Warum ungeimpfte Pflegekräfte unter Vorbehalt weiterarbeiten können
"Umstände des Einzelfalles" – darunter drohende Engpässe – sollen nach Einführung der Impfpflicht für medizinische Berufe berücksichtigt werden. Das Datenchaos ist allerdings groß
Schon jetzt hat die Bundesagentur für Arbeit festgestellt, dass sich in den letzten beiden Monaten aus dem Gesundheits- und Sozialsektor rund 25.000 Beschäftigte mehr arbeitssuchend gemeldet hätten als üblich – davon etwa 12.000 aus dem Pflegebereich. Ein Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Covid-19-Impfpflicht ab Mitte März kann vermutet werden. Anders als manche Inserate mit propagandistischem Unterton in Zeitungen dürfte das Anzeigen einer drohenden Arbeitslosigkeit bei der Bundesagentur in der Regel authentisch sein.
Ungeimpfte Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen können dort aber auch nach dem Inkrafttreten der Impfpflicht vorerst weiterarbeiten – unter Vorbehalt, bis das zuständige Gesundheitsamt ein Tätigkeitsverbot ausspricht. Dies hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) auf Anfrage des Portals Business Insider klargestellt.
Übergangsweise Einzelfallentscheidungen
Dabei würden alle "Umstände des Einzelfalles" berücksichtigt – also auch drohende Personalengpässe in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen während einer Übergangszeit. Regelmäßige Testungen auf das Virus finden dort ohnehin statt.
Die Gewerkschaft ver.di hatte im Januar klargestellt, dass sie sich im Fall von Kündigungen durch die Arbeitgeberseite vor die ungeimpften Beschäftigten stellen will, obwohl sie sich selbst klar für Covid-19-Impfungen ausspricht.
In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist die Personalausstattung schon länger "auf Kante genäht": Viele Pflegekräfte, laut Umfragen rund 40 Prozent, erwägen schon aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen oder schlechter Bezahlung einen Jobwechsel – die meisten von ihnen sind gegen das Coronavirus geimpft, aber bei manchen könnte die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nun der letzte ausschlaggebende Grund sein.
Wie viele das genau sind, weiß das Bundesgesundheitsministerium nicht. Als gesichert gilt, dass die Impfquote in medizinischen Berufsgruppen deutlich höher ist als in der Gesamtbevölkerung.
Bisher kein flächendeckendes Impfquoten-Monitoring
Ein "flächendeckendes Impfquoten-Monitoring in den genannten Einrichtungen" gibt es aber bisher nicht – das geht aus einem entsprechenden Antrag hervor, den das Ressort des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) laut Business Insider auf der Konferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern am Montag präsentierte.
Ergebnisse verschiedener Befragungen zur Impfquote in den Einrichtungen gehen relativ weit auseinander: Laut einer Onlinebefragung waren Ende letzten Jahres bereits 96 Prozent des Krankenhauspersonals in Deutschland mindestens einmal gegen Covid-19 geimpft und 92 Prozent bereits vollständig. An der Umfrage, die vom 18. Oktober und bis zum 15. November 2021 lief, hatten 16.069 Beschäftigte aus 104 Krankenhäusern teilgenommen. Ungeimpft waren demnach rund zwei Prozent der Ärztinnen und Ärzte, sowie rund sechs Prozent des Pflegepersonals.
Am Dienstag berichteten mehrere Medien über eine Studie des Instituts für Medizinische Soziologie der Berliner Charité, derzufolge rund 20 Prozent der Pflegekräfte noch nicht vollständig geimpft sein sollen. Für diese Studie seien von Oktober 2021 bis zum 24. Januar 2022 bundesweit Heimleitungen und Pflegekräfte vollstationärer Einrichtungen befragt worden. Die zu Beginn der Befragung erst einmal geimpften Personen könnten allerdings inzwischen überwiegend vollständig geimpft sein.
Allerdings könnte es bei der schon jetzt angespannten Personalsituation auch ein großes Problem sein, wenn "nur" drei bis fünf Prozent der Pflegekräfte im Zusammenhang mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht den Job wechseln. Wenn dies bisher engagierte Kräfte auf einer Station tun, die nicht zeitnah ersetzt werden, könnten Geimpfte aus Erschöpfung "folgen".
"An manchen Standorten sind alle Mitarbeitenden geimpft – an anderen müssten neun von 42 Vollzeitkräften ersetzt werden, weil neun nicht geimpft sind", sagte der Lörracher SPD-Bundestagsabgeordnete Takis Mehmet Ali Anfang der Woche der Stuttgarter Zeitung. Er habe viele Gespräche mit Einrichtungen geführt. Das Bild sei uneinheitlich.