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Was hilft es, nur Freihandelsverträge anzuprangern?

Bild: Ursula Horn/CC-BY-SA-3.0

Seltsam unterbelichtet: Der ausufernde Fernhandel ist ein ökologisches Desaster. Dabei könnte uns weniger Handel sogar glücklicher machen

Eindeutig auf der Gewinnerseite der Globalisierung stehen Maersk, MSC, CMA-CGM und Hapag-Lloyd. Die vier größten Containerschiff-Reedereien der Erde kommen aus Dänemark, der Schweiz, Frankreich und Deutschland und betreiben mehr Schiffe als die nachfolgenden 16 Reedereien zusammen. Wenn jemand von neuen Handelsabkommen wie TTIP und CETA profitiert, dann dieser Wirtschaftszweig - in dem es im Moment obendrein schlecht läuft.

Aufgrund riesiger Überkapazitäten im Containerfrachtverkehr [1] liefern sich die Reedereien einen desaströsen Preiskampf mit der Folge, dass der Transport eines Containers von Shanghai nach Nordeuropa im März 2016 zeitweise nur noch 212 Euro kostete [2]. Der Transport von 20.000 Kilogramm Gütern über 20.000 Kilometer war also billiger als eine reguläre Bahnfahrt zweiter Klasse von München nach Göttingen und zurück.

Durch ein ambitioniertes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA könnte sich der Handel laut ifo-Institut um bis zu 79 % erhöhen.1 [3] Das könnte helfen, die Preise im Frachtverkehr zu stabilisieren.

Wirklich teuer würde der Welthandel deshalb noch lange nicht, denn unabhängig von allen Überkapazitäten erzwingt der Konkurrenzkampf zwischen den Reedern billigste Standards. Man fährt unter Billigflagge (Panama, Liberia), was niedrigste Löhne, Steuern, und vor allem Umweltstandards möglich macht.

Als Treibstoff ist Schweröl mit einem Schwefelgehalt von bis zu 3,5 % zugelassen. Ein großes Containerschiff verbrennt davon ca. 200 Tonnen am Tag. Somit pustet ein Schiff täglich bis zu sieben Tonnen Schwefeldioxid (SO2) zum Kamin hinaus. Zum Vergleich: Auf Deutschlands Straßen werden täglich 150.000 Tonnen Benzin und Diesel verbrannt. Dieser Treibstoff darf maximal 0.001 % Schwefel enthalten, weshalb in 24 Stunden ca. drei Tonnen Schwefeldioxid in die Umwelt gelangen. D.h.: Ein einziges großes Containerschiff emittiert mehr als die doppelte Menge SO2 wie die komplette KfZ-Flotte Deutschlands, täglich. 20 Containerschiffe pusten so viel SO2 in die Atmosphäre wie sämtliche Autos der Erde zusammen.2 [4]

Auf unseren Weltmeeren verkehren aber über 9000 Containerschiffe, hinzu treten hunderte Kreuzfahrtschiffe und zehntausende weitere Handelsschiffe. Die Weltgesundheitsorganisation geht von bis zu 60.000 zusätzlichen Todesfällen durch diese schwimmenden Müllverbrennungsanlagen aus, nebst vielen weiteren Umweltbelastungen wie dem fischohrenbetäubenden Unterwasserlärm, der den Lebensraum etwa des Buckelwals bereits um 90 % reduzierte.3 [5] Oder die Verschleppung von Meerestieren in fremde Weltgegenden in Salzwassertanks, die Frachtschiffe bei zu geringem Gewicht stabilisieren und je nach Bedarf in Häfen geflutet und auf der anderen Seite des Globus wieder geleert werden. Bereits diese Aufzählung legt nahe: Wir brauchen weniger, nicht mehr Freihandel.

Die Seeschifffahrt ist jedoch vor allem eines: weit weg. Um sie uns stärker ins Gedächtnis zu holen, sollten Umweltbewegte nebst Braunkohletagebauen ebenfalls Containerhäfen blockieren. Nicht nur um den Blick auf die ökologischen Folgen der Globalisierung zu lenken, sondern gleichzeitig, um eine Institution ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren, die eine sauberere Schifffahrt maßgeblich blockiert: Die Internationale Schifffahrtsorganisation IMO. Sie wird von ihren Mitgliedsländern abhängig von deren Flottengröße finanziert.4 [6] Folglich sind die Hauptgeldgeber genau die Billigflaggenländer Panama, Liberia, die Bahamas und die Marshall-Inseln. Und damit diejenigen Länder, die den höchsten Nutzen aus niedrigen Standards ziehen.

