zurück zum Artikel

Wie sicher sind die vier in der EU zugelassenen genetischen Covid-19-Impfstoffe?

Übersicht über die zwar sehr seltenen, aber schwerwiegenden möglichen Nebenwirkungen nach neun Monaten Impfkampagne

Vor einigen Tagen wurde der aktuelle 15. Sicherheitsbericht des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) [1] vorgelegt, der über Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach der Impfung zum Schutz vor Covid-19 seit Beginn der Impfkampagne am 27.12.2020 bis zum 30.9.2021 Auskunft gibt. Der folgende Text ist eine kurze Zusammenfassung dieses 49 Seiten umfassenden Berichts und zugleich die Fortschreibung von zwei in Telepolis vor einigen Monaten erschienenen Artikeln zu dieser Thematik.1 [2]

Vorab sei noch einmal betont: Aus ärztlicher Sicht muss ein Covid-19-Impfstoff in erster Linie sicher, in zweiter Linie sicher, drittens sicher und viertens wirksam sein. Das schrieb Carlos Beat Quinto von der Schweizer Ärztevereinigung FMH in einem Ende 2020 in der Schweizerischen Ärztezeitung erschienenen Beitrag [3].2 [4]

Diese Aussage, der ich mich vorbehaltlos anschließe, bedeutet, dass der Nutzen einer Impfung die möglichen Risiken deutlich überwiegen muss, wenn diese zur Prävention einer Erkrankung wie Covid-19 eingesetzt werden soll, und das gilt für die öffentliche Gesundheit ebenso wie für die individuelle.

Zur Methodik des Sicherheitsberichts

Zu dem in Deutschland etablierten Meldesystem heißt es in einem ersten Telepolis-Artikel zum Thema Impfstoff-Sicherheit [5], Meldungen von Nebenwirkungen nach Impfung mit Covid-19-Vakzinen erhalte das PEI nach dem Infektionsschutzgesetz über die Gesundheitsämter.

Ärztinnen und Ärzte seien gesetzlich verpflichtet, Impfkomplikationen, d.h. gesundheitliche Beschwerden, die über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehen und nicht evident auf andere Ursachen zurückzuführen sind, namentlich dem zuständigen Gesundheitsamt zu melden, das diese wiederum unverzüglich und in anonymisierter Form an das PEI weiterleitet.

Zusätzlich erhält das PEI Meldungen der Arzneimittelkommissionen der Apotheker und der Ärzte, der Zulassungsinhaber über die Datenbank der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sowie direkt von Ärztinnen und Ärzten sowie Impflingen bzw. deren Angehörigen.

Die Meldungen erfolgen per Post, E-Mail, Telefon oder elektronisch über das Meldeportal des PEI oder die EudraVigilance-Datenbank bei der EMA. Meldungen zu einem Verdachtsfall können also aus verschiedenen Meldequellen kommen, was dazu beitragen kann, das Meldeaufkommen zu erhöhen.

Das PEI fasst alle Meldungen, die es erhält, unabhängig vom ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung, zusammen. Im Sinne der frühzeitigen Erkennung von möglicherweise neuen Risikosignalen ist es wichtig, die Meldeschwelle niedrig anzusetzen. Dies bedeutet, dass auch Meldungen in rein zeitlichem und nicht notwendigerweise ursächlichem Zusammenhang mit der Impfung bedeutsam sind.

Weiterhin führt das PEI im Rahmen der Erkennung möglicher neuer Risikosignale fortlaufend sogenannte "Observed-versus-Expected"-(O/E)-Analysen durch. Dabei wird die Häufigkeit der dem PEI nach Impfung gemeldeten unerwünschten Ereignisse mit den statistisch zufälligen und zu erwartenden Häufigkeiten in einer vergleichbaren, nicht geimpften Bevölkerung verglichen.

