Was ist eigentlich ein "Kriegsverbrechen"?
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- Auch ein Verbrechen: Wer die Geschäfte stört
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In Kriegen gehen Staaten mit allen Mitteln der Gewalt gegeneinander vor. Ein Verbrechen ist das nicht per se. Es kommt darauf an, wer sie zur Anklage bringt. (Teil 1)
Was haben William Calley, Charles Taylor und Radovan Karadzic gemeinsam? Sie zählen zu den bekannteren Personen der Kategorie "verurteilte Kriegsverbrecher". Sie verübten ihre Taten im Vietnam-Krieg (My Lai) sowie in den Bürgerkriegen in Liberia (Kindersoldaten und Blutdiamanten) und Jugoslawien (Srebrenica).
Und was vereint Lyndon B. Johnson, Leonid Breschnew, Bill Clinton, Saddam Hussein, George W. Bush und Barack Obama? Sie sind verantwortlich für Angriffe auf zivile Ziele, für Verstöße gegen das Völkerrecht, für den Einsatz von Napalm, Giftgas, Streumunition, Drohnen und vielen weiteren verheerenden Waffen – in Vietnam, in Afghanistan, in Jugoslawien und im Irak. Aber als Kriegsverbrecher wurden sie nie angeklagt, warum?
Die jeweiligen Oberbosse der Staaten haben Krieg geführt, kein anderer Oberboss wollte sie für Vorkommnisse dabei belangen, und aufgrund ihrer Macht wäre das auch schwierig geworden. Wer hätte US-Präsident Johnson für den Abwurf von Millionen Tonnen Bomben auf Nordvietnam vor ein Tribunal zerren können?
Wer Leonid Breschnew, den Generalsekretär der sowjetischen KPdSU, für den Einmarsch in Afghanistan?
Wer Bill Clinton für seine Entscheidung, Serbien mit Luftschlägen auf das ganze Land zur Aufgabe im jugoslawischen Bürgerkrieg zu zwingen?
Wer Saddam Hussein, als er Giftgas im Krieg gegen den Iran einsetzte? Zumal er damals, in den 1980er-Jahren, in den Augen des Westens noch nicht als Chef eines "Schurkenstaats" galt.
Das kam erst rund zwanzig Jahre später: Wegen biologischer Massenvernichtungswaffen, die es nie gab, und vermeintlicher Unterstützung von islamistischen Terroristen, die es auch nie gab, überfielen die USA den Irak.
Das waren vorgeschobene Gründe, um gegen einen unbotmäßigen Staat vorzugehen. Wer hätte George W. Bush dafür "Kriegsverbrecher" nennen und ihn vor Gericht bringen können – oder Barack Obama wegen seines Drohnen-Kriegs in Afghanistan?
Bei "Guten" gibt es keine Kriegsverbrecher – Ausnahmen bestätigen die Regel
Andererseits gab es die Nürnberger Prozesse gegen einige führende deutsche Nationalsozialisten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ein Militärgericht verurteilte William Calley, ein Sondergerichtshof der Vereinten Nationen (UN) Charles Taylor und das UN-Kriegsverbrechertribunal Radovan Karadzic.
Über die Nazis hielten die alliierten Mächte USA, Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich Gericht. Sie setzten damit ihren Sieg im Krieg gegen Deutschland und seine Verbündeten ins Recht. Dass auch auf ihrer Seite Taten in die Kategorie "Kriegsverbrechen" fielen, etwa die Bombardierung von Dresden, war deshalb kein Thema.
Der Einsatz von US-amerikanischem Militär in Vietnam galt der Verteidigung der "Freiheit" gegen den "Kommunismus", so die vorherrschende westliche Lesart. Verbrechen der "Guten" konnte und durfte es somit gar nicht geben. Als sie dann doch bekannt wurden, trotz Anstrengungen, sie zu vertuschen, regelten die USA das intern. Ein internationales Tribunal, das US-Soldaten anklagt, kam für die Weltmacht Nr. 1 nicht in Frage – und kommt es bis heute nicht.
Der "Guten"-Bonus wirkte sich auch auf die Verfolgung und Bestrafung bekannt gewordener Täter aus. So verurteilte zwar 1971 ein Militärgericht den Offizier William Calley wegen vorsätzlicher Tötung von 22 Zivilisten im vietnamesischen Dorf My Lai.
Seine lebenslange Haftstrafe kürzte die Armee wenig später auf 20 Jahre, dann auf zehn Jahre. Drei Jahre nach dem Urteil wurde Calley begnadigt. Die landesweiten Proteste gegen seine Verurteilung, unter anderem angeführt vom späteren US-Präsidenten Jimmy Carter, hatten Wirkung gezeigt.
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