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Wer wird die Arche bauen?

Edward Hicks: Arche Noah (1847). Bild: gemeinfrei

Das Gebot zur Utopie im Zeitalter der Katastrophen

Der Urbanist und gesellschaftskritische Soziologe Mike Davis, der am Department of History [1] an der University of California in Irvine lehrt, erhielt am vergangenen Montag den ersten "Kulturpreis", der von der Münchener Universitätsgesellschaft [2] ausgelobt wird. Laudator war der ehemalige deutsche Umweltminister und Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen Klaus Töpfer. Mit dem Preis, der mit 25.000 Euro dotiert ist, sollen herausragende Persönlichkeiten aus den Bereichen Literatur, Kunst oder Geisteswissenschaften ausgezeichnet werden, die die öffentliche Diskussion angestoßen und die wissenschaftliche Forschung beeinflusst haben.

Dieser erste Preis ist thematisch verbunden mit der Ringvorlesung der Ludwig-Maximilians-Universität München über Die Stadt der Zukunft - Zukunft der Stadt: zur Urbanisierung und Globalisierung der Lebenswelt im 21. Jahrhundert [3]. Die Jury (Mitglieder: Barbara Vinken, Michael Bordt, Klaus Benesch, Chris Dercon, Hans van Ess, Hubertus Kohle, Florian Rötzer, Wolfgang Strassl) entschied sich für Mike Davis als einen der derzeit weltweit anregendsten, vielseitigsten, engagiertesten und auch provokativsten Urbanisten, der immer wieder neue Perspektiven erschlossen und Debatten ausgelöst hat (Dr. Wolfgang Strassl, Vorsitzender der Münchener Universitätsgesellschaft und Mitglied der Jury, in seiner Rede zur Preisverleihung zum erstmals verliehenen Kulturpreis [4] .

Davis wurde auch deswegen geehrt, wie Klaus Töpfer betonte, weil er einen weltoffenen, die Disziplinen kreativ überschreitenden Intellektuellen darstellt, der nicht nur als Gelehrter, sondern auch als Schriftsteller arbeitet und sich als politisch engagierter Aktivist versteht. Er hat vor dem Studium der Ökonomie mehrere Jahre als Lastwagenfahrer und in einem Schlachthof gearbeitet, was seine Sicht auf die Welt geprägt hat. Sein erstes Buch "Phönix im Sturzflug" (Prisoners of the American Dream) beschäftigte sich mit den amerikanischen Arbeitern.

Mit seinem Buch "City of Quartz" über die Stadtgeschichte und Zukunftsaussichten von Los Angeles wurde er weltweit bekannt (Ausgrabungen der Zukunft in Los Angeles [5]). Daran schloss das Buch "Die Ökologie der Angst" an, in dem Davis die ökologischen Probleme einer vom Kapital bestimmten Stadt wie Los Angeles thematisierte (Los Angeles - 138 Mal zerstört [6]). Auf die globalen Probleme des urbanen Zeitalters, in das wir eingetreten sind, machte er auf eindringliche Weise in "Der Planet der Slums" aufmerksam (Ground Zero der Menschheit [7]). Er widmete sich überdies "Der Geschichte der Autobombe", die den modernen, urbanen Terrorismus prägte und prägt, analysierte die besonders die Städte bedrohende "Vogelgrippe. Zur gesellschaftlichen Produktion von Epidemien" und versuchte in "Die Geburt der Dritten Welt" zu zeigen, wie im Zeitalter des Kolonialismus bereits klimabedingte Hungerkatastrophen und Epidemien mit systematisch praktizierter Ausbeutung die armen Entwicklungsländer geschaffen wurden. Die futuristische Visionen des modernen Finanzkapitalismus analysierte Davis in "Angst und Geld in Dubai".

Der hier veröffentlichte Text ist die Rede, die Mike Davis am Montag an der LMU gehalten hat. In ihr macht er deutlich, wie Klima-, Sozial-, Wirtschafts- und Stadtpolitik einandergreifen und dasses höchste Zeit wird, aus einem umfassenden Verständnis der komplexen Situation heraus und mit einer neuen utopischen Zielrichtung zu handeln.

Kennen Sie die berühmte Gerichtsszene aus dem Welles-Klassiker "Die Lady von Shanghai"? Dieser Film Noir aus dem Jahr 1947 ist eine Allegorie auf proletarische Tugenden unter dem Joch einer dekadenten Oberschicht. Welles spielt einen Matrosen namens Michael O'Hara, der sich auf ein Schäferstündchen mit der Femme Fatale Rita Hayward einlässt, deren Ehemann, Arthur Bannister (gespielt von Everett Sloan), ihm daraufhin einen Mord anhängt. Bannister gilt als bester Strafverteidiger des Landes und bringt O'Hara dazu, sich von ihm verteidigen zu lassen. In Wahrheit will er aber nur sicherstellen, dass der Angeklagte verurteilt und hingerichtet wird. Höhepunkt des Verfahrens ist eine Szene, die der Staatsanwalt verächtlich als "erneuten Griff in die Bannister-Trickkiste" bezeichnet. Der Verteidiger Bannister ruft Bannister, den betrogenen Ehemann, in den Zeugenstand und befragt sich selbst in einem rasanten, schizoiden Schlagabtausch, der sehr zur Erheiterung der Geschworenen beiträgt.

Ganz im Stil der "Lady aus Shanghai" möchte ich heute einmal mit mir selbst diskutieren. Werden Sie also Zeuge eines mentalen Konflikts zwischen analytischer Verzweiflung und utopischer Möglichkeit, der aus meiner Sicht, und vermutlich auch objektiv gesehen, nicht zu lösen ist.

Der erste Teil meiner Ausführungen, "Pessimismus des Intellekts", widmet sich der Argumentation, dass wir die erste entscheidende Schlacht im Kampf gegen die Erderwärmung bereits verloren haben. Das Kyoto-Protokoll hat laut der etwas selbstgefälligen, aber leider allzu wahren Aussage einer seiner größten Gegner "keine messbaren Ergebnisse im Hinblick auf die klimatischen Veränderungen gebracht. Statt der beabsichtigten Reduzierung der globalen CO2-Emissionen kam es zu einem Anstieg derselben Größenordnung."

Es ist zudem unwahrscheinlich, dass Post-Kyoto-Bemühungen die Treibhausgaswerte bis 2020 diesseits der berühmten "roten Linie" von 450 ppm stabilisieren können. In diesem Fall werden auch die größten Anstrengungen der nächsten Generation nicht ausreichen, um radikale Umwälzungen in den Bereichen Ökologie, Wasservorkommen und Agrarsysteme zu verhindern. Auf einer wärmeren Erde wird sozioökonomische Ungerechtigkeit meteorologische Ursachen haben, und die reichen Länder der nördlichen Hemisphäre, deren Kohlenstoffemissionen für die Zerstörung des klimatischen Gleichgewichts des Holozäns verantwortlich sind, werden sich kaum veranlasst fühlen, die für eine Anpassung der Agrarsysteme nötigen Mittel mit den ärmeren, subtropischen Ländern zu teilen, die am stärksten unter Trockenheiten und Überflutungen zu leiden haben.

Im zweiten Teil des Vortrags folgt mein eigener Gegenbeweis ("Optimismus durch Fantasie"). Ich berufe mich auf das Paradoxon, dass die wichtigste Ursache der Erderwärmung - die Urbanisierung durch den Menschen - möglicherweise eine grundlegende Lösung für das Überleben der Menschheit im späteren 21. Jahrhundert beinhalten könnte. Wenn sich an der kläglichen Politik der Gegenwart nichts ändert, werden die derzeitigen Armutsstädte mit größter Wahrscheinlichkeit untergehen. Diese Tatsache sollte für uns jedoch um so mehr Grund sein, im Sinne Noahs endlich damit zu beginnen, unsere eigene Arche zu bauen. Da wir jedoch einen Großteil unseres einstigen Baumbestands bereits dem Fortschritt geopfert haben, wird diese neue Arche zwangsläufig aus den Materialien gemacht sein müssen, die der Menschheit heute im Zeitalter der Aktivisten-Communitys, Piratentechnologien, Raubkopien, Wissenschaftsrevolutionären und vergessenen Utopien zur Verfügung stehen.

