Wie die Pandemie Wissenschaft und Lehre bedroht

Wer die Corona-Politik und ihre Folgen kritisch kommentiert, gefährdet Karriere und Sicherheit. Über eine neue Hexenjagd gegen die akademische Freiheit – und die fragwürdige Rolle einiger Medien

Sie werden Ziel von Twitter-Kampagnen, finden sich in tendenziösen Pressebeiträgen wieder und müssen sich gegen die Manipulation ihrer Wikipedia-Portraits wehren: Wissenschaftler aller Fachrichtungen, die sich kritisch mit der Pandemie-Politik und ihren Folgen auseinandersetzen, haben derzeit keinen leichten Stand. Nun wehren sich immer mehr Akademiker gegen die aggressive Kritik an der Kritik.

Einige von ihnen publizieren nur noch in Autorengruppen, um Angriffe gegen einzelne Akteure zu erschweren. Andere haben sich – unabhängig von der Pandemie-Debatte – aus Sorge vor der zunehmenden Cancel Culture unlängst in einem Netzwerk für Wissenschaftsfreiheit zusammengeschlossen; die erste Pressemitteilung des Zusammenschlusses kritisiert die Angriffe eines AfD-Politikers auf die Professorin an der Berliner Humboldt-Universität, Maisha-Maureen Auma.

Im Februar präsentierten knapp 300 Akademikerinnen und Akademiker, davon rund 70 aus dem deutschsprachigen Raum, das "Netzwerk Wissenschaft". Ihre Motivation, so heißt es in einer Erklärung der internationalen Forschergruppe, läge in dem "gemeinsamen Anliegen, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen".

Man beobachte, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre "zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll", heißt es da; auch gebe es Versuche, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen.

Der Appell wurde aus dem linksliberalen Spektrum mitunter hämisch kommentiert, traf aber auf ein breites Medienecho und lässt sich nicht einfach als Versuch neurechter Intellektueller gegen eine linke Cancel Culture abtun. Das Problem ist breiter, massiver und beunruhigender.

Denn zugleich sieht eine offenbar zunehmende Zahl von Wissenschaftlern, Medizinern und Journalisten eine offene, fachbasierte und demokratische Debatte um die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus sowie die gesellschaftlichen Folgen in Gefahr. Die ideologischen Grenzsteine, so scheint es, werden mehr, der Diskurskorridor enger.

Twitter-Kampagnen und Edit-Wars auf Wikipedia

Obgleich die Unterzeichner der Erklärung für Wissenschaftsfreiheit auf die andauernde Corona-Krise keinen direkten Bezug nehmen, wirkt die Pandemie als Katalysator bestehender freiheits- wie intellektuellenfeindlicher Tendenzen. Zu spüren bekam das schon Ende vergangenen Jahres der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, Hendrik Streeck. Nachdem der Forscher in einer Talkshow die Fokussierung auf Sterbezahlen kritisierte, trendete auf Twitter der Hashtag #sterbenmitstreeck.

Der so Adressierte zeigte sich schockiert. Streeck beanstandete die Twitter-Kampagne, weil mit dem Hashtag "zu meinem Ableben oder sterben mit mir aufgerufen wird". Dies sei ein Beispiel, "wie groß der Hass und die Diffamierung im Netz geworden ist".

Es war nicht das erste Mal, dass der Bonner Virologe ins Visier medialer Kampagnen geriet. Schon im April vergangenen Jahres hatten private wie öffentlich-rechtliche Medien seine epidemiologische Kohortenstudie im Kreis Heinsberg vorschnell kritisiert – gestützt nur auf eine wenig fundierte Ad-hoc-Einschätzung des Berliner Charité-Virologe Christian Drosten. Nachdem sich die Studie später in weiten Teilen als valide erwies, ruderten einige Kritiker zurück, jedoch nicht alle.

Der österreichische Biologe Clemens Arvay führt derweil einen seit Monaten währenden Kampf um sein Wikipedia-Profil. Eine "kleine Gruppe von Benutzern" sei für "ununterbrochene Veränderungen" des Beitrags verantwortlich. Nach Publikation seines Sachbuches "Wir können es besser", einer kritischen Auseinandersetzung mit der Corona-Politik, wurde im Beitrag seine Berufsbezeichnung entfernt.

Eine Userin habe sogar alle Wörter mit der Silbe "Bio-" aus seinem Artikel gelöscht, schildert Arvay im Interview mit dem Watchblog nachdenkseiten.de: "Nicht einmal "Biodiversität" wurde akzeptiert – mein Lebensthema als Biologe!", so Arvay, der auf seiner Homepage inzwischen zahlreiche Nachweise für seine wissenschaftliche Qualifikation hinterlegt hat.

Journalisten, die Journalismus leugnen?

