zurück zum Artikel

Wie die Städte dahin laufen lernen, wo sie gebraucht werden

Siena / Toskana. Bild: Susanna Giaccai / CC-BY-SA-4.0 DEED

Können unsere Städte auch ohne Innenstädte existieren? Kaufen wir nach den Krisen wieder in Kaufhäusern ein? Wie Stadt neu zu denken ist.

Die Prognosen sind so verschieden wie die Mentalitäten der Stadtbewohner. Die Stadtforscher stehen nicht nach. Um eine Lösung der Streitfrage zu finden, wäre ein Blick zurück auf die Antike lohnend: Die Ruinen des Alten tragen den Keim des Neuen in sich.

Das hindert das Alte nicht daran wiederzukehren. Die Digitalisierung hat dafür gesorgt, dass Zeit nicht mehr an der Strecke zu bemessen ist, die zurückgelegt wird. Vielmehr fällt die Zeit mit dem Raum zu einer "Raumzeit" zusammen. Dieser Moment kann sich überall abspielen, er ist ubiquitär. Die Corona-Epidemie brachte es physisch zum Vorschein. Home office ist überall und nirgends.

Wohnort und Arbeitsort fallen zusammen und folgen damit dem historischen Vorbild. Die Industrialisierung riss die Massen aus ihren ländlichen Umgebungen und konzentrierte sie in den Städten, als "industrielle Reservearmee", denn ob sie in den Produktions-Etablissements Arbeit fanden, stand auf einem anderen Blatt.

Homeoffice: Das Neue ist das Alte

Die Kombination von Arbeiten und Wohnen ist heute noch am Aufbau mancher Altbaubestände ablesbar. Produziert wurde im Hinterhaus.

Die Wohn- und Arbeitsverhältnisse waren gerade wegen ihrer Nähe bedrückend, zumal der Faktor Freizeit fehlte. Aber in den Zwanziger Jahren zeigte sich, dass diese städtebaulichen Strukturen auch Erholung zuließen.

Der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner hatte gestaffelte Vorgaben publiziert, wie weit das nächste Grün vom (Arbeiter-)Haushalt maximal entfernt liegen solle. Dies ist ein früher Fall der "Stadt der kurzen Wege".

Die 15-Minuten Stadt

Inzwischen ist daraus das ausgefeilte Konzept der 15-Minuten-Stadt geworden. Kein städtisches Ziel sollte zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV in mehr als einer Viertelstunde zu erreichen sein.

Selbst wenn in der motorisierten Dienstleistungsgesellschaft Wohnort und Arbeitsort wieder auseinandergefallen sind, gibt es doch ein gemeinsames Drittes. Der Dritte Ort steht vermittelnd über der Zweiheit. Er ist "weder noch" und deutet eine Freiheit an, die in die Zukunft weist. Es ist der Ort der zivilen Begegnung und der politischen und kultischen Gemeinschaft.

In Griechenland war es der zentrale Ort des Handels und des Aushandelns der Wege, die dem Gemeinwesen vorgezeichnet sind. Auch die Gerichtsbarkeit wurde auf der Agora ausgeübt. Das wurde im Mittelalter übernommen.

Die Frage nach mangelnder Aufenthaltsqualität des Zentrums stellte sich den Griechen nicht. Sie kam erst in der Moderne auf, als die Innenstädte zur "Umkleidekabine" der Stadt geworden waren. Und diese Beherrschung durch eine Monokultur scheint nun ebenfalls überholt zu sein.

Leerstände und steigende Kosten

Die Infrastrukturen, Dienstleistungen und Funktionen, welche die Städte traditionell boten, schmelzen wegen zunehmender Leerstände und steigender Kosten ab. Gerade sind Krankenhäuser im Fokus.

Eine Zentralisierung der verbliebenen Funktionen würde die Erreichbarkeit für die meisten Menschen erschweren und zumindest die Innenstädte großer Städte unnahbar machen, etwa durch Hochhaus-Agglomerationen. Werden diese zu Wohnzwecken umgerüstet, bilden sich dort tendenziell Gated communities heraus. Es wären abgeschottete Städte in der Stadt.

Die Bündelung von Funktionen sollte vielmehr mit einer regionalen Dezentralisierung einhergehen. Die Hegemonie der Innenstädte wäre gebrochen, und die Anwohner fänden, was sie brauchen, "vor Ort".

Stadtteilzentren, Nebenzentren und Quartierszentren befänden sich auf einer Ebene mit dem Innenstadtzentrum. Die traditionelle Hierarchie wäre aufgehoben. Die Kleinteiligkeit und Nahräumlichkeit des Gewerbelebens würde sich auf die Stadtplanung auswirken und umgekehrt.

