Wie das Bundeskanzleramt ein System der Geschichtsfälschung verteidigt …
… und welche Rolle die Konrad-Adenauer-Stiftung dabei spielt. Neue Dokumente des BND liefern Indizien, wie die historische Wahrheit verschleiert werden soll
Einige Behörden haben inzwischen ihre NS-Vergangenheit vor und nach 1945 aufgearbeitet. Selbst der Bundesnachrichtendienst (BND) hat eine externe Kommission in seinem Archiv forschen lassen. Nur eine Institution sperrt sich beharrlich, das Bundeskanzleramt.
Und das hängt vor allem mit einer Person zusammen: Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, hoher Beamter in Hitlers Reichsinnenministerium und später allmächtiger Staatssekretär von CDU-Bundeskanzler von Konrad Adenauer.
Schon seit den 1950er-Jahren stand Globke im Zentrum der Kritik als Symbol für die NS-Kontinuität im Bonner Staat. Sie kam aus dem Ostblock, von der westdeutschen Opposition - nur aus Israel kam sie nicht. 1960 erteilte das Kanzleramt dem BND den Sonderauftrag, dafür zu sorgen, dass im Prozess in Jerusalem gegen den SS-Mann Adolf Eichmann Globkes Name nicht erwähnt wurde.
Und der Pullacher Dienst, damals unter dem Kommando von Nazi-Generalmajor Reinhard Gehlen, sorgte sich. Er witterte eine "kommunistische Hetzkampagne" gegen "Globus", wie er Adenauers Staatssekretär intern nannte. Die DDR veröffentlichte Bücher über ihn und stellte Globke in Abwesenheit vor Gericht.
Bis heute sorgt das Kanzleramt - bis auf einige historische Ausrutscher stets in der Hand der Christdemokraten - dafür, dass die Globke-Akten unter Verschluss bleiben. Globke hatte sie bei seinem Ausscheiden aus dem Amt einfach mit nach Hause genommen, und seine Erben gaben sie an die parteinahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).
Und diese private Einrichtung geht mit dem Nachlass, darunter Verschlusssachen und "geheim"-Gestempeltes, so um, wie es die C-Parteien wünschen. Einige Historiker oder angehende Historiker wurden mit diesen amtlichen Dokumenten gefüttert und andere nicht. Bevorzugt werden die Stipendiaten der KAS.
Sogar das Bundesverfassungsgericht hatte 2017 in einem von mir erstrittenen Urteil klargestellt, dass diese Akten weiterhin Bundeseigentum seien. Doch das Kanzleramt weigert sich hartnäckig, diese Akten an das Bundesarchiv zu schicken, wo sie laut Bundesarchivgesetz hingehören.
Meine Verfassungsklage ist anhängig, und Rechtsanwalt David Werdermann wünscht sich ein "Machtwort, zumal das Gericht im vorangegangenen Verfahren bereits entschieden hat, dass die Privatisierung von amtlichen Unterlagen nicht in Ordnung ist". Aber die Karlsruher Richter scheinen keine Eile zu haben. Meine Strafanzeige wegen Hehlerei wurde verworfen. Deutsche Staatsanwälte sind weisungsgebunden; sie unterstehen der Ministerialhierarchie, und dort hat die Politik das Sagen.
Der Fall Litauen
Globke hatte nicht nur die Nürnberger Rassengesetze kommentiert, damit also die rechtliche Grundlage der Entrechtung der jüdischen Bevölkerung geschaffen, er hatte als Ministerialdirigent im Reichsinnenministerium maßgeblich an der Einziehung des Vermögens der staatenlos gewordenen Juden mitgewirkt, auch in den besetzten Ostgebieten. Und er hatte sogar den Nazi-Staat auf internationalem Parkett vertreten.
Zum Beispiel in Litauen, 1939. Im März hatte der deutsche Außenminister seinen Amtskollegen in Vilnius vor die Wahl gestellt, entweder das Memelgebiet unverzüglich und per Vertrag an das Deutsche Reich abzutreten oder Gefahr zu laufen, von der Wehrmacht überrollt zu werden.
Die litauische Regierung beugte sich dem Ultimatum. Globke unterzeichnete diesen Vertrag. Als Wortführer der deutschen Delegation setzte er durch, dass die aus dem Memelgebiet nach Litauen geflüchteten Juden nicht als litauische Bürger anerkannt wurden und dass somit ihr zurückgelassenes Vermögen dem Nazi-Staat zufiel.
