Wie die Taz einen Artikel eines Ukraine-Kriegsreporters manipulierte

Unai Aranzadi befragt einen ukrainischen Soldaten in Sewastopol 2014. Bild: Unai Aranzadi

Unai Aranzadi berichtete für die Taz aus der Kampfzone in der Ukraine. Doch den Artikel habe man verfälscht, sagt der Reporter, und vielleicht auf Nato-Linie ausgerichtet. Genießen westliche Journalisten in der Ukraine Meinungsfreiheit?

Der spanische Journalist Unai Aranzadi besuchte im Februar als Reporter die ostukrainischen Städte Kramatorsk, Slowjansk und Lyman. Aus dem Bombenhagel an der Front im Kampf um den Donbass sendete der in Spanien preisgekrönte Dokumentarfilmmacher zwei Reportagen an die deutsche Tageszeitung Taz.

Unai Aranzadi, Kriegsreporter in der Ukraine

Aranzadi kennt sich mit dem Ukraine-Konflikt bestens aus, da er seit 2014 regelmäßig für Dokumentationen vor Ort war. Der erste Text wurde am 3. Februar 2023 veröffentlicht, mit dem Titel "Wo die russische Offensive beginnt" und erzählt die russische Bombardierung von Wohnhäusern und die Zerstörung, die diese hinterließ.

Am 11. Februar erschien der zweite Text unter dem Titel "Da, wo die Russen schon mal waren".

Die abgedruckte Version machte Aranzadi jedoch sprachlos. Sein Text war ohne sein Einverständnis von der Redaktion stark – seiner Meinung nach sinnentstellend – verändert worden. Ganze Absätze wurden gestrichen, neue kamen dazu, die er nicht geschrieben hatte und mit denen er nicht einverstanden ist.

Aranzadi sagt, dass die Änderungen nicht aus redaktionellen Gründen vorgenommen worden seien, sondern Eingriffe darstellen, die den Artikel an die politische Linie des Blattes anpassen sollten: "Im ersten Bericht, in dem ich die grausamen russischen Bombardements verurteilt habe, gab es keine Probleme", sagt er gegenüber Telepolis.

Es war lediglich im zweiten Bericht, der die Einstellungen der russischsprachigen Bevölkerung in anderen Gebieten einfing, in dem auf einmal eingegriffen wurde.

Das ist der Originaltext, mit dem Aranzadi seine Reportage eröffnete:

Slowjansk ist wertvoll. Die Stadt hat einige Industrie und ist strategisch sehr wichtig, da es ein Kreuzungspunkt von Autobahnen und Eisenbahnen ist, aber vor allem ist es der Ort, an dem der Aufstand der ukrainischen Bürger, die sich vor allem als Russen fühlen, stattfand. Auf diesen Straßen und Plätzen ergriffen die Milizionäre der selbsternannten Volksrepublik Donezk mit Waffen die Macht vor Ort. Der Platz des Rathauses, heute gekrönt mit dem blau-gelben Trýzub, ist der Nullpunkt der Kontroverse über das, was hier zwischen April und Juni 2014 geschah, nach der nationalistischen Wende, die mit dem Maidan einherging.

Die Taz änderte die Passage derart (fett markierte Stellen sind im Folgenden nicht autorisierte Zusätze der Taz):

Slowjansk hat sich mit den Jahren zu einem Zentrum der chemischen Industrie entwickelt und ist, als Autobahn- und Eisenbahnknotenpunkt, strategisch wichtig. An diesem frostigen Februar morgen scheint der Krieg, der hier neun Jahre tobt, weit weg. Von besonderer Bedeutung ist Slowjansk aufgrund der Ereignisse in April 2014, als von Moskau koordinierte prorussische Kräfte den Sitz des ukrainischen Geheimdienstes (SBU) besetzten. Dies war der Beginn des Krieges im Donbass. Im Juli 2014 und im Zuge des sogenannten Euro-Maidans kämpfte die ukrainische Armee die Stadt wieder frei.

Nachdem sich Aranzadi bei der Redakteurin und Übersetzerin der Taz, Gemma Terés Arilla, die ihn als Autor betreute, mehrfach beschwert hatte, dass das nicht sein Text ist und er damit nicht einverstanden sei, wurde er immer wieder vertröstet. Der Text wurde ohne Hinweis auf die Änderung auf der Webseite bis heute wie folgt geändert:

Von besonderer Bedeutung sowohl für die ukrainische als auch die russische Regierung ist Slowjansk aufgrund der Ereignisse im April 2014, als prorussische Bewohner*innen den Sitz des ukrainischen Geheimdienstes SBU besetzten. Dies war der Beginn des Kriegs im Donbass. Im Juli 2014, und im Zuge des sogenannten Euro-Maidan, eine nationalistische Wendung, kämpfte die ukrainische Armee die Stadt wieder frei. Ende Februar 2022 hatte Russland die selbst ernannten Volksrepubliken von Donetsk und Luhansk als unabhängig anerkannt; mit der Ratifikation eines Beitrittsvertrags durch den russischen Föderationsrat wurden sie im Oktober von der Russischen Föderation annektiert. Heute ist der Rathausplatz mit dem ukrainischen blau-goldenen Wappen Trýzub [sic].

Wie man sehen kann, ist das immer noch ein ganz anderer Text.

Der Artikel auf der Webseite der Taz. Bild: Screenshot 13.06.2023

Aber das ist längst nicht alles. In der Reportage spricht Aranzadi mit einer Bewohnerin. In seinem Text steht: "Und wenn man sie nach den Möglichkeiten derjenigen befragt, die eine Art Verbindung zu Russland oder dem Russischen verspüren, sich auszudrücken, antwortet sie":

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass sie sich ausdrücken können, aber ich bin Ukrainerin und fühle mich als Ukrainerin, das geht mich nichts an.

Damit sagt die Bewohnerin, dass prorussische Menschen sich in der Stadt zurzeit nicht frei ausdrücken können. Die Taz strich die Frage und die Antwort aber aus der gedruckten Reportage. In den geänderten Version online heißt es jetzt:

Zu der Frage, ob jemand aus Slowjansk, der oder die sich mit Russland verbunden fühlt, sich inzwischen darüber frei äußern darf, möchte Valeria [sic: falscher Name, heißt im Originalartikel Julia] nichts antworten. "Ich bin und fühle mich Ukrainerin [sic], mehr möchte ich dazu nichts [sic] sagen."

Das ist eine Verfälschung, denn Julia möchte sich äußern, sie hat es getan, und der Kriegsreporter hat es festgehalten. Hier verfälscht die Taz die Aussage grundlegend.