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Was den Leuten gefällt, wirkt auch

Oder etwa nicht? Wie Werbung wirklich wirkt - Teil 10

Teil 9: Ohne Emotionen geht gar nichts, aber mit Emotionen geht längst nicht alles [1]

Man kann den Werbeleuten wirklich nicht nachsagen, sie hätten sich nicht nach Kräften darum bemüht, dem Mysterium der Werbewirkung auf die Schliche zu kommen und herauszubekommen, was in der Werbung wirklich wirkt und was nicht. Letztlich gelungen ist ihnen das nicht. Aber es gab natürlich viele Teilerfolge und eine Unzahl von Näherungen.

Doch wirklich einschlagende "Erfolge" hatten sie nur mit ihren Anstrengungen, zu simple Lösungen für komplexe Phänomene und vor allem dafür, primitive Faustformeln für sehr viel kompliziertere Zusammenhänge zusammenzustricken. Das können sie. Darin sind sie wahre Meister.

Im Folgenden erzähle ich die Geschichte einer Zauberformel für Werbewirkung, die anfangs von allen Experten mit lautem Jubel gefeiert wurde und sich am Ende doch als nichts als eine ziemlich alberne Chimäre herausstellte.

Ich erzähle die Geschichte auch deshalb, weil so unglaublich viele und respektierte Wissenschaftler daran beteiligt waren. Sie soll als Warnung dafür dienen, den eigenen Kopf auch gegen viele respektierte Wissenschaftler nicht vor lauter Ehrfurcht zu verlassen und das eigenständige Denken mit Hilfe des eigenen Kopfes niemals einzustellen. Das übrigens ist ein Ratschlag, den in der westlichen Welt Immanuel Kant (1724-1804) immerhin im 18. Jahrhundert und in der östlichen Welt vor ihm allerdings der Buddha (563-483 vor Christus) mit großer Klarheit formulierte.

Eine eiserne Regel aller Werbepraktiker und mancher Theoretiker lautet: Werbung muss den Konsumenten gefallen. Das ist sozusagen das weit geöffnete Tor, durch das Wirkung in die Welt der Werbung eintritt. Alle Werbung, die den Konsumenten gefällt, entfaltet ihre volle Wirkung. Und Gefallen geht über Verstehen.

Nichts trägt so stark zum Erfolg von Werbung bei wie Gefallen. Das leuchtet ja auch jedem distanzierten Beobachter sofort ein. Der Umkehrschluss müsste ja sonst wohl lauten: Werbung, die den Leuten gar nicht gefällt, ist besonders wirkungsstark. Und doch irren die Werber in kaum einem Punkt mehr als in diesem. Es ist die geradezu tragische und traurige Geschichte von Irrungen und Wirrungen der Werbegeschichte.

Die größte Werbewirkungsuntersuchung, die weltweit je durchgeführt wurde, stiftete zugleich auch die allergrößte Verwirrung. Über ein Jahrzehnt hinweg schleppte sich das "Copy Research Validity Project" der US-amerikanischen Advertising Research Foundation (ARF) dahin. Die amerikanische Stiftung für Werbeforschung nahm ihre Aufgabe halt genau. Gründliche Forschung erfordert nun einmal große Genauigkeit und auch hohe Sorgfalt. Und als dann zu Beginn der neunziger Jahre die Befunde aus mehr als 12.000 Interviews schließlich vorlagen, fanden die meisten Beobachter das Hauptergebnis zunächst einmal ziemlich doof.

Denn es lautet: Am wichtigsten für die Wirksamkeit eines Werbespots oder einer Anzeige ist es, dass er oder sie den Leuten gefällt. Das Gefallen - die "Likeability" - ist derjenige unter allen nur denkbaren Faktoren, der am stärksten zur Wirkung von Werbung beiträgt. Das Produkt oder seine Qualität ist nur halb so wichtig. Wenn die Werbung den Konsumenten gefällt, dann kaufen sie auch das Produkt - auch wenn es von nicht so überragender Qualität ist.

Eigentlich hätte ja schon der gesunde Menschenverstand jedermann eingeben müssen, dass daran etwas nicht stimmen kann: Die Leute kaufen sich nicht etwa einen Mercedes, weil das ein ganz gutes Auto ist, sondern weil ihnen die Werbung dafür gefällt? Was für ein bombastischer Unsinn.

