Wie eine ukrainische NGO hunderte US-Kriegskritiker an den Pranger stellt

Aktivistinnen der US-Organisation Code Pink

Code Pink veranstaltete am 4. Oktober 2023 ein friedliches Sit-in im Büro von Senator Bernie Sanders, was zur Verhaftung von elf Friedensaktivisten führte. Bild: Code Pink

Gruppe "Texty" diffamiert Organisationen und Kritiker. Angebliche prorussische Front von Chomsky bis Trump. Wer denunziert wird – und warum.

Die ukrainische Medienorganisation Texty.org.ua hat gerade eine Studie mit dem Titel "Roller Coaster. From Trumpists to Communists. The forces in the U.S. impeding aid to Ukraine and how they do it" ("Achterbahn. Von Trump-Anhängern zu Kommunisten. Die Kräfte in den USA, die die Hilfe für die Ukraine behindern, und wie sie das tun") veröffentlicht.

Das Anti-Ukraine-Netzwerk

Darin soll der Grund dafür geliefert werden, warum bei den Republikanern im US-Kongress das Abstimmungsverhalten bezüglich Ukraine-Hilfen in den vergangenen Monaten hin- und herschwankte. So drängten im Herbst 2023 Senatoren wie Tom Cotton und Lindsey Graham US-Präsident in einem Brief auf, ATACMS-Raketen an die Ukraine zu liefern. Im Februar 2024 stimmten sie aber gegen ein vorwiegend militärisch geprägtes Hilfspaket für Ukraine, um dann im April wieder dafür zu stimmen.

Die Verzögerung, mit der am Ende die Ukraine-Hilfe im Kongress freigegeben wurde, weil Teile der Republikaner sich dagegen stellten, wird von der Untersuchung damit erklärt, dass Hunderte von Politikern, Journalisten, Influencern, Medienorganisationen, Denkfabriken und Aktivisten gegen die Unterstützung der Ukraine opponiert hätten.

In der angefügten Liste der Studie sind 388 Einzelpersonen und 76 Organisationen aufgeführt. Dabei werden Informationen und Links zur Anti-Ukraine-Haltung der Personen und Institutionen gegeben und die internen Beziehungen zu anderen "Knotenpunkten" im Anti-Ukraine-Netzwerk der USA benannt.

Russland-Propaganda

Die Bandbreite reiche dabei von "Trump-Anhängern bis zu Kommunisten", die ein "Ökosystem gegenseitiger Unterstützung" in den USA erzeugt hätten, um ihre Anti-Ukraine-Haltung zu stärken. Dabei hätten sie "Dutzende von zentralen Narrativen" verbreitet, die sich "mit denen von Russland propagierten" gemeinmachten.

Die Studie räumt zwar ein, dass die meisten der aufgeführten Personen "keine direkten, nachgewiesenen Verbindungen zur russischen Regierung oder zu Propagandisten haben". Aber die Autor:innen behaupten, dass "die Argumente, die sie verwenden, um die Behörden zu drängen, sich von der Ukraine zu distanzieren, Schlüsselbotschaften der russischen Propaganda widerspiegeln, die darauf abzielt, den Ukrainern die Möglichkeit zu nehmen, sich mit westlichen Waffen und Geldern zu verteidigen".

Das Grundproblem der Studie ist jedoch, dass es das, was es vorgibt, erklären zu wollen, gar nicht analysiert und erklärt.

Die magische Kraft von Antikriegsargumenten

Denn wenn die Argumente und mutmaßlichen russischen Propaganda-Narrative, die von Texty oft sehr verzerrt bis falsch wiedergegeben werden als Treiber für den Abstimmungswechsel – z.B. die Rolle der Nato-Osterweiterung im Konflikt, die Polarisierung der Ukraine nach dem Sturz der Janukowitsch-Regierung, die düstere Realität auf dem Schlachtfeld für die Ukraine und die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung des Konflikts –, eine Reihe von Republikanern Anfang des Jahres urplötzlich überzeugten, dem US-Hilfspaket nicht zuzustimmen: Wie kann es dann sein, dass diese Propaganda, von Vertretern des linken und rechten Spektrums in den USA laut Texty gleichermaßen verbreitet, wenige Monate später komplett ihre Macht verlor. Denn die Republikaner votierten ja am Ende für die Ukraine-Hilfe.

Und dann: Warum hatten die Argumente, die zum Teil seit vielen Jahren, manche seit dem Ausbruch des Konflikts 2014, von Kritikern und Friedensaktivisten vorgebracht worden sind, keinerlei Effekt auf die Republikaner? Im Gegenteil. Der prominente Republikaner und ehemalige Präsidentschaftskandidat John McCain war einer der eifrigsten Ukraine-Unterstützer von Anfang an, wie viele andere.

Donald Trump, von der Studie als Zentrum der Anti-Ukraine-Positionierung innerhalb der Partei der Republikaner ausgemacht, hat während seiner Amtszeit als US-Präsident eng an der Seite der Ukraine gestanden, große Mengen an Waffen an Kiew geliefert und keineswegs eine diplomatische Lösung mit Moskau forciert. Er hat zugeschaut, wie der Konflikt zunehmend eskalierte.

