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Warum in Griechenland kontrovers über den Ukraine-Krieg debattiert wird

Wache vor dem griechischen Parlament. Bild: Nick1 15 / Pixabay

In griechischen Medien werden Vorwürfe auch gegen die Ukraine erhoben. In Politik und Kirche gibt es ebenfalls keine einheitliche Haltung. Warum das so ist und was das mit der Nato zu tun hat.

Im Vergleich mit der öffentlichen Diskussion und den Medienberichten in Deutschland fällt auf, dass in Griechenland anders über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine berichtet wird als in Deutschland. Auch bei der Politik gibt es Unterschiede.

Das hat unterschiedliche Gründe. Extensive Diskussionen in Talkshows, so wie wir sie in Deutschland kennen, finden nicht statt. Über Waffenlieferungen gibt es keine öffentlichen Diskussionen. Sie werden meist erst im Nachhinein bekannt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich am Beispiel Griechenland, dass es innerhalb der EU keineswegs eine allgemeine einheitliche Haltung zum russischen Angriffskrieg gibt.

Wenn große Medien gegen die Ukraine argumentieren

Das Internetportal in.gr gehört zum Alter-Ego-Konzern, der den traditionsreichen DOL-Medienkonzern übernommen hat. Ebenfalls zur Alter Ego AG gehören die Zeitungen Ta Nea, To Vima, sowie Parapolitika. Der Konzern hat mit Mega TV zudem den Sender mit den höchsten Einschaltquoten bei Nachrichten. Er betreibt auch Radiostationen und Sportzeitungen und gehört zu den Medienkonzernen mit der größten Reichweite.

Am 17. April 2023 fanden es die Verantwortlichen von in.gr passend, die Ukraine in einem Artikel [1] selbst des illegalen Angriffskriegs zu beschuldigen. Unter der Überschrift "Als die Ukraine mit den Amerikanern in den Irak einmarschierte ... ‚ ohne Grund‘" wird der Ukraine vorgeworfen, sie sei 2003 gegen den Willen der eigenen Bevölkerung zusammen mit den USA in den Irak einmarschiert.

Unerwähnt bleibt im Artikel, dass es seinerzeit auch eine griechische Beteiligung am Irak-Krieg gab [2] und dass es auch gegen diese Beteiligung der griechischen Streitkräfte im Verbund mit der Nato Widerstände in der Bevölkerung gegeben hat.

Auf dem gleichen Portal wurde am 20. April unter dem Titel "Ukraine: Warum wurde die humanitäre Krise besser bewältigt als andere?" der Westen dafür kritisiert [3], dass Geflüchtete aus der Ukraine gerne aufgenommen werden und Asyl erhalten, während dies für Geflüchtete aus Asien und Afrika nicht der Fall ist.

"Was hat sich verändert? Warum haben demokratische Länder aufgehört, die Ukraine im Krieg zu unterstützen?", titelt die zum Medienkonzern gehörende Zeitung Ta Nea am 19. April. Demokratische Länder sind für das Blatt die Staaten Asiens, Afrikas und Südamerikas, die sich entweder weigern, eine Haltung für eine der beiden Kriegsparteien einzunehmen, oder gar Russland unterstützen.

Die Tendenz der Artikel ist eindeutig. Berichte über Kriegsverbrechen Russlands können über die Suchfunktion des Portals kaum gefunden werden. Die konkurrierende Zeitung Naftemporiki, dem wirtschaftsliberalen Lager einzuordnen, wählt eine neutralere Überschrift für das gleiche Thema. "Krieg: Es gibt auch Länder, die die Ukraine nicht unterstützen" titelt die Naftemporiki [4] am 20. April.

Die Alter-Ego-Medien stützen insgesamt den Kurs von Premierminister Kyriakos Mitsotakis. Dass Mitsotakis zu den ersten aktiven Unterstützern der Ukraine zählt und schneller als Deutschland Waffen lieferte, wird von den Medien nicht explizit kritisiert. Dies geschieht eher indirekt [5], indem die ablehnende Haltung von Syriza gegen Waffenlieferungen thematisiert wird.

