Wer nicht kooperiert, wird ignoriert
Putzerfische müssen auf ihr Prestige achten
Putzerlippfische betreiben richtiggehende Putzstationen an festen Plätzen. Unermüdlich sind sie am Werk, vorbeikommende Fische von winzigen Ektoparasiten (Krebstierchen) und abgestorbener Haut zu säubern. Für beide Seiten ist das ein lohnendes Geschäft: Der Putzerfisch trägt zur Gesundhaltung seines Kunden bei und wird selbst satt davon. Doch diesem einfachen „Ich helfe dir, du hilfst mir“ liegt ein sehr viel komplexeres Verhaltensmuster zugrunde.
Wie Redouan Bshary vom Department für Zoologie der Universität Neuchatel/Schweiz und Alexandra Grutter von der University of Queensland/Australien schon früher in der freien Natur beobachteten, schmeckt dem kleinen Gemeinen Putzerfisch (Labroides dimidiatus) der Schleim (Mucus) auf der Haut anderer Fische viel besser als alle Parasiten. So kommt es vor, dass er seine Kunden hintergeht, indem er heimlich nascht.
Trotzdem nimmt der Betrug nicht überhand. Der Grund: Putzer und Klient beobachten sich gegenseitig (engl. Fachterminus: eavesdropping) und richten ihr Verhalten entsprechend aus. In einem Laborexperiment haben sich die Forscher nun angesehen, wie das funktioniert. In der aktuellen Ausgabe von Nature) (Vol 441 vom 22. Juni 2006, doi:10.1038/nature04755) berichten sie.
Wer beobachtet wen?
Die Kunden erwarten Reinigung, die frechen Putzerfischchen lockt der Schleim. Die Zoologen Bshary und Grutter beschäftigte daher folgende Fragen: Achten die Kunden darauf, was der Putzer macht? Und als Konsequenz daraus: Achtet der Putzer drauf, ob ihm jemand zusieht, wenn er entweder kooperativ ist oder betrügt?
Um Antworten zu bekommen, ließen sich die Forscher zwei Versuchsanordnungen einfallen. In einem ersten Experiment durfte ein Scheinschnapper (Scolopsis bilineatus) als Kunde zwei Putzer beobachten: Einen, der auf eine Attrappe aufgetragene Shrimpspaste futterte, also auf vorbildliche Weise den kooperativen Putzer gab, und einen zweiten, der desinteressiert um eine Attrappe herum schwamm und dem Klienten folglich keine Informationen lieferte.
Für uns war aufschlussreich, in wessen Nähe die Kunden mehr Zeit verbringen. Im Durchschnitt verbrachten sie 70 Prozent ihrer Zeit bei dem kooperativen Putzer. Sie suchen also die Nähe von Fischen, deren Verhalten sie kennen und gut finden.
Projektleiter Redouan Bshary im Gespräch mit Telepolis
In der zweiten Versuchsreihe interessierten sich Bshary und Grutter dafür, ob Putzerfische kooperativer sind, wenn sie beobachtet werden. D. h. fressen sie gegen ihre Präferenz, wenn ihnen das Zugang zu mehr Kunden verschafft. „Das Experiment beruht auf früheren Freilandbeobachtungen, bei denen wir feststellten, dass der momentane Kunde seltener zuckt, wenn keine Zuschauer da sind. Und zucken ist ein Hinweis darauf, dass der Putzer gebissen hat“, so Bshary.
Um diese Beobachtung im Labor zu testen, griffen sie zu einer raffinierten Versuchsanordnung: Aus den Kunden wurden Platten mit zwei verschiedenen Speisen, Fischflocken und Shrimpspaste, stellvertretend für Parasiten und Schleim. Jetzt mussten die Putzer lernen, dass das Fressen von Fischflocken erlaubt ist, wogegen das Fressen der Shrimpspaste zur „Flucht“ der Platte führte, sie wurde vom Experimentator rausgezogen.
