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Wie Karl Lauterbach kurzzeitig in den Krieg zog

Karl Lauterbach. Bild: Heinrich-Böll-Stiftung, CC BY-SA 2.0

Themen des Tages: Gesundheitsminister im Twitter-Blitzkrieg. Joe Biden schickt (nochmal) Taucher. Und Wohnen in Deutschland wird immer teurer.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Unser Bundesgesundheitsminister hat sich unlängst initiativ für ein neues Ressort im Kabinett Scholz beworben. Das ist für ihn leider nicht so gut gelaufen.

2. Die US-Regierung will die Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines aufklären helfen, kennt sich im betroffenen Unterwassergebiet schon aus und sieht an der Sache auch positive Seiten.

3. Telepolis heute: Teures Wohnen, die lavierende Liz Truss und Irrtümer von Kritikern der Energiewende.

Doch der Reihe nach.

Lauterbach gegen Putin: Vor Moskau steckengeblieben

Für Karl Lauterbach wird es immer dann kritisch, wenn Karl Lauterbach twittert. Wiederholt hat der Gesundheitsminister in seinem originären Kompetenzbereich, der Gesundheitspolitik, in die Nesseln gesetzt. Nun hat der Sozialdemorat ein neues Betätigungsfeld für Twitter-Eklats gefunden: die internationale Politik. Und – was soll man sagen? – Kaum hat er dieses Terrain betreten, trat der mehrfachimpffreudige Kölner in die erste politische Tretmine.

Während die meisten seriöseren westlichen Politiker es mit Blick auf außenpolitische Prinzipien, Automatismen in den Nato-Verträgen oder einfach nur die Vernunft tunlichst vermeiden, den Eindruck einer direkten Konfrontation zwischen dem Westen und Russland zu erwecken – wobei sich die militärische Unterstützung der Ukraine nach Meinung von Juristen hart an dieser Schwelle bewegt [1] –, hat Gesundheitspolitiker Lauterbach weniger Hemmungen.

"Wir sind im Krieg mit Putin", twitterte er in Reaktion auf die üblicherweise kontroversen Einlassungen des Philosophen Richard David Precht. Der hatte eine Initiative einzelner Nato-Staaten vorgeschlagen. Diese Mitglieder des Nordatlantikpaktes sollten Russland nachhaltig garantieren, dass sie eine Aufnahme der Ukraine in das Bündnis mit ihrem Veto verhindern würden. So könne zur Deeskalation beigetragen werden.

Das war nicht Lauterbachs Sache, der, mutmaßlich von der Rückbank seiner chauffeurgesteuerten Limousine aus, mal eben mit einer Kriegserklärung an Russland reagierte und Precht, über dessen mediale Präsenz man ja durchaus diskutieren kann, im Nebensatz vorhielt, dieser wolle sich als Väterchen Putins neuer Rasputin bewerben.

Nun wurde Lauterbach von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht zurückgepfiffen. Lambrecht reüssiert nach Ansicht ihrer Klientel [2] zwar auch nicht mit ihrer Fachkenntnis [3], hat bei diesem Thema aber ein besseres Gespür als ihr Kabinettsgenosse. Sie intervenierte und Lauterbach korrigierte im Privat-TV, die Bundesrepublik sei "natürlich keine Kriegspartei", stehe aber "trotzdem voll an der Seite der Ukrainer". Dazu zählten, wir ahnen es, auch Waffenlieferungen.

Artikel zum Thema:

Harald Neuber: Teilmobilmachung in Russland: So sieht Eskalationsdominanz aus [4]
Harald Neuber: Falschinformation zu Corona: Opposition übt Kritik an Gesundheitsministerium [5]
Claudia Wangerin: Twitter-Panne bei Reizthema: Ministerium verwechselt Impfdosen und Geimpfte [6]

Nato war bei Nord-Stream tauchen, Biden bietet neuen Taucheinsatz vor Bornholm an

Nach den massiven Lecks in den Nord-Stream-Pipelines zeichnet sich, wie hier mehrfach berichtet, ab, dass es sich um Sabotage gehandelt hat. Die Debatte dreht sich nun vor allem um die Frage, wer die Schuld an der Havarie trägt.

