Wie "Digital Detox" systematisch erschwert wird
Bezahlen auf Rechnung ist zunehmend out - und die Auszeit vom Smartphone ist seit der Corona-Warn-App nicht nur moralisch diskreditierbar. Zeit für einen "Digitalzwangmelder"
Wer eigentlich internetaffin ist und moderne Kommunikationsmittel nutzt, aber selbst bestimmen will, wann, wo, wie oft und wie lange, muss sich in "sozialen Netzwerken" wie Facebook und Co. regelmäßig belehren lassen: Wer dort angemeldet sei, habe sich doch damit sowieso schon digital "nackig" gemacht - und deshalb jedes Recht verwirkt, sich über aufgedrängte Apps, den ständigen Erreichbarkeitswahn oder Bezahlmodalitäten, die das Anlegen neuer Accounts erfordern, zu beschweren.
Dass es Menschen gibt, die sich digitale Auszeiten gönnen und an sonnigen Wochenende auch einfach mal das Smartphone zu Hause lassen, lag schon vor der Corona-Pandemie außerhalb der Vorstellungskraft mancher Menschen. Ohne Smartphone herumzulaufen oder zum Beispiel WhatsApp und ein bis zwei weitere Erreichbarkeiten einfach nicht installiert zu haben, das wurde höchstens noch der Altersgruppe zugestanden, die schon in Rente gegangen war, bevor das Internet Massenmedium wurde. Dahinter steckte aber lediglich Altersdiskriminierung im Sinne von: "Die lernen es halt nicht mehr" oder "Die können sich das halt nicht alles merken".
Als jüngerer Mensch nicht zu viele Accounts anhäufen zu wollen und auch mal einen Tag vollständig offline zu sein, ohne sich offiziell in den Abenteuerurlaub verabschiedet zu haben - am besten mit Flughafen-Selfie in aussagekräftigen Klamotten - das galt schon fast als verschroben oder bedurfte zumindest einer Rechtfertigung. Wer es aber mit dem stylischen Begriff "Digital Detox" - also "digitale Entgiftung" - beschrieb, war dann doch wieder halbwegs gesellschaftsfähig.
Handfeste Ausschlüsse befürchtet
Seit der Erfindung von Corona-Warn-Apps ist es auch moralisch diskreditierbar, ohne digitales Endgerät unterwegs zu sein. Die Grundrechte- und Datenschutz-Organisation Digitalcourage warnt in diesem Zusammenhang auch vor handfesten Ausschlüssen: Die Nutzung der Luca-App könne zur Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Leben werden.
Digitalcourage kritisiert an der Luca-App, auf die Berlins Regierender Bürgermeister schwört, vor allem den zentralistischen Ansatz: Anders als bei der Corona-Warn-App der Bundesregierung werden die Luca-Daten auf einem zentralen Server gesammelt. Im Fall eines Angriffs auf den Server wären dann Bewegungsprofile von mehreren Millionen Deutschen sichtbar, so Digitalcourage.
Meldefunktion für digitale Zwänge
Unabhängig davon gilt aber auch für die Corona-Warn-App der Bundesregierung, dass Freiwilligkeit sich schnell relativieren kann. Ein Campingplatz in Ostfriedland machte bereits im Sommer 2020 die Nutzung der Corona-Warn-App zur Bedingung für seine Besucher, obwohl damals schon bekannt war, dass sich das Virus eher in Großraumbüros, Verteilzentren oder fleischverarbeitenden Betrieben weiterverbreitet als unter freiem Himmel zwischen Zelten, Bäumen und Wohnwagen.
Vergangene Woche wurde im Grundrechte-Report vor einer "grundsätzlichen gesellschaftlichen Gewöhnung an Contact-Tracing" gewarnt. Die beteuerte Freiwilligkeit der App-Nutzung könne sich schnell als Illusion herausstellen, da schon diskutiert worden sei, die Nutzung der App zur Bedingung für die individuelle Lockerung von Ausgangsbeschränkungen zu machen, heißt es in dem Report.
Digitalcourage sieht aber auch unabhängig von den Corona-Maßnahmen und der unterschiedlich bewerteten Datensicherheit beider Apps einen gefährlichen Trend zum "Digitalzwang". Um diese Entwicklung besser beobachten und reagieren zu können, hat der eingetragene Verein auf seiner Homepage einen "Digitalzwangmelder" eingerichtet. Die dort genannten Beispiele für mögliche Zwänge sind vielfältig: Von "Die Bank verlangt für das Nutzen der Kreditkarte, dass man sich eine App installiert, die es noch dazu nur bei den Datenkraken Google oder Apple gibt?" über "Ins Bürgeramt darf man nur noch rein, wenn man die Luca-App installiert hat?" bis zu "Die Hausaufgaben und Schulinfos Ihres Kindes werden nur noch per WhatsApp kommuniziert?"