Weil der Putzer Shrimpspaste bevorzugt, frisst er, wenn er sich die Fischflocken holt, gegen seine Präferenz. Indem wir die Putzer zuerst mit einer und dann mit beiden Speisen konfrontierten, wollten wir herausfinden, ob er gegen seine Präferenz frisst, wenn mehr Speise zur Verfügung steht und ob er das vor allem dann tut, wenn er Zuschauer hat. Es stellte sich tatsächlich heraus, dass auch die Putzer das Verhalten ihrer Kunden beobachten und auf ihr Prestige achten: Sie stürzten sich eher auf die Fischflocken, wenn sie durch das Auffressen der Shrimpspaste riskierten, den Zugang zu weiteren Speisen zu verlieren. So wie sie in der Natur durch ihr Verhalten Kunden verlieren würden.
Projektleiter Redouan Bshary im Gespräch mit Telepolis
Wie du mir, so ich dir?
Das oberflächlich so schlicht wirkende Geben und Nehmen zwischen Putzerfisch und Kunden beruht auf einer sehr komplexen Beziehung, aus der sich Aussagen über das Funktionieren von sozialer Kooperation ableiten lassen. Aussagen darüber, welche Strategien Tiere entwickeln, die ja ohne Polizei, ohne Verträge, ohne Richter auskommen müssen. Wie entsteht so ein Verhalten und wie wird es beibehalten, wenn das Risiko besteht, dass ein Individuum gern betrügen würde oder betrogen wird?
„Die indirekte Reziprozität ist eine Theorie, die dieses Verhalten zu erklären versucht“, erklärt Bshary. „Sie besagt, dass man durch kooperatives Verhalten ein Prestige aufbauen kann, durch das man sich Zugang zu neuen Kooperationspartnern verschafft. Es ist eine relativ neue Idee, die 1998 erstmals mathematisch formuliert wurde. Bislang gibt es jedoch nur Studien am Menschen, die zeigen, dass er sich so verhält. Unsere Experimente beweisen zum ersten Mal, dass auch Tiere das können, wenn auch in einer einfacheren Form.“
Menschen helfen fremden Menschen auch wenn sie von diesen niemals eine Gegenleistung erhalten. Die Ergebnisse von Bshary und Grutter liefern am Beispiel der Putzerfisches eine Vorstellung davon, wie Kooperation und Altruismus des Menschen entstanden sein könnten.
„Ich helfe A, B schaut zu und dann wird B mir ebenfalls helfen“, so Bshary. „Die Frage ist also, wie konnte dieses Verhalten entstehen, denn B könnte ja auch wegschauen und nicht mitbekommen, dass ich altruistisch bin. Um das aufzuschlüsseln, muss man zuerst verstehen, warum es sich lohnen kann, zuzusehen. Das ist bei unserem System der Fall. Der Kunde kann nicht betrügen, er kann nur den Putzer zu Interaktion auffordern. Der Putzer hingegen kann kooperieren oder betrügen. Wenn der Kunde den Putzer dabei beobachtet, wie er sich verhält, dann gewinnt er dabei Informationen, die ihm bei seiner Entscheidung helfen. Wichtig ist dabei, dass es ein egoistischer Akt ist, diese Informationen aufzunehmen. Die indirekte Reziprozität beruht in erster Linie auf egoistischen Motiven, doch ist sie einmal etabliert, kann sie auf rein altruistischen Antrieben beruhen.“
Noch viel zu erforschen
Mit diesen Ergebnissen ist das Verhalten des Putzerfisches laut Bshary aber noch längst nicht ausgeschöpft.
Wir setzen unsere Tests zum Verhalten von Kooperation und Betrug weiter fort. Denn es existieren noch andere Faktoren, die dabei eine Rolle spielen. Wir fragen etwa: Ist ein satter Putzer kooperativer als ein hungriger? Auch, dass Putzer häufig in Paaren arbeiten, wirft neue Probleme auf: Denn wenn der eine betrügt, wird der Partner für etwas bestraft, was er nicht begangen hat. Es gibt also noch eine Menge zu erforschen.