Widerstand ist zwecklos
In Detroit wird das erste Netz von Supraleiter-Kabeln in Betrieb genommen
Der erste elektrische Superhighway wird in der Autostadt Detroit im November in Betrieb genommen. Der Strom für 30'000 Haushalte wird vom Friesbie Umspannwerk aus widerstandslos durch drei Supraleiter-Kabel mit einer jeweiligen Länge von 120 Metern fließen.
Paul Grant, der Manager des Supraleiter-Programms bei Electric Power Research Institute, Palo Alto (Kalifornien) beschreibt in der Ausgabe vom 13. Oktober des New Scientist diese Revolution in der Energieversorgung. Der Prototyp von Supraleiter-Kabeln wird in einem realen Stromnetz zur Versorgung von Kunden eingesetzt. Die alten Stromkabel aus Kupfer werden durch Hochtemperatur-Supraleiter (HTSL) ersetzt und der Strom fließt nahezu verlustfrei.
Widerstand ist zwecklos, denn Supraleiter sind Materialien, die beim Unterschreiten einer bestimmten Temperatur (Sprungtemperatur), die bei Metallen meist nahe des absoluten Nullpunktes liegt (0 Kelvin/-273 ° Celsius), eine nahezu unbegrenzte elektrische Leitfähigkeit aufweisen. Bekannt ist das Phänomen bei Metallen schon seit 1911, aber die notwendige starke Kühlung begrenzte die Möglichkeiten des praktischen Einsatzes. Neue Forschungsergebnisse zeigen nun, dass Magnesiumdiborid, ein extrem billiger metallischer Ausgangsstoff, bei Temperaturen von 39K (-234,15 °C) zum Supraleiter wird. Es wird aber noch intensiv zu Vor- und Nachteilen geforscht (vgl. Die Mechanismen der Supraleitung bei Magnesiumdiborid.
Bereits 1986 gelang Karl Alexander Müller und Johannes Georg Bednorz die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleiter. Auch die HTSLs müssen gekühlt werden. Durch ihre hohen Sprungtemperaturen (heute bis 138 K bzw. -135 °C) können sie durch Kühlung mit flüssigem Stickstoff (Siedepunkt bei Normaldruck: 77K oder -196 °C) supraleitend gemacht werden. Das ist in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit ein großer Vorteil. Die besten Werte haben Materialien auf Kupfer-Oxyd-Basis. Die anfängliche Begeisterung führte zu der Prognose, dass nun alle herkömmlichen Stromkabel sofort ersetzt werden könnten, aber die technische Umsetzung in die Realität erwies sich als schwierig und letztlich hat es fast 20 Jahre gedauert, bis nun die erste Supraleitung wirklich Teil eines Stromnetzes wird. Das hat nicht zuletzt Kostengründe. Die HTSL-Keramiken haben den entscheidenden Nachteile, dass sie herstellungsbedingt aus einzelnen winzigen Körnern bestehen, die jedes für sich den Strom widerstandsfrei transportiert. Aber in einem Kabel muss der Strom auch von Korn zu Korn fließen. Die Stromtragefähigkeit der Berührungsflächen der einzelnen Körner, Korngrenzen genannt, ist jedoch um ein Vielfaches geringer als die der Körner selbst. Um diesem Effekt entgegen zu wirken, wurde immer wieder sehr kostenintensiv versucht, die Körner möglichst parallel zueinander auszurichten.
Keramisches Superoxid ist Ausgangsmaterial für ein supraleitendes Kabel. Der pulverförmige Stoff wird in silberhaltige Rohre gefüllt und in mehreren Prozessschritten in eine flexible Bandform überführt Supraleitung bedeutet keinen elektrischen Widerstand und damit auch keine verschwendete Energie. Bisher transportieren Aluminium und vor allem Kupfer-Kabel den Strom zu den Endverbrauchern und mehr als zehn Prozent gehen auf dem Weg verloren. Der Widerstand in den Transportkabeln führt zu diesem Verlust in Form von Wärme. Die Hochtemperatur-Supraleiter-Kabel werden heute in verschiedenen Formen als Prototypen entwickelt. In Detroit wird ein BSCCO-Leiter (sprich: Bisko) als Material eingesetzt, es besteht aus Wismut, Strontium, Kalzium und Kupferoxid, eingebettet in Silber.
