Was ist russische Propaganda und welchen Einfluss hat sie?

"Guten Tag, wir wollen mit Ihnen über die Bibel reden!" - Ganz so machen sie es nicht. Foto: The Russian Presidential Press and Information Office / CC BY 3.0

Russische Propaganda bedient in Deutschland hausgemachte Bedürfnisse. Wie unterscheidet sie sich von Meinungsäußerungen, die einfach nur nicht dem politisch-medialen Mainstream entsprechen?

Propaganda ist ein gefährlicher Begriff, da die Unterstellung von Propaganda auch als Totschlagargument für abweichende Meinungen missbraucht werden kann, um unliebsame Diskussionen zu vermeiden. Das gilt umso stärker bei Themen im Zusammenhang mit Russland, die polarisieren. Hier sind solche Vorwürfe schnell bei der Hand.

Das betrifft nicht nur große deutsche Medien, wenn sie etwa zu Stimmen, die einen Waffenstillstand fordern, den Vorwurf machen, jemand sei "Putins Propaganda auf den Leim gegangen". Sondern auch die Gegenseite, Konsumenten diverser Alternativmedien, die Journalisten nicht glauben wollen, dass sie schreiben, wovon sie überzeugt sind, sondern ihnen "Nato-Propaganda" gegen Russland unterstellen.

Echte Propaganda ist real - auch russische

Propaganda gibt es unzweifelhaft und auch ganz konkret aus Russland. Der russische Trollfabrik-Chef und Söldnerführer Jewgenij Prigoschin gab jüngst ganz persönlich zu, dass seine Einrichtung versucht hat, die jüngsten US-Wahlen zu beeinflussen.

Wir haben uns eingemischt, wir mischen uns ein und wir werden uns einmischen. Sorgfältig, präzise, chirurgisch und auf unsere Weise.


Jewgeni Prigoschin, Kremlnaher Oligarch

Spätestens dann ist nur noch der Propaganda-Begriff treffend, wenn nicht nur Meinung und Information vermischt, sondern Fake News verbreitet werden. Und das zur Beeinflussung der Stimmung in einem anderen Land. Von russischer Propaganda in Mitteleuropa muss man reden, wenn inzwischen sehr extreme Meinungen der russischen Regierung offen und ungeprüft als "Wahrheit" verbreitet werden. Mit dem Ziel, damit den deutschen Diskurs zu beeinflussen.

Etwa, wenn suggeriert wird, dass es okay oder gerechtfertigt ist, sein Nachbarland mit einer Militärinvasion zu überfallen oder der Angriff auf annektierte und von den Ukrainern zurückeroberte Gebiete eine "Befreiung" sei, wie das RT DE ausdrückt.

Solche Feldzüge erlebt die Mehrheit der dortigen Bevölkerung etwa im Fall der Region Cherson ganz anders. Prorussische Parteien spielten dort nie eine große Rolle, die Mehrheit der Einheimischen sind keine russischen Muttersprachler. So ist hier schon "Befreiung" als Begriff Fake-News und Desinformation.

Studien zum Thema Propaganda und ihre Schwächen

Russische Propaganda ist ein großes Thema in der deutschen Öffentlichkeit. Über eine kürzliche Studie des Instituts CeMAS zu ihrer Wirkung haben nahezu alle großen deutschen Medien berichtet, meist ohne die Aussagen zu hinterfragen.

Sie diagnostiziert eine Zunahme des Glaubens an Verschwörungserzählungen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Gemeint ist etwa die Behauptung, Russland habe in Kiew eine "faschistische Regierung" beseitigen müssen, was immerhin neun Prozent der Befragten ganz und 15 Prozent teilweise glauben.

Die Schwäche der Studie ist jedoch, dass sie auf die Quellen für solche Erzählungen nur unzureichend eingeht und sie unbestimmt und konsequent in Moskau verortet. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit solche Meinungen eine deutsche Eigenproduktion sind, etwa aus dem Umfeld der AfD oder von Akteuren der Querfront, wie Ken Jebsen oder einschlägigen Telegram-Kanälen.

Diese Akteure existieren nicht, weil der Kreml sie geschaffen hat, sondern durch politische Verhältnisse in Deutschland. All diese Leute bewegen sich dabei in einer relativ abgeschlossenen Blase von Konsumenten, die von den klassischen Medien nicht mehr erreicht wird.

Als Beleg für den "original"-russischen Ursprung der Meinungen nennt CeMAS eine Reihe von Fake-Newstiteln, die im Rahmen einer Kampagne mutmaßlich von der Sankt Petersburger Trollfabrik, also Prigoschins Unternehmen, ins Leben gerufen wurden. T-online hat diese Kampagne untersucht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren all diese Fake-Medien jedoch bereits wieder offline.

Hier sind die Watchdogs des Westens sehr aktiv und hellhörig, der Facebook-Konzern Meta zog nach Hinweis von T-online sofort "Spezialisten aus der Konzernzentrale" hinzu. So ist es zweifelhaft, ob über solche Kampagnen "Made in St. Petersburg" vor ihrer Aufdeckung wirklich derart breite Zustimmungswerte für Propagandathesen erzeugt werden können.

