Wenn selbst progressive Stimmen Kriegs-Propaganda verbreiten
- Wenn selbst progressive Stimmen Kriegs-Propaganda verbreiten
- USA haben Krieg nicht begonnen, aber helfen, ihn fortzusetzen
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Ein Fall in den USA zeigt: Der Ukraine-Krieg führt zu Kontroversen über alle Lager hinweg. Verunglimpfungen führen aber nur zu Streit. Warum sind Verhandlungen mit Russland für viele ein rotes Tuch?
In dem Artikel "The Surprising Pervasiveness of American Arrogance" (Die verblüffende Allgegenwärtigkeit amerikanischer Arroganz) verunglimpft John Feffer die Vorkämpfer der US-Friedensbewegung, die sich für einen Waffenstillstand und einen ausgehandelten Frieden einsetzen, um das Leid in der Ukraine zu beenden und eine nukleare Katastrophe abzuwenden.
In einer Attacke gegen die Befürworter einer diplomatischen Lösung vollführt Feffer rhetorische Volten, um zu behaupten, dass sich Menschen wie der MIT-Linguist Noam Chomsky, der weltbekannte Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs und Medea Benjamin, Mitbegründerin von Codepink und der Peace in Ukraine Coalition, des US-Exzeptionalismus schuldig machen würden, weil sie fordern, dass die USA, der wichtigste Waffenlieferant der Ukraine, die Stimmen des globalen Südens beherzigen und auf einen gegenseitigen Waffenstillstand drängen sollen.
Viele von uns in der Friedensbewegung arbeiten seit Jahren mit John Feffer zusammen und schätzen seine Unterstützung von Frieden und Gerechtigkeit durch die Jahre.
Wir schätzen auch die Institution, in der er arbeitet, das Institute for Policy Studies (IPS), in dem die brillante Analystin Phyllis Bennis arbeitet, die unsere Ansichten teilt und seit Langem einen Waffenstillstand und Verhandlungen in der Ukraine fordert. Bennis sagt, dass die Vereinigten Staaten als wichtigster Waffenlieferant "nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, die Ukraine zu Verhandlungen zu drängen, während die Welt gleichzeitig die Russen zu Verhandlungen drängt."
Aufgrund unserer positiven Erfahrungen mit Feffer und seinem Institut sind wir schockiert und bestürzt über seine verzerrte öffentliche Anprangerung und fühlen uns verpflichtet, darauf zu antworten.
Unsere Meinungsverschiedenheiten
Feffers Hauptkritik lautet, dass wir "Intellektuellen-Aktivisten" uns bei unserer Forderung nach Frieden "nicht die Mühe gemacht haben, die ukrainischen Opfer in diesem Konflikt zu konsultieren", ganz zu schweigen von russischen Kriegsgegnern. Er fügt den verächtlichen Vorwurf hinzu, dass "die Amerikaner, die 'Frieden jetzt' unterstützen, nur sich selbst befragen".
Sein zweiter Vorwurf lautet, dass wir die Rolle und die Macht der Vereinigten Staaten zu sehr betonen.
Was die erste Behauptung angeht, so beraten wir uns ständig mit Ukrainern und Russen.
Einige der von Feffer kritisierten Frauen nehmen seit über einem Jahr an einem ukrainisch-russisch-amerikanischen Frauendialog teil. Viele von uns nehmen regelmäßig an öffentlichen und privaten Webinaren mit Ukrainern und Russen teil, und wir hören regelmäßig von Menschen, die gerade aus der Region zurückgekehrt sind.
Codepink und Peace in Ukraine sind Veranstalter einer Konferenz vom 10. Juni in Wien, gewesen, auf der Russen und Ukrainer als Redner auftreten, darunter Vertreter der Ukrainischen Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, der Partnerschaft zur Förderung innovativer Nachhaltigkeit, der ukrainischen pazifistischen Bewegung und des friedensfördernden Instituts Patrir.
Feffer meint, wir seien ignorant und hörten nicht zu, da wir die Ukrainer nicht unterstützen, die kämpfen wollen, bis die Ukraine jeden Zentimeter des Donbass und der Krim zurückerobert hat. Aber er verschweigt, dass ein derart langer Krieg bedeuten könnte:
- Hunderttausende weitere Tote und Verwundete
- Millionen weitere Flüchtlinge, die über die Grenzen strömen und Europa destabilisieren
- Weitere Verseuchung von Land und Wasser mit chemischen Karzinogenen Erhöhte Treibhausgasemissionen vor dem Hintergrund der Klimakrise
- Unterbrechung der Getreideexporte, die zu steigendem Hunger in ganz Afrika führt
- Tausende weitere Delfine, die tot im Schwarzen Meer angeschwemmt werden
- Erhöhtes Risiko eines Atomkriegs inklusive globaler Vernichtung, entweder durch eine Fehlkalkulation oder durch die Absicht Russlands bzw. der Vereinigten Staaten, zwei Nationen, die 90 Prozent des weltweiten Atomwaffenarsenals besitzen und sich dennoch weigern, einen Ersteinsatz auszuschließen.
Feffer behauptet, die Nato-Erweiterung und ein von den USA unterstützter Putsch im Jahr 2014 hätten nichts mit der aktuellen Krise zu tun. Er übergeht auch den durch diesen Putsch ausgelösten Bürgerkrieg.
