Was bringt der Ethiktest?
Das neue Pilotprojekt der Stiftung Warentest
"Verantwortung" als Unternehmensstrategie - das nahmen bislang vor allem multinationale Konzerne für sich in Anspruch. Jetzt startet die Stiftung Warentest ein neues Pilotprojekt: Warenprüfungen auf ökosoziale Nachhaltigkeit. Damit geraten auch kleinere Hersteller in die Pflicht, ihre Produktionspolitik auszuweisen und sich den Anforderungen einer weit verzweigten Ethik-Industrie zu stellen. Für Konsumenten heißt das: Kaufentscheidungen werden künftig komplizierter.
Shopping for a better world
Ein neues Deo! Aber welches? "Mum" ist zwar bei Tierversuchen mit dabei, hat diese aber in den letzten fünf Jahren um vierzig Prozent reduziert. "Old Spice" hingegen schneidet zwar bei der Familienförderung besser ab als "Mum" und bietet außerdem Kinder-Tagesbetreung für das Personal, beschäftigt aber Mitarbeiter im Apartheitsstaat Südafrika. Spielen da Geruch und Preis noch eine Rolle?
So oder ähnlich gestaltete sich, Ende der 80er Jahre, das Einkaufserlebnis mit dem Büchlein "Shopping for a better world": "Der schnelle und einfache Führer für den verantwortlichen Supermarkteinkauf". In dem Führer wurde aufgelistet, wie es Produkthersteller mit der Gleichstellung von Mann und Frau hielten, ob sie rechtsgerichtete Regierungen samt Militärapparat in Südamerika unterstützten, ob Geld für alternative Forschung ausgegeben wurde und manches mehr. Die deutsche Stiftung Warentest greift den Gedanken auf. Mit der am 19. November 2004 erscheinenden Ausgabe des Heftes "Test" beginnt eine Reihe von Produkttests auf Prinzipien ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Wetterjacken machen den Anfang; Waschmittel und Tiefkühl-Lachs sind für den Ethiktest in Vorbereitung.
Das Unternehmen verdient Beachtung, weil zumindest in Deutschland, aber auch in den europäischen Nachbarländern, nie zuvor eine Institution von vergleichbarem Rang und Einfluss wie die Stiftung Warentest sich der ethischen Bewertung von nicht börsennotierten Unternehmen und ihrer Produktionspraktiken angenommen hat. Der Ethiktest schafft einen Präzendensfall, der für das weitere Schicksal von gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen entscheidend sein wird.
Draußen zu Hause - im Sweat Shop-Dress?
Die Wetterjacken-Hersteller erwischt der Ethiktest unvorbereitet. Es sind fast durchweg Markenfirmen. Jack Wolfskin, Fjällräven, The North Face und Salewa gehörten zu den bekanntesten von ihnen. Ihre Outdoor-Bekleidung wird von Leuten getragen, die auf hoher See gegen die Versenkung von Ölplattformen protestieren, von Ingenieuren, die in den Ferien als Entwicklungshelfer arbeiten, und von Abenteurern, die in entlegenen Winkeln fremder Länder für den Erhalt von Naturschutzgebieten kämpfen. So stellt man es sich jedenfalls gerne vorn - auch wenn man selbst vor allem in der Großstadt unterwegs ist und allenfalls im Sommerurlaub einmal wetterfeste Bekleidung benötigt.
Groß wäre der Schaden für die beliebten Outdoor-Firmen, wenn sich jetzt herausstellen würde, dass "Thunder and Lightning", "Chrystal Mountain", "Rock'?n Ice Women", oder wie die verschiedenen Wetterjacken sonst noch heißen mögen, mit denen der Globetrotter die Naturvölker in ihren Reservaten besucht, aus "Sweat Shops" in Fernost stammen, wo unter menschenunwürdigen Bedingungen gearbeitet wird.
Dass dergleichen aus dem Bericht in "Test" nicht hervorgeht, liegt nicht daran, dass sie Outdoor-Firmen allesamt eine weiße Weste hätten, sondern an den Untersuchungsmethoden von "Test". Geprüft wird nicht die Produktion am Ort, sondern in erster Linie die Informationspolitik des Herstellers mitsamt der Standards, zu welchen dieser sich bekennt. Tatsache aber ist, dass die allermeisten Outdoor-Ausstatter weder auf den Kleidungsstücken selbst deren Herkunft ausweisen, noch auf ihren Internetseiten oder anderswo Informationen über ihre Produktionspolitik bereitstellen. Ausgerechnet die deutsche Firma Jack Wolfskin hat sich nicht einmal darauf eingelassen, die Anfrage von "Test" zu beantworten.