In Sankt Petersburg selbst gilt die Trollfabrik auch als bei weitem nicht so effektiv wie bei deutschen Journalisten. Ein Aussteiger berichtete 2017 der oppositionellen Onlinezeitung Bumaga.

Ich dachte damals und denke noch immer, dass diese Aktivitäten [der Trollfabrik] in Wirklichkeit überhaupt keine Ergebnisse bringen. Das worauf die Geldgeber hoffen. Niemand glaubt unseren Beiträgen: Weder wir selbst noch andere. Trolle streiten mit Trollen. Mir scheint, dass die überwiegende Mehrheit solchen Kommentaren einfach keine Beachtung mehr schenkt.


Trollfabrik-Aussteiger gegenüber Bumaga am 17. April 2017

Prorussische Blogger als ungefilterte Verbreiter

Es fragt sich, ob eine so arbeitende Einrichtung, deren Produkte im Netz schnell aufgedeckt und eliminiert werden, wirklich eine so große Wirkmacht hat, wie deutsche Institute oder Journalisten glauben. Effektiver als Petersburger, die in "Sozialen Medien" unmotiviert posten, sind jedoch Überzeugungstäter, die wirklich von der russischen Propaganda durchdrungen sind und sie als "Gläubige" mit Überzeugung weiter verbreiten.

Nach den weitgehenden Sperren deutschsprachiger russischer Staatsmedien zum Kriegsbeginn wurden hier Blogger wie Alina Lipp oder Thomas Röper, beide mit russischem Standort, in der einschlägigen Szene beliebter.

Sie verkaufen sich als unabhängig und tatsächlich ist es noch keinen Enthüllungsbericht zu ihnen gelungen, ihnen eine direkte staatlich-russische Finanzierung nachzuweisen. Gute Kontakte zum regierungsnahen Establishment sind jedoch belegt, etwa Einladungen zu Talkshows auf staatlichen TV-Kanälen, mit denen sie selbst prahlen.

Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung, hält es bei ihrer Einsortierung als Propagandisten für nicht zentral wichtig, ob auch ihre Finanzierung aus dem russischen Staatshaushalt erfolgt.

Ich muss für mich nicht beweisen, ob sie im amtlichen Auftrag handeln oder selbstständige Akteure sind. Sie machen identische Sachen wie diese. Ohne den vielfältigen Content, den sie von der russischen Staatspropaganda bekommen, wären sie wohl kaum so reichweitenstark. Man kann als Einzelkämpfer nicht so viel machen, ist nur ein Kristallisationspunkt von bereits bestehenden Halbwahrheiten und alternativen Fakten.


Alexey Yusupov gegenüber Telepolis

Yusupov kritisiert an diesen Bloggern vor allem, dass sie alles in ihren Content ungeprüft übernehmen, was zur eigenen Meinung passt. Tatsächlich belegen das zahlreiche Artikel von Thomas Röper, dem Autor des Blogs unter dem Namen "Antispiegel".

Mehrfache blinde Kreml-Übernahme

So übernahm er im März ohne weitere Recherche die Behauptung russischer Staatsmedien, ein mutmaßlich russischer Angriff auf eine Geburtsklinik im ukrainischen Mariupol sei ein Fake und die prominent auf Videomaterial zu sehende hochschwangere Beauty-Bloggerin Marianna Wischemirskaja eine Schauspielerin.

Im April änderte er diese Darstellung analog zu den russischen Staatsmedien auf eine "unfreiwillige Mitwirkung" besagter Marianna in einer ukrainischen Täuschung, bei der von Kiewer Truppen künstlich Explosionen herbeigeführt wurden, um einen russischen Angriff vorzutäuschen.

Eigene Recherchen oder Gesprächsversuche von Röper mit Augenzeugen gab es nicht, nur eine pure Übernahme dessen, was er in Sankt Petersburg im russischen TV sieht. Dabei war die besagte Augenzeugin zu diesem Zeitpunkt, Marianna Wischemirskaja selbst, auf russisch besetzten Gebiet und für Journalisten erreichbar, wie ein kurz darauf folgendes Interview der Münchner Abendzeitung zeigt.

Dort sagt sie aus, dass sie zum Ursprung des Angriffs einfach keine Aussage machen könne und nur, im getroffenen Haus befindlich, Explosionen gehört habe. Von ihrer Stadt sei fast nichts mehr übrig. Da dafür der russische Angriffskrieg die eigentliche Ursache ist, sind dies Informationen, an denen Röper auch nicht interessiert ist. Er druckte nur genau den in den Staatsmedien gekürzt veröffentlichten Ausdruck eines O-Tons der Betroffenen.

Alexey Yusupov sieht die Rolle von Akteuren wie Röper oder Lipp als Propagandisten, da sie weniger Urheber, als vielmehr ungeprüfte Verbreiter regierungsnah russischer Nachrichten auf deutsch sind. Hier spielt es also keine Rolle, ob RT.DE selbst ausstrahlt oder Dinge von willigen Helfern weitergereicht werden.

