Wenn Aufrüstung zur Staatsraison wird
Proteste gegen antimilitaristische Veranstaltung in Kiel. Wenn Rüstungspolitik politisch wird. Eine kritische Beobachtung.
Um Agnes Strack-Zimmermann ist es etwas ruhiger geworden, nachdem sie bei der letzten Europawahl ins EU-Parlament gewählt wurde. Doch ihr zentrales Anliegen, mehr Waffen – auch aus deutscher Produktion – in die Ukraine zu schicken, findet inzwischen Unterstützung in unerwarteten Kreisen.
So wurde auf einer Kundgebung in Kiel ein Plakat mit der Forderung "Free The Taurus" gezeigt, das mehr Waffenlieferungen in die Ukraine propagierte. Diese Kundgebung wurde von einem Bündnis aus proukrainischen und proisraelischen Gruppen organisiert, um gegen ein antimilitaristisches Protestcamp zu demonstrieren.
Dieses Camp wurde vom Bündnis "Rheinmetall Entwaffnen" organisiert, das vier Tage lang auf einer Wiese hinter der Kieler Werft gegen die deutsche Rüstungsindustrie protestierte.
Rund 700 Menschen nahmen an diesem Protestcamp teil. In der wirtschaftsfreundlichen Publikation "Finanztrends" wurde das Camp aufmerksam verfolgt und für deren Leserschaft Entwarnung gegeben.
Weiter auf Expansionskurs
"Rheinmetall lässt sich von solchen und anderen Aktionen nicht beeindrucken und hält nicht nur an aktuellen Waffenlieferungen fest, sondern plant eine weitere enorme Expansion", heißt es dort, mit konkreten Beispielen untermauert. So entstehen derzeit neue Werke in der Ukraine. Auch wenn die Rheinmetall-Aktie in der vergangenen Woche auf 502 Euro sank, zeigen sich die Finanztrends optimistisch: "Der langfristige Aufwärtstrend bleibt hier aber noch immer unangetastet."
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Solche Kursschwankungen gehören zum Börsenalltag. Die Rheinmetall-Aktie verzeichnete im vergangenen Jahr einen Wertzuwachs von 105 Prozent. Diese Entwicklung betrifft die gesamte deutsche Rüstungsindustrie, einschließlich Konzerne wie Krauss-Maffei, Mauser, IWKA und Diehl sowie Großkonzerne wie Daimler-Benz, Siemens, Thyssen oder Krupp, die teilweise ihre Profite durch Rüstungsproduktion generieren.
Historische Kontinuitäten
Es ist auch keineswegs so, dass der Aufstieg dieser Rüstungskonzerne erst mit der von Olaf Scholz ausgerufenen Zeitenwende nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine begann. Dies belegt die Historikerin Stefanie van de Kerkhof in ihrer Untersuchung "Die westdeutsche Rüstungsindustrie zwischen Wiederaufbau, Boom und Krise. Das Fallbeispiel Rheinmetall".
Sie kommt zu dem Fazit: "Die Unternehmen der westdeutschen Rüstungsbranche im engeren Sinne, der Wehr- oder Heerestechnik, vollzogen im Vergleich zum Steinkohlenbergbau vom Ende der 1940er Jahre bis zur Gegenwart einen beinahe kometenhaften Aufstieg."
Der Mythos von der friedlichen Bonner Republik
Damit widerspricht van de Kerkhof der bis heute gerne tradierten Erzählung, die Bonner Republik sei auf Frieden und Entspannung ausgerichtet gewesen. Teilweise wird so von der BRD das Bild einer Republik gezeichnet, die eine antimilitaristische Utopie bewahrt habe und erst nach dem Mauerfall mit der kriegerischen Realität konfrontiert wurde.
Vor allem Politiker der Grünen und teilweise auch der SPD drängten seit den 1990er Jahren, dass sich das wiedervereinigte Deutschland an Kriegen beteiligen müsse, die anfangs als humanitäre Einsätze umschrieben wurden.
Grüne und SPD: Von Pazifismus zu Militarismus
Diese Politiker forderten, die Berliner Republik müsse Abschied von der angeblich pazifistischen Bonner Politik nehmen. Tatsächlich nahmen die Grünen, die diese Forderungen besonders laut stellten, Abschied von den Grundsätzen ihrer Partei, die Frieden und Abrüstung propagierte, einschließlich der Auflösung der Nato und dem Kampf gegen die deutsche Rüstungsindustrie.
Die Grünen gründeten sich gerade aufgrund dieser Forderungen, weil die BRD eben nicht die friedliche, pazifistische Republik war, zu der sie im Nachhinein verklärt wurde.
Die Rüstungsindustrie der BRD
Auch der Journalist Fred Schumacher liefert in diesen Tagen mit seinem Buch "Waffen für die Welt" historische Nachhilfe. Er zeigt, wie eng die deutsche Rüstungsindustrie mit dem NS-Regime verbunden war und von der Arisierung jüdischer Unternehmen sowie massenhafter Zwangsarbeit profitierte.
Nach der deutschen Niederlage hofften viele auf ein Ende der deutschen Rüstungsindustrie. Doch schon in den 1950er Jahren stiegen Röchling und andere Konzerne mit Unterstützung der USA wieder ins Rüstungsgeschäft ein, oft mit altem NS-Personal.
Wiederaufstieg der Rüstungsindustrie
Erste staatliche Genehmigungen für Rüstungsexporte erhielt der Rheinmetall-Konzern bereits 1957. Zielländer der Waffenexporte waren unter anderem die Niederlande, Italien, Burma, Pakistan, der Iran unter dem autoritären Schah-Regime, der Sudan und Chile. Am 19. September 1966 schrieb die Illustrierte Stern: "Amerikanische Soldaten werden bald mit Kanonen Made in Germany feuern."
Mythos von der kaputtgesparten Bundeswehr
Schumacher widerlegt den Mythos von der angeblich unzureichenden Ausstattung der Bundeswehr. Tatsächlich wird mit 85,47 Milliarden Euro – nach Nato-Kriterien – eine Rekordsumme an Steuermitteln verwendet. Diese propagandistischen Behauptungen sollen den Eindruck stärken, dass notfalls bei sozialen Themen gespart werden muss, um den sowieso schon großen Rüstungsetat weiter zu steigern.
Rüstungsindustrie hat Namen und Adressen
Widersprechen muss man Schumacher bei seinem Schlusssatz, dass die Entscheidungsbefugnisse aus den Händen anonymer Mächte zurückgeholt werden müssten. Diese Formulierung könnte zu verschwörungstheoretischen Ansätzen einladen.
Es handelt sich bei der deutschen Rüstungsindustrie nicht um anonyme Mächte, sondern um Player mit bekannten Namen und Adressen. Initiativen vor Ort leisten wichtige Arbeit, um dies zu zeigen, wie in Kiel, wo eine Liste mit den Rüstungsstandorten veröffentlicht wurde.
Wenn Aufrüstung zur Staatsraison wird, wird die Kritik daran schnell in die Nähe des Landesverrats gerückt. Auch das war am Wochenende in Kiel zu hören und zu sehen.