Mitsotakis lässt keinen Zweifel daran, dass "Griechenland, solange es nötig ist, an der Seite der Ukraine steht", wie er dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, zum orthodoxen Osterfest versicherte [6].

Es gibt in griechischen Medien auch Berichte über die Gräueltaten [7] russischer Wagner-Söldner, wie bei der Boulevardzeitung To Proto. Demgegenüber lassen TV-Sender wie Open Beyond TV mit Thanassis Avgerinos einen Korrespondenten aus Russland zu Wort kommen, der regelmäßig pro-russisch argumentiert.

Ambivalentes Verhältnis zur Nato

Griechenland hat ein ambivalentes Verhältnis zur Nato. Dass die Nato die Demokratie verteidigt, wird in Griechenland kaum geglaubt. Das Bündnis, insbesondere die Führungsmacht USA, hatten bei der Verteidigung der Demokratie in Griechenland nicht nur versagt, sie stützten vielmehr die Militärdiktatur von 1967 bis 1974.

Die USA und das Vereinigte Königreich hatten zudem im griechischen Bürgerkrieg von 1944 bis 1949 aktiv und mit Waffenlieferungen, darunter auch Napalm Bomben, dafür gesorgt, dass die bei der Befreiung von der Nazibesatzung dominierenden linken Kräfte verlieren und rechtsnationalistische Vertreter, darunter auch Kollaborateure und Mitstreiter der Nazis, Politik und Verwaltung übernehmen konnten.

Später, 1952, wurde Griechenland in die Nato aufgenommen. Man versprach sich in Athen wirtschaftliche Hilfen und Schutz vor der Türkei – und wurde enttäuscht. Statt Wirtschaftshilfen kam es nach dem Beitritt zum für beide Seiten teuren Wettrüsten zwischen Griechenland und der Türkei. Die USA befeuern seitdem ein Wettrüsten, indem sie mal die griechische Seite und mal die Türkei bevorzugen.

Die Militärdiktatur endete 1974 – nachdem sie auf Zypern mit einem gegenüber den USA kommunizierten Putsch den damaligen Präsidenten und Befürworter der Blockfreiheit, Erzbischof Makarios, stürzen wollten und so das Eingreifen der Türkei als Garantiemacht ausgelöst hatten. Es kam zum Krieg zweier Nato-Mitglieder, wobei das Bündnis nicht eingriff.

Seit 1974 ist knapp ein Drittel der Inselrepublik Zypern völkerrechtlich von der Türkei besetzt, ohne dass es trotz zahlreicher UN-Resolutionen zu einer tragfähigen Lösung für beide ethnischen Gruppen dort gekommen ist.

Aus Protest über das Verhalten des Bündnisses im Konflikt mit der Türkei trat Griechenland zwischen 1974 und 1980 aus der Nato aus [8]. Premierminister war damals der Gründer der Nea Dimokratia, Konstantinos Karamanlis. Im Oktober 1981 gewann unter Andreas Papandreou die sozialdemokratische Pasok die Wahlen unter anderen mit dem, später gebrochenen Versprechen des endgültigen Austritts aus der Nato und der Europäischen Gemeinschaft.

Geteilte Ansichten der politischen Parteien

Heute sieht sich die Partei Syriza, konkurrierend mit der Pasok, in der Tradition von Andreas Papandreou, wenn sie im griechischen Wahlkampf die Waffenlieferungen der Nato kritisiert. Parteichef Alexis Tsipras reiste in der vergangenen Woche nach Berlin und traf sich dort mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), um später die Linke aufzusuchen [9]. Sollte Tsipras am 21. Mai oder bei Wiederholungswahlen Premierminister werden, dürfte sich an der Bündnispolitik Griechenlands kaum etwas ändern.

Die janusköpfige Politik der etablierten Parteien liefert Populisten wie Kyriakos Velopoulos Steilvorlagen. Der Parteichef der "Griechischen Lösung" übernahm auch im Parlament das Narrativ Putins und verurteilt die Unterstützung der Ukraine [10].