Die Wirkung dieser Konstruktion erinnert an die Weltfinanzmärkte, wo Steueroasen und Schattenfinanzzentren Großbanken bereichern und die Budgets vieler Staaten aufbessern und so eine wirksame weltweite Regulierung verhindern. Es erinnert auch an die ewig scheiternden globalen Klimakonferenzen: Geringe Umweltstandards nutzen Unternehmen und im Standortwettbewerb gefangenen Staaten gleichermaßen - wie können wir annehmen, sie könnten Verfechter beim Kampf für eine enkeltaugliche Welt werden?

Reeder - Großbanken - Energiekonzerne: Die Kontrolleure und Regulierer der Wirtschaftsunternehmen sind in Interessensgegensätze und Konkurrenzverhältnissen gefangen, die ein Umsteuern beinahe unmöglich machen.

Die Gegensätze werden mit TTIP, CETA, TiSA, TPP etc. sogar weiter ausgebaut. Immer reibungsloserer, grenzüberschreitender Handel hat zur Folge, dass immer kleinere nationale Veränderungen der Rahmenbedingungen immer relevantere Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmen, bzw. eines Standortes haben. Nationale Vorreiterrollen oder Alleingänge werden immer unwahrscheinlicher und demokratische Gestaltung unmöglich.

Den Freihandel überwinden heißt, den Standortwettbewerb überwinden

Die gegen die Freihandelsabkommen engagierten Bündnisse haben sich aus gutem Grund zunächst auf die Innereien der Verträge konzentriert: Verbraucherschutz - wird bedroht. Konzernklagerechte - bringen den Konzernen weitere Vorteile und keine Pflichten. Regulatorische Kooperation - hebelt demokratische Gestaltungsmöglichkeiten aus. Und so weiter. Nur so konnte die Öffentlichkeit gewonnen werden, nun gilt es allerdings, Fragen nach der zukünftigen Form unseres Wirtschaftens zu stellen.

In Bezug auf die Freihandelsideologie gehören dazu: Wie ist die Globalisierung zu gestalten, damit die in den Freihandelsverträgen kritisierten Themen nicht in einigen Jahren wieder auf dem Programm stehen, selbst wenn die Verträge scheitern? Und wie lässt sich der weltweite Standortwettbewerb (bzw. das Welthandels- und Finanzsystem) so gestalten, dass nicht erst ein weltweiter Gleichschritt ökologische oder soziale Entwicklungen ermöglicht?

Dies alles ist Voraussetzung dafür, dass ein Umbau der Wirtschaft zu einer nahezu emissionsfreien Kreislaufwirtschaft überhaupt denkbar wird. Denn allen Sonntagsreden zum Trotze gilt: Umweltschutz, sozialer Ausgleich und demokratische Mitbestimmung sind höchstens ausnahmsweise kurzfristig ökonomisch effizient. Diese marktfremden aber dringend notwendigen und von vielen Bürgern auch gewünschten Elemente unserer Gesellschaftsordnung müssen gegen starke Interessensgruppen durchgesetzt werden. Jede enkeltaugliche Gestaltung der Globalisierung wird die Macht dieser auf kurzfristige Profite hin orientierten Interessensgruppen beschneiden, also immer zu Konflikten führen und soziale Kämpfe heraufbeschwören.

Am kurz vor der Ratifizierung stehenden europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen CETA lässt sich beobachten, wie auf den stetig wachsenden Druck aus der Bevölkerung reagiert wird: Mit dem Vermeiden demokratischer Prozesse mittels verfahrenstechnischer Tricks wie z. B. der "Vorläufigen Anwendung" oder dem Übergehen der Länderparlamente ("Vorläufige Anwendung" mit völkerrechtlichen Verpflichtungen [7]). Bleibt zu hoffen, dass ältere Aktionsformen wie das "Volksbegehren gegen CETA" [8] in Bayern und neuere Aktionsformen wie der "CETA-Check" [9] in Verknüpfung mit inzwischen zwei [10] Verfassungsklagen [11] dazu beitragen, den Druck auf die Parlamentarier soweit zu erhöhen, dass sie weder demokratische Gepflogenheiten über Bord werfen, noch den Freihandelsabkommen zustimmen werden.

