Wem gehören jetzt Assads Waffen?
Syriens Militärarsenal ist riesig. Rebellen haben nach Assads Sturz große Teile der Ausrüstung übernommen. Doch wer am Ende über die Waffen verfügen wird, bleibt unklar.
Hunderte Panzer, moderne Flugabwehrraketen, Hightech-Radare, Kampfflugzeuge: Der syrische Militärbestand stellt eine bedeutende militärische Ressource dar, die offenbar weitestgehend intakt in die Hände der Rebellen gefallen sein dürfte. Unzählige Videos von augenscheinlich intakten und verlassenen Waffensystemen der überrannten Assad-Armee SAA (Syrisch-Arabische Armee) tauchten auf Telegram- und X-Kanälen auf.
Trotz jahrelanger Konflikte verfügte die SAA über einen umfangreichen Bestand an sowjetischen und russischen Waffen, der für die Partei, die in den Besitz des Arsenals gelangt, von strategischer Bedeutung sein könnte.
Das Arsenal umfasst über 250 T-72-Panzer verschiedener Modifikationen, etwa 100 T-62M/MV-Panzer, mehrere Dutzend T-90-Modelle und Hunderte T-55-Panzer. Mindestens 150 dieser Panzer sind modern und verfügen über verbesserten Schutz und moderne Zielsysteme, die nach 2015 von Rostec geliefert wurden.
Ferner verfügt Syrien über mehr als 600 BMP-1 und BMP-2 Schützenpanzer, verschiedene selbstfahrende Artilleriesysteme wie die 2S1 Gvozdika und Akatsiya sowie 130-mm-Radselbstfahrlafetten und Raketenwerfersysteme wie Grad, Uragan und Smersch.
Die strategisch bedeutendsten Komponenten sind die modernen Luftverteidigungssysteme: etwa 30 MiG-29 Kampfjets, fast 20 Su-24MK2 Bomber und mehrere Mi-24, Mi-8 und Mi-17 Hubschrauber. Nicht ausgeschlossen werden kann der Besitz von taktischen ballistischen Raketen wie die Scut oder Toschka.
Besonders die Su-24MK2 dürften nach Angaben der brasilianischen Militärexpertin Particia Marins einigen Wert haben.
Die Militärstärke Syriens zeigt ein komplexes Bild. Während das internationale Ranking-Portal GlobalFirepower die Streitkräfte des Landes nur auf Platz 60 weltweiter Armeen führt, offenbaren Detailanalysen interessante Nuancen.
Besonders auffällig sind Syriens Zahlen in Schlüsselwaffensystemen, die sich im Ukraine-Krieg als besonders performant gezeigt haben: Bei gepanzerten Fahrzeugen rangiert das Land demnach auf Platz 8 weltweit mit 2.720 Panzern. Die Artillerie-Kapazitäten mit 2.400 gezogenen Geschützen platzieren Syrien auf Rang 6, und bei Mehrfachraketenwerfern belegt das Land mit 614 Systemen den achten Platz.
Dabei bedeutet Quantität nicht automatisch militärische Schlagkraft, wie sich auch jetzt gezeigt hat, denn trotz des umfangreichen Waffenbestandes leistete die SAA den vorrückenden Rebellen kaum Widerstand. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit hängt von Faktoren wie Ausrüstungsqualität, Ausbildungsstand und strategischer Führung ab.
Militärschläge Israels
Das Verhältnis der syrischen Rebellen, die den Sieg gegen Assad errungen haben, zu Israel ist komplex und pragmatisch geprägt. Die führende Kraft unter den Rebellen ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die einst mit Al-Qaida verbunden war.
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Obwohl es keine offiziellen Beziehungen zwischen den Rebellen und Israel gibt, gab es in der Vergangenheit nach Angaben der Jüdischen Allgemeinen informelle Kontakte, insbesondere entlang der gemeinsamen Grenze. Israel unterstützte teilweise lokale Rebellengruppen mit medizinischer Hilfe und logistischen Mitteln, um Stabilität in der Region zu sichern und den Einfluss des Iran und der Hisbollah zu begrenzen.
Doch jetzt hat Israel nach Angaben des Guardian Luftangriffe auf ehemalige Regierungsstandorte geflogen und zielt dabei vornehmlich auf Raketenlager und chemische Waffeneinrichtungen. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtet von etwa 250 israelischen Luftangriffen in den vergangenen 48 Stunden.