Mehrere direkte oder indirekte Konfliktparteien haben sich zu Wort gemeldet, einige wollen der Sache selbst auf den Grund gehen. Also, wortwörtlich: Die Pipeline liegt rund 80 Meter unter Ostseewasser.

Auch der Betreiber der Nord-Stream-2-Pipeline möchte die Sache aufarbeiten, darf aber nicht so recht. Eine solche Untersuchung werde stattfinden, heißt es von der Nord Stream AG zwar. Zunächst aber müsse die dänische Polizei – die Lecks befinden sich vor der Insel Bornholm – ihre Ermittlungen abschließen und die schwedische Küstenwache das Gebiet freigeben. Der Betreiber gab an, mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, heißt es in der Erklärung.

Mit leicht vorwurfsvollem Unterton heißt es [7], der Eigentümer eines Vermessungsschiffs, das von der Nord Stream AG gechartert wurde, habe "immer noch kein grünes Licht vom norwegischen Außenministerium, um in das betreffende Gebiet aufzubrechen".

US-Präsident Joseph Biden hat indes angeboten, Taucher zu schicken [8], um nachzusehen, was im Havariegebiet am Ostseegrund los ist. Dabei waren die USA und ihre Verbündeten gerade erst vor Ort, wie die Nato auf ihrer Seite schreibt [9]:

Zur Unterstützung des (multinationalen Marinemanövers, d. Red.) Baltops [10] hat sich die Sechste Flotte der US-Marine mit Forschungs- und Kriegsführungszentren der US-Marine zusammengetan, um die neuesten Fortschritte in der Minenjagdtechnologie mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen (UUV) in die Ostsee zu bringen und die Wirksamkeit des Fahrzeugs in Einsatzszenarien zu demonstrieren.

Die Experimente wurden vor der Küste Bornholms, Dänemark, mit Teilnehmern des Naval Information Warfare Center (NIWC) Pacific, des Naval Undersea Warfare Center (NUWC) Newport und des Mine Warfare Readiness and Effectiveness Measuring (MIREM) durchgeführt – alle unter der Leitung der U.S. Sixth Fleet Task Force 68.

Laut US-Außenminister Antony Blinken bietet der mutmaßliche Bombenanschlag auf die Nord-Stream-Pipeline übrigens "eine enorme strategische Chance für die kommenden Jahre [11]".

Danke, Putin!

Artikel zum Thema:

Bernd Müller: Leck in Nord-Stream-Pipelines: Wer sprengte die Gasleitungen? [12]
Harald Neuber: Was bei der Debatte über die Nord-Stream-Lecks falsch läuft [13]
Harald Neuber: Gaskrieg eskaliert, Nato schaltet sich ein [14]

Regenerative Energien, Beispiel USA

Robert Pollin, Co-Direktor des Political Economy Research Institute an der University in Amherst, USA, geht davon aus, dass weit weniger als ein Prozent der gesamten US-Landfläche für Solar- und Windenergie benötigt würde, um 100 Prozent des Energiebedarfs der USA zu decken [15].

Der größte Teil dieses Flächenbedarfs könnte beispielsweise durch die Anbringung von Solarzellen auf Dächern und Parkplätzen und den Betrieb von Windturbinen auf etwa sieben Prozent der derzeitigen landwirtschaftlichen Flächen gedeckt werden. Darüber hinaus können die Windturbinen auf bestehenden landwirtschaftlichen Flächen mit nur geringen Einbußen bei der landwirtschaftlichen Produktivität aufgestellt werden.