Insel-Urbanismus

Die Verinselung zu einer Patchwork- oder Mosaikstadt könnte auch, wenn gut durchdacht, auf Suburbia übergreifen, damit diese nicht in den Streuelementen eines Siedlungsbreis erstickt.

Auch dieser Insel-Urbanismus ist nicht ohne Vorläufer. 1977 schlug Oswald Mathias Ungers [1] einen "Grünen Stadtarchipel" vor, bestehend aus Gebäudeinseln, die von einem Meer dichter Vegetation umgeben sein würden. Die utopischen Elemente dieses Archipels schöpfen ihrerseits aus einer noch älteren realen Dystopie.

Für das zerbombte Berlin schlug gleich nach dem Krieg der verantwortliche Stadtplaner Hans Scharoun einen kompletten Wiederaufbau als "Bandstadt" vor. Er entwarf ein rechteckiges Raster aus Schnellstraßen, die durch eine grüne – und blaue – Stadtlandschaft führen sollten.

War das Zusammenkarren der Trümmer zu kleinen und großen künstlichen Hügeln die Inspirationsquelle für diesen "Grid [2]"? Vereinzelt haben sich Trümmerberge bis heute erhalten, versteckt unter Parkgrün.

Aus dem Schneisensystem wurde allerdings die autogerechte Stadt. Mit ihrer großräumigen Funktionsteilung in Wohnen, Arbeiten und Freizeit und den langen Wegen dazwischen stellt sie eine schwere Hypothek des Städtebaus bis heute dar.

Das Diktat des autogerechten Stadtmodells

Um die Innenstädte zukunftstauglich zu machen, wäre es angezeigt, sich schrittweise vom Diktat des autogerechten Stadtmodells zu verabschieden. Entsprechende Impulse werden stärker, wenn sie auch nach wie vor auf Widerstände stoßen. Der Straßenraum wäre der gleichberechtigten Nutzung durch alle Verkehrsmittel und -teilnehmer zu widmen.

Das wäre ein Signal, an der Stelle von Stadtautobahnen und großdimensionierten gewerblichen Konsumangeboten einen kleinteiligen Nutzungsmix in nachbarschaftlicher Umgebung aufzubauen.

"Superblocks [3]" wie in Barcelona tragen dazu bei, mehr Platz im Straßenraum etwa für eine blau-grüne Infrastruktur zu schaffen. Eine Stadt sollte durch ihre Plätze kenntlich gemacht werden. Dazu müssten diese von ihrer Rolle als Aufmarschgebiete für den Kfz-Verkehr entbunden werden.

Die Teufel sind los

Ideen zur Wiederbelebung der Ödnis gibt es viele, bis hin zu gemeinschaftlichen Open-Space-Werkstätten in Erdgeschosszonen und anderen genossenschaftlichen Projekten, nur sollten diese Unternehmungen unter "Experiment" firmieren. Es wäre abzuwarten, welche der zarten Pflänzchen sich durchsetzen. Schönreden hilft nichts. Unter diesem Vorbehalt werden Innenstädte zu "Schaufenstern der Transformation".

Schon im Praxisbetrieb laufen etwa Kombinationen aus Buchladen, Café und kulturellem Veranstaltungsort. Noch konzentrierter wäre eine Räumlichkeit, die morgens ein Frühstücksbistro ist und sich tagsüber in einen Coworking-Space verwandelt.

Leerstehende oder von Leerstand bedrohte Gebäude können durch Umnutzung eine Überlebenschance erhalten. Aber auch hier ist vorsichtige Abwägung geboten. In ehemaligen Fabrikgebäuden, in Hochhäusern, Kauf- oder Parkhäusern müssten Wände versetzt und die Haustechnik erneuert werden. Die Klimatisierung ist zu klären und Altlasten sind zu entsorgen.

"Schaufenster der Transformation"

Hier setzt der betriebswirtschaftliche Rotstift an und macht schlimmstenfalls die Rechnung auf, dass Neubauten billiger sind als die Ertüchtigung von Bestandsbauten für neue Zwecke.

Aber ist es nicht die Aufgabe von Architekten, unterstützt von findigen Bauingenieuren, die Probleme unter Einsatz von Fantasie zu lösen, zumal die umzufunktionierenden ruinösen Gebäude schon von sich aus einen gewissen Charme entfalten? Sie liegen da "as found", regen ihrerseits die Fantasie darüber an, was man mit ihnen alles anstellen kann.

