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Welt in Fluten: 2023 war das Jahr der globalen Eisschmelze

"Fließender Autoverkehr": Am 28. Juli wurde die Provinz Fujian vom stärksten Taifun des Jahres heimgesucht, der starke Winde und sintflutartige Regenfälle mit sich brachte. Bild: Screenshot Evolution Crisis

Energie und Klima – kompakt: Gletscher, Eisschilde schmelzen schneller. Klimaschäden gehen in die Hunderte Milliarden. Über das weltweite Versagen der Politik.

Wenig Erfreuliches hatten die Klimawissenschaften 2023 zu berichten. Zu den vielen unangenehmen Nachrichten gehört, dass der Rückzug der Gletscher in den Hochgebirgen immer weitergeht, selbst am Mount Everest, worüber wir zu Beginn des Jahres berichtet hatten [1].

Die dadurch entstehenden Probleme sind vielfältig, auch wenn man von den drastischen Veränderungen für die Ökosysteme der Meere absieht. Das geringste davon ist noch der Beitrag zum Anstieg des Meeresspiegels, von dem wir aus Satellitenmessungen [2] wissen, dass er sich inzwischen knapp alle 20 Jahre verdoppelt [3].

Er beschleunigt sich also im raschen Tempo, aber das liegt vor allem daran, dass sich durch die Erwärmung das Wasser der Ozeane ausdehnt und im zunehmenden Maße daran, dass die Eisschilde auf Grönland und in der Westantarktis schrumpfen.

Was letztere angeht, kam ein internationales Forscherteam Anfang Dezember zu dem Schluss [4], dass sie bereits unumkehrbar destabilisiert sein könnten. Telepolis hatte seinerzeit darüber berichtet [5].

Der Rückzug der Gletscher in den Gebirgen bringt derweil vor allem andere Probleme mit sich. Zum einen gefährdet er die Wasserversorgung von mehreren Milliarden Menschen.

Bisher sorgen die Gletscher dafür, dass die Flüsse während der wärmeren Jahreshälfte einen kontinuierlichen Zufluss durch Schmelzwasser haben. Fielen die Gletscher eines Tages weg, so würden die Flüsse nur noch durch die Niederschläge gespeist, die von Jahr zu Jahr variieren können. Die Wasserversorgung an großen Strömen wie dem Indus, dem Yangtse, Brahmaputra, dem Mekong oder auch am Rhein würde prekärer.

Fehlende Frühwarnsysteme

Außerdem stellen die schmelzenden Gletscher eine Gefahr für die Menschen am Rand der Berge dar. Am Fuß der tauenden Gletscher bilden sich Schmelzwasserseen hinter instabilen Barrieren aus Geröll und Schlamm, die leicht brechen können.

Weltweit leben 15 Millionen Menschen unterhalb solcher gefährlichen Seen, warnten Forscher im Februar 2023. Besonders in Südasien, Pakistan, Nepal und Indien ist das Problem im Prinzip seit Langem bekannt [6].

Am frühen Morgen des 4. Oktobers kam es dann, wie auf Telepolis berichtet [7], tatsächlich im nordindischen Bundesstaat Sikkim zu einem Unglück. Bereits seit Jahren war vor der Instabilität des dortigen Sees unterhalb des Lhonak-Gletschers gewarnt worden. Von Umweltschützern und auch aus von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

2013 hat eine Untersuchung [8] ergeben, dass es eine 42-prozentige Chance für einen Dammbruch gebe. Trotzdem errichtete man unterhalb des Sees einen weiteren Staudamm zur Stromgewinnung, was das Unglück noch vergrößerte.

Als am 4. Oktober der Gletschersee barst, wurde auch der Staudamm zerstört, und das aufgestaute Wasser ergoss sich zusammen mit dem Schmelzwasser ins Tal. 1,5 Milliarden US-Dollar hatte laut AP der erst 2017 fertiggestellte Bau gekostet.