Ethik zur Selbstverpflichtung
Die Reaktionen auf den Ethiktest werden zeigen, wie lange die im Vergleich zu Firmen wie Adidas oder Nike kleinen Anbieter noch darauf verzichten können, was die großen Markenhersteller längst vormachen: die Verpflichtung auf internationale Standards der Menschen- und Arbeitsrechte, des Umweltschutzes und der Korruptionsbekämpfung überall auf der Welt, wie dies etwa die zehn Prinzipien der weltweiten UN-Inititative Global Compact formulieren. Dazu gehört ebenso eine vom Unternehmen ausgehende Berichterstattung über den Stand und den Erfolg der Bemühungen um ökologische und soziale Nachhaltigkeit.
Anders als zu Zeiten von "Shopping for a better world" sind es heute nicht mehr nur die Konsumenten, die mit konkreten Kaufentscheidungen diese Entwicklung forcieren oder, wie im Falle des Protests gegen die Versenkungen der Ölplattform Brent Spar, sogar mit flächendeckendem Boykott. Rund um die Idee der freiwilligen Selbstverpflichtung, um "Corporate Social Responsibility", kurz: "CSR", hat sich in den letzten Jahren ein eigene Industrie entwickelt, in der spezielle Druckverhältnisse walten.
Berater, kommerziell arbeitende Think-Tanks, PR-Firmen, Finanzdienstleister für "ethisches Investment" und Rating-Agenturen wie Oekom Research, welche börsennotierte Unternehmen auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit hin bewerten, sind im CSR-Geschäft tätig und mit daran interessiert, dass Unternehmensethik zum "Business Case" wird. Selbst nichtkommerzielle Organisationen werden vom allgemeinen Wettbewerbsstrudel erfasst. Die "Global Reporting Initiative" (GRI) zum Beispiel hat Richtlinien für die Berichterstattung in Sachen ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit entwickelt. Nichts macht diese Richtlinien für ein Unternehmen bindend - abgesehen von der Tatsache, dass die Prinzipien der GRI sozusagen auf ihrem Gebiet die Marktführer sind.
Ethik & Geschäfte: Hand in Hand
Was springt nun, der Sache nach, bei diesen vereinten Bemühungen heraus? Zumindest steht CSR für einen Korridor an einzelnen Projekten, bei denen unternehmerisches Eigeninteresse und ethische Zielsetzung Hand in Hand gehen. Ein Beispiel für solche Projekte sind Mikrokredite-Programme, wie sie etwa die Deutsche Bank anbietet. Diese ermöglichen es Anlegern in Deutschland und anderswo, gewinnbringend direkt kleine Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe in Entwicklungsländern zu fördern statt in Immobilienfonds zu investieren.
Ein anderes Beispiel ist das Arbeitsplatzprogramm zur Bekämpfung von HIV/Aids vom Daimler-Chrysler in Südafrika. Mitarbeitern und deren Angehörigen bietet Daimler-Chrysler in seinem Werk in Südafrika HIV-Tests und medizinische Versorgung. Außerdem hat sich der Konzern dafür eingesetzt, dass in Südafrika ein Gesetz erlassen wurde, das an Aids erkrankte Arbeitnehmer davor schützt, aufgrund ihrer Krankheit entlassen zu werden.
All dies ist durchaus mit dem Eigeninteresse des Unternehmens zu vereinen. Dafür gibt es konkrete Zahlen, die nur nicht gerne veröffentlicht werden, weil Unternehmen, deren ethisches Engagement solide auf ökonomischen Füßen steht, oft genau dafür kritisiert werden, dass sie nicht wirklich 'moralisch' sind. Das stimmt. Und trotzdem ist die Kritik fehl am Platz. Unternehmerische Ethik, die über mehr (oder weniger) uneigennützige Wohltätigkeit hinausgeht und sich der Geschäftsprozesse als Motor bedient, steht, im Gegenteil, als einzig Erfolg versprechendes Modell wirtschaftsfähiger Moral, im Zentrum von "Corporate Social Responsibility".
Über Projekte hinaus
Viel schwieriger als einzelne Projekte gestaltet sich die Umstellung der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zu den Zulieferern auf die Einhaltung von Prinzipien ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit. Zum einen hat das Prinzip der Freiwilligkeit, für welches CSR steht, gewisse Grenzen hinsichtlich der Flächendeckung.