Sie sind Ready-mades [4] sind baugeschichtliche Dokumente einer Stadt, die in die postkapitalistische Zukunft weisen. So hätte es am Berliner Palast der Republik geschehen können. Stattdessen wurde er zugunsten des Stadtschlosses abgerissen.

Der betriebswirtschaftliche Stolperstein wäre zudem beseitigt, wenn Neubauten von vorneherein so angelegt würden, dass sie diverse zukünftige Nutzungen mit nur geringem Aufwand zum Beispiel für Kabelschächte aufnehmen könnten.

Lernende Häuser in einer lernenden Stadt

Das wären lernende Häuser in einer lernenden Stadt. Sie würden auch durch Wachsen und Schrumpfen sich dem Sozialgefüge wechselnder Bewohner anpassen. Was Stewart Brand ("How buildings learn") skizziert hat, wurde bereits in den 1920er-Jahren im Umkreis des Bauhauses diskutiert.

Lagen in Innenstädten bisher die Versorgungs- und Konsumfunktion vornean, treten nun zunehmend die Kommunikations- und Freiraumfunktion an deren Stelle. Der öffentliche Innenstadtraum ermöglicht Begegnungen, ohne dass daraus eine Zwangsgemeinschaft entsteht. Die Beziehungen können jederzeit suspendiert, neue eingegangen werden.

Die Bürgerinnen und Bürger halten die Balance aus Nähe und Distanz. Die Passanten haben unterschiedliche Geschwindigkeiten. Punktuelle, zufällige Treffen aus freien Stücken sind möglich. Diesem Muster folgen auch die öffentlichen Diskurse zwischen Milieus.

Hannah Arendt spricht vom "gemeinsamen Tisch" der Stadtgesellschaft. Er wäre ein geeignetes Forum, um "Stadt" neu zu denken.

Der "gemeinsame Tisch"

Wie weit die sozialen Medien die realen Beziehungen und die Orte des Zusammentreffens durch Virtualisierung übernehmen, ist seinem Umfang nach noch nicht klar. Die Frage ist vielmehr: Wann stoppt der Trend? Der physische Kontakt wird nie zu eliminieren sein. Kommunikation umfasst alle Sinne, ist psychophysisch. Wo einzelne Sinne gekappt werden, wird die Qualität der Mitteilungen schlechter.

Damit ist jedoch Marshall Mcluhan [5] nicht widerlegt, der anno dazumal verkündete: "The medium is the message." Einzuwenden wäre heute: Das Medium kann gehackt werden. Dann läuft das System im Fehlermodus. Die virtuelle Welt bekommt Risse.

Wie diese mit "Stadt" zusammenhängen, veranschaulicht eine kleine Anekdote: Ein Betrachter steht ratlos vor dem "Schwarzen Quadrat [6]" von Kasimir Malewitsch. Als ihm die feinen Risse ("Krakelüren") auf dem Gemälde auffallen, hat er die Lösung: Durch die Ritzen entfleuchen des Nachts kleine Teufelchen und überfallen Moskau.1 [7]

Raumfahrt der Häuser

Nicht weniger als jene Risse ist das Unfertige, Ungewisse eine Metapher für Stadt. Unfertig heißt, die Stadt ist in ständiger Bewegung, und darin liegt ihre Überlebenschance. Berlin ist "dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein", urteilte Karl Scheffler [8].

Nach Ernst Bloch lebt der Stadtnomade im ständigen Zustand "abfahrtswilligen" Wohnens. Viele Flüchtlinge vor den Nazis trugen wie Einsiedlerkrebse ihre Behausung mit sich. Sie lebten aus dem Koffer.

Heute wird das Bild durch Container vervollständigt. Ein Flüchtlings-Container ist das Haus, das "heute kommt und morgen bleibt." Exakt diesen Satz hatte Georg Simmel zur Beschreibung seiner berühmtesten Figur, des Fremden, geprägt. Er ist der, der heute kommt und, obwohl er bleibt, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz überwunden hat.

Das Unfertige als Metapher für Stadt

Von Malewitsch und Genossen stammen geometrische Entwürfe, ob gezeichnet oder als Modell, die in ihrem skulpturalen Ausdruck aussehen wie Raumschiffe. "Planiten" nennen sich die weltalltauglichen Häuser. Sie können zu ganzen "Aerostädten" agglomeriert werden.

Die künstlerische Avantgarde der jungen Sowjetunion schuf im Namen der neuen Zeit Stadtentwürfe, die kühn vom Neuen Menschen zeugten, aber in den Ansätzen stecken blieben.