40 bis 56 Menschen kamen nach unterschiedlichen Angaben ums Leben, zahlreiche Häuser und Brücken wurden zerstört und ein weiterer Staudamm beschädigt. Trotz der bekannten Gefahren hatte man nicht einmal ein Frühwarnsystem installiert.

Kaum Entschädigung von reichen Ländern

Der Vorfall ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Nachlässigkeit von Behörden und Regierungen die Folgen des Klimawandels verschärfen kann. In diesem Fall war die Motivation eher wirtschaftlicher Natur, ein anderes Mal ist es einfach nur die Trägheit und Arroganz großer Apparate, hierzulande gepaart mit einer Politik klammer Kassen, die die Reichen und Superreichen nicht mit Steuern behelligen will und Vorsorge, sei es im Katastrophen-, sei es im Gesundheitsschutz, für zu teuer und daher verzichtbar hält.

Das war beim Juli-Hochwasser 2021 in Deutschland und Belgien zu sehen, als die lokalen Behörden nicht in der Lage waren, die Bevölkerung rechtzeitig zu warnen oder für ausreichende Absicherung der RWE-Kiesgrube in Erftstadt [9] zu sorgen, oder schon 2005 in New Orleans als Hurrikan "Katrina" über Tausend Menschen tötete.

Weder hatte damals die US-Regierung, die bekanntermaßen unzulänglichen Deiche rechtzeitig erhöht, noch waren die lokalen Behörden seinerzeit in der Lage, eine geordnete Evakuierung zu organisieren.

Das Ganze hat durchaus System. Länder wie Deutschland oder die USA sind weder im Inland bereit, ausreichende Vorsorge zu leisten und ihre Bevölkerung zu schützen, noch sind sie bereit, für die von ihnen anderswo verursachten Schäden aufzukommen. Das zeigte sich einmal mehr auf der diesjährigen UN-Klimakonferenz Anfang Dezember in Dubai.

Nach jahrelangem Gerangel wurde endlich ein Fonds eingerichtet, aus dem es für arme Länder Unterstützung bei Verlusten und Schäden geben soll, die vom Klimawandel verursacht wurden. Nötig wären nach unterschiedlichen Schätzungen 100 bis 500 Milliarden US-Dollar im Jahr.

Doch zugesagt wurde nicht einmal eine Milliarde US-Dollar. Deutschland, das dem Braunkohlekonzern RWE das Abschalten seiner meist bereits abgeschriebenen Kohlekraftwerke mit 2,6 Milliarden Euro versüßen will, versprach für den Fonds 100 Millionen US-Dollar, die USA 17,6 Millionen.

Das scheint die "regelbasierte Welt" zu sein, von der Außenministerin Annalena Baerbock so gerne spricht. Derlei Politik fände sicherlich bei der AfD- und CDU-Klientel fiel Applaus, wenn sie nicht ausgerechnet von einer grünen Politikerin vertreten würde.

Man wundert sich doch, dass in Berlin niemand aufzufallen scheint, dass die zum Ausdruck gebrachte Heuchelei inzwischen wirklich vor aller Welt offen auf dem Tisch liegt.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9583247

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/news/Gletscher-im-Himalaya-Das-grosse-Schmelzen-6358030.html
[2] https://sealevel.colorado.edu/
[3] https://www.telepolis.de/features/Klimawissenschaftler-Anstieg-des-Meeresspiegels-besorgniserregend-9548833.html
[4] https://global-tipping-points.org/summary-report/narrative-summary/
[5] https://www.telepolis.de/features/Klimakrise-und-Kipppunkte-November-1-75-Grad-Celsius-waermer-als-der-Durchschnitt-9567106.html
[6] https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.1914898117
[7] https://www.telepolis.de/features/Wenn-toedliche-Nachlaessigkeit-und-Klimawandel-zusammentreffen-9330603.html
[8] https://www.currentscience.ac.in/Volumes/104/03/0359.pdf
[9] https://www.telepolis.de/features/Hochwasser-Der-lachende-RWE-Mitarbeiter-6173661.html?seite=all