Ergibt sich eine signifikant höhere Melderate für ein Ereignis nach Impfung, als es statistisch zufällig in einer vergleichbaren Population zu erwarten wäre, geht das PEI von einem Risikosignal aus, das dann durch zusätzliche, zumeist epidemiologische Studien weiter untersucht werden sollte, ob ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung wahrscheinlich ist.

Weitere Meldungen erhält das PEI über die App SafeVac-2.0-Erhebung zur Überwachung der Sicherheit von Covid-19-Impfstoffen.

Meldeergebnisse bis zum 30.9.2021

Nach einer Laufzeit der Impfkampagne von jetzt neun Monaten berichtet das PEI in ihrem 15. Sicherheitsbericht über 172.188 aus Deutschland gemeldete Verdachtsfälle von Nebenwirkungen oder Impfkomplikationen im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung mit den mRNA-Impfstoffen Comirnaty und Spikevax und den Vektorimpfstoffen Vaxzevria und Covid-19-Vaccine Janssen vom Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember 2020 bis zum 30. September 2021.

In diesem Zeitraum wurden 107.888.714 Impfungen durchgeführt, davon 82.341.579 mit Comirnaty, 9.668.138 mit Spikevax, 12.692.700 mit Vaxzevria und 3.186.297 Impfungen mit der Covid-19-Vaccine Janssen.

94.281 Verdachtsfälle wurden zur Impfung mit Comirnaty gemeldet, 25.713 zu Spikevax, 45.178 zu Vaxzevria und 6.243 Meldungen zum Covid-19-Impfstoff Janssen. Die Melderate betrug für alle Impfstoffe zusammen 1,6 pro 1.000 Impfdosen und für Meldungen über schwerwiegende Reaktionen insgesamt 0,2 pro 1.000 Impfdosen.

Zur SaveVac-2.0-Erhebung: Bis zum 30.09.2021 haben sich insgesamt 712.341 Personen mit mindestens einer Impfdosis hier registriert. Dies entspricht 1,3 Prozent der geimpften Personen bei bisher insgesamt 56.622.246 Erstimpfungen. In 2.632 Meldungen (0,37 Prozent) wurden schwerwiegende Reaktionen berichtet.

Wie in den bisherigen Artikeln zum Thema3 [6] werden in der folgenden Darstellung nur die Verdachtsfälle von schwerwiegenden Reaktionen nach der Impfung näher besprochen. Dabei handelt es sich um Impfkomplikationen, die mit einer langfristigen erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit einhergehen und zu einer Krankenhauseinweisung oder zum Tode führen können. Diese sind sehr selten.

Nicht dazu gehören die typischen und nach einer Impfung häufig bis sehr häufig auftretende Nebenwirkungen wie Rötung, Schwellung und Schmerzen an der Impfstelle und auch Allgemeinreaktionen wie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Unwohlsein, die auch die große Mehrzahl der oben gemeldeten Verdachtsfälle ausmachen.

Bei den Häufigkeitsangaben der Nebenwirkungen und Impfkomplikationen werden folgende Kategorien unterschieden, wobei sich die Angabe jeweils auf die Anzahl der Ereignisse pro Zahl der geimpften Personen bezieht4 [7]:

Somit bedeutet "sehr selten", dass eine Nebenwirkung oder Impfkomplikation bei weniger als einer Person bei 10.000 Geimpften beobachtet wird.

Myokarditis und Perikarditis nach mRNA-Impfstoffen

Auch im 15. Sicherheitsbericht heißt es, dass sehr selten Fälle einer Myokarditis und/oder Perikarditis nach Impfung mit Comirnaty bzw. Spikevax beobachtet wurden, wobei insbesondere junge Männer sowie männliche Kinder und Jugendliche betroffen sind. Typischerweise treten erste Beschwerden innerhalb von weniger als 14 Tagen nach der Impfung auf.