Allerdings gelang es Globke nicht, dass den Geflüchteten ihre deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde. Doch der militärische Angriff auf die baltischen Länder war nur noch eine Frage der Zeit. Wenige Wochen nach der Vertragsunterzeichnung fand Globke in einem Fachaufsatz tröstende Worte:
Es ist aber Vorkehrung getroffen, um sie alsbald nach Inkrafttreten des Vertrags und vor Rückkehr nach Deutschland auszubürgern.
Hans Globke
Auch konservative Historiker betrachten den Anschluss des Memelgebietes als erzwungen und Globke als Komplizen dieser Erpressung. Sein Name steht schließlich unter dem Vertrag. Doch die Adenauer-Stiftung scheut weder Kosten noch Mühen, um die Deutungshoheit an sich zu reißen. In ihren Augen war der Kommentator der Rassengesetze nur ein Rädchen in der NS-Maschinerie und im Herzen ein Fürsprecher der Juden.
Der akademische Verteidiger Globkes
Während die KAS anderen Forschern den kompletten Zugang zum Globke-Nachlass verweigert hatte, durfte der Student Erik Lommatzsch jahrelang diese Akten auswerten. Sowohl in seiner Magisterarbeit wie auch in der Promotion widmete er sich Globke, veröffentlichte Bücher, gilt als "Globke-Experte". Für die Magisterarbeit gewährte ihm die Adenauer-Stiftung ein großzügiges Stipendium, für die Doktorarbeit kam das Geld von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Finanzier und Forschungsobjekt waren also identisch.
Lommatzsch verbreitet seitdem, dass sich Verhandlungsführer Globke in Litauen für die Flüchtlinge eingesetzt habe:
Globke (habe) angeregt, die im Memelgebiet ansässigen Juden, einschließlich der nach der Machtergreifung eingewanderten Juden, zu litauischen Staatsangehörigen zu machen. Das wurde jedoch von den Vertretern der litauischen Regierung abgelehnt.
Als "Beweis" für die angebliche litauische Ablehnung des deutschen Vorschlages, verweist er in der Fußnote auf eine Erklärung eines Juozas Sakalauskas vom 20. Juli 1963, zufällig wenige Tage vor dem DDR-Urteil gegen Globke.
Sakalauskas war im Juli 1939 Vorsitzender der litauischen Verhandlungsdelegation gewesen und lebte später in München. Diese Erklärung, verrät die Fußnote, soll sich im KAS-Archiv befinden. Aber Lommatzsch erwähnt nicht, bei wem es sich um diesen Mann handelt.
Neue BND-Dokumente
Im Rahmen meiner Klage wegen Aktenfreigabe vor dem Bundesverwaltungsgericht hat der BND einige neue Akten zugänglich gemacht. Dort findet sich Aufschlussreiches über Globke, etwa ein Vermerk des BND-Chefs vom Herbst 1960. Der Staatssekretär hatte Gehlen mitgeteilt, dass sich Sakalauskas an ihn gewandt hatte und dass er ihn empfangen wolle.
Die Zone wolle damit, dass Globus den Vertrag unterzeichnet habe, nachweisen, dass er besonders enge Beziehungen zu Hitler gehabt und dass den Litauern wider ihres Willens ein Vertrag aufoktroyiert worden sei. Globus könne sich daran erinnern, dass der Vertrag in wesentlichen Teilen auf litauischen Vorschlägen beruhe.
Globke bat Gehlen um weitere Informationen. Er sollte Sakalauskas überreden, eine "Bescheinigung für Globus auszustellen", wonach die Annektierung des Memelgebietes ein Vorschlag der Litauer gewesen sei. Gehlen kümmerte sich, schließlich stand der Mann auf der richtigen Seite, befand er. Er nenne sich, meldete er nach Bonn, "freier Journalist" und sei bei Radio Free Europe tätig, dem Propagandasender der CIA im Kalten Krieg.
Dem BND gegenüber hatte er erklärt, dass er Globke "gegen kommunistische Angriffe schützen" wolle. Am 13. Dezember 1960 begleiteten BND-Agenten den Mann ins Bundeskanzleramt, für ein Tête-à-Tête mit "Globus". Und der bekam auf diese Weise seine entlastende Erklärung, die in der Adenauer-Stiftung landete und mit der Lommatzsch seine These über den guten Menschen im Kanzleramt zimmern konnte.
Ich habe Lommatzsch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Er hat sich dazu nicht äußern wollen. Ein Wissenschaftler hätte das getan.
Die Klagen gegen BND und Kanzleramt zur Freigabe der historischen Dokumente werden mit Crowdfunding finanziert, ebenso wie die Filme. Wer dies unterstützen will, kann dies über Paypal (gaby.weber@gmx.net) oder per Banküberweisung tun: Comdirect: IBAN DE53.2004.1155.0192.0743.00
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