Warum in Griechenland kontrovers über den Ukraine-Krieg debattiert wird
- Warum in Griechenland kontrovers über den Ukraine-Krieg debattiert wird
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In griechischen Medien werden Vorwürfe auch gegen die Ukraine erhoben. In Politik und Kirche gibt es ebenfalls keine einheitliche Haltung. Warum das so ist und was das mit der Nato zu tun hat.
Im Vergleich mit der öffentlichen Diskussion und den Medienberichten in Deutschland fällt auf, dass in Griechenland anders über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine berichtet wird als in Deutschland. Auch bei der Politik gibt es Unterschiede.
Das hat unterschiedliche Gründe. Extensive Diskussionen in Talkshows, so wie wir sie in Deutschland kennen, finden nicht statt. Über Waffenlieferungen gibt es keine öffentlichen Diskussionen. Sie werden meist erst im Nachhinein bekannt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich am Beispiel Griechenland, dass es innerhalb der EU keineswegs eine allgemeine einheitliche Haltung zum russischen Angriffskrieg gibt.
Wenn große Medien gegen die Ukraine argumentieren
Das Internetportal in.gr gehört zum Alter-Ego-Konzern, der den traditionsreichen DOL-Medienkonzern übernommen hat. Ebenfalls zur Alter Ego AG gehören die Zeitungen Ta Nea, To Vima, sowie Parapolitika. Der Konzern hat mit Mega TV zudem den Sender mit den höchsten Einschaltquoten bei Nachrichten. Er betreibt auch Radiostationen und Sportzeitungen und gehört zu den Medienkonzernen mit der größten Reichweite.
Am 17. April 2023 fanden es die Verantwortlichen von in.gr passend, die Ukraine in einem Artikel selbst des illegalen Angriffskriegs zu beschuldigen. Unter der Überschrift "Als die Ukraine mit den Amerikanern in den Irak einmarschierte ... ‚ ohne Grund‘" wird der Ukraine vorgeworfen, sie sei 2003 gegen den Willen der eigenen Bevölkerung zusammen mit den USA in den Irak einmarschiert.
Unerwähnt bleibt im Artikel, dass es seinerzeit auch eine griechische Beteiligung am Irak-Krieg gab und dass es auch gegen diese Beteiligung der griechischen Streitkräfte im Verbund mit der Nato Widerstände in der Bevölkerung gegeben hat.
Auf dem gleichen Portal wurde am 20. April unter dem Titel "Ukraine: Warum wurde die humanitäre Krise besser bewältigt als andere?" der Westen dafür kritisiert, dass Geflüchtete aus der Ukraine gerne aufgenommen werden und Asyl erhalten, während dies für Geflüchtete aus Asien und Afrika nicht der Fall ist.
"Was hat sich verändert? Warum haben demokratische Länder aufgehört, die Ukraine im Krieg zu unterstützen?", titelt die zum Medienkonzern gehörende Zeitung Ta Nea am 19. April. Demokratische Länder sind für das Blatt die Staaten Asiens, Afrikas und Südamerikas, die sich entweder weigern, eine Haltung für eine der beiden Kriegsparteien einzunehmen, oder gar Russland unterstützen.
Die Tendenz der Artikel ist eindeutig. Berichte über Kriegsverbrechen Russlands können über die Suchfunktion des Portals kaum gefunden werden. Die konkurrierende Zeitung Naftemporiki, dem wirtschaftsliberalen Lager einzuordnen, wählt eine neutralere Überschrift für das gleiche Thema. "Krieg: Es gibt auch Länder, die die Ukraine nicht unterstützen" titelt die Naftemporiki am 20. April.
Die Alter-Ego-Medien stützen insgesamt den Kurs von Premierminister Kyriakos Mitsotakis. Dass Mitsotakis zu den ersten aktiven Unterstützern der Ukraine zählt und schneller als Deutschland Waffen lieferte, wird von den Medien nicht explizit kritisiert. Dies geschieht eher indirekt, indem die ablehnende Haltung von Syriza gegen Waffenlieferungen thematisiert wird.
Mitsotakis lässt keinen Zweifel daran, dass "Griechenland, solange es nötig ist, an der Seite der Ukraine steht", wie er dem Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, zum orthodoxen Osterfest versicherte.
Es gibt in griechischen Medien auch Berichte über die Gräueltaten russischer Wagner-Söldner, wie bei der Boulevardzeitung To Proto. Demgegenüber lassen TV-Sender wie Open Beyond TV mit Thanassis Avgerinos einen Korrespondenten aus Russland zu Wort kommen, der regelmäßig pro-russisch argumentiert.
Ambivalentes Verhältnis zur Nato
Griechenland hat ein ambivalentes Verhältnis zur Nato. Dass die Nato die Demokratie verteidigt, wird in Griechenland kaum geglaubt. Das Bündnis, insbesondere die Führungsmacht USA, hatten bei der Verteidigung der Demokratie in Griechenland nicht nur versagt, sie stützten vielmehr die Militärdiktatur von 1967 bis 1974.
Die USA und das Vereinigte Königreich hatten zudem im griechischen Bürgerkrieg von 1944 bis 1949 aktiv und mit Waffenlieferungen, darunter auch Napalm Bomben, dafür gesorgt, dass die bei der Befreiung von der Nazibesatzung dominierenden linken Kräfte verlieren und rechtsnationalistische Vertreter, darunter auch Kollaborateure und Mitstreiter der Nazis, Politik und Verwaltung übernehmen konnten.
Später, 1952, wurde Griechenland in die Nato aufgenommen. Man versprach sich in Athen wirtschaftliche Hilfen und Schutz vor der Türkei – und wurde enttäuscht. Statt Wirtschaftshilfen kam es nach dem Beitritt zum für beide Seiten teuren Wettrüsten zwischen Griechenland und der Türkei. Die USA befeuern seitdem ein Wettrüsten, indem sie mal die griechische Seite und mal die Türkei bevorzugen.
Die Militärdiktatur endete 1974 – nachdem sie auf Zypern mit einem gegenüber den USA kommunizierten Putsch den damaligen Präsidenten und Befürworter der Blockfreiheit, Erzbischof Makarios, stürzen wollten und so das Eingreifen der Türkei als Garantiemacht ausgelöst hatten. Es kam zum Krieg zweier Nato-Mitglieder, wobei das Bündnis nicht eingriff.
Seit 1974 ist knapp ein Drittel der Inselrepublik Zypern völkerrechtlich von der Türkei besetzt, ohne dass es trotz zahlreicher UN-Resolutionen zu einer tragfähigen Lösung für beide ethnischen Gruppen dort gekommen ist.
Aus Protest über das Verhalten des Bündnisses im Konflikt mit der Türkei trat Griechenland zwischen 1974 und 1980 aus der Nato aus. Premierminister war damals der Gründer der Nea Dimokratia, Konstantinos Karamanlis. Im Oktober 1981 gewann unter Andreas Papandreou die sozialdemokratische Pasok die Wahlen unter anderen mit dem, später gebrochenen Versprechen des endgültigen Austritts aus der Nato und der Europäischen Gemeinschaft.