Der europäische Ausschuss für Risikobewertung (Pharmacovigilance Risk Assessment Committee, PRAC) hat inzwischen beschlossen, Myokarditis und Perikarditis in die Fach- und Gebrauchsinformationen beider mRNA-Impfstoffe als mögliche Nebenwirkung aufzunehmen.

Myokarditis ist eine Entzündung des Herzmuskels und Perikarditis ist eine Entzündung des Herzbeutels, der äußeren Umhüllung des Herzens. In beiden Fällen verursacht das körpereigene Immunsystem die Entzündung als Reaktion auf eine Infektion oder einen anderen Auslöser.

Die publizierten Daten zeigen, dass die meisten Patienten mit einer Myo-/Perikarditis nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen gut auf Behandlung und Ruhe ansprechen und sich schnell besser fühlen, wenngleich im Einzelfall schwerwiegendere Verläufe bis hin zu einem Todesfall nicht ausgeschlossen werden können.

Mehr als 92 Millionen Impfdosen Comirnaty und Spikevax sind bis einschließlich 30.09.2021 in Deutschland verimpft worden. Im Rahmen der Spontanberichterfassung sind bis zum 30.09.2021 insgesamt 1.243 Verdachtsmeldungen einer Myo-/Perikarditis unabhängig vom Kausalzusammenhang mit der jeweiligen Impfung berichtet worden, wobei die Melderate bei Jungen und männlichen Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren sowie jungen Männern unter 30 Jahren am höchsten war (siehe Tab. 3 bis 5, S. 23 bis 25 im Sicherheitsbericht [8]).

Die oben erwähnte O/E-Analyse (S. 26 ff.) ergab, dass in der Altersgruppe zwölf bis 17 Jahre bei Jungen und männlichen Jugendlichen 74 Fälle einer Myokarditis innerhalb von 21 Tagen nach Comirnaty berichtet wurden, während im gleichen Zeitintervall in der exponierten Gruppe elf Fälle statistisch zufällig (ohne vorausgegangene Impfung) erwartet worden wären. Für die 18 bis 29 Jahre alten Männer wurden 191 Fälle berichtet, während lediglich 112 Fälle einer Myokarditis erwartet worden wären.

Für Mädchen, weibliche Jugendliche und Frauen sowie Männer in den Altersgruppen 30 bis 59 Jahre und 60 plus war die Anzahl der Meldungen im Bereich des Erwartungswertes bzw. darunter. Auf der Basis dieser Daten ergab sich kein Risikosignal für diese letztgenannten Gruppen.

Der aktuelle Sicherheitsbericht führt weiter an, dass Spontandaten aus Deutschland darauf hinweisen, dass das Risiko nach Spikevax bei jungen Männern und Frauen höher als nach Comirnaty sein könnte (siehe Tabelle 5, S. 25).

Ein höheres Risiko der Myokarditis bei jungen Männern (unter 30 Jahre) wurde offenbar auch in Kanada und in einer Metaanalyse von vier Registerstudien in Dänemark, Finnland, Norwegen und Schweden gefunden, wobei die Auswertungen derzeit noch nicht abgeschlossen und auch noch nicht publiziert sind.

Die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat demgegenüber in vier Versichertendatenbanken keinen signifikanten Unterschied der Myokarditisrate zwischen beiden mRNA-Impfstoffen festgestellt, wobei die Schätzungen aufgrund der weiten Konfidenzintervalle und der Heterogenität der Studienergebnisse mit Unsicherheiten verbunden sind.

Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) nach Vektorimpfstoffen

Als schwerwiegende, in einigen wenigen Fällen auch tödliche Nebenwirkung der Vektorimpfstoffe Vaxzevria und Covid-19 Vaccine Janssen wurde sehr selten ein neues Syndrom berichtet, das durch venöse und/oder arterielle Thrombosen in Kombination mit einer Thrombozytopenie (Thrombose-mit-Thrombozytopenie- Syndrom, TTS) charakterisiert ist. Thrombozytopenie bedeutet Mangel an Thrombozyten.