Plädoyer der Anklage: Pessimismus des Intellekts

1. Abschied vom Holozän

Unsere Erde, unsere gute, alte Erde, die in den letzten 12.000 Jahren unsere Heimat war, existiert nicht mehr, auch wenn bisher noch keine Zeitung in Nordamerika oder Europa ihren wissenschaftlichen Nachruf gedruckt hat.

Letzten Februar, während Baukräne die Außenverkleidungen des 141. Stockwerks des Burj Dubai Tower (der jetzt doppelt so hoch ist wie das Empire State Building) in die Höhe hievten, enthüllte die Stratigraphie-Kommission der Geological Society of London das neueste und oberste Stockwerk der geologischen Säule.

Die London Society ist die älteste geowissenschaftliche Vereinigung der Welt und wurde im Jahr 1808 gegründet. Ihre Kommission agiert quasi als Kardinalsversammlung für Entscheidungen im Hinblick auf die geologische Zeitskala. Stratigraphen bringen die Geschichte unserer Erde, wie wir sie durch Analyse der unterschiedlichen Gesteinsschichten nachvollziehen können, in eine Abfolge von Äonen, Ären, Perioden und Epochen, deren Abfolgen durch Massensterben, Artbildungsprozessen und/oder plötzlichen Veränderungen der Erdatmosphäre gekennzeichnet sind (die sog."Golden Spikes").

In der Geologie, genau wie in der Biologie und Geschichte, ist die Periodisierung eine komplexe, kontroverse Kunst, und der erbittertste Streit unter britischen Wissenschaftlern im neunzehnten Jahrhundert, noch heute bekannt als die "Great Devonian Controversy", wurde über konkurrierende Interpretationen der Vorkommen walisischer Grauwacken und englischer Old-Red-Sandsteine ausgetragen.

Die Geowissenschaft setzt folglich außerordentlich strenge Maßstäbe für die Anerkennung neuer geologischer Unterteilungen. Obwohl die Idee des "Anthropozäns" - definiert durch das Auftreten der urban-industriellen Gesellschaft als geologischer Faktor - bereits seit langem in der Literatur ihre Kreise zieht, haben die Stratigraphen ihre Berechtigung bisher niemals anerkannt.

Zumindest was die London Society angeht, hat sich diese Position nun geändert. Die Frage "Leben wir derzeit im Anthropozän?" wurde von den 21 Mitgliedern der Kommission einstimmig bejaht. Sie liefern überzeugende Beweise dafür, dass das Holozän, dieser zwischeneiszeitliche Zeitraum mit ungewöhnlich stabilen Klimaverhältnissen, die die rasche Entwicklung landwirtschaftlicher und urbaner Zivilisation ermöglichten, zum Ende gekommen und die Erde in "einen stratigraphischen Abschnitt eingetreten ist, für den in den letzten Millionen Jahren keine Entsprechung zu finden ist". Neben dem Anstieg der Produktion von Treibhausgasen spielen für die Stratigraphen landschaftliche Veränderungen durch den Menschen, die "mittlerweile die Auswirkungen der natürlichen Sedimentproduktion [pro Jahr] um eine erhebliche Größenordnung übertreffen", die verhängnisvolle Übersäuerung der Ozeane und die stetige Zerstörung von Biota eine Rolle.

Laut ihren Erläuterungen ist dieses neue Zeitalter sowohl durch die zunehmende Erwärmung (deren eheste Entsprechung wohl die als Paläozän/Eozän-Grenze bekannte Katastrophe vor 56 Millionen Jahren sein dürfte) als auch durch die für die Zukunft erwartete völlige Instabilität der Umgebungsbedingungen gekennzeichnet. Ganz nüchtern ausgedrückt, warnen sie davor, dass "die Kombination von Artensterben, globaler Artenwanderungen und der weit verbreiteten Verdrängung natürlicher Vegetation durch landwirtschaftliche Monokulturen ein unmissverständliches biostratigraphisches Signal unserer Zeit darstellt. Diese Auswirkungen sind bleibend, da die zukünftige Entwicklung auf den überlebenden (und häufig anthropogen verschobenen) Beständen aufbaut." Mit anderen Worten: Die Evolution selbst wurde in eine neue Bahn gezwungen.

2. Spontane CO2-Reduktion?

Die Anerkennung des Anthropozäns durch die Kommission fällt mit zunehmenden wissenschaftlichen Debatten über den im letzten Jahr vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC; Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) veröffentlichten 4. Klimabericht zusammen.

Das IPCC ist damit betraut, die mögliche Reichweite von Klimaveränderungen zu analysieren und angemessene Zielwerte für die Reduzierung von Emissionen festzulegen. Die wichtigsten Basisdaten umfassen Einschätzungen der "Klimasensitivität" angesichts steigender Treibhausgasemissionen sowie sozioökonomische Tableaus, die den Einsatz unterschiedlicher Energieformen und folglich unterschiedliche Emissionsentwicklungen für die Zukunft gegenüberstellen. Eine überwältigende Anzahl erfahrener Forscher, einschließlich wichtiger Mitglieder der IPCC-eigenen Arbeitsgruppen, hat jedoch kürzlich ihr Unbehagen bzw. ihre Ablehnung der Bewertungsmethoden zum Ausdruck gebracht, die dem 4. Klimabericht zugrunde liegen und laut Vorwurf zahlreicher Forscher zu optimistische geophysikalische und soziale Prognosen ergeben.

Der berühmteste Gegner ist James Hansen vom Godard Laboratory der NASA. Der Paul Revere der Erderwärmung, der den US-Kongress zum ersten Mal in einer legendären Anhörung im Jahr 1988 vor den Gefahren der Treibhausgase warnte, kehrte in diesem Jahr mit der beunruhigenden Nachricht nach Washington zurück, das IPCC habe, durch sein Versäumnis, entscheidende Rückkopplungen im Erdsystem zu parametrisieren, einen viel zu großen Spielraum für mögliche Kohlenstoffemissionen in der Zukunft gelassen. Im Gegensatz zu der vom IPCC empfohlenen Grenze von 450 ppm Kohlendioxid fand sein Forschungsteam überzeugende paläoklimatische Beweise dafür, dass der sichere Grenzwert bei höchstens 350 ppm liegt.

Die "erstaunliche Konsequenz" dieser neuen Erkenntnisse über die Klimasensitivität besteht darin, dass "das so oft genannte Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, statt zur Rettung unserer Erde zu einer globalen Katastrophe führen wird." Besonders beunruhigend ist der Gedanke, dass wir, da der derzeitige Wert bei rund 385 ppm liegt, den berühmten "Tipping Point" bereits überschritten haben könnten. Hansen hat daher eine wahre Armada idealistischer Wissenschaftler und Umweltaktivisten, zu denen unter anderem Al Gore und Bill McKibbin gehören, zusammengetrommelt, um unsere Erde mit Hilfe einer Umweltsteuer zu retten. Diese könnte die Treibhausgaskonzentrationen bis 2015 auf den Stand der Vor-Busch-Ära zurückführen.

Ich beschäftige mich in meiner Freizeit zwar viel mit geowissenschaftlichen Themen, lese gern in der entsprechenden Fachliteratur und tausche mich gelegentlich auch mit befreundeten Geophysikern vom Lamont-Doherty aus, bin jedoch nicht qualifiziert, mich zur Hansen-Debatte zu äußern oder zu mutmaßen, welche Einstellung des planetaren Thermostats die Erde retten könnte. Hingegen bin ich der festen Überzeugung, dass jeder, der sich mit Sozialwissenschaften beschäftigt oder einfach aufmerksam die aktuellen Makrotrends verfolgt, sich selbstbewusst in die Diskussion über den zweiten, sehr kontroversen Eckstein des 4. Klimaberichts einschalten sollte: die darin enthaltenen sozioökonomischen Prognosen und das, was wir das "politische Unterbewusstsein" nennen wollen.