"Being popular" als amerikanisches Lebensziel nichts für Europäer?

Aber wie immer, wenn eine großangelegte Studie mit so viel Bombastik in der Öffentlichkeit präsentiert wird, verstummen erst einmal alle, denen kritische Gedanken in den Kopf schießen. Wer hat schon die Charakterstärke, den Edelsten und Klügsten der amerikanischen Werbeforschung nichts Besseres als seinen gesunden Menschenverstand entgegenzustellen?

Na ja, sagten sich da die Europäer. Bei den Amis mag das ja so sein. Die haben nix Wichtigeres im Kopf, als bei anderen beliebt zu sein. Das lernen die ja schon in der Schule und wählen "the most popular girl" und "the most popular boy". Gefallsucht gehört nun mal zum American Way of Life. Da kann einer sogar pausenlos sich selbst beweihräuchern und wird am Ende sogar noch Präsident. Aber in Europa herrschen nun einmal kultiviertere Umgangsformen.

Also untersuchte man das auch in Europa. Dann allerdings begann das große Nachdenken, als in Europa auch noch dasselbe herauskam. Daran jedoch konnte niemand ernsthaft zweifeln. Dies ergaben gleich zwei getrennt voneinander durchgeführte Studien, die einmal Lars Bergkvist von der Handelshögskolan in Stockholm im Jahr 2000 für das schwedische Fernsehen, und eine weitere Untersuchung, die Ben Decock und Patrick De Pelsmacker von der Universität Antwerpen 1999 und 2000 für das belgische Fernsehen durchführten.

Beide gelangten zur selben Erkenntnis: Durch nichts lässt sich der Erfolg von Werbung so gut vorhersagen wie dadurch, dass sie den Leuten gefällt.

Und trotzdem kann das unmöglich stimmen!

Das muss man sich einmal vor Augen führen: Man macht einen Werbespot. Spielt den im Test ein paar Leuten vor. Und wenn die sagen, dass er ihnen gefällt, dann verkauft sich das beworbene Produkt auch wie blöd. Dies soll der Werbeweisheit allerletzter Schluss sein? Wie waren die Amerikaner überhaupt zu dieser Erkenntnis gekommen?

Eigentlich ging es ihnen ursprünglich gar nicht darum, Werbewirkung zu untersuchen. Sie verbanden mit der Untersuchung ganz und gar andere Ziele. Das "ARF Copy Research Validity Project" wurde in den frühen 1980er Jahren auf die Rampe geschoben, um herauszufinden, ob man mit Hilfe von Pretests - genauer: Copytests - tatsächliche Verkaufserfolge voraussagen kann.

Wenn man es ganz genau nimmt, ging es der amerikanischen Werbeforschungsstiftung noch nicht einmal darum, den Werbeerfolg zu untersuchen. Sie wollte prüfen, ob Werbung auch zum Instrument der Verkaufsförderung taugt. Das war die Zeit, in der man in den USA davon ausging, dass Werbung, die nicht auch verkauft, nicht viel taugt.

Es ging der ARF also gar nicht um die Erforschung von Werbewirkung, sondern einzig und allein darum, Faktoren zu ermitteln, mit deren Hilfe man den Verkaufserfolg von Werbung prognostizieren kann. Und dabei kam angeblich heraus, dass "Liking" oder "Likeability" unter allen Faktoren derjenige mit der größten Vorhersagekraft ist.

Schaut man etwas genauer hin, dann sind die Befunde indes gar nicht so aufregend. Und so eindeutig in der Aussagekraft sind sie schon gar nicht. Im Test präsentierte man den Befragten jeweils fünf Paare von Werbespots. Einer der beiden Spots hatte in der realen Marktsituation sehr gute Verkäufe erzielt, der andere nicht. Die Befragten wussten jedoch nicht, welcher Spot das war. Anhand einer 5-Punkte-Skala sollten sie angeben, ob die Spots ihnen gefielen:

Die beiden ersten Statements wurden als Ausdruck von "Gefallen" gewertet. Und nun zeigte sich: In 87 Prozent aller Fälle waren die Spots, die den Leuten gefielen, auch diejenigen mit dem besseren Verkaufserfolg ("sales winners").