Die Thrombosen treten hierbei oftmals an ungewöhnlichen Lokalisationen auf, wie beispielsweise in zerebralen Hirnvenen, Milz-, Leber- oder Mesenterialvenen. Bei mehreren der betroffenen Patienten wurden hohe Konzentrationen von Antikörpern gegen Plättchenfaktor 4 (Anti-PF4-Antikörper) sowie eine starke Aktivierung von Thrombozyten in entsprechenden Gerinnungstests nachgewiesen.

Dieses Muster ähnelt der "atypischen" oder "autoimmunen" Heparin-induzierten Thrombozytopenie (aHIT). Dabei scheint es sich ersten Ergebnissen zufolge um ein Krankheitsbild zu handeln, das durch transiente (flüchtige) Antikörper ausgelöst wird. Diese waren bei den untersuchten Personen, die zuvor ein TTS entwickelt hatten, zumeist innerhalb von zwölf Wochen nicht mehr nachweisbar. Das ist möglicherweise auch der Grund, warum sehr viel seltener nach der zweiten als nach der ersten Impfung mit Vaxzevria ein TTS in Deutschland berichtet wurde.

Für Vaxzevria wurden insgesamt 189 Fälle einer Thrombose mit gleichzeitiger Thrombozytopenie berichtet (Tabelle 9, S. 32). Betroffen waren 109 Frauen und 79 Männer. In einem Fall wurde das Geschlecht nicht berichtet.

Bei fünf der Patienten trat eine Thrombose mit Thrombozytopenie nach der zweiten Impfung auf. Das Zeitintervall zwischen zweiter Impfung mit Vaxzevria und dem Reaktionsbeginn lag in diesen Fällen zwischen einem und fünf Tagen.

Die Gesamtmelderate bei Männern und Frauen in allen Altersgruppen beträgt 1,49 Verdachtsfälle pro 100.000 Impfdosen. Bezogen auf die zweite Impfung war die Melderate mit 0,14 pro 100.000 Impfdosen deutlich geringer. Die höchsten Melderaten mit 3,87 pro 100.000 Impfdosen betraf Frauen im Alter von 40 bis 49 Jahren und mit 3,86 pro 100.000 Dosen Männer im Alter von 30 bis 39 Jahren.

Nach Impfung mit Covid-19 Vaccine Janssen wurden insgesamt 20 Fälle gemeldet. Betroffen waren fünf Frauen (eine mögliche Doppelmeldung) und 14 Männer. In einem Fall wurde das Geschlecht nicht angegeben. In einem Fall erhielt die Person vorher eine Impfung mit Vaxzevria.

Ganz besonders wichtig ist die frühzeitige Diagnose und Behandlung des TTS. Verschiedenste Fachgesellschaften haben Empfehlungen zur Behandlung und Therapie des neuen Syndroms publiziert, darunter die Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung.

Personen, bei denen innerhalb von drei Wochen nach der Impfung mit Vaxzevria oder Covid-19 Vaccine Janssen eine Thrombozytopenie diagnostiziert wird, sollten aktiv auf Anzeichen einer Thrombose untersucht werden. Ebenso sollten Personen, bei denen nach der Impfung eine Thrombose auftritt, unverzüglich auf eine Thrombozytopenie untersucht werden.

Wichtig ist, dass bei Patienten mit Thrombose und normalen Thrombozytenzahlen oder Patienten mit Thrombozytopenie ohne nachweisbare Thrombose nach Impfung ein frühes Stadium des TTS vorliegen kann. Daher sind in diesen Fällen unter Umständen wiederholte Untersuchungen auf TTS erforderlich.