Ihre Popularität rührt dabei auch von viel medialer Öffentlichkeit, die ihnen "Enthüllungsartikel" großer deutscher Medien verschaffen, was sie erst interessant werden lässt für die, die diesen Medien in Deutschland ganz ohne russischen Zutun misstrauen.

Kreml-Einfluss auf die "russische Community"?

Auch den häufigen Vorwurf, die russischsprachige Community trage Kreml-Meinungen nach Deutschland, hält Yusupov für zu pauschal. Er missachte, wie vielfältig die aus Russland kommenden Einwanderer nach Deutschland sind: Spätaussiedler, russische Juden, ethnische Tschetschenen und aktuell sogar Flüchtlinge vor dem Regime Putin, die es schaffen, die Mauer der östlichen EU-Staaten für die Einreise von Russen zu überwinden.

Alleine schon bei den Spätaussiedlern muss man genau differenzieren. Ein wesentlicher Teil dieser Einwanderer sind Russlanddeutsche, oft mit religiösem Hintergrund, die ihre deutsche Identität nie aufgegeben und sich nach ihrer historischen Rückkehr nach Deutschland von nahezu allen Bezügen nach Russland losgesagt haben.

Eine weitere Subgruppe sind die "Musteraussiedler", sie sind inzwischen sehr gut in Deutschland integriert, von der Bildung und dem Beruf. Sie sind kaum zu identifizieren. Und dann gibt es dann noch die, zu denen die Journalisten immer hin fahren, zum Mixmarkt in Marzahn und daraus dieses Bild für eine Gesamtcommunity konstruiert.


Alexey Yusupov gegenüber Telepolis

Von diesem weniger integrierten Teil der Migranten aus Russland konsumiert laut Yusupov vor allem der ältere Teil auch russische Fernsehen. Er bekomme dadurch einen anderen Eindruck vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als andere Bevölkerung. Hier fragt es sich aber, wie viel Einfluss solche wenig integrierten, älteren russischen Einwanderer auf den gesellschaftlichen Dialog in Deutschland haben.

So ist der Einfluss russischer Propaganda auf die Gesamtbevölkerung nicht so groß, wie oft dargestellt wird. Wenn Verschwörungstheorien in der deutschen Bevölkerung nicht nur zu Russland-Themen auf fruchtbaren Boden fallen, so muss die Ursache dafür nicht immer in Moskau liegen. Vielmehr vermutet Alexey Yusupov die Ursache für den Erfolg russischer Propaganda in Deutschland hier im Land selbst.

Das sind unterschiedliche Milieus von Deutschen, die aus ganz verschiedenen Richtungen kommend sehr skeptisch gegenüber den Medien, vor allem den öffentlich-rechtlichen, sagen wir dem Medien-Mainstream sind. Hier wird eine Nachfrage sehr gut befriedigt, die es schon vorher gegeben hat. Sie werden auf effektiven Wegen erreicht.


Alexey Yusupov gegenüber Telepolis

Propagandavorwurf soll keine Diffamierungswaffe sein

Erreicht werden sie nicht nur von Inhalten der russischen Regierung. Der im "Querdenker"-Milieu sehr populäre frühere Journalist Boris Reitschuster galt in seiner aktiven Zeit in Moskau als sehr Russlandkritischer Korrespondent - bedient jetzt aber trotzdem dasselbe Publikum wie RT.DE oder Ken Jebsen.

Generell ist angesichts der russischen Ukraine-Invasion und der zunehmend totalitären Wirklichkeit Russlands die Verbreitung von russischer Regierungspropaganda zu verurteilen, wenn nicht zu bekämpfen. Dabei darf es aber nicht dazu kommen, dass "zu russlandfreundliche" Diskussionsteilnehmer in den Topf "Kreml-Propaganda" geworfen werden.

So etwas geschieht beispielsweise häufig mit der früheren ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz, die sich gegen eine Verengung des Meinungsspektrums ausspricht, sich mit gerichtlichen Schritten gegen eine Kritikerin an ihren eigenen Thesen jedoch ein böses Eigentor geschossen hat.

Dennoch ist ihre Meinung keine "Kreml-Propaganda", wie ihr die besagte Kritikerin, vorwirft. Krone-Schmalz war in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren in Russland, als das deutsch-russische Verhältnis und auch die russische Gesellschaft noch völlig anderes waren als heute.

Für den Erhalt dieses guten Verhältnisses setzte sie sich danach lange auf Konferenzen des "Petersburger Dialogs" ein. Während sie dort mit russlandfeindlichen Deutschen hart ins Gericht ging, verpasste sie jedoch weitab von der russischen Realität die ebenfalls unerfreulichen Entwicklungen in Russland selbst, verteidigt sie bis heute mehr, als sie zu benennen. Das sollte jedoch Gegenstand einer sachlichen Kritik sein und nicht einer Diffamierung.

Wo es sich tatsächlich um russische Desinformation handelt, sollte dies benannt werden – es sollte aber keine "Hexenjagd" auf "zu prorussische" Akteure stattfinden. Sonst nähert sich der deutsche Diskurs an das an, was in Russland leider Realität ist: Wer nicht unkritisch dem eigenen Regierungskurs folgt, ist ein Agent des Feindes.