Die aktuellen Szenarien wurden vom IPCC im Jahr 2000 erarbeitet und sollen zukünftige weltweite Emissionswerte auf der Grundlage verschiedener "Storylines" im Hinblick auf Bevölkerungswachstum sowie technologische und wirtschaftliche Entwicklungen simulieren. Die Hauptszenarien, die A1-Familie, die B2 und so weiter, sind politischen Entscheidungsträgern und Umweltaktivisten bekannt, von den Wissenschaftlern einmal abgesehen, haben jedoch die Wenigsten auch wirklich das Kleingedruckte des Berichts gelesen, insbesondere die kühne Annahme des IPCC, höhere Energieeffizienz werde ein "automatisches" Nebenprodukt der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung sein. So gehen alle Szenarien, selbst die Varianten, in denen "alles bleibt, wie gehabt", davon aus, dass fast 60 Prozent einer zukünftigen Reduktion von Kohlenstoffemissionen unabhängig von expliziten Umweltmaßnahmen erreicht werden können.

Das Panel setzt also alles, einschließlich unseres Planeten, auf eine Karte und hofft auf eine marktgesteuerte Entwicklung in Richtung einer Weltwirtschaft jenseits der Emissionsproblematik: ein Prozess, der nicht nur internationale Emissionslimits und CO2-Handel erfordert, sondern auch die Selbstverpflichtung der Unternehmen zum Einsatz von Technologien voraussetzt, für die es derzeit kaum Prototypen gibt, wie z. B. CO2-Abscheidung, Wasserstoffsysteme und andere alternative Antriebssysteme oder Biotreibstoffe auf Zellulosebasis. "In vielen SRES-Szenarien [des IPPC], die die zukünftige Entwicklung illustrieren sollen, übersteigt der Einsatz emissionsfreier Energieversorgungssysteme die Größe des globalen Energiesystems von 1990", betonen die Autoren des jüngsten Meilensteinberichts von SCOPE zum Thema Der globale Kohlenstoffkreislauf (2004).

Übereinkommen vom Typ Kyoto und die Kohlenstoffmärkte sollen, in Analogie zur keynesianischen "Ankurbelung der Wirtschaft", die Lücke zwischen der spontanen CO2-Reduktion und den von jedem Szenarium vorausgesetzten Emissionszielen füllen. Auch wenn das IPCC dies nicht ausdrücklich formuliert, geht es in seinen Reduktionszielen doch notwendigerweise davon aus, dass die Einnahmen, die durch höhere Preise für fossile Brennstoffe erzielt werden, innerhalb der nächsten Generation effizient in Technologien zur Förderung erneuerbarer Energie investiert und nicht an riesige Wolkenkratzer, Asset-Bubbles und Mega-Ausschüttungen für Aktionäre verschwendet werden.

Laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur wird es insgesamt rund 45 Billionen US-Dollar kosten, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 zu halbieren. Ohne den wichtigen Quotienten des "automatischen" Fortschritts im Bereich Energieeffizienz wird dies jedoch niemals möglich sein, was die Ziele des IPPC in unerreichbare Ferne rückt. Im schlimmsten Fall (der einfachen Hochrechnung auf der Grundlage der aktuellen Energienutzung), könnten sich die CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts leicht verdreifachen.

In einer der letzten Ausgaben von Nature wiesen Kritiker auf die kümmerlichen Fortschritte des letzten (man kann schon sagen "verlorenen") Jahrzehnts hin, um deutlich zu machen, dass die Grundannahmen des IPPC in Bezug auf Märkte und Technologien wenig mehr als kühnes Wunschdenken sind. Kaum überraschen kann die Tatsache, dass sich die "freiwillige" Verpflichtung der Bush-Regierung zu einer Reduktion des CO2-Ausstoßes um 18 Prozent bis 2012 als schlechter Scherz erwiesen hat. In Europa kam es unterdessen Anfang 2008 trotz der Einführung des von der Europäischen Union so hoch gelobten Cap-and-Trade-Systems vor drei Jahren zu einem (in einigen Sektoren dramatischen) Anstieg der CO2-Emissionen.

Auch gab es in den letzten Jahren nur wenig Hinweise auf einen automatischen Fortschritt im Bereich Energieeffizienz, der aber für die IPCC-Szenarien eine unabdingbare Voraussetzung darstellt. Ein Großteil dessen, was die Szenarien als Effizienzgewinn durch neue Technologien darstellen, ist in Wahrheit nur das Ergebnis der Auslagerung von Schwerindustrien in den Vereinigten Staaten, in Europa und den ehemaligen Sowjetstaaten. Natürlich wird durch die Verlagerung energieintensiver Produktionsprozesse nach Ostasien die CO2-Bilanz einiger OECD-Länder aufpoliert, doch sollten wir Deindustrialisierung nicht mit einer spontanen CO2-Reduktion verwechseln. Die meisten Wissenschaftler sind der Ansicht, dass die Energieintensität seit dem Jahr 2000 eher gestiegen ist, d. h. die CO2-Emissionen sind weltweit ebenso stark angestiegen wie die Energienutzung, wenn nicht sogar leicht stärker.

Zudem ist das Kohlenstoff-Budget des IPCC bereits überschritten. Ende September berichtete das Global Carbon Project, das über die Entwicklungen in diesem Bereich Buch führt, dass die Emissionen schneller ansteigen als selbst in den pessimistischsten Szenarien des IPPC angenommen. Zwischen 2000 und 2007 stieg der Ausstoß von Kohlendioxid jährlich um 3,5 Prozent, die Prognosen des IPCC gingen dagegen nur von 2,7 Prozent aus. Während der 1990er Jahre hatte dieser Prozentsatz noch bei 0,09 gelegen. Mit anderen Worten: Wir bewegen uns bereits jetzt nicht mehr im Rahmen der IPCC-Grenzen und für diesen unvorhergesehenen Anstieg der Treibhausgasemissionen könnte zu großen Teilen die Kohlenutzung verantwortlich sein.

Die Kohleproduktion hat im letzten Jahrzehnt eine tragische Renaissance erlebt, so dass der Albtraum des 19. Jahrhunderts jetzt auch das 21. Jahrhundert heimsucht. In China schuften fünf Millionen Bergbauarbeiter unter lebensgefährlichen Bedingungen, um den umweltfeindlichen Rohstoff zu gewinnen, der es Beijing ermöglicht, im Schnitt jede Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb zu nehmen. Aber Kohle boomt ebenso in Europa (für die nächsten fünf Jahre sind 50 neue Kohlekraftwerke geplant) und Nordamerika (wo nicht weniger als 200 neue Kraftwerke in Planung sind). In Großbritannien wird es mit Kingsnorth einen Kohlekraftwerk-Riesen geben, dessen jährlicher CO2-Ausstoß die Emissionen von 30 Entwicklungsländern übersteigt. Ein ähnlich tragisches Beispiel ist ein geplantes Mega-Kraftwerk in West Virginia mit einem CO2-Ausstoß, der den Abgasen von einer Million Autos entspricht.

Wissenschaftler wie Hansen und Reformer wie Al Gore, die davon überzeugt sind, dass das Überleben der Menschheit von einer drastischen und unmittelbaren Reduktion der CO2-Emissionen abhängt, werden in den Trendprognosen wenig Tröstung finden. Im Rahmen einer beeindruckenden Studie über Die Zukunft der Kohle, die im letzten Jahr veröffentlicht wurde, kamen Ingenieure des MIT zu dem Schluss, dass die Nutzung von Kohle im Rahmen jedes denkbaren Szenariums zunehmen wird, selbst angesichts hoher Umweltsteuern. Investitionen in die Technologie der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS, Carbon Capture and Sequestration) sind überdies "völlig unzureichend", so dass CCS, immer vorausgesetzt, diese Technologie ist in der Praxis umsetzbar, wohl frühestens ab 2030 eine sinnvolle Alternative für die allgemeine Energieversorgung darstellt.