Auf der linken Seite gibt es die Kritik von Yanis Varoufakis an seiner früheren Partei Syriza und der Nato. So wirft er in einem Tweet den USA vor, sie würden die Ukraine aus energiepolitischen Gründen unterstützen. Er twitterte am 23. April:

Und da haben Sie es. Exxon, Halliburton & Chevron übernehmen nach dem Irak nun die ukrainischen Öl- und Gasfelder. Planung der Einführung von Fracking in großem Maßstab – eine klare und aktuelle Bedrohung für die Landwirtschaft. Und die EU pfeift nonchalant und redet von grüner Energie.

Seine Partei MeRA25 tritt auch bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen an. Dort dürften die Aussichten, die Sperrklausel zu überwinden, erheblich geringer sein als in Griechenland, wo Varoufakis Rhetorik bei Wählern wirkt.

Buchstäblich zwischen den Fronten befindet sich die Kommunistische Partei (KKE). Sie hat sich von der russischen kommunistischen Partei wegen deren Unterstützung des russischen Angriffskriegs distanziert. Gleichzeitig kritisiert die KKE [11] das Eingreifen der Nato, aber auch die Haltung der kommunistischen Partei der Ukraine, die sich "auf die Seite des russischen Bürgertums gestellt" hat. Es ist nicht das erste Mal seit der Gründung der KKE, dass die Partei sich von dem früher sowjetischen, heute russischen Pendant abwendet.

Kirchenstreit als Nebenschauplatz

Schließlich bestimmt auch die stärkste und reichste Macht in Griechenland, die orthodoxe Kirche, den öffentlichen Dialog. Sie ist intern gespalten in Befürworter des Ökumenischen Patriarchen und Verteidiger der vom russischen Patriarchen geistlich geleiteten orthodoxen Kirche in der Ukraine.

Der Konflikt wird buchstäblich in die Kirchen getragen. Der Ökumenische Patriarch hat eine autokephale, das heißt von Russland unabhängige Kirche anerkannt. Aktuell konzentriert sich der Streit auf die Zukunft des Höhlenklosters in Kiew. Der dortige Abt, der formal zum russischen Patriarchat gehört, steht bereits unter Hausarrest. Selenskyj möchte das Kloster räumen lassen. Eine im Kloster befindliche Orthodoxe Akademie kann ihre Tätigkeit nicht mehr ausführen [12].

Vor dem Kloster kam es zum Osterfest zu bedrückenden Szenen, als Gläubige auf dem Weg zur Messe von ihren Mitbürgern bespuckt und beschimpft wurden. Szenen, die in den Nachrichten u.a. von Open TV ausgiebig diskutiert wurden.

Die kirchliche Presse und kirchennahe Berichterstattung ist daher ebenso gespalten, wie die politische Debatte. Der Radiosender Focus FM aus Thessaloniki, der auch ein Webportal betreibt, titelt [13]: "Was im Kloster Höhlenkloster in Kiew stattfindet, ist ein Putsch gegen die Orthodoxie".

Die Orthodox Times gibt dem Patriarchen von Serbien für dessen scharfe Kritik an Kiew ein Forum [14]. Dieser spricht von "Staatsterrorismus gegen die Kirche in der Ukraine". "Serbischer Patriarch Porfirije: Der Liebhaber des ‚Heiligen Russlands‘" kontert dagegen das Webportal Fos Fanariou [15]. Bereits der Name des Portals, übersetzt das Licht von Fanari (dem Sitz des Patriarchen), zeigt, auf welcher Seite die Verfasser des Beitrags stehen.

Anders verhält es sich mit dem amtlichen kirchlichen Nachrichtendienst Romfea. Hier kommen offiziell alle Seiten – kommentarlos – zu Wort. Tatsächlich jedoch überwiegt die Kritik an der Staatsführung der Ukraine bezüglich deren Religionspolitik.