In der großen Begeisterung übersah man bei der anschließenden öffentlichen Diskussion allerdings auch, dass in ebenfalls 87 Prozent der Fälle die Leute sagten, der Spot habe ihnen etwas Neues über das Produkt vermittelt ("It told me something new about the product."). Und in noch einmal 87 Prozent der Fälle war die "spontane Werbeerinnerung" ("spontaneous ad-recall") der verlässliche Prädiktor des Verkaufserfolgs.

Offensichtlich hatten sich die PR-Leute der ARF in ihrer ersten Begeisterung in einen Rausch geredet. Man kann mit Fug und Recht auch davon sprechen, sie hätten sich selbst derart besoffen geredet, dass sie die Realität nicht mehr erkennen konnten. Denn eigentlich war die Sache völlig klar, und "Likeability" war nur einer von mehreren Faktoren, keineswegs jedoch der einzig wahre.

Auch andere Faktoren erwiesen sich in dem ARF-Projekt als auch ganz eindrucksvolle Prädiktoren, wie die nachfolgende Übersicht zeigt:

Prädiktoren des Verkaufserfolgs Korrelation mit Verkaufserfolg (in Prozent)
Mir gefällt die Anzeige sehr gut 87
Sie hat mir etwas Neues über das Produkt vermittelt 87
Spontane Werbeerinnerung 87
Allgemeine Markenbewertung 84
Diese Anzeige ist eine Freude 80
Aktiver Bekanntheitsgrad 73
Vermittelt mir viel darüber, wie das Produkt funktioniert 73
Ich habe viel aus dieser Anzeige gelernt 73
Ich finde diese Anzeige kunstvoll 60
Kommuniziert die wichtigsten Gesichtspunkte 60
Quelle: Advertising Research Foundation (ARF)

Ein genauerer Blick zeigt also: "Gefallen" ist keineswegs der einzige stark wirkende Faktor. Die Produktinformation und sogar die gute alte Werbeerinnerung wirken genauso stark. Nach weiteren Faktoren wie etwa der "Überzeugungskraft" der Werbung wurde erst gar nicht gefragt. So schrecklich viel hat das Ergebnis also gar nicht zu sagen. Genau genommen hat es sogar gar nichts zu sagen.

Tatsächlich ist die Advertising Research Foundation ihrer eigenen PR zum Opfer gefallen. Um das relativ belanglose, aber mit einem Mordsaufwand zu Stande gebrachte Ergebnis schönzureden, wollte sie mit etwas Spektakulärem in die Öffentlichkeit gehen. Und da musste die "Likeability" für etwas herhalten, was die Studie gar nicht hergab.

Fatal nur, dass die Werbebeobachter in aller Welt darauf reingefallen sind, statt genauer zu überlegen, ob das "Ergebnis" überhaupt einer sachlichen Überprüfung standhält. So kann man sich mit gar zu dick aufgetragener Eigenwerbung selbst aufs Kreuz legen…

Massenhaft Studien, bei denen "Gefallen" völlig durchfiel

Aber trotzdem gilt auch bei kritischer Betrachtung: Wenn die Testpersonen im Pretest von einer Werbung sagen, dass sie ihnen gefällt, dann ist das ja schon mal ganz gut. Aber sonderlich aussagekräftig ist das ja nun auch wieder nicht.

Allerdings hatte auch vorher nie jemand behauptet, das sei schlecht. Hinterher, nach der umständlichen Forschung, kann man dasselbe sagen. Im Grunde genommen ist also überhaupt nichts dabei herausgekommen - aber viele Werbeforscher und viele Werber glauben noch immer, aufs Gefallen komme es mehr als auf alles andere an. Tut es aber trotzdem nicht.

Auf die grundlegende Rolle der "Gefälligkeit" (Likeability) von Werbung kam man in den USA erstmals 1985. Damals führte das Ogilvy Center for Research & Development (OCRD), San Francisco, eine Studie über "Likeable TV Advertising" durch. Dabei ergab sich: Je sympathischer der Verbraucher einen Spot findet, umso eher wird er von dessen Botschaft überzeugt. Schade übrigens, dass die deutsche Hochsprache bei Weitem nicht die Ausdrucksstärke wie manche süddeutschen Dialekte hat, die von "Megeligkeit" sprechen, was von der Richtung und Bedeutung der "Likeability" sehr viel näher kommt.

