinter Hybrit stehen das Bergbauunternehmen LKAB, der Stahlhersteller SSAB und der Energieversorger Vattenfall. Sowohl LKAB als auch Vattenfall sind im Eigentum des schwedischen Staates. LKAB (10,5 Prozent) und der finnische Staat (6,29 Prozent) sind außerdem Anteilseigner an SSAB. Und das Projekt wird vom schwedischen Staat bezuschusst.

Für die Direktreduktion des Erzes möchten die Schweden mit regenerativen Energien erzeugten Wasserstoff einsetzen. Der Strom für den Lichtbogenofen soll ebenfalls aus erneuerbaren Quellen kommen. Die Pilotanlage läuft bereits im nordschwedischen Luleå. Wie grün kann Stahl werden?

Direktreduktion ist eine andere Methode zur Abspaltung des Sauerstoffs aus dem Erz. Sie wird weltweit bereits verwendet, allerdings meist mit Erdgas oder sogar mit Kohle. Lichtbogenöfen werden auch benutzt, um Eisenschrott zu recyceln. Die grundlegende Technik ist also bekannt. Die Wasserstoff-Lichtbogen-Variante gibt es jedoch bisher nicht in groß-industriellem Umfang.

Im Jahr 2021 wurde in der Pilotanlage erstmals mit Wasserstoff direktreduzierter Eisenschwamm erzeugt. Dieser wurde dann im Stahlwerk von SSAB verarbeitet. Die erste Lieferung ging an Volvo. In Vorbereitung ist eine Demonstrationsanlage in Gällivare, die dann im industriellen Maßstab Eisenschwamm für SSAB liefern soll.

SSAB ist mit seinen Hochöfen in Oxelösund und Luleå allein für zehn Prozent des schwedischen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Dazu kommt der Hochofen im finnischen Raahe, der sieben Prozent des finnischen Ausstoßes verursacht. Bei einer kompletten Umstellung aller drei Standorte auf die fossilfreie Produktionsmethode ergäbe dies eine deutliche Verbesserung in gleich zwei Ländern.

In Oxelösund laufen bereits die Vorbereitungen für den großen Lichtbogenofen, der ab 2025/26 eingesetzt werden soll. Luleå und Raahe sollen 2030 folgen.

LKAB betreibt die beiden großen unterirdischen Erzgruben in Kiruna und Malmberget sowie einen Tagebau in Svappavaara. Per Bahn gelangt das Erz zu den Häfen Narvik und Luleå. Im globalen Vergleich ist der schwedische Konzern nur ein kleiner Fisch, steht aber allein für etwa 80 Prozent der EU-Erzproduktion. Von dort kommen jährlich rund 27 Millionen Tonnen Erzprodukte. LKAB will nicht nur seine Erzproduktion auf fossilfrei umstellen.

Mittelfristig will LKAB den Prozess der Direktreduktion selbst übernehmen und seinen Kunden gleich den Eisenschwamm liefern, der dann in Lichtbogenöfen verarbeitet werden kann. Davon erhofft sich der Bergbauriese einen Wettbewerbsvorteil für die Zukunft. Bisher liefert LKAB vorwiegend Eisenpellets.

Klimaschutz, den alle gut finden

Fossilfrei abgebautes Erz und fossilfrei erzeugter Stahl werden aufgrund der großen Investitionen zunächst teurer sein als Material mit konventioneller Produktionsweise. Die Unternehmen setzen darauf, dass dieser Unterschied schrumpft, wenn der Ausstoß von CO₂ in Zukunft teurer wird und dass Kunden die fossilfreie Variante nachfragen werden.

Ein sauberes Produkt, technische Innovation, Arbeitsplätze und Geld verdienen: Diese Art von Klimaschutz und "grüner Umstellung" kommt bei allen gut an. Die Idee ist so gut, dass auch Interessenten aus dem privaten Sektor in ein fossilfreies Stahlwerk investieren wollen. Hinter H2 Green Steel stehen Personen und Investoren aus dem Umfeld von Batteriehersteller Northvolt und Nutzfahrzeughersteller Scania. Das Werk soll in der schwedischen Stadt Boden nahe der Erzbahn gebaut werden.

Die nordschwedischen Megaprojekte – dazu zählt auch Batteriehersteller Northvolt in Skellefteå – haben Industrie und Bergbau in Schweden einen grünen Schimmer gegeben. Nicht schädlich für die positive Einstellung ist außerdem, dass LKAB 2021 dank des hohen Erzpreises enorme Gewinne gemacht hat und voraussichtlich umgerechnet 1,2 Milliarden Euro an seinen Eigentümer, den Staat, überweisen wird.

Der Konzern braucht sein Geld allerdings auch, um die enormen Schäden auszugleichen, die mehr als 100 Jahre Bergbau an den Standorten verursacht haben. So muss das Zentrum der Stadt Kiruna umziehen, da der Boden darunter nicht mehr sicher ist. Drei Kilometer weiter östlich wächst nun das neue Zentrum heran. Den Ort Malmberget wird es in wenigen Jahren praktisch nicht mehr geben. Die früheren Bewohner sind hauptsächlich im benachbarten Zentralort Gällivare untergekommen.

