Wie das Fracking-Wunder loslegte

Seite 2: "Marktführer in der globalen Energiewirtschaft werden"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Spätestens mit ihrem Amtsantritt, als die Zahlen für die inländische Öl- und Gasförderung für das Jahr 2008 vorlagen, dürfte die neue Regierung verstanden haben, dass sie von einem energiepolitischen Projekt der Bush-Ära profitieren wird, wenn das auch bedeutet, dass ihre ambitionierten Umwelt- und Klimaziele dieser Entwicklung zum Opfer fallen.

Als die Regierung im März 2011 ihre neue energiepolitische Strategie vorstellte, stützte Barack Obama sich ausschließlich auf die Fracking-Förderung. Gegenüber dem Jahr 2008 hatte sich die heimische Ölförderung in den vergangen beiden Jahren bereits um gut 1,5 Millionen Barrel am Tag erhöht - erstmals seit 1985 und gleich um eine durchaus beeindruckende Quantität. Entsprechend lautete der wichtigste Punkt:

Wir müssen amerikanische Vermögenswerte, Innovationen und Technologie bereitstellen, so dass wir hier zu Hause sicher und verantwortungsvoll mehr Energie fördern und Marktführer in der globalen Energiewirtschaft werden.

An zweiter Stelle widmet sich das Papier der Möglichkeit, mithilfe der Erdgasproduktion die Preise für Verbraucher und Industrie zu senken. Erst an dritter Stelle tauchte das Projekt auf, den weltweiten Technologievorsprung durch saubere und effizientere Technologien auszubauen.

Barack Obama weist in seinem Energiekonzept darauf hin, dass die Zuwächse in der heimischen Öl- und Gasförderung hauptsächlich aus den Shale-Vorkommen stammen.

Um eine stabile Förderung und Erschließung von Ressourcen des Landes zu fördern, hat die staatliche Verwaltung in den vergangenen zwei Jahren Millionen Hektar an öffentlichen Flächen und Gewässern aus dem Bundeseigentum im Rahmen von Öl- und Gas-Leasing-Verträgen vergeben.

Mit anderen Worten: Statt einen ökologischen Umbau von Amerikas Volkswirtschaft anzugehen, für den technisch sicher alle Voraussetzungen gegeben waren, knüpfte die Obama-Regierung direkt an die 2005er Bush-Strategie an. In den Jahren 2010 und 2011 seien fast 60 neue Lizenzen für die Öl- und Gasförderung in der Fracking-Förderung vergeben worden, bilanziert das Papier. Um gleich zu bedauern:

Dies entspricht etwa einem Drittel der verfügbaren Flächen.

Barack Obama verspricht schnellere Vergabeprozeduren bei der Verpachtung oder dem Verkauf von Förderflächen und spezielle Regelungen für Abgaben und Steuern im Öl- und Gassektor:

Obwohl der Preis von Öl und Gas den wichtigsten finanziellen Anreiz für Lizenznehmer darstellt, um ihre Projekte voranzubringen, können unterschiedliche Gebühren und Lizenzstrukturen die Entwicklung stärker beschleunigen.

Zudem werde die Regierung die Erschließung mit eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen unterstützen. Bereits bestehenden "Bedenken" gegenüber möglichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch das Fracking will die Regierung proaktiv begegnen, indem die Industrie zu einem transparenten Umgang mit den verwendeten Chemikalien aufruft. Eigene Veranstaltungen der Bundesregierung sollen in den betroffenen Regionen die Bevölkerung informieren. Zudem kündigt Barack Obama regierungsoffizielle Studien zu den Auswirkungen insbesondere auf die Wasserqualität an.

Die globale Strategie besteht ab sofort darin, die inländische Förderung zu erhöhen, die Energieeffizienz zu steigern und die Förderländer weltweit dabei zu unterstützen, ihre Produktion auszuweiten.

Anschließend an die Entwicklung von neuen Techniken zur Gewinnung von Schiefergas in den USA, gründet das Außenministerium die Global Shale Gas Initiative, die das Potential verschiedener Länder hinsichtlich der Schiefergasproduktion bewertet und die dortigen Regierungen unterstützt, Regeln für den Handel, die Sicherheit und den Umweltschutz festzulegen, die vorteilhafte Entwicklung dieser Ressource ermöglichen.

Preissturz? Uns doch egal!

Bei einem Rückblick auf die vergangenen 18 Monate Energiepolitik spielt der Mythos, die Fracking-Industrie würde nun pleitegehen, eine besondere Rolle. Diese Annahme basiert natürlich wesentlich auf einer anderen Legende, nämlich der, dass die Erdölökonomie den unsichtbaren Händen eines freien Marktes folgt. Schaut man sich die Bemühungen der US-Regierung an, über den Zeitraum von zehn Jahren eine Frackingindustrie aufzubauen, sollte klar sein, dass das politische Interesse an einer dominanten heimischen Ölförderung derartig groß ist, dass niemand lange suchen muss, um das Gegenteil zu beweisen.

In ihrem monatlichen Drilling Productivity Report präsentiert die EIA regelmäßig aktualisierte Daten für die wichtigsten sieben Förderregionen in den "unteren" 48 Bundesstaaten, also ohne Alaska. Auf diese sieben Regionen entfallen insgesamt 95 Prozent der inländischen Öl- und Gasförderung. Der absolut überwiegende Teil davon wird inzwischen mithilfe "unkonventioneller Techniken" - Fracking - gefördert.