Die Times of Israel berichtet von dutzenden Angriffen auf militärische Ziele in Syrien:
Dutzende von IAF-Flugzeugen griffen zahlreiche Ziele an, wobei der Schwerpunkt auf der Zerstörung "strategischer Waffen" lag, wie Verteidigungsquellen gegenüber der Times of Israel erklärten und die Angriffe als "sehr intensiv" bezeichneten.
Zu den Waffen, die von den Kampfflugzeugen getroffen wurden, gehörten den Quellen zufolge moderne Raketenlager, Luftabwehrsysteme und Waffenproduktionsanlagen. Ausländischen Berichten zufolge hat Israel in der Nacht von Samstag auf Sonntag auch ein Chemiewaffenlager angegriffen.
Der X-Kanal von Eli David gibt sogar die Zerstörung der gesamten syrischen Luftwaffe samt aller Luftabwehrkapazitäten an.
Interessant ist, der Frage nachzugehen, warum die SAA trotz einer deutlichen Überlegenheit an Waffen den vorrückenden Rebellen so wenig Widerstand leisten konnte. Hier wäre zum einen die Demoralisierung der Truppen Assads zu nennen, die bereits seit Monaten nur spärlich Sold-Zahlungen des Assad-Regimes erhalten hatten.
Doch militärisch betrachtet kann ein wichtiger Faktor die scheinbar exzellente Ausbildung der syrischen Oppositionskräfte HTS durch ukrainische Ausbilder in neuester Drohnenkriegsführung gewesen sein. Bereits im September dieses Jahres berichtete die Times of India von einer ukrainischen Ausbildungsmission in Syrien.
Der Drohneneinsatz kann kriegsentscheidend gewesen sein: Hat eine Armee nach heutigen Maßstäben keine oder nur unzureichende Anti-Drohnen-Abwehrmöglichkeiten, so können auch wertvolle Ziele wie vergleichsweise moderne Panzer in größeren Stückzahlen ausgeschaltet werden.
Ebenso scheinen die Rebellen die Kommandostruktur der SAA ins Visier genommen zu haben, so wurde der Brigadegeneral der SAA, Adi Ghosa, nach Angaben des X-Kanals Schizointel durch eine FPV-Drohne getötet, ein weiterer General soll durch eine nicht näher bezeichnete Drohne getötet worden sein.
Der libanesische Fernseh-Sender Al Mayadeen behauptet sogar, dass eine ganze ukrainische Drohnen-Spezialeinheit mit dem Namen „Bilyi Vovk“ (Weißer Wolf) in die Kämpfe involviert war.
Der durch die Anwendung moderner, im Ukraine-Krieg entwickelten Drohnen-Angriffstaktiken erreichte psychologische Effekt darf nicht unterschätzt werden und könnte im hier vorliegenden Fall eine Art Kettenreaktion bei der SAA hervorgerufen haben.
Wenn eine Armee nicht ausreichend gegen den modernen Drohnenkrieg ausgebildet und geschützt ist, können heute selbst mit großen Waffenarsenalen ausgerüstete Verbände leicht überrannt werden.
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Die hinterlassene Ausrüstung der Assad-Armee dürfte auch international Begehrlichkeiten wecken. So könnten die Bodenfahrzeuge in den Händen der in moderner Kriegsführung bewanderten Armee der Ukraine eine große strategische Wirkung entfalten, besonders wenn man berücksichtigt, dass sich besonders die sowjetischen Systeme insgesamt als wirkungsvoll erwiesen haben.
Für die Ukraine könnte dieser Waffenbestand einen bedeutenden Vorteil darstellen, da ihre Streitkräfte bereits mit sowjetischen Waffensystemen vertraut sind. Der syrische Arsenalbestand repräsentiert mehr als 50 Prozent der von westlichen Verbündeten in den vergangenen Jahren gespendeten Militärausrüstung.
Die These, dass Militärtechnik aus Syrien in die Ukraine transferiert werden könnte, wurde etwa vom Military Watch Magazine verbreitet. Allerdings wurde die Glaubwürdigkeit des Magazins in der Vergangenheit immer wieder angezweifelt, was letztlich auch diese These in einem faden Licht erscheinen lässt.
Der umfangreiche militärische Bestand der geschlagenen Syrischen Arabischen Armee stellt aber auch für die siegreichen Rebellen ein bedeutendes strategisches Verhandlungsinstrument für ihre zukünftige politische Positionierung dar – sofern die israelischen Angriffe auf die Waffenlager nicht bereits einen spürbaren Teil des Arsenals ausgelöscht haben.