Einer der jüngsten Fälle mutmaßlich voreingenommener Berichterstattung betrifft den Regensburger Psychologen und Telepolis-Autor Christof Kuhbandner. Nachdem sich eine Teilnehmerin aus einem Seminar des Lehrstuhlinhabers für Pädagogische Psychologie VI der Universität Regensburg an den öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk wandte und sich eine weitere E-Mail kritisch mit einem Mitarbeiter der Jura-Fakultät, Martin Heuser, auseinandersetzte, nahm sich Bayern-Korrespondent Michael Watzke des Falls an.

Obgleich Watzke nach einem Mailaustausch ausführliche Stellungnahmen Kuhbandners vorlagen und er ein langes Interview mit dem Psychologen führte, blieb von dessen Erwiderung auf die Kritik wenig übrig. Vor allem die Erklärungen zu den didaktischen Hintergründen des Seminars ließ der Deutschlandfunk-Journalist außen vor. Das komplette Interview des Deutschlandfunks dokumentiert Telepolis hier.

In seinem Audio- und Textbeitrag stellte der Radiojournalist die Äußerungen Kuhbandners weitgehend als politische Kritik von Regierung und Robert-Koch-Institut dar, ordnet sie ein ("mehr oder weniger rhetorisch") und fügt an: "Dass eine überwältigende Mehrzahl von Wissenschaftlern das anders sieht, ficht den Psychologen nicht an." Der Beitrag, in dem es um zwei Wissenschaftler geht, steht unter der Überschrift "Wissenschaftler, die Corona leugnen".

Doch um die Leugnung von des Corona-Virus oder der Pandemie ging es im Austausch nicht. "Die Online-Überschrift habe ich nicht formuliert, sie bezieht sich meines Wissens auf den im Beitrag genannten Dr. Martin Heuser", schrieb Watzke auf Telepolis-Anfrage (hier die Fragen und Antworten1). Wie sich eine im Plural formulierte Aussage auf nur eine von zwei Personen beziehen kann, ließ der Journalist Watzke offen und sah offenbar auch keinen Korrekturbedarf.

Unklar bleibt zudem, wie relevant die Meinung einer Studentin ist. "Ich habe Rückmeldungen von mehreren Seminar-Teilnehmern, die das Verhalten von Prof. Kuhbandner kritisch sehen", schrieb Watzke. Kuhbandner hält dagegen, er habe seine Studierenden befragt und 14 Rückmeldungen bekommen, von denen neun fast ausschließlich positiv gewesen seien. Telepolis konnte einiger dieser Mails anonymisiert einsehen.

Watzkes Kritik an Kuhbandners Vergleich der Maskenpflicht an Schulen und dem sogenannten Milgram-Experiment stützt sich auf fünf Folien aus dem Seminar-Lehrmaterial – und lässt außen vor, dass drei folgende Folien das Milgram-Experiment fundamental methodisch hinterfragen. "Spätestens dann hätte eigentlich klar werden müssen, dass ein einfacher Übertrag auf das echte Leben fragwürdig ist", so Kuhbandner.

So erweckt der Beitrag des Deutschlandfunks den Eindruck, eine bestimmte Meinung darzustellen und Kuhbandner – presserechtlich durchaus bedenklich – Positionen zuschreiben zu wollen, die er nicht vertritt. Zu behaupten, dass Kuhbandner "Corona leugnet", käme der These gleich, der Deutschlandfunk und Michael Watzke leugneten Journalismus. Beide Aussagen sind unwahr.

Debatte um Folgen der Polarisierung

Ein Jahr nach Beginn der Pandemie beginnt immerhin eine Debatte über die Folgen der damit einhergehenden Polarisierung für Medizin, Forschung, Lehre sowie für den Journalismus. Im Medien-Portal Übermedien thematisierte Andrej Reisin schon Ende Mai vergangenen Jahres die "fehlende journalistische Distanz zu Christian Drosten" und führte die rasche und unkritische Übernahme von dessen Kritik an Streecks oben genannter Heinsberg-Studie als Beispiel an.

Reisin verwies auf ein zentrales Problem, frei formuliert: die Verdrängung von seriöser Erarbeitung und Präsentation von Wissen durch Ideologie. Keines der etablierten Medienhäuser habe sich im Fall des Drosten-Streeck-Disputs veranlasst gesehen, zu erklären, was "Preprint-Papers" sind, "wie der wissenschaftliche Diskurs funktioniert, warum Methodenkritik völlig normal und keine Studie allein deshalb schlecht ist". Weitgehend unkritisch seien die mitunter gleichen Akteure wenig später mit Drostens Fehleinschätzung zur Viruslast bei Kindern umgegangen.

Alleine der Journalist Jakob Simmanks hatte in der Zeit Drostens umstrittene und später in Teilen revidierte Studie einer ausführlichen Analyse unterzogen. Er blieb eine Ausnahme.

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