Freihandel wird aktuell weder von Seiten der Politik noch der Wirtschaft damit begründet, dass es bestimmte Produkte bei uns nicht gibt oder dadurch die Vielfalt messbar erhöht würde. Angeführt wird vor allem das Mantra der Wirtschaftswissenschaften, dass wir möglichst große Märkte brauchen, auf welchen möglichst viel Konkurrenz herrschen möge, damit mehr Innovationen zu neuen Produkten führen, wachsende Absatzzahlen die Produkte verbilligen und so Wachstum und Wohlstand gesteigert werden.

Diese Begründung ist enorm wirkmächtig, jedoch außerordentlich schwach: Sie setzt Wohlstand mit Einkommen gleich und stellt ökonomische Bedürfnisse über soziale. Menschen in Ländern ab einem durchschnittlichen Einkommen von ca. 15.000 $ werden nicht mehr relevant glücklicher, wenn deren BIP weiterhin wächst5 [12], vor allem wenn gleichzeitig die Ungleichheit zunimmt, weil der Staat immer geringere finanzielle Möglichkeiten zur Umverteilung hat oder haben will.6 [13]

Denn der Standortwettbewerb erhöht den Druck auf Gesellschaften, Steuersenkungen, Standardsenkungen und Lohnsenkungen gut zu heißen - zugleich dient die wachsende Schar armer Menschen als Rechtfertigung für die Notwendigkeit immer billigerer Produkte.

Wenn Äpfel ums Eck gedeihen, müssen neuseeländische Importe ausgesperrt werden dürfen

Deshalb ist es auch nicht weiter bedauerlich, wenn uns auch der ökologische Zustand des Planeten dazu zwingt, ein Wirtschaftssystem zu schaffen, das den Welthandel auf das Notwendigste reduziert. Die Aufgabe der Ökonomen könnte darin bestehen, hierfür die materiellen Wohlstandsverluste zu minimieren. Zukünftig werden wir, anstatt Autos oder Käse um die Welt zu schippern, eher die Konstruktionspläne und Rezepte austauschen.

Wenn Äpfel ums Eck gedeihen, müssen neuseeländische Importe ausgesperrt werden dürfen. Was schnell hingeschrieben ist, stellt jedoch eine völlige Verkehrung der herrschenden Freihandelsideologie dar und bedeutet, dass nicht mehr der Produktivste, der Billigste gewinnen darf, sondern der zu einer Region am besten Passendste das Rennen macht - und andere Anbieter durchaus benachteiligt werden dürfen.

Nach welchen Maßstäben das entschieden wird, wird sich von Branche zu Branche unterscheiden. So werden Nahrungsmittel in Freihandelsabkommen vermutlich nichts mehr verloren haben. Denn Ernährungssicherheit muss auch in Krisensituationen gewährleistet sein, hierfür sind regionale Versorgungsstrukturen deutlich besser geeignet als deregulierte Weltmärkte. Wie genau, das mögen die Menschen vor Ort entscheiden.

Glücksforscher weisen [14] unisono darauf hin, dass Menschen, die sich an politischen Prozessen beteiligen und ihre Gesellschaft mitgestalten können, glücklicher sind - auch deshalb sollten wir dafür einstehen, das gegenwärtige Freihandelsregime zu beenden. Das wird die Reeder nicht freuen, doch nicht nur die Bewohner der Weltmeere würden es uns danken.


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[6] https://www.heise.de/tp/features/Was-hilft-es-nur-Freihandelsvertraege-anzuprangern-3380212.html?view=fussnoten#f_4
[7] https://www.heise.de/tp/features/Vorlaeufige-Anwendung-mit-voelkerrechtlichen-Verpflichtungen-3369742.html
[8] http://www.volksbegehren-gegen-ceta.de/
[9] https://stop-ttip.org/de/cetacheck/
[10] https://www.change.org/p/b%C3%BCrgerklage-gegen-ceta
[11] https://www.mehr-demokratie.de/ceta-verfassungsbeschwerde.html
[12] https://www.heise.de/tp/features/Was-hilft-es-nur-Freihandelsvertraege-anzuprangern-3380212.html?view=fussnoten#f_5
[13] https://www.heise.de/tp/features/Was-hilft-es-nur-Freihandelsvertraege-anzuprangern-3380212.html?view=fussnoten#f_6
[14] http://www.nzz.ch/feuilleton/macht-demokratie-gluecklich-1.18042453