Weltmeere: Energie von vier Atombomben je Sekunde
Neuer Bericht des Erdbeobachtungsprogramm Copernicus warnt: Arktisches Meereis schmilzt immer schneller, der Mensch verändert die Ozeane dramatisch. Eine Bilanz des arktischen Sommers
Der Mensch greift nicht nur rasant in die Natur über der Landmasse ein - er verändert durch sein Wirtschaften und Wirken auch dramatisch die Meere: Zu diesem Fazit kommt der neue Bericht des Copernicus-Meeresumweltüberwachungsdienstes, den 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Auftrag der Europäischen Kommission erstellt haben.
Mit besorgniserregenden Ergebnissen: So schmilzt das arktische Meereis zum Beispiel rapide, zwischen 1979 und 2020 habe die Arktis eine Eisfläche verloren, die ungefähr sechsmal so groß ist wie Deutschland, so der Bericht. Demnach geht das Meereis seit 40 Jahren um 12,89 Prozent pro Jahrzehnt zurück, die Fläche hat sich also nahezu halbiert.
Das Biotop rund um den Nordpol hat seine eigenen Gesetze - und die sind atemraubend: Im arktischen Sommer scheint die Sonne ohne Unterlass, 24 Stunden Solarenergie jeden Tag rund um die Woche - den ganzen Sommer lang.
Erst Ende September beginnt wieder eine Art Nacht, die dann allerdings schnell anwächst, bis es vor Weihnachten 24 Stunden lang stockdüster ist - und wiederum monatelang anhält.
Insofern ist das nahende Septemberende eine gute Gelegenheit, Bilanz des diesjährigen arktischen Sommers zu ziehen: Wenn die ganze Zeit die Sonne scheint, heizt das den Nordpol natürlich auf.
In diesem Jahr hat die Sommerwärme dem arktischen Meereis zwar etwas verhaltener zugesetzt als in den zurückliegenden fünf Jahren. Bis zum derzeitigen Ende der Schmelzsaison schrumpfte die arktische Meereisdecke auf 4,81 Millionen Quadratkilometer.
Das waren 1,54 Millionen Quadratkilometer mehr als zum bisherigen Negativrekord. Dennoch war die arktische Meereisbedeckung nur etwa halb so groß wie 1980.
"Von einer Erholung des arktischen Meereises kann keine Rede sein", erklärt Prof. Christian Haas, Leiter der Sektion Meereisphysik am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Denn die Meereisbedeckung auf dem arktischen Ozean gilt als eines der 16 Kippelemente. Ist das Eis einmal verschwunden, reflektiert das darunter liegende dunkle Wasser viel weniger Sonnenstrahlen ins All zurück.
Nordpol in absehbarer Zeit eisfrei
Forscher Haas erklärt es so: "Eisflächen haben einen höheren Rückstrahleffekt als die dunklere Wasseroberfläche." Bedeutet: Ohne Eis heizt sich das Wasser immer weiter auf und lässt das auf dem Ozean noch schwimmende Eis noch schneller schmelzen - ein Teufelskreis.
Eine Studie der Universität Cambridge kommt in Zusammenarbeit mit dem britischen National Meteorological Service zu dem Ergebnis, dass der Nordpol bereits Mitte der 2030er-Jahre eisfrei sein könnte.
Mit Auswirkungen auf unser Wetter: Bestimmt wird das in Mitteleuropa maßgeblich vom Jetstream, zu Deutsch "Strahlstrom", einem Höhenwind, der mit bis zu 540 Kilometer pro Stunde zwölf Kilometer über unsere Köpfe hinweg pfeift.
Zum Vergleich: Hurrikan "Patricia" brachte es 2015 in erdnahen Schichten "nur" auf 345 Kilometer pro Stunde, die bis dato stärkste je gemessene Windgeschwindigkeit über dem Atlantik.