Dem PEI wurden kumulativ 33 Fälle einer Thrombose mit Thrombozytopenie nach Comirnaty bei 17 Frauen und 16 Männern im Alter zwischen 27 und 99 Jahren mitgeteilt. Zumeist fehlen Angaben zur Thrombozytenzahl. Fünf Meldungen nach Spikevax beschreiben eine Thrombose und eine Thrombozytopenie (Tabelle 10, S. 33). In keinem der Meldungen ist ein Anti-PF4-Antikörpernachweis mitgeteilt worden. Die dem PEI vorliegenden Daten weisen bei beiden Impfstoffen nicht auf ein TTS-Syndrom hin.

Thrombosen nach mRNA- und Vektorimpfstoffen

In mehreren Studien wurde das potenzielle Thromboserisiko der zugelassenen Covid-19-Impfstoffe (zumeist Comirnaty und Vaxzevria) untersucht. Allerdings waren die Ergebnisse der verschiedenen Studien nicht konsistent, sodass es schwierig ist, aus den Studien eine eindeutige Aussage in Hinblick auf ein potenzielles Thromboserisiko nach Covid-19-Impfstoffen abzuleiten.

Sofern in den Studien auch SARS-CoV-2-Infektionen und das dadurch bedingte Risiko für Thrombosen untersucht worden waren, war das Risiko nach Virusinfektion stets höher als nach Impfung.

Der PRAC hat auf seiner letzten Sitzung seltene Fälle von venösen Thromboembolien (VTE) nach Covid-19 Vaccine Janssen ausgewertet. VTE war bereits im Rahmen der Zulassung als potenzielles, weiter zu untersuchendes Signal aufgefallen, da in der großen klinischen Prüfung, die zur Zulassung dieses Impfstoffs führte, in der geimpften Gruppe ein höherer Anteil an VTE-Fällen beobachtet wurde als in der Placebogruppe.

In der Zusammenschau aller Daten einschließlich internationaler Spontanmeldungen kam der PRAC zu dem Schluss, dass eine begründete Möglichkeit besteht, dass seltene Fälle von VTE mit der Impfung mit Covid-19 Vaccine Janssen in Zusammenhang stehen könnten.

Eine Analyse der Spontanmeldungen aus Deutschland über Lungenembolien ergab für alle vier Impfstoffe kein Signal.

Die Meldungen einer Sinusvenenthrombose ohne Angabe einer Thrombozytopenie nach Vaxzevria an das PEI waren im Zeitintervall bis zum 30.09.2021 höher als statistisch zufällig erwartet, allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Fälle wegen fehlender Angaben der Thrombozytenzahl in Wirklichkeit einem TTS entsprechen.

Möglicherweise hat auch eine insgesamt erhöhte Aufmerksamkeit für Sinusvenenthrombosen nach Vaxzevria zu einer erhöhten Meldebereitschaft geführt.

Für Comirnaty, Spikevax und Covid-19 Vaccine Janssen konnte kein Risikosignal hinsichtlich Sinusvenenthrombosen identifiziert werden.

Guillain-Barré-Syndrom nach Vektorimpfstoffen

Sehr selten können Personen, die mit Vaxzevria oder Covid-19 Vaccine Janssen geimpft wurden, ein Guillain-Barré-Syndrom (GBS) entwickeln. Die Melderate eines GBS nach Impfung mit einem Vektorimpfstoff war sehr niedrig mit einer Meldung pro ca. 100.000 bzw. 120.000 Impfdosen.

Das GBS ist eine akute Entzündung des peripheren Nervensystems und der Nervenwurzeln (Polyradikuloneuritis). In den meisten Fällen bildet sich die Symptomatik zurück. Allerdings kommt es bei manchen Patienten zu einem verlängerten Krankheitsverlauf, neurologischen Restsymptomen oder relevanten bleibenden Schädigungen. Auch Todesfälle können vorkommen.

Das Miller-Fisher-Syndrom (MFS) ist eine seltene Variante des GBS und ist charakterisiert durch Ataxie (Störung der Bewegungskoordination), Augenmuskellähmung und Verlust/Abschwächung der Muskeleigenreflexe.