Luxus Mietwohnen

Wohnen sei in manchen Städten und Regionen Deutschlands zu einem Luxus geworden und steigende Mieten, Heiz- und Nebenkosten brächten viele Mieter an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten, schreibt Telepolis-Autor Bernd Müller: Inflation und Energiekrise verschärfen das Problem [16]:

Eine aktuelle Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unterstreicht das. "Viele Menschen werde aus finanziellen Gründen nicht mehr umziehen können", erklärte Studienautor und Immobilienökonom Michael Voigtländer am Donnerstag. Für viele sei der Traum vom großzügigen Wohnen ausgeträumt.

Großbritannien: Tories im Rückwärtsgang

Die Tories in Großbritannien machen, was die Tories stets am besten konnten: Politik für die britische Oberschicht. Nun musste Liz Truss zurückrudern [17], schreibt Telepolis-Autor Ralf Streck:

Truss, die nicht durch Wahlen an die Macht kam, wollte ebenfalls sofort die eigene Klientel mit Steuererleichterungen bedienen. Es war eine der ersten Entscheidungen von ihr - die allerdings ihre Unbeliebtheit nur noch deutlich weiter gesteigert hat -, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent auf 40 Prozent zu senken. Fortan sollten Großverdiener mit Einkünften über 150.000 Pfund also deutlich weniger Steuern bezahlen.

Doch dieses Vorhaben habe gerade gestrichen werden müssen, so Streck. "Wir haben es verstanden, wir haben zugehört", twitterte Schatzkanzler Kwarteng am Montag. In einem angehängten Text teilte er mit, dass die Senkung des Höchststeuersatzes für Topverdiener von den übrigen Elementen seines Pakets abgelenkt habe.


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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/892384/d9b4c174ae0e0af275b8f42b143b2308/WD-2-019-22-pdf-data.pdf
[2] https://www.welt.de/politik/deutschland/video241078437/Bundeswehrverband-kritisiert-Ministerin-Christine-Lambrecht.html
[3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/lambrecht-ukraine-bundeswehr-101.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Teilmobilmachung-in-Russland-So-sieht-Eskalationsdominanz-aus-7270970.html
[5] https://www.heise.de/tp/features/Falschinformation-zu-Corona-Opposition-uebt-Kritik-an-Gesundheitsministerium-7274347.html
[6] http://Twitter-PannebeiReizthema:MinisteriumverwechseltImpfdosenundGeimpfte
[7] https://www.nord-stream.com/de/presse-info/pressemitteilungen/incident-on-the-nord-stream-pipeline-updated-04102022-529/
[8] https://www.handelsblatt.com/dpa/biden-nord-stream-lecks-waren-absichtliche-sabotage/28718776.html
[9] https://sfn.nato.int/newsroom/news-archive/2022/baltops-22-a-perfect-opportunity-for-research-and-testing-new-technology
[10] https://www.bundeswehr.de/de/organisation/marine/aktuelles/baltops-2022-us-nato-grossuebung-ostsee-5441864
[11] https://mobile.twitter.com/DrJillStein/status/1576419918652006400
[12] https://www.heise.de/tp/features/Leck-in-Nord-Stream-Pipelines-Wer-sprengte-die-Gasleitungen-7277723.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Was-bei-der-Debatte-ueber-die-Nord-Stream-Lecks-falsch-laeuft-7282983.html
[14] https://www.heise.de/tp/features/Gaskrieg-eskaliert-Nato-schaltet-sich-ein-7277789.html
[15] https://www.heise.de/tp/features/Wo-die-Kritiker-der-globalen-Energiewende-falsch-liegen-7284023.html
[16] https://www.heise.de/tp/features/Teures-Wohnen-In-zahlreichen-Staedten-werden-Haushalte-durch-Mieten-ueberlastet-7284168.html
[17] https://www.heise.de/tp/features/Eiserne-Lady-in-Trouble-Finanzmarkt-Turbulenzen-zwingen-Truss-in-den-Rueckwartsgang-7284247.html