Wehe, wenn das Klima kippt

Regenwald in Guyana. Bild: Ronan Liétar / CC-BY-SA-4.0

Der Klimavertrag von Paris soll den Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen. Warum eigentlich? Eine Betrachtung in drei Teilen, Teil 1: Die Wälder der Erde

Das hatten selbst eingefleischte Optimisten nicht erwartet: Die Marshallinseln setzten sich 2015 auf der Klimakonferenz COP 21 in Paris durch. "Das ist die wichtigste Reise meines Lebens", erklärte damals Tony de Brum, Außenminister des Kleinstaates im Pazifik: "Komme ich ohne Vertrag zurück, ist das für mich eine persönliche Niederlage."

Allerdings sprach der Außenminister 2015 nicht nur für sich oder die 53.000 Marshaller. Tony de Brum führte die "Koalition der Ehrgeizigen" an, ein Staatenbündnis, das die Klimaerwärmung bis Ende des Jahrhunderts nicht auf zwei Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen will, sondern auf 1,5 Grad. De Brum: "Zwei Grad durchschnittlicher globaler Erwärmung sind einfach zu viel für uns."

Bis dahin galt das Zwei-Grad-Ziel als Maß aller Dinge im weltweiten Klimaschutz: Die Wissenschaft hat 16 potenzielle Kippelemente ausgemacht, die bei mehr als zwei Grad den Menschen machtlos gegen die Klimaerhitzung machen. Einmal in Gang gesetzt, können die angeschobenen Prozesse nicht mehr aufgehalten werden. Millionen Tonnen Treibhausgase, die heute noch in der Natur gespeichert sind, werden dann freigesetzt. Wie von selbst heizen sie die Erde weiter an, ohne dass dagegen etwas unternommen werden könnte.

Zum Beispiel die großen Wälder der Erde: Geografisch ist der Amazonas zwar sehr weit entfernt. Und doch hat der Zustand des weltgrößten Regenwaldes unmittelbare Auswirkungen auf unsere persönliche Zukunft. Denn der Amazonas speichert in den Bäumen und kohlenstoffreichen Böden bis zu 200 Gigatonnen Kohlendioxid – so viel, wie die gesamte Menschheit in etwas mehr als vier Jahren produziert.

Wie eine von der Sonne angetriebene Umwälzpumpe

Wegen der starken Sonnenintensität am Äquator und der Feuchtigkeit des Waldes verdunstet dort sehr viel Wasser, es bilden sich Wolken. "Diese regnen dann im Flachland und an den Hängen der Anden wieder ab und versorgen den Regenwald so mit neuem Wasser", sagt Christopher Reyer, Waldexperte am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK).

Eigentlich ein sich selbst erhaltendes System, eine Art Umwälzpumpe, angetrieben von der Sonnenenergie. Steigt aber die mittlere weltweite Temperatur um mehr als zwei Grad, gerät der Amazonaswald in Hitzestress, was seine Fähigkeit zur Wasserverdunstung einschränkt. Weniger Verdunstung bedeutet weniger Regen, bedeutet weniger Wasser zur Versorgung des Systems Amazonas. Trockenstress ist die Folge, ein Teufelskreis, der schließlich dazu führt, dass der Regenwald stirbt und den gespeicherten Kohlenstoff wieder freigibt.

Das heizt den Klimawandel weiter an: "Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass allein das Absterben des Amazonaswaldes mindestens 0,3 Grad Celsius zur globalen Erwärmung beitragen könnte", sagt Reyer, wenngleich diese Zahl noch mit großen Unsicherheiten behaftet sei.

Statt die Atmosphäre zu entlasten, verursacht der geschädigte Wald dann zusätzlich Kohlendioxid. Würde die Deutschen dann anfangen, Kohlekraftwerke abzuschalten, wäre das für den Klimaschutz völlig effektlos: Die eingesparten Emissionen würden durch den sterbenden Wald am anderen Ende der Welt frei.

Nicht nur die artenreichen Regenwälder im Amazonasbecken stellen solch ein Kippelement dar, sondern auch die noch intakten Regenwälder Afrikas und Asiens. Und auch die borealen Wälder, also die im kalten Norden, speichern ungemein viel Treibhausgas.

"Steigende Temperaturen erhöhen das Risiko durch Feuer, Trockenheit und Stürme", sagt PIK-Experte Reyer, der als Projektleiter mit Kolleg:innen aus neun Ländern eine umfassende Studie über die Gefahren des Klimawandels für den Wald vorlegte. Ein geschwächter Wald ist gegenüber ganz natürlichen Störungen wie Insekten oder Pilzbefall stärker anfällig als ein gesunder. Christopher Reyer: "Sterbender Wald erzeugt Kohlendioxid, und dadurch wird die Erderwärmung weiter angeheizt."

Im vergangenen Jahr konnte man diese Theorie in der Praxis verfolgen: Nördlich des Polarkreises gab es 2020 neue Temperaturrekorde, Sibirien war besonders stark betroffen. Im kältesten bewohnten Ort der Welt, der Stadt Werchojansk in Jakutien, wurden im Juni 38 Grad gemessen. Normal sind dort im Juni sonst 18 Grad maximal.

Mit dramatischen Folgen: Wochenlang brannten die Wälder und setzten zusätzliches Kohlendioxid frei. Nach Erhebungen des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus gelangten durch die Feuer in der Taiga allein bis Ende August 244 Millionen Tonnen Kohlendioxid zusätzlich in die Atmosphäre.

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