Insgesamt wurden dem PEI 255 Fälle eines GBS/MFS berichtet, davon haten zwei Fälle nach Vaxzevria, drei Fälle nach Comirnaty und ein Fall nach Moderna einen tödlichen Verlauf. 17 Patienten (acht nach Vaxzevria, sieben nach Comirnaty und einer jeweils nach Spikevax und Covid-19-Vaccine Janssen) mussten intensivmedizinisch behandelt und teils invasiv beatmet werden.

GBS ist eine bekannte Nebenwirkung nach den beiden adenoviralen Vektorimpfstoffen und in der jeweiligen Fachinformation entsprechend genannt. Für beide mRNA-Impfstoffe ist die Melderate eines GBS deutlich niedriger (Tabelle 7, S. 30) und nicht höher als statistisch zufällig zu erwarten wäre.

Anaphylaxie nach mRNA- und Vektorimpfstoffen

Anaphylaktische Reaktionen – darunter versteht man schwere allergische Sofortreaktionen – sind sehr selten beobachtete Komplikationen aller vier zugelassenen Covid-19-Impfstoffe.

Die Melderate einer Anaphylaxie beträgt in Deutschland ca. sechs Fälle auf eine Million Erstimpfungen für jeden der beiden mRNA-Impfstoffe und ca. ein bis zwei Fälle auf eine Million Zweitimpfungen. Über tödliche Zwischenfälle aufgrund einer Anaphylaxie wurde bisher nicht berichtet.

Die Melderate einer anaphylaktischen Reaktion für Vaxzevria in Deutschland ist etwa gleich hoch wie für die beiden mRNA Impfstoffe und mit zwei Fällen pro eine Million Impfungen etwas niedriger für Covid-19 Vaccine Janssen.

Gemäß Fachinformationen der beiden mRNA-Impfstoffe und von Vaxzevria sollte Personen, die nach der ersten Impfdosis eine anaphylaktische Reaktion entwickelt haben, keine zweite Impfdosis verabreicht werden.

Die Ergebnisse retrospektiver Studien weisen allerdings darauf hin, dass Personen mit allergischen Sofortreaktionen einschließlich Symptomen, die eine anaphylaktische Reaktion vermuten lassen, nach einer ordnungsgemäßen allergologischen Diagnostik gefahrlos erneut geimpft werden konnten, da die Patienten zumeist keine echte (Immunglobulin-E-vermittelte) allergische Sofortreaktion aufwiesen.

Um die impfenden Ärzte beim Umgang mit Personen mit positiver Allergieanamnese in Bezug auf die Covid-19-Impfung zu unterstützen, hat das PEI gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut (RKI) und in enger Zusammenarbeit mit den allergologischen Fachgesellschaften Deutschlands ein Flussdiagramm entwickelt.

Darin werden sowohl das mögliche Vorgehen nach anaphylaktischer Reaktion auf die bislang zugelassenen Covid-19-mRNA-Impfstoffe als auch Empfehlungen zur Vorgehensweise bei jeglicher Allergie in der Anamnese dargestellt. Damit soll ein Beitrag zu einer größeren Sicherheit bei der Anwendung von Covid-19-Impfstoffen geleistet werden.5 [9]

Wie groß ist die Dunkelziffer bei den gemeldeten Nebenwirkungen?

Mit dieser wichtigen Frage beschäftigt sich ein Artikel der Ärztin und Journalistin Martina Frei [10] in der Schweizer kritischen Internet-Zeitung Infosperber vom 17.10.2021, den ich abschließend kurz vorstellen möchte.

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass es nach Impfungen eine erhebliche Dunkelziffer an nicht gemeldeten Impfnebenwirkungen geben kann. Das ist auch in früheren Sicherheitsberichten des PEI über die Corona-Impfung schon mehrmals angeklungen, wobei von einem möglichen "underreporting" gesprochen wurde.