In diesen sieben wichtigsten Förderregionen wurden bis Ende 2009 recht kontinuierlich um die 1,3 Millionen Barrel am Tag gefördert. Praktisch zeitgleich mit dem Amtsantritt von Barack Obama im Januar 2009 begann die dortige Erdölförderung allerdings zu steigen - und zwar rasant. Im August 2011 wurde erstmals die 2 Millionen-Grenze durchbrochen und im Dezember 2013 waren es bereits 4 Millionen Barrel am Tag. Als der Preissturz für Rohöl einsetzte, im Juni 2014, förderten nur die benannten Regionen 4,68 Millionen Barrel täglich.

Der sinkende Rohölpreis hatte in den folgenden Monaten keinen unmittelbaren Effekt auf die US-Förderung. Im April 2015 erreichte die Förderung ihren vorläufigen Höhepunkt mit 5,6 Millionen Barrel am Tag - also deutlich mehr als die allermeisten Ölstaaten insgesamt fördern. Bis einschließlich August 2015 sank die Förderung leicht, um knapp 300.000 Barrel den Tag.

Ganz ähnlich verlief die Förderung von Erdgas. Auch hier setzte zum Jahreswechsel 2009 zu 2010 der schnelle Zuwachs in der Förderung ein, auch wenn dieser nicht ganz so kontinuierlich und weniger radikal verlief. Genau wie die Ölförderung erreichte auch das Erdgas seine Spitzenposition im April 2015, um seitdem leicht zu sinken.

Das auffälligste Merkmal an dieser Entwicklung ist sicher, dass der Preissturz für Erdöl auf dem Weltmarkt keinen unmittelbaren Effekt auf das Förderniveau in den USA hatte. Ab Juni 2014 stiegen die Erdöl- als auch die Erdgasförderung zunächst weitere 10 Monate unvermindert an. Dies ist umso erstaunlicher, als die Bohrlochaktivitäten, etwa im viel zitierten Baker-Hughes-Index, unmittelbar mit den Weltmarktpreisen für Erdöl einbrachen.

Sie erreichten ihr Maximum mit 1.308 aktiven Bohrlöchern in den sieben Regionen im Oktober 2014, um dann radikal abzufallen. Im Juni 2015 - ein Jahr nach dem beginnenden Preissturz - lagen sie in der untersuchten Region nur noch bei 578 Bohrlöchern.

Mehr Produktivität, weniger Einfuhren

Die Ursache für diesen Gap zwischen Bohraktivitäten und Ausstoß liegt ganz klar in der schnell zunehmenden Produktivität der aktiven Bohrlöcher. Wie im Jahr 2005 vorausgesagt, verzeichnete die Öl- und Gasförderung mithilfe der unkonventionellen Methoden drastische Effizienzgewinne. Mit dem Beginn der erfassten Daten im Januar 2007 wurden aus einem Bohrloch durchschnittlich 39 Barrel am Tag gefördert. Im August 2015 waren es 380 Barrel täglich, d.h. in acht Jahren hatte sich der Ausstoß pro Bohrloch fast um den Faktor 10 vervielfacht.

Betrachtet man nur das vergangene Jahr 2015, bleibt festzustellen, dass sich mit deutlich weniger als der Hälfte der Bohrlöcher knapp eine Million Barrel Rohöl am Tag zusätzlich fördern lassen. Die andere Hälfte gehört zu unrentablen Projekten bzw. es handelt sich um Erschließungsbohrungen, deren zukünftige Ausbeute zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesichert war.

Die Importe in die USA gehen hingegen sehr schnell zurück, was natürlich mit dem deutlichen Anstieg der inländischen Erdölförderung zusammenhängt. Von 2007 bis 2014 sparte das Land 4,41 Millionen Barrel pro Tag an Einfuhren. Angesichts der Tatsache, dass die weltweite Förderung weiter zunimmt, die Nachfrage konjunkturbedingt aber stabil bleibt oder sogar sinkt, dürfte hier die wesentliche Ursache für das Überangebot liegen, das im Juni 2014 schließlich den Rohölpreis abstürzen ließ.

In dieser Zeit verschoben sich zudem deutlich die Herkunftsländer der US-Importe. Während die Einfuhren aus sämtlichen Regionen zurückgehen, profitieren vor allem Kanada und die lateinamerikanischen Staaten von einem immer größeren Absatz in die USA. Aus Kanada bezogen US-Unternehmen im Jahr 2014 mehr als 12 Millionen Tonnen Erdöl mehr als im Vorjahr. Die nächst wichtige Herkunftsregion bleibt Lateinamerika, wobei der größte Einzelposten aus Mexiko stammt. Aber auch die Importe aus Kolumbien nahmen in den vergangenen Jahren schnell zu.

Aus dem Mittleren Osten importieren die USA deutlich weniger. Der einzige Anbieter der weiter mit einem kontinuierlichen Absatz in die USA rechnen kann ist das Königreich Saudi-Arabien. Am schlimmsten trifft die Entwicklung Westafrika. Von dort kamen im Jahr 2014 nur noch 16,9 Millionen Tonnen Rohöl in die USA, im Vorjahr waren es noch 31,5 Millionen Tonnen.

Die Importe aus Nigeria haben sich innerhalb weniger Jahr fast auf null reduziert. Insgesamt lässt sich für die USA also eine ausgeprägte Regionalisierung des Energiebezugs feststellen. Amerika zieht sich energiepolitisch in die Festung zurück.

Im Teil 3: "Neue Handlungsspielräume": Außenpolitische Planungen und Projektionen

Der Text basiert auf einer Recherche im Rahmen der Studie "Globale Umordnung. Geopolitische und geoökonomische Veränderungen im Umfeld der EU", die in der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen ist.