Wie Russlands Krieg die Ukraine in Abhängigkeit und Armut gestürzt hat
Seite 3: Handelsdefizit und Entkopplung vom Weltmarkt
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Auf den ersten Blick sieht die Außenhandelsbilanz der Ukraine positiv aus. Nach den Daten der Zentralbank (2022) erzielte sie einen Überschuss von 8,6 Milliarden US-Dollar. Werden die Zahlen aufgeschlüsselt, zeigt sich aber, dass dieser Überschuss nur auf Grund ausländischen Transfers besteht.
Das Handelsdefizit an kommerziell gehandelten Waren und Dienstleistungen hat sich im Verhältnis zu 2021 mindestens verzehnfacht. Es betrug nach Schätzung der ukrainischen Zentralbank rund 23,8 Milliarden US-Dollar oder ungefähr 20 Prozent der Wirtschaftskraft.
Dabei sanken die Exporte um durchschnittlich 35 Prozent, die Importe gingen "nur" um 20 Prozent zurück. Entsprechend explodierte das Handelsdefizit.
Außenhandel der Ukraine | ||
(Dezember 2021 bis Dezember 2022) | ||
Warengruppe | Exporte | Importe |
Metallurgische Erzeugnisse | -82 % | -44 % |
Chemikalien | -71 % | -49 % |
Maschinen und Anlagen | -58 % | -14 % |
Rohstoffe | -58 % | -20 % |
Holzprodukte | -37 % | -48 % |
Nahrungsmittel | -28 % | -31 % |
darin Getreide* | -40 % | – |
Industriewaren | -10 % | 30 % |
Dienstleistungen | -25 % | 78 % |
dv. ohne Migration* | – | -44 % |
* Zahlen von November 2021 bis November 2022 Quelle: Zentralbank Ukraine (2022): Balance of payment. |
Interessant ist der Anstieg der Importe an Dienstleistungen von fast 80 Prozent. Dieser ist auf Ausgaben der über acht Millionen Auswanderer zurückzuführen. Bankgebühren für Überweisungen und Geldwechsel ins / vom Ausland. Transporte ins Ausland, aber auch Rücksendungen von Spenden und Geschenken gelten hier als Treiber.
Die Ukraine konnte nur (statistische) Überschüsse erzielen, weil sie vom Ausland finanzielle Stützungen im Umfang von 23 Mrd. US-Dollar erhielt. Ohne diese Geldflüsse, die vor allem dem ukrainischen Finanzsektor sowie der Zentralbank zugutekamen, wäre das Handelsdefizit nicht mehr zu finanzieren. Hinzu kamen Überweisungen von im Ausland befindlichen Ukrainer*innen in Höhe von fast neun Milliarden US-Dollar.
Mit dem Einbruch des Außenhandels ging auch eine geografische Verschiebung der Handelsströme einher. Die Ukraine richtete sich einseitig auf die EU aus. Die Bedeutung der anderen Weltregionen verringerte sich. Das betraf besonders die Staaten der GUS und Afrika. Wie in Afghanistan droht hier eine Abkopplung vom Weltmarkt. (Kleinwächter 2022b)
Warenhandel der Ukraine nach wichtigsten Weltregionen | ||||||
2021 | 2022 | 2021 | 2022 | 2021 | 2022 | |
(in Prozent des Außenhandels) | (in Mrd. US-$) | |||||
EU | 36 | 61 | 43 | 49 | -3,2 | -0,089 |
Asien | 36 | 23 | 27 | 29 | 4,2 | -6,5 |
dv. GUS | 11 | 7 | 19 | 8 | -6,8 | -2,2 |
Afrika | 9 | 5 | 1,2 | 1 | 4,8 | 1,6 |
USA | 3 | 2 | 4,6 | 3,8 | -1,6 | -1,2 |
2021 | 2022 | 2021 | 2022 | 2021 | 2022 | |
* Exporte minus Import Quelle: Zentralbank Ukraine (2022): Balance of payment. |
Massenarbeitslosigkeit und sinkende Reallöhne
Analysen ukrainischer Bank- und Lohndaten zeigen einen drastischen Rückgang des realen Lohnniveaus um ca. 20 Prozent. (Djankov und Blinov 2022) Wobei der durchschnittlichen Brutto-Monats-Lohn 2019 auf einem Armutsniveau von ca. 360 € lag.
Dabei entwickelten sich die Löhne in der privaten Wirtschaft sowie dem Staats- und Militärsektor völlig unterschiedlich. In letzterem stiegen die nominalen Löhne um ca. 30 Prozent. Der Anstieg kompensierte die offiziellen Preissteigerungen weitgehend. Entsprechend stärker sanken die Real-Löhne der privaten Wirtschaft – je nach Sektor um 30 bis 50 Prozent.
Djankov und Blinov (2022) weisen darauf hin, dass zusätzlich zu den Lohnsenkungen, wahrscheinlich über 13 Prozent der Angestellten ihren Job verloren haben (Stand Oktober 2022). Das entspricht auch den Schätzungen der International Labour Organisation. Schon 2021 lag die offizielle Arbeitslosenquote knapp unter 10 Prozent. Jetzt ist ein Wert von mindestens 25 Prozent anzunehmen.
Kai Kleinwächter arbeitet als selbstständiger Dozent (Themen: Volkswirtschaftslehre, Marketing, Unternehmensführung). Derzeit studiert er Politikwissenschaft / Geografie auf Lehramt an der Universität Potsdam. Er ist Verlagsleiter (digital) von WeltTrends – Das außenpolitische Journal. Ebenfalls bloggt der Autor auf seiner Homepage zeitgedanken.blog
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