Verbraucher, denen die getesteten TV-Spots "sehr gut" gefielen, waren fast doppelt so häufig von der Qualität des beworbenen Produkts überzeugt wie die, denen die Spots nur "ganz gut" gefielen oder die keine Meinung äußerten.

Die Mehrheit derer, denen die Spots "sehr gut" gefielen, war indes immer noch nicht von der Qualität des Produkts überzeugt. Gefielen ihnen die Spots allerdings nur "ganz gut" oder hatten sie ihnen gegenüber "keine Meinung", so nahm der Prozentsatz der Nicht-Überzeugten deutlich zu.

Ja, schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte der US-amerikanische Marktforscher Horace Schwerin (1914-2013) in einer Untersuchung bei US-Soldaten festgestellt: Werbebotschaften, die den Umworbenen gefallen, wirken stärker als Botschaften, die ihnen nicht gefallen.

Doch ist das eine Erkenntnis? Dass einem etwas, das einem überhaupt nicht gefällt, machtvoll wirkt, ist doch von vornherein gar nicht anzunehmen.

In den Jubel über die mächtige Rolle des "Gefallens" bei der Wirksamkeit von Werbung mischten sich alsbald einige Wermutstropfen. In einer ähnlichen Untersuchung, die Allen R. Kuse 1991 mit sieben Paaren erfolgreicher und nicht so erfolgreicher Werbespots durchführte, fand er überhaupt keine Korrelation zwischen "likeability" und "effectiveness in the marketplace".

Deshalb führte das Marktforschungsinstitut Gallup & Robinson 1992 gleich noch eine Studie durch, die alle Befunde der ARF-Studie flugs wieder erhärtete. Ging’s da überhaupt noch um Klärung oder nur noch darum, einander die verschiedenen Forschungsbefunde um die Ohren zu schlagen?

Nigel S. Hollis, Forschungsleiter beim Institut Millward Brown in San Francisco, formulierte 1995 nagende Zweifel an der Wichtigkeit des "Likeability"-Paradigmas in einem Aufsatz mit dem Titel "Like It or Not. Likeability is Not Enough." (Ob’s Euch gefällt oder nicht. Gefallen allein reicht nicht).

Die Millward-Brown-Forscher hatten in ihrer eigenen Studie herausgefunden, dass "Likeability" den Verkaufserfolg von Werbung in vielen Fällen übertrieb und in anderen Fällen untertrieb. Nach Hollis erwiesen sich "Enjoyability" und "Involvement" als wesentlich verlässlichere Indikatoren.

Auch die beiden Werbeforscher Steven P. Brown und Douglas M. Stayman erschütterten in einer Metaanalyse den Glauben an die Erfolgsträchtigkeit von gefälliger Werbung. In "Metaanalysen" untersuchen Wissenschaftler eine größere Anzahl von empirischen Studien und fassen zusammen, was denn dabei so herausgekommen ist.

Brown und Stayman studierten rund 60 Einzelanalysen und konstatierten, dass die Einstellung zur Werbung ("attitude toward advertising") anschließend zwar einen Einfluss auf ihren Verkaufserfolg hat, dass dieser Einfluss jedoch vielfach überschätzt werde.

Die Einstellung zur Werbung beeinflusse unmittelbar die Markenkenntnis ("brand cognition"). Diese wiederum bestimme die Markeneinstellung ("attitude toward brand"). Über den Umweg der Markeneinstellung also spielt danach die "Likeability" schon eine gewisse Rolle, aber keine so arg große.

Und schließlich - so fanden die beiden Metaanalytiker heraus - sind auch die Produktkategorie, bestehende Einstellungen zu Marken und die Werbeträger wichtige Faktoren, die einen Einfluss auf den Verkaufserfolg der Werbung ausüben.

Nach und nach zerbröselt der Monofaktor als Garant für Verkaufserfolg

So allmählich zerbröselt der Monofaktor "Likeability" als Garant für den Verkaufserfolg der Werbung im Wechselbad widersprüchlicher Forschungsbefunde...

