Warum wir frei sind

Wie kann der Mensch eigenständig entscheiden, wenn der Lauf der Welt seit dem Urknall feststeht? Die Antwort ist einfach: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun

Es gibt klassische Probleme in der Philosophie, die wahrscheinlich entweder unlösbar sind, oder nur Lösungen erlauben, die in einer anderen Zeit und anderen Welt wieder verworfen würden. Zu diesen gehört das gute alte "Leib-Seele-Problem" (oder Körper-Geist-Problem, oder Bewusstseinsproblem, oder …).

Alles, was wir hier in Jahrtausenden erreicht haben, ist, dass wir die beiden populärsten Lösungsansätze zu den Akten legen können: Dass Wahrnehmung, Erinnerung, Denken, Fühlen, Handeln und Persönlichkeit vom Gehirn abhängen, erledigt den Dualismus. Und die logische Erdspalte der mentalen Verursachung lässt den Physikalismus abstürzen.

Es bleiben nur der Panpsychismus – reizvoll, aber wenig überzeugend. Und der Idealismus – überzeugend, aber wenig reizvoll. So wird uns das Problem wohl noch tausend oder zehntausend Jahre lang begleiten. Und was für ein Glück! Was täten wir sonst?

Das nahezu ebenso ehrwürdige Problem der Willensfreiheit hingegen gehört nicht in diese Gruppe. Die Kernfrage, ob Willensfreiheit und Determinismus vereinbar seien, lässt sich kurz und klar beantworten.

Denn es gibt genau zwei Möglichkeiten. Entweder: Alles, was geschieht, inklusive dessen, was in Gehirnen vor sich geht, ist durch vorangegangene Zustände vollständig bestimmt. Oder nicht. Ja oder nein. A oder nicht-a. Tertium non datur.

Nun versuche man sich vorzustellen (es ist vielleicht unmöglich), Entscheidungen, die einer trifft, wären wenigstens manchmal nicht-determiniert. Sie wären also nicht, auch rückblickend nicht, durch Beweggründe und Abwägungen zu erklären. Sie ereigneten sich unvorhersagbar, unverstehbar, gleichsam aus dem Nichts. Der Handelnde könnte selbst keine Rechenschaft über seine Taten ablegen. Er wäre ihnen so ausgeliefert wie ein Tourette-Erkrankter seinen Tics. Das, und nichts anderes, bedeutet "indeterminiert".

Wäre das "frei"?

Und noch einmal: Es gibt kein Drittes. Keinen "Schon-irgendwie-determiniert-aber-das Bewusstsein-kann-eingreifen"-Fuzzydeterminismus. Ich habe absichtlich von "vorangegangenen Zuständen" geschrieben, nicht von "physikalischen" Zuständen. Denn es ist für die Bestimmtheit allen Handelns einerlei, ob wir es aus der Innen- oder der Außen-, aus der psychologischen oder der physikalischen Perspektive betrachten. Unser Handeln hat Gründe. Und für gewöhnlich sind wir froh darüber.

Damit könnte ein Beitrag über Willensfreiheit fertig sein: Willensfreiheit und Determinismus sind vereinbar, müssen es sein, weil die Alternative offensichtlich nicht funktioniert.

Doch die Erfahrung lehrt, dass selbst helle Köpfe damit nicht zufrieden sind. Etwas sperrt sich in ihnen dagegen, dass man gleichzeitig frei und bestimmt sein könne. Dass wir es sind, darin gibt es (s.o.) keinen Zweifel. Es bleibt jedoch die Frage, wie wir es sind.

Das schwere dualistische Erbe

Eine Quelle der Verwirrung sind die beiden erwähnten Perspektiven. Denn mag es auch für die Frage der Determiniertheit irrelevant sein, ob sie physikalisch oder psychologisch erfolgt – für unser Denken darüber macht es einen gewaltigen Unterschied. Wie Stephan Schleim im Forum zu seinem Blogbeitrag zu diesem Thema dargelegt hat, ist das wissenschaftliche und publizistische Interesse am Thema "Willensfreiheit" sprunghaft gestiegen, seitdem Neurobiologen meinen, sich dazu äußern zu können oder müssen. Denn mit ihren Apparaten und Ableitungen tritt plötzlich die Außenperspektive scheinbar objektiv in den Vordergrund. Plötzlich ist es nicht mehr eine Person, die entscheidet, sondern "ihr Gehirn".