Vielmehr argumentiert Feffer, dass die US-Regierung, die 115 Milliarden Dollar zur Finanzierung des Krieges und für die ukrainische Regierung ausgegeben hat, wenig Einfluss hat, um auf einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung zu drängen. Diejenigen, die meinen, dass die USA Einfluss auf die Ukraine hätten, machen sich seiner Meinung nach des US-Exzeptionalismus schuldig.
Die menschlichen Kosten, die ein Krieg zur vollständigen Rückeroberung der Krim und des Donbass für die Ukraine in Form von militärischen und zivilen Todesopfern mit sich bringen würde, sind abscheulich und "inakzeptabel", wie der Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte im April 2021 gegenüber Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, noch bevor diese Regionen, wie jetzt, von Hunderttausenden russischer Soldaten verteidigt wurden.
Die Gefahr einer weiteren Eskalation, die zu einem Dritten Weltkrieg und einem Atomkrieg führen könnte, macht die Aussicht auf einen langen und unbegrenzten Krieg noch unvorstellbarer und inakzeptabler.
Die Ukrainer haben eine Reihe von Ansichten über den Krieg
Feffers Unterstellung, dass alle Ukrainer gleich denken und die Ukraine in Bezug auf ihre ethnische Herkunft und ihr intellektuelles Denken homogen ist, ignoriert die interne Kluft zwischen nationalistischen Ukrainern im Westen und russischsprachigen Ukrainern im Osten. Es gibt Millionen prorussischer Ukrainer im Donbass und auf der Krim, die nicht Teil der Ukraine sein wollen.
Es gibt auch Ukrainer, die über die russische Invasion empört sind, aber einfach nur ein Ende des Krieges wollen. Es gibt Tausende ukrainischer Männer, die versuchen, der Einberufung zu entgehen, und ein Bestechungssystem, bei dem die Rekrutierungsbüros bis zu 32.000 Dollar für die sichere Ausreise aus der Ukraine verlangen.
Es gibt ganze Einheiten jüngst eingezogener ukrainischer Soldaten, die desertiert sind, und ukrainische Gerichte, die gegen Personen, die der Desertion überführt werden, eine fünfjährige Haftstrafe verhängen. Es gibt ukrainische Pazifisten, Verweigerer aus Gewissensgründen und Kriegsverweigerer.
Und wenn wir die Ansichten der "Ukrainer" untersuchen, müssen wir auch fragen: Wie frei sind sie, ihre Meinung zu äußern? In allen Kriegen gibt es eine staatliche Zensur, und die Ukraine ist da keine Ausnahme.
Wir haben mit vielen Ukrainern gesprochen, die sagen, dass es jetzt als Verrat gilt, für einen Kompromiss mit Russland einzutreten. Die ukrainische Regierung, die das Kriegsrecht verhängt hat, erklärt der Bevölkerung, dass die Rückgabe der Krim und des östlichen Donbass nicht verhandelbar sei, was durch die staatliche Kontrolle des Fernsehens noch verstärkt wird.
Der außenpolitische Analyst Anatol Lieven vom Quincy Institute kehrte Ende April von einer Forschungsreise in die Ukraine zurück, wo er mit Ukrainern sprach, die aus verschiedenen Gründen der Meinung sind, dass das Land bereit sein sollte, die Krim aufzugeben, auf der sich der russische Marinestützpunkt Sewastopol befindet, der seit 200 Jahren zu Russland gehört und in dem ethnische Russen leben, die zweimal für den Wiederanschluss an die Russische Föderation gestimmt haben. Aber alle hatten Angst, das öffentlich zu sagen.
Lieven schrieb, dass die staatliche Propaganda, die darauf abzielt, die Bevölkerung zum Kampf zu motivieren, dazu beigetragen hat, das zu schaffen, was ein ukrainischer Analyst als "Frankensteins Monster" bezeichnete, das nun außer Kontrolle geraten ist.
Ein anderer Ukrainer merkte an, dass "die meisten vernünftigen Menschen wissen, dass es nicht möglich ist, die Krim zurückzuerobern", dass es aber "fast unmöglich geworden ist, das in der Öffentlichkeit zu sagen, ohne seinen Job zu verlieren oder vielleicht noch Schlimmeres .... Jeder, der einen Kompromiss mit Russland befürwortet, wird sofort als Verräter gebrandmarkt und vom ukrainischen Sicherheitsdienst ins Visier genommen."
Möchte Feffer, dass wir nur denjenigen Ukrainern zuhören, die sich an die derzeitige Regierungsposition halten, die keine territorialen Kompromisse zulässt?
Sollen wir nur auf Hardliner-Nationalisten wie Selenskyjs Berater Mychajlo Podoljak hören, der die pro-russischen Krim-Bewohner als "mankurts" (hirntote Sklaven) bezeichnete und sagte, dass die Ukraine nach der Einnahme der Krim "alles Russische ausrotten" müsse, einschließlich der russischen Sprache?
Sollten wir auf den Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (NSDC), Oleksij Danilow, hören, der twitterte, dass Menschen, die meinen, sie hätten das Recht, im ukrainischen Fernsehen Russisch zu sprechen, keinen Platz im Fernsehen, in der Politik oder sogar in der Ukraine selbst haben?