Wie groß ist die Gefahr eines Atomkriegs?
Wir dürfen uns vor Putins Drohungen mit Atombomben keine Angst einjagen lassen, betont der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Monaten in fast jedem Interview. Doch Angst ist ein Lebensretter.
Ohne Angst wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Die Angst ist ein Gottesgeschenk zu unserem Schutz. Die alles entscheidende Frage beim Thema Angst heißt: Ist sie berechtigt oder nicht?
Ist unsere Angst berechtigt?
Wenn Angst außer Kontrolle gerät und sich verselbständigt, kann sie uns krank machen. Eine Angst, die sich selbständig macht, bemächtigt sich der Psyche und beginnt einen Teufelskreis im eigenen Kopf. Entscheidend ist also, dass wir keine Angst vor der Angst bekommen, sondern auch bei der Angst einen kühlen Kopf behalten.
Die Fakten: Realität ist, dass Russland und die USA jeweils so viele Atomwaffen zur Verfügung haben, dass sie die Welt gleich mehrfach menschenleer und unbewohnbar bomben können. Präsident Putin hat seit Kriegsbeginn schon ein Dutzend Mal mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht und ebenso seine engsten militärischen Mitarbeiter.
Putin hatte hinzugefügt: "Das ist kein Bluff." Und die offizielle Politik der atomaren Abschreckung enthält die Option des atomaren Gegenschlags, das heißt der beiderseitigen Vernichtung. Die Angst vor einem Atomkrieg ist also leider berechtigt.
Kriege der Zukunft
Das will sich zwar niemand vorstellen, weil wir uns nicht mehr vorstellen wollen, was wir anstellen können. Doch mit Hilfe immer kleinerer, zielgenauerer und sofort einsetzbarer Nuklearwaffen planen Militärstrategen der Atommächte die Kriege der Zukunft.
Jetzt scheinen die beiden atomaren Supermächte erstmals seit Kriegsbeginn auf einen möglichen Dialog über diese Gefahr zuzugehen. Putin sagt, er wolle mit Biden reden, wenn dieser dazu bereit sei. Und Biden reagiert vorsichtig positiv. Zuvor hatte der US-Präsident gesagt, er fürchte ein "atomares Armageddon".
Die Gefahr eines Atomkriegs sei seit der Kubakrise vor 60 Jahren noch nie so groß gewesen wie heute. Da hat er völlig recht. Die Nato-Verteidigungsminister und -Ministerinnen schlossen sich soeben dieser Einschätzung an.
Es ist jetzt die Aufgabe der Diplomatie, eine Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges auszuloten, bevor es dafür zu spät ist. Dabei sollte Berlin die USA unterstützen. Denn wir Deutsche wären von einer atomaren Konfrontation mit als erste betroffen.
Die Gefahr könnte umso größer werden, je mehr Gebiete die Ukraine in diesen Wochen zurückerobert. Die verharmlosenden Erklärungen Selenskyjs könnten sich als äußerst gefährlich erweisen.
Die Angst vor dem Atomkrieg ist begründet
Sie ist deshalb der beste Ratgeber für die Zukunft. Nur das Wahrnehmen dieser begründeten Angst wird uns die Augen öffnen, um gegen diesen ganz normalen Wahnsinn aktiv werden und ankämpfen zu können. Sonst rasen wir weiter wie blind auf den Abgrund zu. Wer abrüstet, nimmt Angst. Wer aufrüstet, macht Angst. Es ist nie zu spät, einen Ausweg aus einer großen Gefahr zu suchen.
Mit dem Zünden der Hiroshima- und Nagasaki-Bomben hat die Menschheit bereits 1945 ihre atomare Unschuld verloren. Sage niemand, dass sich so etwas nicht wiederholen könnte. Wir haben heute um die 10.000 Megatonnen nukleare Explosionskraft. Eigentlich müssten wir Bescheid wissen. Diese Zerstörungskapazität ist etwa eine Million Mal stärker als die Hiroshima-Bombe.
Der Ukraine-Krieg ist jetzt an einem für die ganze Welt gefährlichen Punkt angekommen. Es besteht die reale Gefahr, dass Putin versucht, sein Ende mit der Wahnsinnstat des Einsatzes von Atomwaffen abzuwenden. Wer diese Gefahr nicht sieht, ist kein Realist. Das Wort "Harmagedon" kommt aus dem Griechischen und Hebräischen – aus der Bibel (Offenbarung des Johannes, Kapitel 16) und bedeutet die Entscheidungsschlacht im Krieg um das Ende der Welt.
Die Ukraine hat alles Recht der Welt, sich gegen die Putinsche Aggression zu wehren. Das ist völkerrechtlich ganz eindeutig. Aber beide Seiten versuchen, diesen Krieg zu gewinnen. Doch wirklichen Frieden wird es erst geben können, wenn beide Seiten versuchen, den Frieden zu gewinnen.
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