Woher die enorme Strommenge kommen soll

Der grüne Schimmer auf dem zukünftigen Stahl hat einen Haken: Für die neuen Technologien, die bei der Eisenschwammproduktion und in den Lichtbogenöfen verwendet werden sollen, wird Strom benötigt – sehr viel Strom. So verbraucht LKAB heute etwa zwei Terawattstunden (TWh) im Jahr. Nach der kompletten Umstellung und dem Aufbau einer Anlage zur Direktreduktion rechnet LKAB mit einem Verbrauch von 50 Terawattstunden jährlich.

Zurzeit verbraucht ganz Schweden jährlich etwa 140 Terawattstunden Strom . Der größte Teil der Stromerzeugung wurde 2021 durch Wasserkraft geleistet (42 Prozent). Windkraft machte 17 Prozent aus, Atomkraft 31 Prozent. Die Reaktoren stehen im Süden, die großen Wasserkraftwerke und Windparks sind im Norden.

Nordschweden hat heute einen Überschuss an Wasser- und Windkraft und die günstigeren Strompreise . Der Strom wird in den Süden des Landes und nach Finnland exportiert. In der Summe reicht es bisher aber nicht für all die Pläne, die nun gemacht werden. Insofern war es keine Überraschung, als Vattenfall neulich erklärte, man könne einigen Antragstellern noch keine Zusicherung geben. Gesichert ist der weitere Ausbau von Northvolt und die geplante Demonstrationsanlage von Hybrit in Gällivare. Sowohl H2 Green Steel in Boden als auch die 2030 geplante Umstellung auf Lichtbogenofen bei SSAB in Luleå sind noch nicht in trockenen Tüchern.

Woher soll der zusätzlich benötigte Strom kommen? Im Interview mit den Fernsehsender SVT erklärte LKAB-Geschäftsführer Jan Moström, was er für sinnvoll hält: Windkraft, weil sie schnell umsetzbar und günstig ist. Kern der Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens mit einem zukünftigen Verbrauch um die 50 Terawattstunden im Jahr sei günstiger Strom. Solange der Wind blase und in Nordschweden für günstigen Strom sorge, könne man damit Wasserstoff erzeugen und lagern. Bei Flaute habe man den gelagerten Wasserstoff und könne ihn sogar zu höheren Preise in den Süden verkaufen.

Wasserkraft

Die Geschichte der Stromerzeugung in Nordschweden ist untrennbar mit dem Bergbau verbunden. Der Damm in Porjus am Fluss Luleälv war der erste, angelegt mitten in der Wildnis, zur Elektrifizierung der Erzbahn. Ohne die Bahnverbindung von den Gruben in die Häfen von Narvik und Luleå wiederum wäre der Abbau nie wirtschaftlich gewesen. Porjus, damals das nördlichste Wasserkraftwerk der Welt, wurde 1914 eingeweiht.

Weitere folgten, die wachsende Industriegesellschaft rief nach Strom. Die Interessen der Flussanlieger, hauptsächlich Samen, zählten dabei nicht. Dörfer landeten im Stausee ebenso wie Weidegebiete der Rentiere. Heute gibt es allein am Luleälv 15 Wasserkraftwerke, die zusammen 14 bis 15 Terawattstunden im Jahr liefern.

Die Wasserkraft in Schweden ist so weit ausgebaut, wie es möglich ist – es sei denn, man wollte auch die vier letzten großen freifließenden Flüsse noch regulieren. Vindelälv, Piteälv, Kalixälv und Torneälv sind geschützt.

Windkraft

Die Windkraft ist dagegen noch im Wachstum, auch wenn sich zunehmend Widerstand regt. Das größte aller Vorhaben ist Markbygden 1101 im Hinterland von Piteå, ein Projekt des deutsch-schwedischen Gesellschaft Svevind, Eigenbezeichnung "Europas größter landbasierter Windpark". Von den 1176 genehmigten Windrädern stehen inzwischen 329. 307 sollen dieses oder nächstes Jahr fertig werden. Insgesamt soll der Windpark einmal 10-12 Terawattstunden im Jahr liefern.

Die Anlagen verteilen sich über 450 Quadratkilometer scheinbar ungenutzte hügelige Wildnis. So ist es natürlich nicht ganz: Der Wald ist etwa Winterweideland für die Rentiere der Samenkooperative Östra Kikkejaur. Die Zerschneidung der Landschaft durch die Anlagestraßen beschränkt den Lebensraum der Tiere und sorgt für Unruhe. Zwar wurden die Samen in den Prozess teilweise einbezogen, ablehnen konnten sie das Projekt nicht.

Nichts ist grün an Kallak

Vergangene Woche gab der schwedische Wirtschaftsminister Karl Petter Thorwaldsson grünes Licht für die weitere Planung einer Erzgrube in Kallak bei Jokkmokk, samisch Gállok. Die Region Norrbotten, der Sameting, sämtliche Umweltorganisationen und sogar die Erzbischöfin hatten sich dagegen ausgesprochen. Das Gebiet ist ein wichtiger Zugkorridor für die Rentiere. Thorwaldsson begründete dies unter anderem mit Arbeitsplätzen für Jokkmokk und der Nachfrage nach Metallen und Mineralien für die grüne Umstellung.