In seinem vielbeachteten Buch "Getting it Right The First Time" (Wie man es gleich beim ersten Mal richtig macht) hat der noch immer am meisten respektierte Werbeforscher der Gegenwart, John Philip Jones von der Syracuse University, noch einmal ganz andere Zahlen präsentiert: Nur in 41 Prozent der Fälle sind "Gefallen" und "Markenerinnerung" geeignet, den Verkaufserfolg von Werbung vorherzusagen. Das bedeutet auch: In der überwiegenden Mehrheit der Fälle (69 Prozent) tun sie es nicht.

Selbst die Werbeerinnerung ("advertising recall") ist mit 54 Prozent ein viel verlässlicherer Prädiktor. Der konkurrenzlos beste Prädiktor hingegen ist nach Jones "brain processed advertising" (wörtlich: die hirnverarbeitete Werbung): Vorhersagerate 91 Prozent.

In jüngster Zeit mehren sich in den USA die Zweifel daran, dass die "Likeability" wirklich so ein einzigartiger Prädiktor für den Verkaufserfolg von Werbung ist. Da gingen die US-Amerikaner an eines ihrer Nationalheiligtümer und nahmen 2001 die Wirksamkeit von Werbung während des Superbowls genauer unter die Lupe - für die Amerikaner ein Sportereignis wie die Fußballweltmeisterschaft.

Zu ihrem eigenen höchsten Erstaunen fanden sie massenhaft Werbung, die alle Befragten stets als außerordentlich "likeable" einstuften. Aber die Verkaufszahlen der zugehörigen Produkte waren geradezu mickrig.

Da gab es eine stattliche Reihe von Werbespots, von denen die Leute sagten, sie seien höchst "likeable", aber wenn sie gefragt wurden, ob sie die beworbenen Produkte kaufen wollten, sagten sie: "Nein." Ausgerechnet zwischen "likeability" und "purchase intent" (Kaufabsicht) klaffte bei vielen, aber nicht bei allen Produkten eine große Lücke. Das bedeutet nichts anderes als: "Likeability" kann den Verkaufserfolg von Werbung eben nur manchmal vorhersagen.

Doch eine Aussage, die da lautet: "Manchmal funktioniert’s, manchmal aber nicht", taugt vielleicht, um die Flugeigenschaften eines russischen Flugzeugs zu beschreiben. Aber als wissenschaftliche Aussage ist sie nichtssagend.

In Deutschland untersuchten der Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA) und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) bald darauf denselben Themenkomplex und kamen zu ähnlichen Befunden wie die ARF: Werbung, die den meisten Konsumenten gefällt, ist zugleich auch am werbewirksamsten.

Das Gefallen wiederum hängt in erster Linie vom Unterhaltungswert und weniger vom Informationswert eines Werbespots ab. Das bedeutet im Umkehrschluss auch: Verkaufswirksame Werbespots gefallen den Zuschauern auch überdurchschnittlich gut.

Diese These überprüfte die GfK-Marktforschung, Nürnberg, 1991 in einer Grundlagenstudie, in deren Mittelpunkt die Gefälligkeit von Spots und ihr ökonomischer Erfolg standen. Dabei untersuchte sie 985 Spots aller Produktkategorien in realistischen Sehsituationen.

Wirkungsvoll ist danach ein Spot, wenn er sich im Umfeld der Konkurrenzspots durchsetzt und die "motivationale Schubkraft" aufweist, die Zuschauer zur beworbenen Marke hinzulenken. Dies ist vor allem für die längerfristige Werbewirkung von Bedeutung.

Unter dem Druck der ständig zunehmenden Werbeflut wachse die Bereitschaft der Verbraucher, Programm- und Werbeinhalte "wegzuzappen", die ihnen nicht gefallen. Umgekehrt erhöhe ein Spot, der den Verbrauchern gefällt, die Zuwendungsbereitschaft und habe damit größere Chancen, seine Botschaft zu vermitteln.

Die Marktforscher eiern ziemlich hilflos durch die Landschaft

Als Wirkungsmaße wurden die Fähigkeit des Spots, sich im Umfeld durchzusetzen und den Markennamen zu verankern (= Durchsetzungsfähigkeit), und die Fähigkeit des Spots, zur beworbenen Marke hinzustimmen (= motivationale Schubkraft), herangezogen. Die Analyse von Likeability und Durchsetzungsfähigkeit zeigte einen relativ schwachen Zusammenhang.