Und so fragen sich Leute: Wie kann ich frei sein, wenn mein Gehirn alles schon entschieden hat? Sie hätten nie gefragt: Wie kann ich frei sein, wenn ich für jede meiner Entscheidungen gute Gründe habe? In beiden Fragen benennt der Konditionalsatz den Determinismus. Und doch scheint nur die erste Frage Sinn zu haben.

Das verdanken wir, wie mir scheint, jahrtausendealten Denkgewohnheiten. Früher haben wir Körper und Seele getrennt: Der Körper verrottete im Grabe, die Seele flog (im besten Fall) in den Himmel. Descartes, dem dieser Dualismus gerne vorgeworfen wird, hat nur versucht, ihn philosophisch zu übersetzen.

Die meisten Religionen würden nicht ohne ihn funktionieren. Wenn - was in allen drei anderen eingangs aufgeführten metaphysischen Modellen gilt - die "Seele" auf die eine oder andere Weise an den Körper gebunden ist, gibt es nichts, was den individuellen Tod überdauert, mithin nichts, um dessen ewiges Heil oder Wiedergeburt man sich Sorgen zu machen bräuchte, und auch keine immaterielle Sphäre für so etwas wie "Gott".

Doch auch in vermeintlich areligiöser Zeit ist der Dualismus nie verschwunden. Als wäre es eine Grundfunktion unseres Denkens, werden stets Grenzen gezogen und Gegensätze behauptet. Weit verbreitet ist der Gehirn-Körper-Dualismus derer, die sich das Gehirn als autonomen Träger von Individualität und Bewusstsein vorstellen, und den Körper als sein austauschbares Vehikel.

Parallel dazu spukt aber weiterhin auch etwas durch die Köpfe und die Debatten, was man "Ich-Körper-Dualismus" nennen könnte: die verbreitete Redeweise von "Ich und mein Körper" oder "Ich und mein Gehirn".

Dass ich - sprachlich völlig korrekt - von "meinem Gehirn" sprechen kann, baut allerdings eine semantische Falle. Indem das Possessivpronomen eine Beziehung erzeugt, verbindet es zugleich (was mein ist, gehört zu mir) und trennt (nur getrennte Einheiten können eine Beziehung zueinander haben).

So von der Sprache verführt, erliegt der Sprecher bereitwillig dem Fehlschluss, aus den beiden Perspektiven der ersten und der dritten Person zwei getrennte Einheiten zu machen. Und wundert sich dann, wie "Ich" frei sein kann, wenn "mein Körper" determiniert ist.

Aber es gibt keine Trennung. "Ich" ist nichts Anderes als "mein Körper". Das Gehirn ist kein Zentralrechner, sondern nur ein besonders dicht geknüpftes Netz, tausendfach eingebunden in das Netzwerk des Körpers, der wiederum tausendfach eingebunden ist in das Netz der Welt.

Es gibt keine klaren Grenzen, und nie lässt sich das Eine sinnvoll ohne das Andere denken. "Bewusstsein" aber - was immer das sein mag – ist eine Eigenschaft oder ein Prozess des ganzen Körpers in seiner Einbindung in die Umwelt.

Und wenn "Ich" identisch bin mit meinem ganzen umweltbezogenen Körper, dann wird es sinnlos, mich von mir selbst gezwungen oder meiner Freiheit beraubt zu wähnen. Zwingen oder unfrei machen kann mich nur etwas, das Nicht-Ich ist. Die Abwägungen und Entscheidungen in mir, in meinem Gehirn und Körper, sind aber ein Teil von mir. Sie sind der Prozess meiner Entscheidungsfindung.

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