Warum in Griechenland kontrovers über den Ukraine-Krieg debattiert wird

Seite 2: Geteilte Ansichten der politischen Parteien

Heute sieht sich die Partei Syriza, konkurrierend mit der Pasok, in der Tradition von Andreas Papandreou, wenn sie im griechischen Wahlkampf die Waffenlieferungen der Nato kritisiert. Parteichef Alexis Tsipras reiste in der vergangenen Woche nach Berlin und traf sich dort mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), um später die Linke aufzusuchen. Sollte Tsipras am 21. Mai oder bei Wiederholungswahlen Premierminister werden, dürfte sich an der Bündnispolitik Griechenlands kaum etwas ändern.

Die janusköpfige Politik der etablierten Parteien liefert Populisten wie Kyriakos Velopoulos Steilvorlagen. Der Parteichef der "Griechischen Lösung" übernahm auch im Parlament das Narrativ Putins und verurteilt die Unterstützung der Ukraine.

Auf der linken Seite gibt es die Kritik von Yanis Varoufakis an seiner früheren Partei Syriza und der Nato. So wirft er in einem Tweet den USA vor, sie würden die Ukraine aus energiepolitischen Gründen unterstützen. Er twitterte am 23. April:

Und da haben Sie es. Exxon, Halliburton & Chevron übernehmen nach dem Irak nun die ukrainischen Öl- und Gasfelder. Planung der Einführung von Fracking in großem Maßstab – eine klare und aktuelle Bedrohung für die Landwirtschaft. Und die EU pfeift nonchalant und redet von grüner Energie.

Seine Partei MeRA25 tritt auch bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen an. Dort dürften die Aussichten, die Sperrklausel zu überwinden, erheblich geringer sein als in Griechenland, wo Varoufakis Rhetorik bei Wählern wirkt.

Buchstäblich zwischen den Fronten befindet sich die Kommunistische Partei (KKE). Sie hat sich von der russischen kommunistischen Partei wegen deren Unterstützung des russischen Angriffskriegs distanziert. Gleichzeitig kritisiert die KKE das Eingreifen der Nato, aber auch die Haltung der kommunistischen Partei der Ukraine, die sich "auf die Seite des russischen Bürgertums gestellt" hat. Es ist nicht das erste Mal seit der Gründung der KKE, dass die Partei sich von dem früher sowjetischen, heute russischen Pendant abwendet.

Kirchenstreit als Nebenschauplatz

Schließlich bestimmt auch die stärkste und reichste Macht in Griechenland, die orthodoxe Kirche, den öffentlichen Dialog. Sie ist intern gespalten in Befürworter des Ökumenischen Patriarchen und Verteidiger der vom russischen Patriarchen geistlich geleiteten orthodoxen Kirche in der Ukraine.

Der Konflikt wird buchstäblich in die Kirchen getragen. Der Ökumenische Patriarch hat eine autokephale, das heißt von Russland unabhängige Kirche anerkannt. Aktuell konzentriert sich der Streit auf die Zukunft des Höhlenklosters in Kiew. Der dortige Abt, der formal zum russischen Patriarchat gehört, steht bereits unter Hausarrest. Selenskyj möchte das Kloster räumen lassen. Eine im Kloster befindliche Orthodoxe Akademie kann ihre Tätigkeit nicht mehr ausführen.

Vor dem Kloster kam es zum Osterfest zu bedrückenden Szenen, als Gläubige auf dem Weg zur Messe von ihren Mitbürgern bespuckt und beschimpft wurden. Szenen, die in den Nachrichten u.a. von Open TV ausgiebig diskutiert wurden.

Die kirchliche Presse und kirchennahe Berichterstattung ist daher ebenso gespalten, wie die politische Debatte. Der Radiosender Focus FM aus Thessaloniki, der auch ein Webportal betreibt, titelt: "Was im Kloster Höhlenkloster in Kiew stattfindet, ist ein Putsch gegen die Orthodoxie".

Die Orthodox Times gibt dem Patriarchen von Serbien für dessen scharfe Kritik an Kiew ein Forum. Dieser spricht von "Staatsterrorismus gegen die Kirche in der Ukraine". "Serbischer Patriarch Porfirije: Der Liebhaber des ‚Heiligen Russlands‘" kontert dagegen das Webportal Fos Fanariou. Bereits der Name des Portals, übersetzt das Licht von Fanari (dem Sitz des Patriarchen), zeigt, auf welcher Seite die Verfasser des Beitrags stehen.

Anders verhält es sich mit dem amtlichen kirchlichen Nachrichtendienst Romfea. Hier kommen offiziell alle Seiten – kommentarlos – zu Wort. Tatsächlich jedoch überwiegt die Kritik an der Staatsführung der Ukraine bezüglich deren Religionspolitik.

Romfea zitiert etwa den Erzbischof von Tschechien, Rastislav: "Die Verfolgung der ukrainischen Kirche wird Gott nicht vergessen". "Die Regierung der Ukraine reagierte mit Tempelplünderungen und Verfolgungen" erfahren die Leser von Romfea in einem Artikel über den Kirchenstreit in der Ukraine am 7. April.

Die amtliche Agentur der als Staatsreligion in der Verfassung verankerten Orthodoxen Kirche berichtet zudem darüber, dass auch die bulgarische Orthodoxie und die autokephale Kirche Nordmazedoniens auf Distanz zur autokephalen orthodoxen Kirche gehen.

In orthodox geprägten Ländern wie Griechenland haben Kirchenvertreter vor allem in ländlichen Regionen einen hohen Einfluss auf die Wahlentscheidungen ihrer Gemeindemitglieder. Sie werden dort vielfach immer noch als moralische Instanz betrachtet.