Berühmt geworden sind die "Wolkenbügel" [9] El Lissitzkys, eine Reihe von Hochhäusern, die in der Höhe horizontale Riegel ausbilden.

Auch die Wolkenbügel von 1924 wurden nicht gebaut.2 [10] Darin liegt gerade die Faszination solcher Architektur-Utopien. Sie versinnbildlichen die Zukunft und holen sie in die Gegenwart, die sie mit künstlerischen Mitteln aufbrechen. Sie gedeihen am besten in Gesellschaften, die sich im Aufbruch, wenn nicht gerade in Aufruhr befinden.

Städte, die man mit sich herumtragen kann

Eine neue Zeit des Aufruhrs war in den wilden 60er-Jahren gekommen. Es ging nicht mehr um die Verbesserung der Städte, deren hergebrachte Funktionen sich als Fesseln für die aufmüpfige Jugend erwiesen, es ging um die Neugründung der Stadt. Die Stadt wurde zum Experiment ihrer selbst. Sie erneuerte sich von Straßenkämpfen her. Sie war "situativ" und spontan.

Zu erproben waren Städte, die man mit sich herumtragen konnte, Cloud Cities oder Städte als Seerosen [11] im Meer schwimmend, ferner Städte, die variabel in Tragwerksgerüste eingehängt sind oder Städte, die als Rhizom am Boden kriechen (Constant, Megastructures).

R. Buckminster Fuller [12] und die Gruppe Haus-Rucker-Co operierten mit Ballons und Blasen. Fuller verpackte ganze Städte in "Klimahüllen", und Haus-Rucker-Co [13] ersannen "Ballons für zwei", die überall an bestehende Häuser andocken konnten.

Solche Kapseln waren aber auch weltraumtauglich. Für die Hüllen wurden Membranen verwendet, die den atmosphärischen Austausch zwischen innen und außen in der "atmenden Stadt" ermöglichten.

Zur pneumatischen Stadt kam die kinetische. Die englische Gruppe Archigram [14] präsentierte die Plug-in-City. Diese baut und erweitert sich selbst. Das bekannteste Objekt der Gruppe ist "Walking City", eine Art mechanisches Insekt, das mit seinen teleskopischen Stelzen dorthin wandert, wo gerade Bedarf an Stadt ist.

Smart Citys

Die Planstädte des 21. Jahrhunderts bauen auf eine reale, technische Utopie. Smart Citys erheben den Anspruch, den Bau der Stadt an die Architektur des digitalen Netzes anzupassen. Die Menschen hinterlassen einen digitalen Fußabdruck und werden ins große Netz eingespeist.

Die Konsequenzen sind klar, besonders in China, werden jedoch verklärt durch das Versprechen, am technischen Fortschritt teilzuhaben und zeitsparenden Komfort bis in die eigene Wohnung zu genießen. Dafür, dass mein Müll automatisch entsorgt wird, verkaufe ich meine Seele.

Die Flüchtigkeit der Planung

Kein bisschen dystopisch waren dagegen die wilden Entwürfe der 60er-Jahre. Aber waren es Phantastereien? Sicherlich, jedoch hatten sie Methode. Archigram dachte sich das Unmögliche aus, um das Wirkliche umzuschaffen. Das gelingt nur unter dem Vorbehalt, dass das Wirkliche nie fertig wird. Das Geplante wird gut, wenn es eine Reflexion auf das Unplanbare darstellt.

Ein Beispiel, wie es nicht gemacht werden soll, ist die "Leipzig Charta [15]" zur nachhaltigen europäischen Stadt von 2007/2020. Aus einem Perfektionsdrang heraus bietet der Text zur Stadtentwicklung alles und nichts, aber das in schönen Worten.

Die Verszeilen von Bertolt Brecht lesen sich wie eine Parodie auf dieses Elaborat:

Ja, mach nur einen Plan! / Sei nur ein großes Licht! / Und mach dann noch 'nen zweiten Plan, / gehn tun sie beide nicht.

Entwickeln sich unsere Städte unabhängig von – zerplatzenden oder rissigen – Plänen, oder gibt es nicht jenseits aller Spontaneität doch eine Macht, die mit unsichtbarer Hand die Geschichte der Städte und die Geschicke der Innenstädte lenkt, wie es der Liberalismus behaupten würde?