Es ist leicht, die Ausrutscher und Trittbrettfahrer herauszustellen, welche Allianzen wie die UN-Initiative des Global Compact kompromittieren: Bei einem Besuch auf Webseiten von Greenpeace International, von Corpwatch, auf der NGO-Seite Corporate Accountability oder im Bericht Behind the mask: The real face of corporate social responsibility der Hilfsorganisation Christian Aid wird man hier schnell fündig werden.
Es gibt wenig, was diesen Mangel wett macht. Verbindliche Mindeststandards, die der Geschäftspraxis global tätiger Unternehmen im Ausland Grenzen auferlegen, gibt es derzeit keine. Pläne, die in diese Richtung gehen, werden, im Gegenteil, von den internationalen Wirtschaftsverbänden bekämpft. Der deutsche BDI ist aus diesem Grunde sogar den neuen Warentest mit Argwohn: Klaus Mittelbach, der beim BDI den Bereich "Umwelt" verantwortet und auch für das Thema CSR zuständig ist, befürchtet, dass die Publikmachung ethischer Produktionsstandards der Anfang einer neuen Welle von Normierungen ist.
Ohne Noten
Ebenso schwer wiegend wie die geringe Bindungskraft des Instrumentes unternehmerischer Selbstverpflichtung aber ist, dass es bislang kaum Beurteilungen des Erfolgs von Bemühungen um "Corporate Social Responsibility" gibt. Firmenspezifische, regionenbezogene Evaluationen, die zeigen würden, ob zum Beispiel die vielmals kritisierte Tätigkeit eines Konzern wie Shell in Nigeria für dieses Land unter dem Strich eher von Vorteil oder von Nachteil ist, existieren nicht. Und Versuche, die CSR-Bemühungen der kollektiven Unternehmerschaft zu bewerten, bleiben meist wenig aussagekräftig oder sind, wie die Empfehlungen des unabhängigen Think Tanks Sustainability.com, nicht auf überprüfbare Weise empirisch dokumentiert.
Zuletzt gibt es viele offene Fragen hinsichtlich dessen, wie weit die ethischen Pflichten eines Unternehmens reichen. Die Deutsche Bank etwa, die in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung als Vorreiter gilt, berücksichtigt zwar bei ihren eigenen Investitionen die zehn Prinzipien des Global Compact - nicht jedoch im Bereich der Treuhandgeschäfte, mit dem die Bank im vergangenen Jahr laut Geschäftsbericht immerhin einen Gewinn von über drei Milliarden Euro erzielt hat. Es wäre redlich, wenn die Bank diese Bresche in ihrer Ethik-Politik auch im Unternehmensbericht zu Gesellschaftlicher Verantwortung ausweisen würde.
Im Dienste des Gemeinwohls?
Und noch etwas gibt es, was man den Unternehmen nur unbedingt abnehmen sollte: dass sie, als "Unternehmensbürger", uneingeschränkt am Wohle der Gesellschaft interessiert sind, wie immer wieder in den bunten Jahresberichten zur gesellschaftlichen Verantwortung zu lesen ist, die man auf den Webseiten der Unternehmen findet. Dergleichen können vielleicht Bäcker oder Handwerker für sich in Anspruch nehmen, deren Produkte und Dienstleistungen durch die unsichtbare Hand des Marktes der Allgemeinheit zu Gute kommen. Hier werden Grundbedürfnisse erfüllt.
Anders als die Ethik dies eigentlich tut, fragt CSR nach Sinn und Zweck, Sinn und Zweck von Produkten in diesem Fall, gerade nicht. Auch Tamagotchis, Händi-Klingeltöne, Zigaretten und unnötig spritfressende, die anderen Verkehrsteilnehmer gefährdende Geländewagen für den Einsatz im Stadtverkehr (Straßen-Schweine) können auf ethisch wertvolle Weise hergestellt werden. Die British American Tobacco zum Beispiel ist, als "ethisch bestes" Unternehmen der Branche, sogar Mitglied im Dow Jones Sustainability Index.
Umgekehrt wäre nun aber denkbar, dass bei Produkten, die in Sachen Sinnhaftigkeit einem großen Anspruch gerecht werden, auch Erwartungen an "ethische" Produktionsbedingungen besonders hoch sind. Das Pilotprojekt von "Test" wird es zeigen. Wenn die Rechnung aufgeht, werden Firmen wie Jack Wolfskin, Fjällräven oder Northern Face künftig nicht mehr mit Sport-Sponsoring und Naturschutz-Aktionen für sich werben können, ohne auch die Frage nach den Herstellungsbedingungen ihrer Produkte zu beantworten.