"Diese Kabel sind nun von verschiedenen Herstellern erhältlich und zwar eher in einer Länge von Kilometern als Metern. Gekühlt werden sie durch den sie umfließenden flüssigen Stickstoff, sie können Strom von 100 Ampere oder mehr mit Null Widerstand transportieren. Tatsächlich sind die Stromleitungskapazitäten der Supraleiter-Kabel so schnell gestiegen, dass sie nun weit über den Kapazitäten liegen, die wir uns vorgestellt haben, als wir angefangen haben, die Pläne für das Friesbie Umspannwerk zu entwerfen. Der einzige Weg, um die volle Kapazität der Kabel zu testen, wird darin bestehen, alle angeschlossenen Haushalte dazu zu bringen, sämtliche Waschmaschinen, Trockner, Lampen, Fernseher, Heizgeräte - also absolut alles gleichzeitig anzuschalten, was am Stromnetz hängt
Paul Grant"
Vier Jahre wurde das Projekt vorbereitet und es gab einige wissenschaftliche Cassandras, die nicht mehr an die reale Umsetzung der Supraleitung in Detroit geglaubt hatten. Entscheidender Vorteil der HTSL-Kabel ist neben dem sehr viel geringeren Strom-Verlust vor allem auch die wesentlich höhere Beförderungskapazität, wobei die Kabel sehr leicht sind und einen geringeren Umfang haben. In Detroit werden 9 alte Kupferkabel mit einem Gewicht von mehr als 8 Tonnen durch 3 Supraleiter-Kabel mit insgesamt 110 Kilogramm Gewicht ersetzt. Sie können also in alte unterirdische Kabeltrassen verlegt werden, wobei die Kapazität des Netzes ohne den Bau neuer Leitungsröhren um ein Vielfaches vermehrt wird. Entsprechend vergleicht Grant das Potenzial von Supraleitungsnetzen mit der grundlegenden Veränderung, die der Bau des Interstate-Highways-Systems in den 50er und 60er Jahren darstellte:
"Unsere supraleitenden Kabel verfügen über eine drei Mal höhere Kapazität als Kupferkabel der gleiche Größe. Obwohl das für Detroit im Moment vielleicht übertrieben scheint, wird die Stadt doch eines Tages diese erhöhte Kapazität brauchen. Es gibt Vorhersagen, dass der städtische Bedarf um bis zu 60 Prozent bis zum Jahr 2010 steigen wird. Und wenn letztlich das Frisbie-Projekt Detroit rettet, dann könnte es auch die Lieferung von Elektrizität überall in den USA viel mehr verändern, als wir uns das heute vorstellen. Amerikas Energie-Struktur - die Hälfte davon ist ein halbes Jahrhundert alt - beginnt zu zerfallen. Die Stromausfälle, die kürzlich in Kalifornien passierten, sind nicht so sehr ein Mangel an Erzeuger-Kapazität als vielmehr ein Engpässe und Schwachpunkte im Transmissions-Netzwerk, das den Strom dorthin befördert, wo er gebraucht wird."
Supraleitung könnte also die Strom-Netzwerke revolutionieren. Das sieht inzwischen auch die Politik. In den USA hat der "US National Energy Policy Development Group's Report") in diesem Jahr dem Präsidenten empfohlen, innerhalb des Energie-Ministeriums die Forschung und Entwicklung an Supraleitung auszubauen. Das "US Department of Energy" wird voraussichtlich noch 2001 mindestens drei neue Supraleiter-Kabel-Projekte ankündigen. In Dänemark läuft ein Modellprojekt und in Japan soll auch bald Strom durch Supraleiter-Kabel an Konsumenten geliefert werden.
Auch in Deutschland wird in die Schlüsseltechnologie Supraleitung eine Menge öffentliches Geld investiert. Die Bundesrepublik sieht sich in diesem Bereich zusammen mit Japan und den USA international in einer Spitzenstellung. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt mit seinem Förderschwerpunkt "Supraleitung und Tieftemperaturtechnik" gezielt die Anwendung der Hochtemperatur-Supraleitung mit einer jährlichen Fördersumme von 25 Millionen Mark. Dazu kommen 4 Millionen Mark im Jahr für das Leitprojekt "Supraleiter und neuartige Keramiken für die Kommunikationstechnik der Zukunft".
Die Supraleitung kommt international auf Touren. Dabei hat sie auch entscheidende reale Nachteile. Als erstes sind das natürlich die Kosten. Da die supraleitenden Keramiken in Silber eingebettet sind, sind die Kabel enorm teuer. Grant schätzt, dass die Kabel inklusive des Kühlungssystems in der Produktion für den Markt zwei bis drei Mal teurer sein werden, als konventionelle Kupferkabel gleicher Kapazität. Neue Materialien wie Magnesiumdiborid könnten eine interessante Alternative für die kommerzielle Nutzung darstellen, noch sind diese Supraleiter aber in der Entwicklungsphase. In der Realität ist der Stromtransport durch Supraleiter auch nicht vollständig verlustfrei, allerdings sind die Werte mit etwa ein Prozent wesentlich besser als in herkömmlichen Kupferkabeln. Letztere müssen wegen der Erhitzung oft durch umfließendes Öl gekühlt werden, was Risiken bezüglich Umweltverschmutzung und Brandgefahr birgt. Das entfällt bei Supraleitern, den der Stickstoff kann problemlos entweichen, falls wirklich ein Unfall passiert. Die Stickstoff-Kühlung ist noch in der Entwicklung, bisher gibt es keine kommerziellen Lösungen. Der entscheidendste Vorteil ist die schon genannte Erhöhung des Kapazität bei weniger Platzbedarf. Sie sind einfacher und billiger zu installieren als herkömmliche Kupferkabel, das muss in die Kostenrechnung miteinbezogen werden.