Wie die Taz einen Artikel eines Ukraine-Kriegsreporters manipulierte

Seite 2: Nato-Linie und die prekäre Meinungsfreiheit von Ukraine-Berichterstattern

Eine dritte Stelle, an der die Taz intervenierte: Am Ende des Textes spricht der Journalist Aranzadi mit einer anderen Bewohnerin. So lautet die Stelle im Original, die mit der Antwort der Frau aus Lyman beginnt:

"Die Russen sind in der Nähe und sogar innerhalb der Stadt. Es gibt viele, die sie sehnsüchtig erwarten. Menschen, die ihnen geholfen haben, als sie letztes Jahr hier waren, werden ihre Chance suchen. Russland kommt, um das zu beenden, was es nicht abschließen konnte." Und während sie das sagt, geht sie weg und bittet darum, nicht fotografiert zu werden, weil sie nicht weiß, welche mögliche Konsequenzen es haben kann, wenn russische Streitkräfte die Stadt betreten.

Daraus machte die Taz:

"Die russischen Truppen befinden sich in der unmittelbaren Umgebung. Viele hier freuen sich auf sie. Das sind Leute, die teilweise den Russen während der Besatzung letztes Jahres geholfen haben und auf eine neue Chance hoffen. Russland möchte die Sache zu Ende bringen." Kurz nachdem Luba den Satz beendet hat, läuft sie weg. Auf keinen Fall möchte sie fotografiert werden, denn sie hat Angst, sollten die russischen Truppen demnächst in die Stadt eindringen.

Aranzadi sagt, dass er nicht von Angst vor den russischen Streitkräften gesprochen habe. Das sei eine Erfindung der Taz. Er kontaktierte die Redaktion und bat um Korrektur des Online-Texts.

Die Redakteurin, die spanische Muttersprachlerin ist, antwortete ihm per Mail: "Ich habe den überarbeiteten Text von einem deutschen Muttersprachler, der Spanisch spricht, überprüfen lassen, um sicherzustellen, dass der Inhalt korrekt und dem Original treu ist".

Und weiter: "Seine Rückmeldung war, dass der deutsche Text vollständig dem spanischen Original entspricht". Sie fügte hinzu: "Wenn du immer noch Unterschiede im Text feststellst, bitte teile mir genau mit, welche Passagen abweichen."

Aranzadi antwortete: "Ich muss feststellen, dass seit meiner Beschwerde der Online-Text, der meine Unterschrift immer noch trägt …, nicht korrigiert wurde". Und weiter: "Im Moment liegt die Entscheidung in deinen Händen, daher werde ich mich nicht erneut wiederholen".

Aranzadi erklärt dazu gegenüber Telepolis:

Auf die letzte E-Mail, in der die Redakteurin sagt, dass sie alle Korrekturen vorgenommen habe und den Artikel sogar mit einem deutschen Muttersprachler, der auch Spanisch spricht, durchgegangen sei, wurde mir klar, dass sie mich nicht ernst nimmt.

Er habe niemals etwas über den SBU (den ukrainischen Geheimdienst) oder Ähnliches geschrieben. "Oder von der Frau, die sich weigerte, auf meine Frage zu antworten, oder dem letzten Satz, in dem steht, ‚sie hat Angst‘". Das ist tatsächlich nach Abgleich mit dem Originaltext, der Telepolis vorliegt, frei erfunden.

Unai Aranzadi bei Filmarbeiten im Donbass, 2014

Für den spanischen Kriegsreporter in der Ukraine sind die Änderungen keineswegs neutral, sondern folgen einer Linie:

Meine Erzählung stimmte nicht mit dem Narrativ der Nato überein, und vielleicht war das ein Problem. Das Narrativ der Nato versucht, uns glauben zu machen, dass es in der Ukraine nie einen Konflikt zwischen ukrainischen Bürgern rund um den Maidan gegeben hat, sondern dass alles allein eine Erfindung Russlands sei. Meiner Meinung nach und basierend auf den Vorgängen, die ich seit 2014 vor Ort beobachtet habe, ist es genauso zutreffend, dass Russland auf kriminelle Weise einmarschiert ist und bombardiert, wie die Tatsache, dass der Maidan ein nationalistischer Putsch war, während sich auf der anderen Seite der Schützengräben Kämpfer und Familien aus der Ukraine befanden, die gegen Kiew eingestellt sind. Ich weiß, dass es heute äußerst unpopulär ist, das zu sagen, aber ich bin Journalist und kein PR-Mann.

Wir kontaktierten die Taz und baten um eine Stellungnahme. Zu den einzelnen Abänderungen und Einfügungen wollte sich die zuständige Redakteurin der Auslandsredaktion nicht äußern. Bei den Eingriffen handele es sich jedoch um "normale Vorgänge im redaktionellen Prozess".

Nachträglich wurde die Online-Fassung des Textes in einigen Formulierungen leicht abgeändert. Dies geschah auf Intervention des Autors. Die Änderungen haben wir als nicht gravierend sinnverändernd beurteilt und deshalb nicht dokumentiert.

Unai Aranzadi sieht das anders. Für ihn ist die Aussagerichtung durch die Einfügungen verschoben worden. "Wenn die Medien anfangen, das zu verändern, was wir über das Geschehen vor Ort sagen, ist der Zeitpunkt erreicht, an dem weder Fakten noch Journalismus eine Rolle spielen", sagt Aranzadi gegenüber Telepolis.

Der erfahrene Journalist erkennt ein systematisches Problem in westlichen Medien: "Ich habe die gesamte Geschichte vor Ort in der Ukraine miterlebt, und die Realität hat wenig mit dem zu tun, was uns erzählt wird".

In den europäischen Medien sieht er "einen Mangel an Vielfalt an Meinungen, Analyse und Geschichten. Damit wird das Geschehen simplifiziert, wir werden infantilisiert." Und er ergänzt: "Es ist einfach, die Propaganda auf der russischen Seite zu sehen, die real ist, aber es ist falsch, die Propaganda in Deutschland oder dem Rest Europas zu leugnen".

Medien haben ihre Blattlinie. Sie können Texte ablehnen, die ihnen nicht passen, das ist ihr gutes Recht. Den Text von einem freien Autor, der für seine Reportage sein Leben riskiert, aber zu manipulieren, ohne dass er dafür sein Einverständnis abgibt, ist unzulässig und schädlich, letztlich unverschämt.

Die Prekarisierung des Journalismus spielt dabei eine wichtige Rolle: "Aufgrund der sehr schlechten Arbeitsbedingungen im Journalismus werden Reporter schweigen, die wirtschaftlich überleben wollen und die Manipulationen der Medien daher akzeptieren müssen".

Für Aranzadi ist klar, dass wenn er schweigen würde, "könnte ich weiterhin mitarbeiten, aber durch meine Beschwerden und das Aufdecken dessen, was passiert ist, haben wir aufgehört, zusammenzuarbeiten, und das bedeutet, dass ich weniger Einnahmen für meine Kriegsberichterstattung erhalten werde."

Und er fragt schließlich: "Haben europäische Reporter also wirklich Meinungsfreiheit?"