Wenn Arbeitskämpfe für kriminell erklärt werden
Das repressive Vorgehen gehen italienische Basisgewerkschaften könnte Schule machen. Auch hierzulande wird am Streikrecht gerüttelt.
"Die Angst wegschmeißen" lautete der Titel eines beeindruckenden Dokumentarfilms von Johanna Schellhagen, mit der der Zyklus von Arbeitskämpfen vornehmlich migrantischer Lohnabhängiger in der norditalienischen Logistikbranche hierzulande bekannt wurde.
Der Film aus dem Jahr 2015 zeigt, dass es den prekär beschäftigten und größtenteils migrantischen Arbeiterinnen in der Logistikbranche gelingt, sich durch solidarische und effektive Organisierung aus ihrer Isolation und ihren erniedrigenden Arbeitsverhältnissen herauszukämpfen. Ein Kampf, der nicht nur ihre Arbeitsbedingungen, sondern ihr ganzes Leben verändert.
"Wir haben die Angst weggeschmissen", erklärte ein Beschäftigter, der dem Film den Titel gab. Jetzt wollen die repressiven Staatsapparate dafür sorgen, dass die Angst zurückkommt. Im Morgengrauen des 19. Juli rückte die Polizei in den Gewerkschaftshäusern der Basisgewerkschaften ein, die den Kampf der Logistikarbeiter unterstützen. Es handelt sich um SI Cobas und USB.
Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft von Piacenza wurde der nationale Koordinator der SI Cobas, Aldo Milani, und drei führende Vertreter der Gewerkschaft von Piacenza unter Hausarrest gestellt: Mohamed Arafat, Carlo Pallavicini und Bruno Scagnelli.
"Erpresserische Methoden", um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen
Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung wegen privater Gewalt, Widerstand gegen einen Amtsträger, Sabotage und Störung eines öffentlichen Dienstes. Dieser Vorwurf geht auf Streiks in den Logistiklagern von Piacenza in den Jahren 2014 bis 2021 zurück: Der Staatsanwaltschaft zufolge wurden diese Streiks unter einem Vorwand und mit "erpresserischen" Absichten durchgeführt, um bessere Bedingungen für die Arbeitnehmer zu erreichen, als sie der nationale Vertrag vorsieht. Gleiche Vorwürfe gelten der Basisgewerkschaft USB, auch deren vier führende Gewerkschafter wurden unter Hausarrest gestellt.
Es ist nicht der erste Versuch, der italienischen Staatsapparate, gegen die Basisgewerkschaften vorzugehen. 2019 waren 481 Beschäftigte angeklagt, wurden aber freigesprochen. Auch damals wollte die Staatsanwaltschaft kämpferische Gewerkschaftsarbeit als Erpressung aburteilen lassen.
Nun könnte der Vorwurf, mit erpresserischen Methoden die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Lohnabhängigen erreichen zu wollen, als Waffe gegen jede Form von kämpferischer Interessenvertretung der Beschäftigten werden. Genau davon träumen wirtschaftsnahe Lobbyvertreter und Politiker schon lange, nicht nur in Italien.
Angriffe auf kämpferische Belegschaften auch in Deutschland
Aktuell sind in Deutschland Hafenarbeiter, die sich im Arbeitskampf befinden, verstärkten Angriffen ausgesetzt. Schon nach ihrem ersten Warnstreik forderte Arbeitgeberpräsident Dulger die Ausrufung des nationalen Notstands, um das Streikrecht zu brechen.
Das Hamburger Arbeitsgericht hatte später mit einem Urteil faktisch die Arbeitsniederlegungen verboten, in dem es drei weitere Verhandlungsrunden anordnete, bevor es zu weiteren Streiks kommen kann.
Mit diesem Eingriff in den Arbeitskampf, dem die Dienstleistungsgewerkschaft im Rahmen eines Vergleichs zugestimmt hat, soll natürlich auch die Dynamik eines Arbeitskampfs gebrochen werden: Zuvor hatten in digitalen Netzwerke Fotos die Runde gemacht, die Auseinandersetzungen zwischen Streikenden und der Polizei zeigten. Das könnte ein Vorgeschmack auf einen heißen Herbst gegen Energiekrise, Inflation und Hochrüstung werden – da wollen die Staatsorgane offenbar vorbeugen.
Widerstand gegen Angriffe auf das Streikrecht
Aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftler haben mittlerweile eine Petition gegen jede Einschränkung des Streikrechts lanciert.
"Gerade in Zeiten hoher Inflation ist es notwendig, dass Gewerkschaften für den Erhalt der Lebensstandards der Beschäftigten streiken können. Wir stellen uns daher gegen jede Einschränkungen des Streikrechts, sei es durch juristische oder polizeiliche Maßnahmen", heißt es in dem Text der Petition.
In Italien wehren sich die Basisgewerkschaften auch mit landesweiten Arbeitsniederlegungen gegen die Repression. Solidaritätsaktionen sind auch in Deutschland vor italienischen Konsulaten am kommenden Dienstag geplant, unter anderem von der Stadtteilinitative "Solidarisch in Gröpelingen". Das könnte ein Zeichen der Solidarität sein, gegen Angriffe gegen das Streikrecht in vielen Ländern, auch in Deutschland.
Der wachsende Unmut über Energiekrise, Inflation und die damit verbundene Verschlechterung der Lebensgrundlagen für große Teile der Bevölkerung bei gleichzeitiger Forcierung der Hochrüstung lässt bei den Staatsapparaten nicht nur in Italien die Alarmglocken schrillen. Die Repression ist dort nur stärker, weil die Gewerkschaften kämpferischer sind, was sich durch mehrere Streiks gegen Waffenlieferungen in verschiedene Krisengebiete der Welt zeigte.