Auch in der Analyse des Gesamtergebnisses nach Teilgruppen war der Zusammenhang zwischen Likeability und Durchsetzungsfähigkeit bei Männern größer als bei Frauen und bei Älteren stärker als bei Jüngeren. Nach Produktkategorien unterteilt zeigten sich besonders starke Zusammenhänge zwischen beiden Kriterien in den Bereichen Lebensmittel, Getränke, Haushaltswaren und OTC-Produkte. Bei Verwendung der motivationalen Schubkraft als Indikator für die Verkaufswirksamkeit eines Werbespots ergab sich ebenfalls nur ein sehr schwacher Zusammenhang zwischen Likeability und Verkaufswirksamkeit.

Im zweiten Schritt analysierte die Studie alle Werbespots, die sowohl eine sehr hohe Durchsetzungsfähigkeit wie eine sehr hohe motivationale Schubkraft haben, und diejenigen Spots, die nur eine sehr geringe Durchsetzungsfähigkeit und geringe motivationale Schubkraft haben.

Die durchschnittliche Bewertung dieser beiden Gruppen unterscheidet sich grundlegend. Spots, die besonders wirksam sind, gefallen überdurchschnittlich, und Spots, die nicht wirksam sind, gefallen auch nicht. Dementsprechend sind Spots, die extrem gut gefallen, auch sehr viel wirksamer als Spots, die extrem schlecht ankommen - analysiert wurden jeweils die zehn Prozent Spots mit bester oder schlechtester Bewertung.

Eine gewisse Mindestakzeptanz ist also notwendig, um überhaupt eine Wirkungschance zu haben. Wird diese Mindestakzeptanz nicht erreicht, schaltet der Verbraucher zumindest geistig ab. Er blendet sich aus. Andererseits gibt es Werbespots, die so gut ankommen, dass sie aus sich heraus wirken und im Extremfall Markenwahl und Markenwechsel bedingen.

Während die Faktoren, die dafür verantwortlich sind, dass ein Spot gefällt, weitgehend bekannt sind, gibt es kaum Anhaltspunkte dafür, wodurch sich Spots, die gefallen und wirksam sind, von solchen unterscheiden, die gefallen, aber nicht wirksam sind.

Um dies herauszufinden, wurden alle Spots mit hoher Likeability in zwei Gruppen unterteilt: zum einen in Spots mit hoher Likeability, hoher Durchsetzungsfähigkeit und hoher motivationaler Schubkraft; zum anderen in Werbespots mit hoher Likeability, aber geringer Durchsetzungsfähigkeit und geringer motivationaler Schubkraft. Diese Spots wurden anhand der Datenbank statistisch untersucht und darüber hinaus einer qualitativen Analyse unterzogen.

Wirksame Spots mit hoher Likeability zeichnen sich im Vergleich zu unwirksamen Spots mit hoher Likeability also durch folgende Charakteristika aus:

  1. Bei wirksamen Spots ist die Likeability kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck. Anders ausgedrückt: Nichtwirksame Spots setzen sehr häufig schöne Bilder ein - insbesondere Kinder, Tiere, attraktive Darsteller oder schicke Umgebungen -, die zwar gefallen, aber keinen Bezug zur Marke oder zur Markenpersönlichkeit haben. Schlüsselreize halt.

    Die schönen Bilder ersetzen gewissermaßen die fehlende Werbeidee. Diese Spots sind zwar oft "kreativ". Doch diese Kreativität ist unproduktiv. Sie erwächst nicht aus der Marke. Die Spots gehen gewissermaßen "in Schönheit" baden - aber baden gehen sie auf jeden Fall.

  2. Bei wirksamen Spots hingegen dramatisiert das, was den Konsumenten gefällt, die spezifischen Eigenschaften der beworbenen Marke. Ob ein Spot gefällt oder nicht, ist also weniger entscheidend als das, was den Leuten an ihm gefällt.

Gelehrter ausgedrückt: Relevant ist ausschließlich die für eine Marke produktive Likeability. Dieser Befund steht indes in krassem Widerspruch zu den Befunden der ARF-Studie, die ja lauten: Egal was gefällt, wenn es gefällt, wirkt es auch.