Die "Bearbeitungskonzession", die nun erteilt wird, ist noch keine vollständige Genehmigung, sondern nur ein Schritt in einem umfangreichen Genehmigungsprozess. Erstmals folgen mit der Konzession auch Bedingungen, die die Auswirkungen für die Rentierhalter so gering wie möglich halten sollen. Unter anderem muss das Gelände nach Auslaufen der Konzession komplett wiederhergestellt werden. Hinter dem Antragsteller, der schwedischen Jokkmokk Iron Mines AB, steht der britische Konzern Beowulf.

An diesem Projekt ist nichts grün, obwohl die Antragsteller zuletzt versucht haben, vom neuen grünen Schimmer der Branche zu profitieren. Das Erzvorkommen reicht voraussichtlich nur für eine Betriebsdauer von 14 Jahren. Das ist einer der Gründe, warum die Regionsverwaltung von Norrbotten dieses Projekt mehrfach abgelehnt hat: Einer relativ kurzen Zeit mit neuen Arbeitsplätzen stünden zerstörte Natur und eine geschädigte Rentierwirtschaft entgegen – jene Rentierwirtschaft, die ein paar Kilometer weiter im Welterbe Laponia ausdrücklich geschützt ist.

Auch der Abtransport des Erzes ist ein Problem. Die etablierte Erzbahn ist 130 Kilometer entfernt. Die Straße bei Kallak ist nicht für Erz-LKW ausgelegt. Transportfragen waren allerdings nicht Gegenstand der Konzession.

Am geplanten Standort gab es in der Vergangenheit mehrfach Demonstrationen und Blockaden. Und nicht ohne Grund lag das Projekt nun fast fünf Jahre auf dem Schreibtisch der schwedischen Regierung. Der frühere Regierungspartner Miljöpartiet war explizit dagegen. Tor Lennart Tuorda, Gründer von "Ett Gruvfritt Jokkmokk" (Grubenfreies Jokkmokk) erklärte im Fernsehen nach der jüngsten Entscheidung, man werden zunächst den weiteren Genehmigungsprozess abwarten. Seiner Einschätzung nach werde das Projekt die Umweltprüfung nicht bestehen. Sollte es wider Erwarten auch da grünes Licht geben, werde der Widerstand sich zeigen und Hunderte von Aktivisten zur Blockade kommen.

Diese Einschätzung dürfte zutreffen. Zu den früheren Grubengegnern aus der Zeit der ersten großen Proteste 2013 sind neue Aktivisten aus der Umweltbewegung gekommen: Greta Thunberg und Fridays for Future in Schweden haben sich klar dagegen positioniert.

Stahlverbrauch der Zukunft

Viele Menschen erhoffen sich die Lösung der Klimakrise durch neue Technik. Wie oben angeführt, ist diese Hoffnung nicht komplett falsch. Anhand der relativ übersichtlichen und extrem günstigen Voraussetzungen, die Nordschweden bietet, lässt sich aber nachvollziehen, welcher Preis auch für "grünen" Stahl bezahlt werden muss.

Zur Verarbeitung von Erz und Stahl kommen die Emissionen durch die Transporte. Deutschland ist der Spitzenreiter der Stahlherstellung, muss aber das Erz komplett importieren. Die größten Mengen kommen dabei aus Kanada und Brasilien, gefolgt von Südafrika, Schweden und Russland (2020). Der Seetransport von Erz verursacht im Durchschnitt noch größere Emissionen als der Erzabbau, zeigt eine Rechnung von Skarn Associates.

Auch in Deutschland gibt es Vorbereitungen zur Umstellung auf ein fossilfreies Produkt, zum Beispiel bei ThyssenKrupp. Dort soll eine Großanlage zur Direktreduktion schon 2025 in Betrieb gehen. Das Problem: "Da klimaneutral produzierter Wasserstoff auf absehbare Zeit allerdings nicht in ausreichend großen Mengen verfügbar sein wird, kann vorübergehend auch Erdgas eingesetzt werden. Dies senkt die Emissionen gegenüber der kohlebasierten Hochofenroute bereits deutlich", schreibt das Unternehmen auf seiner Webseite.

Stahl lässt sich hervorragend recyceln. Das wird in Europa bereits erfolgreich betrieben. Doch das reicht zurzeit nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Der grünste Stahl ist der, der gar nicht produziert werden muss. Konsumverzicht zugunsten von Umwelt und Klima ist keine neue Idee, war aber noch nie populär.

Und nach einem Ende des Stahlhungers sieht es auch gerade nicht aus. Bekanntlich führt Russland gerade Krieg in der Ukraine. Beide sind wichtige Erz- und Stahlproduzenten. Wie sich das auf das Angebot und auf die Märkte mittelfristig auswirkt, ist noch unklar. Klar ist aber schon jetzt: Es wird wieder aufgerüstet. Bevorzugtes Material für Rüstungsgüter ist Stahl.