Das Wirkliche wird nie fertig

Der klassische Liberalismus hat sich insofern selbst überholt, als es Bereiche gibt, in denen sich statt einer ausgleichenden Selbstregulierung Monostrukturen herausgebildet haben. Das ist vor allem der Immobiliensektor. Er bestimmt über die Grundstückswerte das Marktgeschehen (nicht nur) im Konsumsektor.

Das in Immobilien investierte Kapital ist ein Durchlauferhitzer. Es löst immer schnellere Zirkel aus Käufen und Verkäufen aus. Die Gewinne sind spekulativ. Sie werden zur Funktion eines ständigen Mehr oder Weniger.

Marx spricht vom sich selbst verwertenden Wert. Der kommunal basierte Städtebau kann mit dieser Investorenlogik nicht Schritt halten. Die Innenstädte verfallen weiter, und wenn im gewerblichen Bereich etwas neu gebaut wird, ist es ein stilistisches Einerlei.

Wenn gar nichts mehr geht, kann das ein Zeichen sein, dass es weitergeht. Bauen heißt verfallen. Nach Robert Smithson [16] trifft sogar das Umgekehrte zu, und in den Ruinen von heute liegt der Schlüssel zu Künftigem.

Das Unfertige nicht durch Kulissen verdecken

Das Unfertige, Brüchige der Stadt sollte nicht durch Kulissen verdeckt werden, wie es in der Rekonstruktionsarchitektur [17] so gerne geschieht.

Die Stadt treibt ins Offene und wird zum Anders-Ort (Heterotopie) für den, der nie ganz ankommt und die flüchtigen Momente genießen kann. Walter Benjamin: Trotz ihrer Steinschwere sind Städte "empfindlich wie eine Äolsharfe für die lebendigen historischen Luftschwingungen".

Diese Fremdheitserfahrung trifft nicht etwa nur auf Migranten zu, sondern auf jeden, der sie akzeptiert und produktiv anwendet. Künstler wie Stadtnomaden sind die Avantgarde jener Erfahrung. Sie wandeln sie in kreative Prozesse um. Sie sind aber auch Opfer der Gentrifizierung geworden, die sie aus den Innenstädten vertrieb. Zugleich wurden sie zum Aushängeschild des Stadtmarketings.

Aushängeschilder des Stadtmarketings werden Opfer der Gentrifizierung

Zum Schminken der siechen Stadt sollten die Bildenden Künstler, jungen Kreativen usw. nicht missbraucht werden. Man sollte sie jedoch von der Peripherie zurückholen, um ihre schöpferische Expertise in einen Dialog aller gesellschaftlich relevanten Gruppen einzubringen. Das wäre der gemeinsame Tisch. Es ist Zeit für einen ganzheitlichen Ansatz.

Die Städte wären dann nicht nur funktional und ökonomisch definiert, sondern auch spielerisch und faszinierend in ihren Widersprüchen. Die Mischung macht es. Die Rekonvaleszenz der Innenstädte sollte in homöopathischen Dosen erfolgen. Damit die Städte lernen, wieder dorthin zu laufen, wo sie gebraucht werden.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9652133

Links in diesem Artikel:
[1] https://whoswho.de/bio/oswald-mathias-ungers.html
[2] https://thegreatestgrid.mcny.org/
[3] https://www.superblocks.org/
[4] https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/o:objettrouve-5319
[5] https://mediengeschichte.dnb.de/DBSMZBN/Content/DE/Massenmedien/10-mcluhan-marshall.html
[6] https://mywowo.net/de/russland/moskau/tretjakow-galerie/das-schwarze-quadrat--von-malewitsch
[7] https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-Staedte-dahin-laufen-lernen-wo-sie-gebraucht-werden-9652133.html?view=fussnoten#f_1
[8] https://archplus.net/de/archiv/ausgabe/201/202/
[9] https://www.youtube.com/watch?v=DVtVidPuLjY
[10] https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-Staedte-dahin-laufen-lernen-wo-sie-gebraucht-werden-9652133.html?view=fussnoten#f_2
[11] https://vincent.callebaut.org/object/080523_lilypad/lilypad/projects
[12] https://www.bfi.org/about-fuller/
[13] https://ortner-ortner.com/de/haus-rucker-co
[14] https://www.youtube.com/watch?v=v3HPCarhOyg
[15] https://www.bmwsb.bund.de/Webs/BMWSB/DE/themen/stadt-wohnen/stadtentwicklung/neue-leipzig-charta/neue-leipzig-charta-node.html
[16] http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/smithson/biografie/
[17] https://www.telepolis.de/features/Identitaetspolitik-Stadterneuerung-zwischen-Budenzauber-und-Waffenschmuck-9614155.html