In den Vereinigten Staaten hat die jüngste "Umweltgesetzgebung" der Bush-Regierung nur einen "perversen Anreiz" für die Energieversorger geschaffen, weitere Kohlekraftwerke zu bauen, in der "Annahme, dass die Emissionen dieser Kraftwerke von zukünftigen CO2-Bestimmungen "ausgenommen" und ihnen freie CO2-Kontingente zugesprochen würden." Inzwischen hat ein Konsortium von Kohleproduzenten, Kohlekraftwerken und Eisenbahnbetreibern, die sich selbst die American Coalition for Clean Coal Electricity nennen, im letzten Wahlzyklus 40 Millionen US-Dollar ausgegeben, um sicherzustellen, dass beide Präsidentschaftskandidaten sich einmütig über die Vorzüge des zwar umweltfeindlichsten, aber günstigsten Brennstoffs auslassen.

Vor allem aufgrund der scheinbar unverwüstlichen Popularität der Kohle, eines fossilen Brennstoffs, der nachweislich noch Vorräte für die nächsten 200 Jahre liefert, ist das Pew Center on Global Climate Change der Ansicht, dass der "Kohlenstoffgehalt pro Energieeinheit in Zukunft wahrscheinlich noch ansteigen wird." So hatte das U.S. Energy Department vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft in der Tat im Verlauf der nächsten Generation einen Anstieg der nationalen Energieproduktion um mindestens 20 Prozent prognostiziert. Global gesehen soll laut Schätzungen der Gesamtverbrauch fossiler Brennstoffe um 55 Prozent ansteigen. Dabei sollen sich die internationalen Ölexporte volumenmäßig verdoppeln.

Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, das seine eigene Studie über die Zielsetzungen für nachhaltige Energien durchgeführt hat, weist darauf hin, dass es "bis 2050 einer weltweiten Reduktion der Treibhausgasemissionen um 50 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990" bedarf, um die Menschheit aus der Gefahrenzone einer galoppierenden Erwärmung (die in der Regel als Temperaturanstieg um mehr als zwei Grad innerhalb dieses Jahrhunderts definiert ist) zu retten. Stattdessen werden die Emissionen jedoch laut Prognose der Internationalen Energieagentur aller Wahrscheinlichkeit nach über das nächste halbe Jahrhundert um fast 100 Prozent ansteigen. Damit hätten wir genügend Treibhausgase produziert, um auf einen Schlag gleich mehrere der kritischen Tipping Points zu passieren.

3. Eine grüne Rezession

Die derzeitige Weltwirtschaftskrise, ein nicht vorhersehbares Ereignis, das die IPCC-Szenaristen in ihren Modellen nicht berücksichtigen, könnte einen kurzzeitigen Aufschub bringen, besonders da die gesunkenen Ölpreise eine Öffnung der Büchse der Pandora in Form einer Nutzung neuer Mega-Kohlenstoffreserven wie Ölsand und -schiefer bisher verzögern. Dieser Rückgang kann jedoch kaum die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds aufhalten, da die brasilianischen Bauern bemüht sein werden, ihre Bruttoeinkünfte durch eine erweiterte Produktion zu verteidigen. Da zudem beim Strombedarf weniger Spielraum vorhanden ist als bei der Nutzung von Autos, wird der Anteil von Kohle am CO2-Ausstoß auch weiterhin steigen. Außerdem ist die Kohleproduktion in den Vereinigten Staaten derzeit die einzige zivile Industrie bzw. der einzige Wirtschaftssektor, der eher einstellt als Arbeiter zu entlassen.

Was noch gravierender ist: Die fallenden Preise für fossile Brennstoffe und die gelähmten Kreditmärkte nehmen den Unternehmen jeden Anreiz, in kapitalintensive Wind- und Solaralternativen zu investieren.

An der Wall Street sind die Aktien im Bereich Öko-Energie schneller gefallen als der Markt insgesamt und das Investitionskapital hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst, so dass einigen der gefeiertsten Start-ups im Bereich Saubere Energien wie Tesla Motors und Clear Skies Solar jetzt der plötzliche Kindstod droht. Auch die vom designierten Präsidenten Obama befürworteten Steuerentlastungen werden an dieser grünen Rezession wohl kaum etwas ändern können. So sagte ein Venture Capital Manager kürzlich gegenüber der New York Times: "Wenn Erdgas nur noch $ 6 kostet, wirkt Windenergie plötzlich eher zweifelhaft und Solarenergie geradezu unfassbar teuer."

Da liefert also die Wirtschaftskrise dem Bräutigam wieder einmal einen perfekten Vorwand, um die Braut am Altar stehen zu lassen, oder wie sonst ließe sich erklären, dass einige der größten Unternehmen plötzlich nicht mehr zu ihren öffentlichen Bekenntnissen zu erneuerbaren Energien stehen. In den Vereinigten Staaten haben mehrere Mega-Versorger wie Duke Energy und die Public Service Enterprise Group Solar- und Windenergieprojekte auf Eis gelegt, die sie zuvor doch so großartig beworben hatten.

Regierungen und Regierungsparteien waren gleichermaßen bemüht, sich ihrer Kohlenstoff-Schulden zu entledigen. Bei der kanadischen Parlamentswahl im Oktober setzten sich z. B. die Konservativen, unterstützt von den westlichen Öl- und Kohle-Lobbys, erfolgreich gegen die "Grüne Wende" der Liberalen durch, die für eine nationale Umweltsteuer eingetreten waren. Gleichzeitig verabschiedete sich die Bush-Regierung in Washington von einer umfangreichen Initiative zur Förderung der Entwicklung im Bereich CO2-Abscheidung.

Auf der angeblich umweltfreundlicheren Seite des Atlantiks prangerte kürzlich die Regierung Berlusconi, die derzeit im Begriff ist, das italienische Versorgungsnetz von Öl auf Kohle umzustellen, das EU-Ziel einer Emissionsreduktion um 20 Prozent bis zum Jahr 2020 als "unbezahlbares Opfer" an, während die deutsche Regierung laut Financial Times "dem Vorschlag, Unternehmen für ihren Kohlendioxid-Ausstoß zahlen zu lassen, durch die Unterstützung einer fast ausnahmslosen Befreiung für die Industrie einen harten Schlag versetzte. ("Die Prioritäten haben sich durch diese Krise verändert", erklärte der Außenminister sichtlich verlegen.)

Allenthalben herrscht also Pessimismus. Selbst Yvo de Boer, der Leiter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, räumt ein, dass die "meisten vernünftigen Regierungen darauf verzichten werden, [der Industrie] neue Kosten in Form von CO2-Emissionslimits aufzuerlegen", solange die Wirtschaftskrise nicht überwunden ist.

Zwar gibt die Wahl von Barack Obama (und der gleichzeitige Aufstieg einer neuen Machtstruktur in Washington, die vornehmlich mit der IT-Branche in Verbindung gebracht wird) Hoffnung auf eine grüne Variante der "keynesianischen" Antwort auf die Wirtschaftskrise basierend auf staatlichen Investitionen in erneuerbare Energien, Hybridfahrzeuge und ökologisch sinnvolle Arbeitsplätzen, der neue Präsident wird jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit größere Konfrontationen mit den mächtigen Kohle- und Energie-Lobbys vermeiden. Und selbst wenn Obama Washington letztendlich auf den Kurs des Kyoto-Protokolls bringen sollte, würde er damit doch nur auf einen Zug aufspringen, der laut allgemeinem Urteil nicht im Bahnhof ankommen wird und denen, die am dringendsten auf eine Anpassung an klimatische Veränderungen angewiesen sind, nur wenig Hoffnung oder Unterstützung bietet.