Spots, die nicht gefallen, aber trotzdem wirksam sind, zeichnen sich nach den Befunden dieser Studie vor allem dadurch aus, dass sie einen spezifischen USP (Unique Selling Point) kommunizieren.

Plausibilität ist oft wichtiger als alle Empirie

Man könnte auch etwas zynischer schlussfolgern: Je nach dem, wer gerade in der Marktforschung ein Thema untersucht, kommt etwas anderes dabei heraus. Und noch zynischer: Was immer dabei herauskommt, ist ziemlich egal. Man muss sowieso noch einmal nachprüfen, ob da überhaupt etwas dran ist. Und am zynischsten: Am besten, man kümmert sich um Forschungsergebnisse nur dann, wenn sie in der Sache einigermaßen plausibel sind und mit der allgemeinen Lebenserfahrung übereinstimmen. Und am allerzynischsten: Wer jetzt die Frage in sich selbst aufkeimen spürt, wozu die ganze Marktforschung überhaupt da ist, darf versichert werden, dass er auf dem richtigen Weg ist.

Das beste Erfolgsrezept für einen wirksamen Werbespot ist ein klarer, für den Verbraucher relevanter Produktnutzen. Ein echter eigenständiger Produktnutzen eines einzigen Produkts, der sich von dem aller vergleichbaren Produkte markant unterscheidet, ist allerdings so selten wie die Blaue Mauritius.

Da die Produkte aus ihrer objektiven Beschaffenheit wenig Raum zur Differenzierung bieten, ist werbliche Kommunikation im Prinzip der Königsweg, um aus austauschbaren Produkten eigenständige Markenpersönlichkeiten zu schaffen.

Dafür muss allerdings auch die Werbung von origineller Qualität sein. Werbung, die einfallslos auf abgedroschene Klischees zurückgreift, wie schöne Frauen oder jene ausgelutschte Lifestyle-Atmosphäre für Süßwaren, Kosmetik, Lebensmittel und dafür fast alles strapaziert, was sich an jugendliche Zielgruppen richtet, kann nur scheitern.

Bei der Analyse der Likeability empfiehlt es sich also zu fragen: Dramatisiert das, was gefällt, effektiv einen spezifischen Markenwert oder eine spezifische Markenwelt. Oder sind es weitgehend exekutionale Elemente wie schöne Musik, nette Darsteller, süße Hunde, niedliche Kinder oder ein generischer Lifestyle? Das bloße Wortgeklingel und das stylige Bildgehampel allein nützen auch dann nichts, wenn sie den Konsumenten noch so gut gefallen.

Abgesehen davon liegt der Annahme, Werbung, die den Leuten gefällt, sei auch verkaufswirksam, ein logischer Fehlschluss zu Grunde, der in der Marktforschung weit verbreitet ist, immer wieder vorkommt und trotzdem recht peinlich für die Angehörigen einer Branche ist, die so viel Wert auf ihr Denkvermögen legt.

Wenn verkaufswirksame Werbung den Leuten gefällt, bedeutet das noch lange nicht, dass alle Werbung, die den Leuten gefällt, auch verkaufswirksam ist. Das sind nun einmal von der Logik her zwei Paar Schuhe.

Komisch, bei anderen Zusammenhängen erkennt das jeder sofort: Ohne Zweifel ist richtig, dass alle Mütter Frauen sind. Aber kein Mensch würde daraus den Umkehrschluss ableiten: Alle Frauen sind Mütter. Es sei denn, er ist Marktforscher …

Wolfgang J. Koschnick gilt in Deutschland, Österreich und der Schweiz als einer der bestinformierten Kritiker der internationalen Werbeforschung und Werbung. Er hat über 50 anerkannte Nachschlagewerke aus dem weiten Feld von Marketing, Management, Marktkommunikation, Werbe- und Mediaplanung, Markt-, Media- und Sozialforschung geschrieben, mit denen mehrere Generationen von Nachwuchswerbern, Marketingexperten, Werbe- und Mediaforschern ausgebildet werden. Dabei bewahrte er stets seine Unabhängigkeit und eine gewisse Streitbarkeit. Bei Bedarf legt er sich mit Werbungtreibenden, Werbern, Werbeagenturen und sonstigen Interessenvertretern ohne Ansehen der Personen, Organisationen und Institutionen an.


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