Romfea zitiert etwa den Erzbischof von Tschechien, Rastislav [16]: "Die Verfolgung der ukrainischen Kirche wird Gott nicht vergessen". "Die Regierung der Ukraine reagierte mit Tempelplünderungen und Verfolgungen" erfahren die Leser von Romfea in einem Artikel [17] über den Kirchenstreit in der Ukraine am 7. April.

Die amtliche Agentur der als Staatsreligion in der Verfassung verankerten Orthodoxen Kirche berichtet zudem darüber [18], dass auch die bulgarische Orthodoxie und die autokephale Kirche Nordmazedoniens auf Distanz zur autokephalen orthodoxen Kirche gehen [19].

In orthodox geprägten Ländern wie Griechenland haben Kirchenvertreter vor allem in ländlichen Regionen einen hohen Einfluss auf die Wahlentscheidungen ihrer Gemeindemitglieder. Sie werden dort vielfach immer noch als moralische Instanz betrachtet.


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https://www.heise.de/-8977516

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.in.gr/2023/04/17/life/stories/otan-oukrania-eisevale-tous-amerikanous-sto-irak-aproklita/
[2] https://www.rizospastis.gr/story.do?id=1740411
[3] https://www.in.gr/2023/04/20/world/giati-oukraniki-krisi-antimetopistike-kalytera-apo-oles-tis-alles-tou-planiti/
[4] https://www.naftemporiki.gr/kosmos/1462927/polemos-pera-apo-tin-dysi-yparchoyn-kai-ekeines-oi-chores-poy-den-stirizoyn-tin-oykrania/
[5] https://www.in.gr/2022/05/24/politics/syriza-ypologi-igesia-tou-yp-amynas-gia-tin-ek-neou-apostoli-oplon-stin-oukrania/
[6] https://www.naftemporiki.gr/politics/1460148/k-mitsotakis-ston-zelenski-i-ellada-sto-pleyro-tis-oykranias-gia-oso-chreiastei/
[7] https://www.protothema.gr/world/article/1361804/polemos-stin-oukrania-frikiastiki-omologia-tis-wagner-gia-tis-varvarotites-skotosame-paidia/
[8] https://www.kathimerini.gr/politics/352056/i-apochorisi-kai-i-epanentaxi-tis-elladas/
[9] https://www.ekathimerini.com/news/1209085/tsipras-to-visit-berlin-meet-scholz/
[10] https://www.protothema.gr/politics/article/1217329/velopoulos/
[11] https://www.902.gr/eidisi/kosmos/311948/apantisi-se-anakoinosi-toy-kommoynistikoy-ergatikoy-kommatos-rosias-kekr
[12] https://www.domradio.de/artikel/ukrainischer-theologe-berichtet-aus-kiewer-hoehlenkloster
[13] https://focusfm.gr/theofanis-malkidis-ayto-poy-symvainei-stin-moni-agias-layras-sto-kievo-einai-praxikopima-enantion-tis-orthodoxias/
[14] https://www.orthodoxtimes.gr/oute-i-moscha-den-exedose-tetoia-skliri-anakoinosi-opos-to-patriarcheio-servias-gia-ti-lavra-tou-kievou/
[15] https://fosfanariou.gr/index.php/2023/03/30/patriarxis-serbias-porfyrios-o-erastis-tis-agias-rosias/
[16] https://www.romfea.gr/epikairotita-xronika/56007-tsexias-rastislavos-o-diogmos-kata-tis-ekklisias-tis-oukranias-den-tha-ksexastei-apo-ton-theo
[17] https://www.romfea.gr/ekklisies-ts/ekklisia-tis-oukranias/56066-me-arpages-naon-kai-diokseis-antedrase-i-kyvernisi-tis-oukranias
[18] https://www.romfea.gr/ekklisies-ts/ekklisia-tis-oukranias/56158-orthodoksoi-voylgaroi-min-ginoume-synenoxoi-me-tin-siopi-gia-tin-ekklisia-stin-oukrania
[19] https://www.romfea.gr/diafora/55960-i-ekklisia-ton-skopion-arnithike-tin-koinonia-me-tin-aftokefali-ekklisia-tis-oukranias