Die ökologische Schuld des Nordens

Selbst wenn also unsichtbare Kräfte und visionäre Regierungen das Wirtschaftswachstum wieder in Gang bringen, werden sie doch kaum in der Lage sein, den globalen Thermostat rechtzeitig herunterzudrehen, um eine galoppierende Klimaveränderung zu verhindern. Ebenso wenig kann man davon ausgehen, dass die G-7 oder G-30 dieser Welt erpicht darauf sein werden, das Chaos, das sie angerichtet haben, auch wieder aufzuräumen.

Klimadiplomatie auf der Grundlage des Kyoto-Modells geht davon aus, dass alle großen Akteure, sobald sie den in den IPCC-Berichten enthaltenen Konsens akzeptiert haben, anerkennen werden, dass der Kontrolle über den Treibhauseffekt eine allgemeine und vordringliche Priorität zukommt. Das Phänomen der Erderwärmung hat nur leider nichts mit H.G. Wells" Klassiker War of the Worlds zu tun, in dem die einfallenden Marsmenschen die Menschheit ganz demokratisch ohne Rücksicht auf Klassen- oder Rassenunterschiede zunichte machen. Die Auswirkungen der Klimaveränderung verteilen sich stattdessen auf tragisch ungerechte Weise auf die verschiedenen Regionen und Gesellschaftsschichten und richten den größten Schaden in den ärmsten Ländern an, die über die geringsten Ressourcen für eine nennenswerte Anpassung verfügen. Diese geographische Trennung von Emissionsquelle und Umweltfolgen ist es, die einer vorausschauenden Solidarität im Wege steht.

Wie das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in seinem Bericht vom letzten Jahr betonte, ist die Erderwärmung vor allem eine Bedrohung für die Armen und Ungeborenen, die "beiden Bevölkerungsgruppen, die nur über sehr geringe bzw. gar keine politische Macht verfügen". Eine koordinierte globale Aktion in ihrem Namen setzt also entweder ein entsprechendes Empowerment dieser Gruppen durch revolutionäre Maßnahmen voraus (ein Szenarium, das vom IPCC nicht berücksichtigt wurde) oder die Wandlung der eigenen Interessen der reichen Länder und Klassen in eine aufgeklärte "Solidarität", die in der Geschichte ihresgleichen sucht.

Aus der Rational Actor-Perspektive scheint die zweite Variante nur dann realistisch, wenn eindeutig bewiesen werden kann, dass es auch für privilegierte Bevölkerungsgruppen keinen "Notausgang" gibt, dass das öffentliche Ansehen im Hinblick auf völkerrechtliche Fragen Einfluss auf die Politik der Schlüsselländer hat und dass die Reduktion von Treibhausgasen ohne größere Einschränkungen im Hinblick auf den Lebensstandard in der nördlichen Hemisphäre erreicht werden kann. Leider ist jedoch keine dieser Voraussetzungen wirklich wahrscheinlich. Zudem mangelt es nicht an renommierten Apologeten wie den Wirtschaftswissenschaftlern William Nordhaus und Robert Mendelsohn von der Yale University, die ohne Skrupel erklären, dass es sinnvoller ist, Bemühungen um eine Emissionsreduktion aufzuschieben, bis die ärmeren Länder reicher und daher besser in der Lage sind, die Kosten selbst zu tragen.

Mit anderen Worten: Wachsende Umweltbedrohungen und sozioökonomische Turbulenzen könnten, anstatt heldenhafte Innovationen und eine internationale Zusammenarbeit zu fördern, die Eliten schlicht und ergreifend dazu veranlassen, sich noch rigoroser vom Rest der Menschheit abzuschotten. In diesem noch unerforschten, aber durchaus nicht unwahrscheinlichen Szenarium würden globale Bemühungen um eine Emissionsreduktion stillschweigend unterbunden (wie es in bestimmtem Umfang bereits getan wurde), um Investitionen in eine selektive Anpassung zu begünstigen, die den Erdenbewohnern der ersten Klasse auch weiterhin einen komfortablen Lebensstil ermöglicht. Das Ziel wäre dann die Schaffung grüner, streng eingezäunter Oasen des permanenten Überflusses auf einem ansonsten öden und unwirtlichen Planeten.

Natürlich gäbe es immer noch Abkommen, CO2-Kredite, Hungerhilfe, humanitäre Klimmzüge und vielleicht sogar die vollständige Umstellung einiger europäischer Städte und kleinerer Länder auf alternative Energien. Die weltweite Anpassung an klimatische Veränderungen jedoch, die Billionen-Dollar-Investitionen in urbane und landwirtschaftliche Infrastrukturen der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sowie eine staatlich finanzierte Umsiedlung von Zigmillionen Afrikanern und Asiaten voraussetzen würde, müsste sich notwendigerweise im Hinblick auf die Umverteilung von Einkommen und Macht auf eine Revolution nahezu legendären Ausmaßes gründen. In der Zwischenzeit rasen wir, sehr viel schneller als wir uns vorzustellen wagen, auf den verhängnisvollen Zeitpunkt zu, der um das Jahr 2030 oder auch früher eintreten dürfte und an dem das Zusammenspiel von Klimaveränderungen, Öl- und Wasserverknappung und weiteren 1,5 Milliarden Menschen auf dem Planeten negative Synergien erzeugen wird, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen dürften.

Lassen Sie mich daher diese grundlegende Frage wiederholen: Werden die reichen Länder jemals die politische Bereitschaft und die wirtschaftlichen Mittel aufbringen, um die IPCC-Ziele zu erreichen bzw. um die ärmeren Länder bei der Anpassung an die mittlerweile bereits unausweichliche Erwärmung zu unterstützen, die sich derzeit in den gemächlichen Strömen der Weltmeere ihren Weg bahnt?

Oder etwas anschaulicher ausgedrückt: Werden die Wähler der reichen Nationen endlich ihre derzeitige Bigotterie und ihre wohl gehüteten Grenzen über Bord werfen, um Flüchtlinge aus bereits vorhersehbaren Epizentren von Trockenheit und Desertifikation wie dem Maghreb, Mexiko, Äthiopien und Pakistan bei sich aufzunehmen? Werden die Amerikaner, die geizigste Nation im Hinblick auf die pro Kopf gezahlte Entwicklungshilfe, bereit sein, sich selbst Steuern aufzuerlegen, die eine Umsiedlung von Millionen von Menschen ermöglichen könnten, denen die Vertreibung aus dicht besiedelten Deltaregionen wie Bangladesh aufgrund von Überschwemmungen droht? Und wird die nordamerikanische Agrarindustrie, die höchstwahrscheinlich von einer globalen Erwärmung profitieren wird, freiwillig die Sicherung der Ernährung der Weltbevölkerung zur obersten Priorität machen, anstatt sich weiterhin an ihrer Verkäuferposition zu bereichern?

Marktorientierte Optimisten werden natürlich auf Carbon-Offset-Programme wie den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM, Clean Development Mechanism) hinweisen, die gemäß ihren Behauptungen grüne Investitionen in die Dritte Welt gewährleisten. Die Auswirkungen des CDM sind bisher jedoch nicht der Rede wert. Das Programm subventioniert kleinere Wiederaufforstungsinitiativen und den Ablass für Industrieemissionen, anstatt grundlegende Investitionen mit Blick auf die Nutzung fossiler Brennstoffe im häuslichen und städtischen Umfeld zu tätigen.

Zudem zöge der größte Teil der Entwicklungsländer es zweifellos vor, wenn der Norden endlich damit anfinge, das Umweltchaos, das er angerichtet hat, so gut es geht wieder zu bereinigen. Die armen Länder wettern zu Recht gegen die Vorstellung, dass die größte Last im Hinblick auf die Anpassung an anthropozäne Verhältnisse gerade denen zukommen soll, die am wenigsten zu Kohlenstoffemissionen beigetragen und den geringsten Nutzen aus zwei Jahrhunderten industrieller Revolution gezogen haben.

