Wer sind die Linken in der Ukraine?

Sicher kein klassischer Linker: Der christliche Pazifist Ruslan Kotsaba. Foto: Mykola Vasylechko / CC0 1.0

Trotz des Verbots von elf Oppositionsparteien gibt es in der Ukraine noch legal operierende Linke, die kürzlich von Aktivisten aus Westeuropa besucht wurden.

Als Mitglied der Partei Die Linke für Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet zu sein, erfordert eine ausgefeilte Begründung – und die klingt so:

"Wer die demokratische Entscheidung der ukrainischen Bevölkerung gegen eine Unterwerfung unter die russische Vormundschaft nicht respektieren will, betrachtet Menschen nicht als Subjekte, sondern als Insassen imperialer Interessensphären und als eine Art Verschiebemasse großer Mächte. Für demokratische Sozialisten ist das inakzeptabel". So begründet Berlins Kultursenator Klaus Lederer im taz-Interview sein Plädoyer für Waffenlieferungen an die Ukraine.

Doch wie steht es um die demokratische Entscheidung einer Bevölkerung in einem Land, in dem zahlreiche Oppositionsparteien verboten sind? Erst vor wenigen Tagen bestätigte ein Gericht deren Verbot. Merkwürdiger ist die Kritik an diesen Parteienverboten gerade bei Menschen, die immer beschwören, in der Ukraine die westliche Freiheit zu verteidigen, sehr verhalten.

Aversion gegen ukrainische Pazifisten

Denis Pilash kritisiert das Verbot von insgesamt elf Parteien sowie die massive Einschränkung der Gewerkschafts- und Arbeiterrechte, die in der Ukraine im Windschatten des Krieges mit Russland per Dekret durchgesetzt wurden. Er gehört der Organisation Sotsialnyi Rukh an, was übersetzt Soziale Bewegung heißt, an – den Linken in der Ukraine, die noch legal arbeiten können. Pilash gehörte zu den ukrainischen Linken, die kürzlich von einer Delegation von Aktivisten aus verschiedenen westeuropäischen Staaten in Lwiw besucht wurden.

Die Bandbreite dieser legalen linken Opposition war groß. Darunter ist Yana Wolf von der NGO Women’s Perspectives, die in Kriegszeiten keinen Kontakt zu russischen Feministinnen haben will, auch wenn die Kriegspolitik des Regimes vielleicht gar nicht unterstützen. Auch die Aversion gegen die wenigen ukrainischen Pazifisten ist bemerkenswert.

Der Wissenschaftler Yurii Sheliazhenko lebt in Kiew. Er ist Vorsitzender und laut der in Lwiw Anwesenden auch einziges Mitglied der "Ukrainischen Pazifistischen Bewegung". In Online-Videos sprach er sich gegen den von Russland begonnenen Krieg, aber auch gegen die bewaffnete Verteidigung des Landes aus.

"Sheliazhenko, ein Linker?" – Denis Pilashs Augenbrauen rutschen nach oben, als wir ihn am Abend des zweiten Tages darauf ansprechen. »Dazu kann ich zwei Sachen sagen: Erstens ist Yurii Sheliazhenko ein Einzelgänger, der keinerlei Verbindung zur Linken hat. Er ist niemand, den man bei linken Veranstaltungen treffen würde. Und zweitens bezeichnet er sich nicht mal selbst als links.


Aus dem Reisebericht in der Zeitschrift Analyse und Kritik

Natürlich stimmt es, dass Pazifisten in Kriegszeiten besonders isoliert sind und wie auch der ukrainische christliche Pazifist Ruslan Kotsaba besonders bedroht sind. Es ist auch die Position der Vaterlandsverteidiger, Pazifisten im eigenen Land immer besonders zu diffamieren und ihre Kriminalisierung nicht zu erwähnen. Auch die Ablehnung von Kontakten auch zu Organisationen im Land der gegnerischen Kriegspartei, auch wenn sie gegen die Regierungspolitik sind, war immer wieder Praxis der Vaterlandsverteidiger aller Länder.

Linke Kriegsgegner haben dagegen immer die Kooperation mit Kriegsgegnern anderer Länder gesucht. Besonders die Kooperation mit Kriegsgegnern aus dem Land, dessen Regierung gerade Krieg führt, müsste ein besonderes Anliegen von linken Gruppen sein. Erinnert sei an die Zimmerwalder Linke im Ersten Weltkrieg, die gerade betont hat, dass der Krieg der Herrschenden nicht ihr Kampf ist, egal wo sie leben.

Für Kooperation der Bevölkerung gegen die Regierungen

Einer solchen Position kommt unter den in Lwiw besuchten ukrainischen Linken der Eisenbahngewerkschafter Aleksandr Skiba am nächsten.

"Sobald wir anfangen, die russischen und die ukrainische Bevölkerung zu Feinden zu erklären, wird das die Russen mehr für den Krieg zusammenschweißen", glaubt der Lokführer. Auch unter den russischen Besatzungssoldaten gebe es Menschen, die sich anständig verhielten. Zudem seien viele enttäuscht davon, dass sie als Kanonenfutter verheizt würden, hätten ihm Bekannte erzählt, die mit russischen Soldaten ins Gespräch gekommen seien. Wenn man die demoralisierten Soldaten stärker "aufwiegeln" und ihnen die Wahrheit aufzeigen könne, gebe es vielleicht die Möglichkeiten, den Krieg schneller zu beenden.


Aleksandr Skiba / Analyse und Kritik