Wehe, wenn das Klima kippt

Seite 2: Zwei Grad bieten nur zwei Drittel Sicherheit

Um zu den Marshallinseln und Tony de Brum zurückzukommen: Die Wissenschaft kann nur zu zwei Dritteln garantieren, dass solche Systeme bis zu einer Globalerwärmung von zwei Grad durchschnittlich stabil bleiben. "Wir wissen derzeit nicht, ob das Klimasystem sicher bei etwa zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau 'geparkt' werden kann", sagt beispielsweise Hans Joachim Schellnhuber, früher Direktor des PIK und einer jener Forscher, die ursprünglich dieses Zwei-Grad-Ziel in der Klimapolitik verankerten.

Deshalb gab es von Anfang an Kritiker dieser Zielmarke. Zum Beispiel Andreas Fischlin. "Wir verstehen das Klimasystem keineswegs bis in jede Einzelheit, es verbleiben Unsicherheiten, zum Beispiel bei den Rückkopplungen in der Vegetation", sagt der Schweizer Professor für Systemökologie, der am vierten Sachstandsbericht des Weltklimarat (IPCC) mitgewirkt hat.

Zwei Drittel Sicherheit bedeute, es bleibe mit der Zwei-Grad-Politik ein Risiko von 33 Prozent. Fischlin vergleicht das mit einem Bungee-Springer: "Würde der sich in die Tiefe stürzen, wenn die Gefahr, das Leben dabei zu verlieren, bei einem Drittel liegt?"

Eine neue Studie scheint nun zu belegen, dass der Amazonaswald unmittelbar vor dem Kippen steht: Ein Grund dafür ist die zunehmende Abholzung, in Brasilien ist sie in den letzten Jahren explodiert und erreichte 2020 ein Zwölf-Jahres-Hoch – eine fast zehnprozentige Steigerung zum Vorjahr.

Was das fragile Ökosystem im Amazonasbecken insgesamt bedroht: Regen fällt jetzt häufiger in massiven Schüben und löst Rekordüberschwemmungen aus. Gleichzeitig treten Dürreperioden stärker als früher auf und dauern länger an.

Zerstörung der Korallenriffe

Auch der "Regenwald der Meere" ist ein solches Kippelement, wenn auch ein sehr spezielles: Wegen ihrer Artenvielfalt werden die Korallenriffe so genannt, der IPCC erwartet, dass bereits bei einem Anstieg der globalen Temperatur um 1,5 Grad Celsius zwischen 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe verloren gehen, bei zwei Grad sogar 99 Prozent.

"Mit dramatischen Folgen für die Artenvielfalt und die Nahrungskette", sagt Mojib Latif, Professor am Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Weltweit sind nämlich eine halbe Milliarde Menschen von intakten Korallenriffen abhängig.

Vielerorts, etwa am australischen Great-Barrier-Riff oder in den Riffen vor den Malediven und den Seychellen, sind die Korallen bereits tot. Neben dem Hitzestress setzen ihnen auch die Ozeanversauerung, die Meeresverschmutzung und stellenweise auch der Tourismus zu,

Latif sagt: "Tot ist tot." Selbst wenn die Temperaturen später durch strengen Klimaschutz wieder sänken, würde es mehrere Tausend Jahre dauern, bis ein Korallenriff wieder herangewachsen ist.

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