Aber nicht nur seine Geschwindigkeit ist maßgeblich für unser Wetter, sondern auch die Wellenbewegung des Windes: Wie eine endlose Sinuskurve mäandert er von West nach Ost über die Nordhalbkugel, seine Wellenbewegung schiebt die Hoch- und Tiefdruckgebiete weiter und bestimmt so Temperatur, Niederschlag und Sonnenschein bei uns.
Angetrieben wird dieser Höhenwind wie jeder andere von einer Temperaturdifferenz - in diesem Falle von der zwischen den Tropen und der Arktis. Und weil sich der Nordpolarraum viel stärker als die meisten anderen Weltgegenden erhitzt, sinkt die Temperaturdifferenz zu den Tropen immer weiter.
Und das schwächt den Jetstream. "Dieses Starkwindband gilt eigentlich als Motor für die Hoch- und Tiefdruckgebiete", sagt die Meteorologin Verena Leyendecker. Weil der Antrieb geringer wird, "kommen die Hochs und Tiefs nicht mehr voran", so die Expertin vom Dienst Wetteronline.
Das sei etwa ein Grund gewesen, warum im Westen Deutschlands in diesem Sommer die Überschwemmungen so verheerend waren.
Dramatisch war in diesem Jahr auch das Schmelzen auf Grönland: Anfang August wurde in Nordost-Grönland ein neuer Temperaturrekord gemessen, in einem Gebiet, wo das Thermometer in normalen Jahren nur knapp über die Null klettert: 23,4 Grad Celsius.
Laut den Aufzeichnungen des US-National Snow and Ice Data Centers folgte Mitte August ein nächstes Novum: Am höchsten Punkt des mehr als 3.300 Meter hohen grönländischen Inlandeises ging mehrere Stunden lang Regen nieder, die Lufttemperaturen blieben etwa neun Stunden lang über dem Gefrierpunkt.
Probleme nicht nur mit dem Eis
Der grönländische Eisschild gilt ebenfalls als Kipp-Punkt: Oben auf dem Eisschild ist es wie auch bei uns in den Bergen kühler als weiter unten, beginnen die obersten Schichten zu schmelzen, sinkt die Oberkante des Gletschers dann in immer wärmere Luftschichten nach unten, was das Tauen beschleunigt.
Umkehren lässt sich der Prozess vom Menschen dann nicht mehr, weil es Eiszeit-Temperaturen bräuchte, damit der Eispanzer über lange Zeit wieder auf seine heutige Größe wachsen könnte.
Die Probleme in der Arktis bilden aber nur einen Teil des Copernicus-Berichts ab: "Klimawandel, Umweltverschmutzung und Übernutzung haben eine nie dagewesene Belastung für den Ozean verursacht", erklärt Karina von Schuckmann, Vorsitzende des Ocean State Reports in einer Mitteilung zum Bericht.
So sind weltweit etwa die Korallenriffe bedroht. Davor hatte schon der Weltklimarat (IPCC) gewarnt: Bei einem Anstieg der globalen Temperatur um 1,5 Grad Celsius gehen bereits zwischen 70 und 90 Prozent aller Korallenriffe verloren, bei einem Anstieg von zwei Grad sogar 99 Prozent.
Aktuell ist die Welt auf einem Pfad von 2,3 Grad Erwärmung.
Wie dramatisch der Mensch in die maritime Umwelt eingreift, verdeutlichte ein Forscherteam um den Atmosphärenphysiker Lijing Cheng: Demnach haben die Ozeane 93 Prozent der Wärmeenergie absorbiert, die durch den menschengemachten Treibhauseffekt zusätzlich auf der Erde geblieben ist - die unvorstellbare Menge von 228 Zettajoule.
Um diese Energiemenge anschaulich zu machen, verglichen die Forscher sie mit der einer Hiroshima-Bombe: "Über die letzten 25 Jahre haben wir den Meeren die Wärme von 3,6 Milliarden Hiroshima-Atombomben zugeführt", so Lijing Cheng. Das entspricht etwa vier Hiroshima-Bomben pro Sekunde, ein Vierteljahrhundert lang.
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