Wer sind die Linken in der Ukraine?

Seite 2: Die Linken, die nicht besucht werden

Es ist also sehr sinnvoll, diese unterschiedlichen, bisher noch legalen Linken in der Ukraine zu besuchen, denn dadurch wird auch deutlich, dass der Mythos vom geschlossen gegen Russland kämpfenden ukrainischen Volk auch nur eine nationalistische Erzählung ist. Das zumindest wird aus den Stellungnahmen der Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmer deutlich.

Dabei sollte immer betont werden, dass es sich hier eben nur um einen Ausschnitt der ukrainischen Gesellschaft handelt. Warum wurde eigentlich nur über den Pazifisten Yurii Sheliazhenko gesprochen? Warum wurde nicht auch er besucht und kritisch befragt? Oder war dies wegen der drohenden Repression nicht möglich? Und was ist mit den Anhängern der verbotenen Parteien, die insgesamt einen beträchtlichen Teil der ukrainischen Bevölkerung betreffen?

Auch dort gibt es Menschen, die sich als Linke verstehen. Wäre es nicht eine lohnende Aufgabe, auch die zu besuchen? Sollte die globale Linke nicht die Einteilung in prowestliche und prorussische Ukrainer überwinden? Es fällt auf, dass gerade die, die jetzt so sehr betonen, man müsse jetzt auf die Menschen in der Ukraine oder den osteuropäischen Ländern hören, immer den Teil der Bevölkerung vergessen, der nicht als Anhänger der EU und des globalen Westens gilt.

Es sind dann fast automatisch immer die Natofreunde, die als Argument herangezogen werden, dass auch antinationale Linke hierzulande, endlich zu Realpolitikern werden sollen, und ihre Kritik an Staat, Nation und Nato aufgeben soll.

Rettung der polnischen Sprache und Kultur

Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag der polnischen Sozialdemokratin Renata Kaminiska in der Jungle World. Dabei wird zu erwähnen vergessen, dass die Partei Razem bei allem verdienstvollen Engagement für feministische und soziale Interessen immer schon eine nationale Rhetorik hatte.

Das lag einfach daran, dass sie mit der nationalkonservativen Regierung in Konkurrenz um die Wählerstimmen treten musste, die auch eine sozialpatriotische Linie fährt. Nur gab es lange Zeit auch von Linken in Polen und Deutschland Kritik an dieser nationalen Orientierung von Razem. Die wird nun dem Beitrag von Kaminiska besonders deutlich: Das beginnt schon mit dem Lamento über Gebietsabtretungen:

Ich stamme aus Zamość, einer polnischen Stadt nahe der ukrainischen Grenze, dem Geburtsort Rosa Luxemburgs. Außerhalb Polens ist kaum bekannt, dass die Grenzen, die nach dem Zweiten Weltkrieg für das Land festgelegt worden waren, noch im Nachhinein von der sowjetischen Führung unter Stalin verschoben worden sind. 1951 kam es zum Polnisch-Sowjetischen Gebietsaustausch, der nur offiziell von polnischer Seite initiiert worden war.


Renata Kaminska, Jungle World

Dabei wird ausgeblendet, dass die Grenzverschiebungen komplexe historische Gründe haben, die in den Auseinandersetzungen zwischen Polen und Russland nach der Oktoberrevolution liegen. Zudem knüpft Kaminska hier an einen Diskurs der deutschen Vertriebenenverbände an, die immer wieder beklagten, dass Polen angeblich deutsche Gebiete besetzt hat und damit für den Verlust der Gebiete im Osten entschädigt wurde.

Es stimmt eben nicht, dass über die Gebietsabtretungen in Deutschland nicht geredet wurde. Doch es war ein revisionistischer Diskurs der Vertriebenenverbände und er ist auch nicht davon zu trennen. Wenn die Autorin betont, sie ist in der gleichen Stadt wie Rosa Luxemburg geboren, wäre es doch sinnvoll gewesen, sie hätte die Kritik am Nationalismus zur Kenntnis genommen, für die diese Sozialistin bekannt war. Rosa Luxemburg hat immer betont, dass eine Linke nicht die nationale, sondern die soziale Befreiung in den Mittelpunkt stellen soll.

Zudem hat sie immer betont, dass es egal ist, ob Kapitalisten, die menschliche Arbeitskraft ausbeuten, deutsch, russisch oder Polnisch sprechen. Bei Kaminska heißt es hingegen:

Polen wurde über einen Zeitraum von 123 Jahren von Deutschen, Russen und Österreichern okkupiert, die polnische Sprache unterdrückt. Das sind etwa vier Generationen. Oftmals reicht es aus, die Sprache eine Generation lang zu unterdrücken, um sie aussterben zu lassen. Die Leute wollen eben ein normales, bequemes Leben haben und akzeptieren dann, dass sie sich einer anderen Sprache bedienen müssen.

Renata Kaminska, Jungle World

Hier bedient die Autorin eine klassisch nationalistische Argumentation, mit der Menschen, die eben nicht so viel Wert darauf legen, eine bestimmte national korrekte Sprache zu sprechen, dafür kritisiert werden, dass sie angeblich nur ein schönes Leben wollen und dafür verantwortlich sind, dass eine Sprache ausstirbt. Linke hingegen sollten sich vielleicht eher um eine Verbesserung um ihre soziale Situation kümmern und sich nicht im Kampf um Sprache, Heimat und Tradition verzetteln.

Eine solche Position wurde bisher in der Jungle World beispielsweise auch in der Auseinandersetzung mit linken katalanischen Nationalisten hochgehalten, die plötzlich den Kampf um eine Sprache, die auszusterben drohte, begonnen haben. Mit dieser Kritik standen sie nahe an den Vorstellungen von Rosa Luxemburg. Es bleibt die Frage, warum Linke auch in Deutschland sich nicht weiter an den Vorstellungen dieser linken Kosmopolitin orientieren und die nationalistischen Diskurse damit kritisieren sollen, wo immer sie auftreten.