Die lange Pranger-Liste

All das thematisiert die Studie nicht einmal. Sie setzt einfach voraus, dass die Argumente, sprich die russischen Narrative der "Anti-Ukraine-Front" aus Friedensaktivisten, linken Intellektuellen, politischen Realisten und Konservativen die Republikaner zur Ukrainehilfe-Blockade veranlassten.

Es sollte sich von selbst verstehen, dass die Trump-Anhänger sich nicht von linken, progressiven Kritikern des US-Kurses in der Ukraine überzeugen ließen (von denen viele auf der Anti-Ukraine-Liste stehen), gegen das Ukraine-Hilfspaket zu stimmen.

Zu den vermeintlichen Republikaner-Einflüsterern und -Umstimmern gehören ja nach Ansicht der ukrainischen Texty-Studien auch Intellektuelle, Journalisten und Kritiker der US-Außenpolitik wie Noam Chomsky, Jeffrey D. Sachs, Chris Hedges, Seymour Hersh, Norman Solomon, Branko Marcetic, Gareth Porter, Ray McGovern, William Binney, Matt Taibbi, Cornel West, Katrina vanden Heuvel, James Carden, Vijay Prashad, Aaron Mate oder Max Blumenthal.

Dazu kommen politische Realisten und Russlandkenner wie Anatol Lieven, Trita Parsi, George Beebe, John Mearsheimer, Stephan M. Walt, William J. Astore, John Matlock, John Bellamy Foster usw. Auch Aktivisten und Friedensbewegungen wie Code Pink mit Medea Benjamin, World Beyond War, Veterans For War, das International Peace Bureau (IPB) oder Rage Against the War Machine werden aufgelistet.

Genauso sollen kritische Medien und Denkfabriken wie The Nation, das Quincy Institute, Responsible Statecraft, Grayzone, Defence Priorities, Monthly Review, Antiwar, Eisenhower Media Network, The American Conservative, The Real News Network, Global Research oder Parteien wie die Green Party und das progressive Gespann "The Squad" innerhalb der Demokratischen Partei, wozu auch die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez zählt, über politischen Einfluss auf die Ukraine-Politik der Republikaner verfügt und sie umgestimmt haben.

Wenn linke Trump-Kritiker Republikaner beeinflussen

Analysen und Urteile dieser progressiven US-Kritiker und Außenpolitik- und Sicherheitsexperten zum Ukraine-Krieg sind auch auf Telepolis erschienen und nachzulesen. Jeder kann sich also selbst ein Bild machen.

Wer weiß, was politisch und analytisch hinter diesen Intellektuellen und Organisationen steht, sollte erkennen können, dass sie keinerlei Einfluss auf die Republikaner, schon gar nicht auf die Trump-Anhänger hatten – und auch nicht haben können.

Die progressiven Kräfte, die einen Schwenk in der Ukraine-Politik Washingtons wegen der Auswirkungen und Gefahren des Kriegs fordern, sind durchgängig scharfe Kritiker der Republikaner, vor allem von Donald Trump, dessen Maga-Bewegung viele von ihnen als neofaschistisch, autoritär und als größte Gefahr nicht nur für die USA, sondern für die Zukunft der Menschheit bezeichnen, weil sie Bedrohungen wie die Klimakrise, die Möglichkeit eines Atomkriegs und die zerstörerischen Folgen des US-Imperialismus einfach leugnet.

Es wäre ungefähr so, als wenn man behaupten würde, die Unterzeichner:innen der von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierten deutschen "Petition für den Frieden", darunter z.B. die bereits verstorbene Antje Vollmer, Daniela Dahn, Franz Alt, Margot Käßmann, Reinhard Mey, Hans-Christof von Sponeck usw., seien der Grund für das Abstimmungsverhalten der AfD im Bundestag zu Waffenlieferungen an die Ukraine.

Was die republikanische Blockade tatsächlich antrieb

Wie die AfD-Haltung hat die Verzögerungstaktik eines Teils der Republikaner Anfang des Jahres wenig mit Argumenten und echter Sorge um die Ukraine zu tun, sondern ist strategisch motiviert. Denn schon im Sommer 2023 zeigte sich deutlich, dass die US-Bevölkerung zunehmend gegen neue Waffenlieferungen in die Ukraine war. Vor allem Republikaner wollten keine neuen Hilfen (71 Prozent).

Vor diesem Hintergrund wurde eine Kampagne im Dunstkreis von Trump gestartet, den demokratischen Herausforderer ums Präsidentenamt, Joe Biden, im Wahlkampf mit der Hängepartie zu schädigen und zugleich Druck auf Europa zu machen, mehr Geld und Waffen für die Ukraine bereitzustellen, während sich die Republikaner als "Amerika First"-Partei präsentieren konnten, die populistisch erklärt, US-Steuerzahlergelder nicht endlos in die Ukraine schütten zu wollen – obwohl gleichzeitig eine mächtige Lobby in ihrem Umfeld, die Rüstungsindustrie, stark davon profitiert.

Nachdem diese Botschaft hinreichend verdeutlicht werden konnte, ließ man das Paket und die Waffenlieferungen im Kongress passieren.