In einer kürzlich veröffentlichten, sehr ernüchternden Studie der Zeitschrift Proceedings of the [U.S.] National Academy of Science hat ein Forschungsteam versucht zu berechnen, welche Umweltkosten seit 1961 für die wirtschaftliche Globalisierung in Form von Abholzung, Klimaveränderung, Überfischung, Ozonabbau, Verlust von Mangroven-Wäldern und landwirtschaftlicher Ausbreitung entstanden sind. Nach Berücksichtigung der relativen Kostenbelastungen kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Wohlstandsländer aufgrund ihrer Aktivitäten für 42 Prozent aller weltweit entstandenen Umweltschäden verantwortlich sind, aber nur 3 Prozent der daraus resultierenden Kosten tragen.

Und noch auf eine weitere Schuld werden die Radikalen aus den Entwicklungsländern zu Recht verweisen. 30 Jahre lang sind die Städte in der Dritten Welt mit halsbrecherischer Geschwindigkeit gewachsen, ohne dass entsprechende staatliche Investitionen in Infrastrukturen, Wohnungsbau oder Gesundheitswesen erfolgt wären. Dies resultiert teilweise aus den von Diktatoren vereinbarten Auslandskrediten, deren Rückzahlungen vom Internationalen Währungsfonds durchgesetzt wurden, aber auch durch die Reduktion oder Umverteilung staatlicher Ausgaben, die auf die Strukturanpassungsvereinbarungen der Weltbank zurückzuführen sind.

Diese weltweite Hilflosigkeit und soziale Ungerechtigkeit lässt sich in der Tatsache zusammenfassen, dass laut UN-Habitat mehr als eine Milliarde Menschen derzeit in Slums leben und dass sich diese Zahl laut Schätzungen bis 2030 verdoppeln wird. Mindestens ebenso viele fristen ihr Dasein im so genannten informellen Sektor (ein Euphemismus der Wohlstandsländer für Massenarbeitslosigkeit). Aufgrund der demographischen Entwicklung wird sich die Weltbevölkerung in den nächsten 40 Jahren um weitere 3 Milliarden Menschen erhöhen (90 Prozent davon in den ärmsten Städten) und niemand - absolut niemand - hat eine Ahnung, wie sich ein Planet voller Slums mit wachsenden Ernährungs- und Energiekrisen so an die zukünftigen Gegebenheiten anpassen soll, dass er sein reines Überleben sichern kann, von Glück und Menschenwürde gar nicht erst zu reden.

Wenn Ihnen dieser Ausblick über Gebühr apokalyptisch erscheint, denken Sie bitte einmal über die sehr wahrscheinlichen Auswirkungen der Erderwärmung auf die landwirtschaftliche Situation in den tropischen und subtropischen Ländern nach. Einer der Pioniere der Wirtschaftsanalyse, die sich mit der Erderwärmung befassen, William R. Cline vom Petersen Institute, veröffentlichte kürzlich eine Länderstudie über die wahrscheinlichen Auswirkungen der Klimaveränderung auf die landwirtschaftliche Produktion in späteren Jahrzehnten. Durch die Verknüpfung von Klimamodellen mit Ernteprozessen und neo-ricardianischen Ertragsmodellen und unter Berücksichtigung einer CO2-Düngung unterschiedlichen Ausmaßes bietet er den bisher differenziertesten Ausblick auf die mögliche Zukunft unserer Ernährungssituation.

Und der ist düster. Selbst in den optimistischsten Simulationen geht Cline von einem Zusammenbruch der Landwirtschaftssysteme von Pakistan (minus 20 Prozent des derzeitigen Ertrags) und Nordwestindien (minus 30 Prozent) aus. Dasselbe gilt für große Teile des Nahen Ostens, des Maghreb, der Sahel-Zone, Teile von Südafrika sowie die Karibik und Mexiko. Laut Cline droht 29 Entwicklungsländern aufgrund der Erderwärmung der Verlust von mindestens 20 Prozent ihres derzeitigen Ernteertrags, während sich die Landwirtschaft im ohnehin schon reichen Norden im Durchschnitt auf eine Steigerung von 8 Prozent freuen dürfte.

Noch verhängnisvoller macht diesen potenziellen Verlust von landwirtschaftlichen Kapazitäten in der Dritten Welt die Warnung der Vereinten Nationen, dass für die sichere Ernährung einer Weltbevölkerung, wie sie für die Mitte des Jahrhunderts erwartet wird, eine Verdoppelung der Nahrungsmittelproduktion erforderlich ist. Die derzeitige Lebensmittelkrise, die durch den Biotreibstoff-Boom noch verschärft wird, ist nur ein dezenter Vorgeschmack auf das Chaos, das sich schon sehr bald aus dem Zusammenspiel von Ressourcenübernutzung, hartnäckiger Ungerechtigkeit und Klimaveränderungen ergeben dürfte. Es besteht eine reelle Gefahr, dass die humanitäre Solidarität, ebenso wie das Eis der westlichen Antarktis, eines Tages bricht und nichts als einen Scherbenhaufen zurücklässt.

Plädoyer der Verteidigung: Optimismus der Fantasie

5. Das Problem wird zur Lösung

Angesichts der synergistischen Wahrscheinlichkeiten eines überhand nehmenden Bevölkerungswachstums, abrupter Klimaveränderungen, Ölverknappung (und in einigen Regionen Wassermangel), des möglichen Zusammenbruchs ganzer Landwirtschaftssysteme und der geballten Folgen städtischer Verwahrlosung hat sich die akademische Forschung erst mit einiger Verspätung ans Werk gemacht. Zwar haben die deutsche Regierung, CIA und Pentagon ihre jeweiligen Berichte über die Auswirkungen einer durch verschiedene Faktoren begründeten Weltkrise auf die nationale Sicherheit der kommenden Jahrzehnte veröffentlicht, ihre Erkenntnisse wirken jedoch eher einem Hollywood-Streifen entnommen als in irgend einer Form vorhersehend.

Das kann allerdings kaum überraschen, denn wie im letzten Human Development Report der Vereinten Nationen formuliert, "gibt es in der Geschichte keine offensichtlichen Analogien zur Veranschaulichung der Dringlichkeit unserer Klimaproblematik". Auch wenn die Paläoklimatologie den Wissenschaftlern helfen kann, die nichtlinearen Auswirkungen einer Erderwärmung zu berechnen, gibt es keinen historischen Präzedenzfall, auf dessen Grundlage wir besser begreifen könnten, was in den 2050er Jahren geschehen mag, wenn eine Weltbevölkerung von 9 bis 11 Milliarden Menschen mit Klimachaos und der Erschöpfung von fossilen Brennstoffen kämpfen wird. Für die Zukunft unserer Enkel ist nahezu jedes Szenarium denkbar, vom kompletten Zusammenbruch der Zivilisation bis hin zu einem neuen goldenen Zeitalter der Fusionsenergie.

Wir können jedoch sicher sein, dass die Städte zum Ground Zero dieser Entwicklung werden. Zwar haben Waldrodung und Export-Monokulturen eine entscheidende Rolle für den Übergang in eine neue geologische Epoche gespielt, der Hauptfaktor war jedoch der nahezu exponentielle Anstieg der CO2-Emissionen in den urbanen Regionen der nördlichen Hemisphäre. Allein die Heizung und Kühlung der Gebäude in unseren Städten ist für geschätzte 35 bis 45 Prozent des derzeitigen CO2-Ausstoßes verantwortlich, Industrie und Transportwesen in diesen Städten tragen weitere 35 bis 40 Prozent bei. In gewissem Sinne sind es also die Städte, die unsere ökologische Nische, die klimatische Stabilität des Holozäns, zerstören, die ihre Entwicklung in der uns bekannten komplexen Form doch erst möglich machte.

