Wenn USA, China und Russland sich gegenseitig Imperialismus vorwerfen
Seite 2: Warum westliche Solidaritätsaufrufe für Ukraine auf taube Ohren stoßen
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Dennoch hat die globale US-Militärpräsenz weiter zugenommen. Seit 2007 hat das United States Africa Command (AFRICOM) die militärische Präsenz der USA in Afrika ausgeweitet. Heute wissen wir von 750 Militärstützpunkte in 80 Ländern.
Die US-Spezialeinheiten sind inzwischen in schätzungsweise 154 Ländern aktiv. Die globale Militärpräsenz der USA verschafft Washington auch eine beträchtliche Kontrolle über die Transportrouten, da die US-Marine routinemäßig Schiffe beschlagnahmt, die gegen Handelsbeschränkungen verstoßen.
US-Vertreter haben sich weiterhin auf die Geschichte des Landes als ehemalige britische Kolonie gestützt, um die Solidarität mit anderen Ländern zu betonen und eine stärkere Zusammenarbeit vorzuschlagen. Im Jahr 2013 erklärte US-Außenminister John Kerry beispielsweise, dass die Monroe-Doktrin, die es den USA erlaubte, "einzugreifen und sich dem Einfluss europäischer Mächte in Lateinamerika entgegenzustellen", vorbei sei.
Zehn Jahre später, 2023, betonte US-Präsident Joe Biden in einer Ansprache anlässlich des karibisch-amerikanischen Gedenkmonats im Saal des Weißen Hauses, dass die USA und die karibischen Länder durch gemeinsame Werte und eine gemeinsame Geschichte der "Überwindung des Jochs des Kolonialismus" verbunden seien.
Doch die innenpolitische Spaltung hinsichtlich der Rolle Washingtons in globalen Angelegenheiten hat den Ruf nach einer Rückkehr der USA zu ihrer früheren Außenpolitik des Isolationismus lauter werden lassen. Auch wenn solche Forderungen nicht ausreichen, um die USA dazu zu bewegen, sich von der Weltbühne zurückzuziehen, so hat es doch dazu beigetragen, dass das US-Militär in den letzten Jahren nicht in neue größere Konflikte verwickelt wurde.
China
Die Beendigung des chinesischen Bürgerkriegs im Jahr 1949 markierte das Ende des "Jahrhunderts der Demütigung" Chinas durch die europäischen Mächte, die USA und Japan. Der Sieg der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ermöglichte es Peking, seine Macht zu konsolidieren und die Grenzen Chinas zu erweitern.
Dazu gehörte auch die "friedliche Befreiung" von Xinjiang im Jahr 1949 und von Tibet im Jahr 1950, wodurch diese Regionen nach und nach unter die Kontrolle Chinas gelangten – obwohl China erst 1971 den Sitz Taiwans in der UNO übernahm.
Chinas Geschichte der Ausbeutung durch ausländische Mächte wurde von Beijing häufig angeführt, um die Solidarität mit anderen Ländern zu stärken, die unter dem westlichen Imperialismus litten.
Im Zentrum der Botschaft stand der Kampf gegen die US-geführten Streitkräfte im Koreakrieg als Teil einer "großen Bewegung zum Widerstand gegen Amerika und Korea" und gegen den westlichen Neokolonialismus im weiteren Sinne, während chinesische Streitkräfte auch an Grenzkonflikten mit der Sowjetunion beteiligt waren, als sich die Beziehungen zwischen Moskau und Beijing in den 1960er-Jahren verschlechterten.
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Chinesisches Militär war aber auch in Zusammenstöße mit ehemaligen europäischen Kolonien verwickelt. Dazu gehören Konfrontationen mit Indien sowie Chinas große Invasion in Nordvietnam im Jahr 1979. Während der einmonatigen Operation gab es auf beiden Seiten Zehntausende von Opfern. Bis zur Normalisierung der Beziehungen im Jahr 1991 kam es immer wieder zu Grenzkonflikten zwischen chinesischen und vietnamesischen Streitkräften.
Seit 2003 legen chinesische Regierungsvertreter stattdessen großen Wert auf Chinas "friedlichen Aufstieg", durch den das Land seine Macht in der Welt drastisch ausbauen konnte, ohne auf militärische Gewalt zurückgreifen zu müssen.
Doch obwohl es nicht zu großangelegten chinesischen Militäroperationen gekommen ist, hat China in den letzten zehn Jahren den Bau von Häfen, Luftwaffenstützpunkten und anderen Militäreinrichtungen zur Durchsetzung seiner territorialen Kontrolle über das Südchinesische Meer auf Kosten mehrerer südostasiatischer Länder rasch vorangetrieben. Der chinesische Präsident Xi Jinping hat diese Entwicklungen damit begründet, dass die Inseln "seit der Antike Chinas Territorium sind".
