Wie man Falschmeldungen über das Corona-Virus erkennt
Seite 3: Mai 2022: Anthroposophen
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Nun kam es erst vor Kurzem zu einem weiteren Beispiel. Diesmal äußerte sich mit Harald Matthes ein Stiftungsprofessor der Arbeitsgruppe für Integrative und Anthroposophische Medizin des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité - Universitätsmedizin Berlin alarmierend über die Covid-Impfstoffe.
Die auf Rudolf Steiner (1861-1925) gründende alternative Medizin vertritt einen ganzheitlichen Ansatz und steht biomedizinischen Verfahren eher kritisch gegenüber. (Für eine kritische Haltung gibt es gute Gründe – darüber ein anderes Mal mehr.) Man sollte aber auch wissen, dass Steiner zwar einer "anthroposophischen Erziehung" den Vorzug gab, aber nicht prinzipiell gegen Impfungen war.
Matthes leitet nun eine Befragung zum "Sicherheitsprofil von Covid-19 Impfstoffen", die auf der Charité-Seite registriert ist. In einem kurzen Online-Formular kann man seine E-Mail-Adresse eingeben und erhält dann in zeitlichen Abständen Fragebögen zu Impfnebenwirkungen. Es handelt sich also um eine laufende Studie.
In der MDR-Umschau vom 26. April schafften es vorläufige Ergebnisse dann ins Fernsehen. Zahlreiche andere Medien folgten. Es hieß nun, dass 8 von 1000, statt der vom PEI gemeldeten 0,2 von 1000, mit schweren Impfnebenwirkungen zu kämpfen hätten.
Damit war auf einmal von einer vierzigfachen(!) Untererfassung durch das Bundesinstitut die Rede, wo es bei der BKK ProVita "nur" um den Faktor sieben bis acht gegangen war. Am 3. Mai legte dann der MDR noch einmal nach und berichtete von Matthes' Forderung, aufgrund der sehr viel höheren Zahl müsse man spezielle Ambulanzen für Impfgeschädigte einrichten.
Kritische Haltung fehlt
Der Autor kann Matthes nicht in den Kopf schauen – bei näherer Betrachtung erscheinen seine Aussagen und der kritiklose Umgang mit ihnen in vielen Medien aber als grob fahrlässig:
So muss einem bei einer freiwilligen Online-Fragebogenstudie schnell auffallen, dass deren Ergebnisse gar nicht repräsentativ sein können. Sie lassen sich also prinzipiell nicht auf die Gesamtbevölkerung beziehen, was der Professor aber ausdrücklich tut.
Stellen wir uns einmal vor, die "Sonntagsfrage" zur Bundestagswahl würde nicht in einer repräsentativen Stichprobe der Bevölkerung erhoben, sondern mit einem freiwilligen "Wahltelefon", bei dem jeder anrufen kann – sogar mehrmals. Dann würden nicht nur politisch motivierte Bürgerinnen und Bürger häufiger zum Telefon greifen, sondern ließe sich das Ergebnis auch von bestimmten Interessengruppen manipulieren.
Diese könnten nämlich ihre Unterstützer gezielt darauf ansprechen, ihre Stimme abzugeben. Die Ergebnisse wären dann extrem in die eine oder andere Richtung verzerrt.
Ohne eine böse Absicht zu unterstellen, ist es tatsächlich so, dass in homöopathischen und anthroposophischen Kreisen ausdrücklich zur Teilnahme an Matthes' Studie aufgerufen wurde. Und dort finden sich bekanntermaßen vermehrt Menschen, die Impfungen kritisch gegenüberstehen. Das spricht gegen die Repräsentativität.
Bei näherer Betrachtung finden sich in Matthes' Aussagen weitere Fehler. Beispielsweise haben Journalisten von Zeit-Online den Mediziner persönlich gesprochen und seine Äußerungen einem Fakten-Check unterzogen.
Dabei kam – wie schon bei der BKK ProVita – heraus, dass die Fragebogenstudie eine ganz andere Definition von "schwere Impfnebenwirkung" verwendet als das PEI. Es werden also wieder Äpfel mit Birnen verglichen. Zudem habe Matthes bei seinem Vergleich mit Zulassungsstudien und Untersuchungen in anderen Ländern die Kontrollgruppen nicht erwähnt.
Wie wir oben gesehen haben, gibt es regelmäßig bestimmte Symptome und Erkrankungen in zeitlicher Nähe zu Impfungen, obwohl sie gar keine Impfreaktionen sind. Ohne Berücksichtigung des "normalen" Gesundheitsgeschehens sind die Zahlen also nicht aussagekräftig. Gute medizinische Forschung geht anders.
Laut dem Zeit-Online-Artikel rudert Matthes nun zurück und stellt sich auf den Standpunkt, er habe schlicht mehr Aufmerksamkeit für Menschen mit Impfschäden erzeugen wollen. Ich bezweifle aber, ob das Verbreiten von Falschmeldungen dafür ein geeignetes Mittel ist.