Allerdings ergibt sich hier ein bemerkenswertes Paradoxon:

Die Merkmale, die urbane Umgebungen so umweltfeindlich machen, sind seltsamerweise selbst in den größten Mega-Citys gerade die besonders antiurbanen oder sub-urbanen Merkmale:

Die Merkmale hingegen, die wir als "klassisch" urban betrachten, auch im Hinblick auf kleinere Städte und Orte, ergeben in Kombination ein wesentlich positiveres Bild.

6. Die utopisch-ökologische Kritik der modernen Stadt

Diese klaren Abgrenzungen zwischen "positiven" und "negativen" Merkmalen des Stadtlebens erinnern stark an die berühmten Versuche des letzten Jahrhunderts, einen kanonischen Urbanismus bzw. Antiurbanismus zu definieren: Hier wären zu nennen Lewis Mumford und Jane Jacobs, Frank Lloyd Wright und Walt Disney, Corbusier und das CIAM-Manifest, der "Neue Urbanismus" von Andres Duany und Peter Calthorpe und andere. Niemand braucht jedoch "Städtetheoretiker", die ihre eloquenten Meinungen über die Tugenden und Untugenden der städtischen Umgebungen und der Art und Weise, wie dort soziale Interaktionen gepflegt oder unterbunden werden, zum Besten geben. Vor allem nicht hier in München, wo so viele unterschiedliche Epochen und Bedingungen ins Spiel kommen.

Was bei solchen moralischen Bestandsaufnahmen oft vernachlässigt wird, ist die Verwandtschaft zwischen Sozial- und Umweltverantwortung, zwischen kommunaler Gesinnung und einem umweltfreundlicheren Urbanismus. Ihre gegenseitige Anziehungskraft ist nahezu unausweichlich. Die Bewahrung städtischer Grünflächen und Wasserlandschaften z. B. dient dem Erhalt lebenswichtiger natürlicher Elemente eines urbanen Metabolismus und bietet gleichzeitig ein Freizeit- und Kulturangebot für die breite Masse. Die Reduzierung von Staus in den Vorstädten durch bessere Planung und öffentliche Verkehrsmittel macht aus Hauptverkehrsadern wieder ruhigere Wohngegenden bei gleichzeitiger Reduktion der Treibhausgasemissionen.

Man könnte unzählige Beispiele anführen und sie alle verweisen auf ein einziges Prinzip: dass die Grundlage für eine umweltfreundliche Stadt nicht unbedingt in einem besonders umweltfreundlichen Städtebau oder neuartigen Technologien liegt, sondern viel eher darin, dem allgemeinen Wohlstand eine Priorität gegenüber persönlichem Reichtum einzuräumen. Wie wir alle wissen, bräuchten wir eine ganze Reihe von Planeten, um die gesamte Menschheit in Vorstadthäusern mit zwei Autos und Vorgarten unterzubringen, und diese offenkundige Beschränkung wird gelegentlich herangezogen, um die Unvereinbarkeit endlicher Ressourcen mit steigendem Lebensstandard zu verdeutlichen. In den meisten Städten, gleichgültig ob in reichen oder armen Ländern, wird die potenzielle Umwelteffizienz, die sich aus einer dichten Besiedelung ergibt, völlig außer Acht gelassen. Städte bieten enorme ökologische Möglichkeiten, die bislang noch völlig verkannt und ungenutzt sind.

Unser Planet ist sehr wohl in der Lage, allen seinen Bewohnern ein Heim zu bieten, wenn wir bereit sind, unsere Gesellschaft auf demokratischem Gemeinschaftsdenken statt auf individuellem, privatem Verbrauch aufzubauen. Allgemeiner Wohlstand, der sich in großen Stadtparks, Museen mit freiem Eintritt, Bibliotheken und unbegrenzten Möglichkeiten für zwischenmenschliche Interaktion manifestiert, stellt eine Alternative zu einem hohen Lebensstandard auf der Grundlage einer materiellen, karnevalistischen Geselligkeit dar. Was von den Städtetheoretikern selten beachtet wird, ist die Tatsache, dass Universitätsgelände oft kleine quasi-sozialistische Oasen mit großzügigen Grünflächen sind, die alle Grundvoraussetzungen zum Lernen, für Forschung, Leistung und Schaffenskraft bieten.

Die utopisch-ökologische Kritik der modernen Stadt wurde von Sozialisten und Anarchisten ins Leben gerufen, beginnend mit dem Traum des Gildensozialismus (inspiriert von den bioregionalistischen Ideen von Kropotkin und später Geddes) von Stadtgärten für englische Arbeiter mit neuem Standesbewusstsein und endend mit dem Beschuss des Karl-Marx-Hofs, des berühmtesten Gemeindewohnungsbaus des Roten Wiens, während des österreichischen Februaraufstands 1934. Dazwischen liegen die Erfindung des Kibbuz durch russische und polnische Sozialisten, die modernistischen Sozialwohnungsbauprojekte des Bauhauses und die außerordentliche Debatte über den Urbanismus in der Sowjetunion in den 1920er Jahren.

Diese radikale städtebauliche Fantasie wurde Opfer der tragischen Umstände in den 1930er und 1940er Jahren. Auf der einen Seite steuerte der Stalinismus auf einen in Bezug auf Umfang und Struktur unmenschlichen Monumentalismus in Architektur und Kunst zu, der sich nur wenig von den wagnerianischen Auswüchsen Albert Speers im Dritten Reich unterschied. Auf der anderen Seite vernachlässigte die Sozialdemokratie der Nachkriegszeit die Ideen des alternativen Urbanismus zugunsten einer keynesianischen Massenwohnungsbaupolitik, die sich vor allem auf Skaleneffekte durch Hochhausprojekte auf günstigen Baugrundstücken in den Vororten konzentrierte und damit die traditionelle Arbeiterklasse ihrer städtischen Wurzeln beraubte.

Dennoch bieten die Diskussionen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts über die "sozialistische Stadt" wertvolle Ansätze für eine Betrachtung unserer derzeitigen planetaren Krise. Nehmen wir z. B. die Konstruktivisten. El Lissitzy, Melnikov, Leonidov, Golosov und die Vesnin-Brüder sind heute vielleicht nicht mehr allgemein bekannt, nichtsdestotrotz waren es brillante sozialistische Designer, die zwar durch die städtische Misere der jungen Sowjetrepublik und einen dramatischen Mangel an staatlichen Investitionen eingeschränkt waren, aber dennoch Vorschläge unterbreiteten, um das eingeengte Leben in Stadtwohnungen durch großartig konzipierte Arbeiterclubs, Volkstheater und Sportkomplexe aufzulockern.

Eine ihrer Hauptprioritäten war die Emanzipation der Arbeiterfrauen durch die Organisation von Gemeinschaftsküchen, Kindertagesstätten, öffentlichen Bädern und Kooperativen aller Art. Sie stellten sich vor, dass die riesigen fordistischen Fabriken, und eventuell auch Hochhäuser, mit entsprechenden Arbeiterclubs und Freizeitzentren ausgestattet werden sollten, um einen "sozialen Ausgleich" für die neue proletarische Zivilisation zu schaffen, erarbeiteten gleichzeitig aber auch eine praktische Strategie, um den Lebensstandard der armen Arbeiter in den Städten innerhalb der ansonsten recht kargen Umstände etwas zu verbessern.

Angesichts der Dringlichkeit unserer Umweltproblematik könnte dieses Projekt der Konstruktivisten so umgedeutet werden, dass die egalitären Aspekte des Stadtlebens die besten soziologischen und physikalischen Voraussetzungen für Ressourcenschonung und Reduktion des CO2-Ausstoßes bieten. Einzig Bemühungen, die Faktoren der globalen Erderwärmung zu kontrollieren, den allgemeinen Lebensstandard zu erhöhen und Weltarmut zu beseitigen, können die Voraussetzung für eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen oder die Anpassung von Wohnräumen an die Lebensumstände des Anthropozäns bieten. Im wahren Leben, jenseits der simplifizierten Szenarien des IPCC, bedeutet das die Teilnahme am Kampf für eine demokratische Kontrolle über städtische Räume, Kapitalflüsse, Ressourcen und Massenproduktionsmittel.