Chinas umfangreiche Seemilizen und zivile Fernfischereiflotten werden ebenfalls beschuldigt, chinesische Gebietsansprüche auf See durchzusetzen und dabei die Grenzen zwischen ziviler und militärischer Gewalt zu verwischen. Ferner besteht die Befürchtung, dass Chinas wachsende wirtschaftliche und militärische Macht ausreichen wird, um die Länder Zentralasiens zu zwingen, die chinesische Position in verschiedenen territorialen Streitigkeiten zu akzeptieren.
Zwar hat China in diesem Jahrhundert keine größeren Militäroperationen durchgeführt, doch hat es seine wachsende wirtschaftliche und militärische Macht genutzt, um andere Länder unter Druck zu setzen, damit sie seine territorialen Ansprüche anerkennen.
Um der Kritik entgegenzuwirken, haben chinesische Beamte ihre Aufmerksamkeit auf den aktuellen und historischen Imperialismus des Westens gerichtet. Nach britischer Kritik am Umgang Chinas mit pro-demokratischen Protesten im Jahr 2019 warf China dem Vereinigten Königreich vor, mit einer "kolonialen Mentalität" in der Welt zu operieren. Man unterstützte Argentinien und warf Großbritannien vor, auf den Falkland-Inseln im Jahr 2021 Kolonialismus zu betreiben.
Diese Behauptungen tragen innenpolitisch dazu bei, die Unterstützung für Chinas Politik aufrechtzuerhalten, die Solidarität mit anderen Ländern zu stärken, die unter dem westlichen Imperialismus gelitten haben, und Chinas geopolitische Rivalen in die Defensive zu drängen.
Schlussfolgerungen
Es ist richtig, dass das US-Militär zahlreichen Ländern durch Abschreckung nach außen notwendige Sicherheit bietet. Bei Naturkatastrophen und anderen Notfällen leistet man unverzichtbare Hilfe. Doch wie bei anderen Großmächten wurde auch in den USA seit 1945 der Einsatz militärischer Gewalt immer wieder missbraucht.
Das historische Erbe des westlichen Imperialismus und Interventionismus ist eine Erklärung, warum westliche Aufrufe zur globalen Solidarität mit der Ukraine heute oft auf taube Ohren stoßen.
Hinzu kommt, dass einige der Folgen des Krieges in der Ukraine, wie z. B. die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise, in den ärmeren Ländern am stärksten zu spüren sind, während westliche Unternehmen in wichtigen ukrainischen Wirtschaftssektoren zunehmend dominieren, den westlichen Aufruf schwächen.
Eine ehrliche Rechenschaftspflicht der Großmächte für die historische und anhaltende Ausbeutung schwächerer Länder ist nach wie vor selten. Öffentliche, von der Regierung finanzierte Initiativen wie die Ausstellung "U.S. Imperial Visions and Revisions" in der National Portrait Gallery in Washington D.C. dokumentieren jedoch die Anfänge vom und die Rechtfertigung für den Aufbau des US-Imperiums.
Sie sind ein wichtiger Schritt zur Aufarbeitung vergangener und aktueller Verfehlungen, wie von der UN-Charta von 1945 verlangt. Im Jahr 2018 gab der französische Präsident Macron einen Bericht in Auftrag, in dem festgestellt wurde, dass sich "etwa 90 bis 95 Prozent des afrikanischen Kulturerbes" im Ausland befinden. Dies veranlasste das französische Parlament dazu, im Jahr 2020 ein Gesetz zu verabschieden, das die Rückgabe dieser kulturellen Objekte ermöglicht.
Die Beförderung von ehrlicher Geschichtsschreibung und Rechenschaftspflicht könnte auch Hindernisse beseitigen, wenn es um echte Unterstützung schwächerer Länder durch Großmächte geht.
Dieser Ansatz könnte wiederum zu mehr Zusammenarbeit und positiven Rückwirkungen führen im Gegensatz zu kostspieligen militärischen Interventionen. Es würde auch als Beispiel für schwächere Staaten dienen, die sich mit ihrem eigenen Erbe von Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung auseinandersetzen müssen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit der Medienplattform Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.
John P. Ruehl ist ein australisch-amerikanischer Journalist, der in Washington D.C. lebt. Er ist Redakteur bei Strategic Policy und schreibt für verschiedene andere außenpolitische Publikationen. Sein Buch "Budget Superpower: How Russia Challenges the West with an Economy Smaller than Texas" wurde im Dezember 2022 veröffentlicht.