Meiner Ansicht nach ist die innere Krise der heutigen Umweltpolitik genau darin begründet, dass es zu wenige mutige Konzepte gibt, die den Herausforderungen Armut, Energie, Biodiversität und Klimaveränderung durch eine ganzheitliche Vision des menschlichen Fortschritts begegnen. Auf Mikroebene hat es natürlich enorme Fortschritte in der Entwicklung alternativer Technologien und im Passivwohnungsbau gegeben, aber Prestigeprojekte in reichen Gemeinden und Ländern können nicht die Welt retten. Die Wohlhabenden können zwar aus einer Vielzahl unterschiedlicher biologisch sinnvoller Lebensentwürfe auswählen, aber was sollte unser letztendliches Ziel sein? Einer Reihe von umweltbewussten Promis die Gelegenheit zu geben, ihren umweltfreundlichen Lebensstil zur Schau zu stellen, oder die Armen in den Städten mit Solarenergie, sanitären Anlagen, Kinderkliniken und öffentlichen Transportmitteln zu versorgen?

Jemseits der grünen Zone

Nachhaltige Stadtmodelle für den gesamten Planeten zu schaffen, und nicht nur für einige privilegierte Länder oder Gesellschaftsschichten, erfordert ein enormes Maß an Fantasie, wie es die Künstler und Wissenschaftler in den Glanzzeiten der Vhutemas und des Bauhaus bewiesen haben. Es erfordert eine kompromisslose Bereitschaft, über den Horizont eines neoliberalen Kapitalismus hinauszublicken und eine globale Revolution zu beginnen, die die Arbeitskraft der informellen Arbeiterklassen ebenso wie die arme Landbevölkerung nutzt, um eine nachhaltige Umstrukturierung ihrer Lebensbedingungen zu erreichen.

Natürlich ist das eine vollkommen unrealistische Vorstellung, aber entweder begeben wir uns heute auf eine hoffnungsvolle Reise und glauben daran, dass die Zusammenarbeit zwischen Architekten, Ingenieuren, Ökologen und Umweltaktivisten einen kleinen, aber entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, dass die Schaffung einer neuen Welt etwas mehr in den Bereich des Möglichen rückt, oder wir ergeben uns in eine Zukunft, in der Planer und Architekten nur noch die Handlanger elitärer alternativer Lebensformen sind. Die "grünen Zonen" unseres Planeten mögen zwar reichhaltige Möglichkeiten für die Monumentalisierung individueller Visionen bieten, aber die ethischen Fragen von Architektur und Planung können nur in den Mietskasernen und Ballungsräumen der "roten Zonen" gelöst werden.

Ich bin daher der Ansicht, dass wir uns einzig durch eine Rückkehr zu einer explizit utopischen Denkweise Klarheit über die Mindestvoraussetzungen für den Erhalt humanitärer Solidarität angesichts des Zusammenspiels der unterschiedlichen planetaren Krisen verschaffen können. Ich glaube verstehen zu können, was die italienisch-marxistischen Architekten Tafuri und Dal Co meinten, als sie vor "einer Rückentwicklung zum Utopismus" warnten, um jedoch unseren Horizont so weit öffnen zu können, dass wir in der Lage sind, die Herausforderungen des Anthropozäns zu meistern, ist es erforderlich, alternative Formen und Kombinationen von Mitteln, Praktiken und sozialen Beziehungen in Betracht zu ziehen. Dafür müssen wir uns aber von den wirtschaftspolitischen Überzeugungen befreien, die uns an die Gegenwart ketten.

Natürlich spreche ich heute zu Ihnen als ein in die Jahre gekommener Sozialist, der nach wie vor mit derselben Inbrunst an die Selbstemanzipation der Arbeiter glaubt wie Gouverneurin Sarah Palin an die Karibujagd. Aber Utopismus bedeutet nicht zwangsläufig Millenialismus und ist auch nicht auf Prototypen und Zeichenpult beschränkt. Eine der vielversprechendsten Entwicklungen in diesem neuen intellektuellen Raum, in dem Forscher und Aktivisten über die Auswirkungen der Erderwärmung auf die weitere Zukunft unserer Erde diskutieren, ist eine ganz neue Bereitschaft, sich dem Notwendigen zu verschreiben, anstatt dem Machbaren. Immer mehr Experten vertreten die Ansicht, dass uns jetzt nur noch zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder wir kämpfen für die Umsetzung "unmöglicher" Lösungen für die immer komplexeren Probleme der Armut in Städten und der Klimaveränderung oder wir machen uns zu Komplizen eines Prozesses, dem die Menschheit letztendlich zum Opfer fallen wird.

Ich denke, dass wir daher Mut aus einem kürzlich erschienenen Editorial (11. September 2008) der Zeitschrift Nature schöpfen können. Im Anschluss an die Erklärung, dass die "Herausforderungen einer schleichenden Urbanisierung integrative, multidisziplinäre Ansätze und ein neues Denken auf den Plan rufen", fordern die Redakteure die Wohlstandsländer auf, eine Null-Kohlenstoff-Revolution in den Dritte-Welt-Städten zu finanzieren. "Es mag utopisch erscheinen", schreiben sie, "die Einführung dieser Innovationen in den Ballungszentren der Schwellen- und Entwicklungsländern zu fördern, wenn sich viele der Einwohner kaum ein Dach über dem Kopf leisten können. Diese Länder haben jedoch schon bewiesen, dass sie ein Talent für technischen Fortschritt besitzen, z. B. durch die Umgehung von Festnetzinfrastrukturen mit Hilfe von Mobiltelefonen. Viele der ärmeren Länder haben auch eine langjährige Tradition, Gebäude an lokale Praktiken, Umgebungen und Klimabedingungen anzupassen, sozusagen eine natürliche Disposition für integrative Planung, die uns in der westlichen Welt leider abhanden gekommen ist. Jetzt haben diese Länder die Möglichkeit, ihre traditionellen Ansätze mit modernen Technologien zu verknüpfen."

Auch der Human Development Report 2007/2008 der Vereinten Nationen weist darauf hin, dass eine "zukünftige humanitäre Solidarität" auf massiven Hilfsprogrammen aufbauen muss, die den Entwicklungsländern die Möglichkeit geben, sich an drastische Klimaveränderungen anzupassen. Der Bericht fordert eine Beseitigung der "Widerstände gegen die schnelle Finanzierung von Low-Carbon-Technologien, die dringend erforderlich sind, um gefährliche Klimaveränderungen zu vermeiden… Wir dürfen die Ärmsten dieser Welt nicht mit ihren eigenen Ressourcen allein lassen, während sich die Bürger der Wohlstandsländer hinter der Fassade des Klimaschutzes verschanzen… Um es ganz deutlich auszudrücken: Die Armen dieser Welt, ebenso wie zukünftige Generationen, können sich die Selbstgefälligkeit und die Ausflüchte nicht leisten, die im Rahmen der internationalen Klimaschutzverhandlungen nach wie vor den Ton angeben." Eine Weigerung, entschlossen im Interesse der gesamten Menschheit zu handeln, "käme einem moralischen Versagen gleich, das in diesem Ausmaß beispiellos in der Geschichte der Menschheit wäre".

Wenn Ihnen dies wie ein sentimentaler Schlachtruf oder ein Überbleibsel aus der 68er-Generation erscheint, sei's drum. Denn wer auch nur einige der Beweise aus dem ersten Teil dieses Vortrags akzeptiert, der muss, so er es wagt, einen "realistischen" Blick auf die Zukunftsaussichten der Menschheit zu werfen, genau wie beim Anblick des Kopfes der Medusa, auf der Stelle zu Stein erstarren.


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