Der Grund sei, dass Nebenwirkungen in der Regel nur mit "passiven" Meldesystemen erkannt werden. Dabei sind die Geimpften und die Impfenden aufgefordert, jeden Verdacht auf eine unerwünschte Wirkung zu melden, wie das derzeit in der Schweiz, aber auch in Deutschland und einigen anderen Ländern mit entsprechenden Meldesystemen der Fall ist.

Bei "aktiven" Meldesystemen dagegen würde immer wieder bei Ärzten, Spitälern und/oder den Geimpften nachgefragt, ob ihnen etwas aufgefallen ist. Diese Meldesysteme seien hinsichtlich der Zahl der festgestellten Nebenwirkungen ergiebiger, wie in dem Artikel an einem Beispiel aus der Literatur, in dem es um die Nebenwirkungen nach einer Pockenschutzimpfung geht, eindrucksvoll gezeigt wird. Dass es sich dabei um ein sehr personalintensives und deshalb sehr viel kostenaufwendigeres Verfahren handelt, dürfte klar sein.

In Deutschland wurde mit der zusätzlich eingerichteten SafeVac-App (siehe oben) für die Bevölkerung der Versuch gemacht, vermutete Nebenwirkungen zeitnah und umfassend zu sammeln. Doch kaum war die Covid-Impfkampagne richtig angelaufen, sei das PEI mit dem Auswerten der vielen Meldungen nicht mehr nachgekommen, wie das ZDF im Juni 2021 in einem ausführlichen Beitrag berichtet hat [11].

Obwohl mit der Safe-Vac-App keine repräsentativen Daten erhoben werden können, habe die Auswertung für die teilnehmenden Männer von 18 bis 29 Jahren ein Risiko von elf Verdachtsfälle von Herzmuskelentzündung pro 100.000 Geimpften in dieser Altersgruppe ergeben, heißt es in dem Artikel.

Das seien ähnliche Zahlen, wie sie auch zwei aktuelle israelische Studien im "New England Journal of Medicine" berichten. Beide Studien ermittelten in einer retrospektiven Untersuchung die Rate an Herzmuskelentzündungen (Myokarditis) nach der Covid-19-Impfung mit Comirnaty. Dabei seien (zeitweise) sowohl aktive als auch (permanent) passive Meldesysteme eingesetzt worden. Die aktive Beobachtung bestand darin, dass die Spitäler aufgefordert wurden, alle Kranken zu melden, die wegen Myokarditis behandelt wurden.

Somit gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die vom PEI ermittelte und oben angegebenen Melderate für Myokarditis nach Impfung mit mRNA-Impfstoffen von der Größenordnung her ein realistischer Wert ist. Ob diese Beurteilung auch für die anderen oben beschriebenen möglichen ernsten Nebenwirkungen zutrifft, ist schwer zu sagen. Im Infosperber heißt es dazu6 [12]:

Sehr schwere Nebenwirkungen oder solche, die kurz nach einer Impfung auftreten, werden vermutlich eher gemeldet als leichte, erst spät auftretende oder solche, bei denen Ärzte keinen Zusammenhang mit der Impfung herstellen. Auch die Häufigkeit von Nebenwirkungen, die Arbeitsbelastung der potenziellen Melder und die mediale Berichterstattung können eine Rolle spielen, ob es überhaupt zu einer Meldung kommt. Die Möglichkeit, dass eine Nebenwirkung durch ein Arzneimittel verursacht sein könnte, genügt für eine Verdachtsmeldung.

Martina Frei, Infosperber

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen:

1. Der aktuelle 15. Sicherheitsbericht des PEI zeigt, dass die genannten schwerwiegende Nebenwirkungen und Impfkomplikationen bei den vier in der EU zugelassenen genetischen Impfstoffen zwar sehr selten vorkommen, aber das Risiko nicht gleich null ist, wie es manchmal behauptet wird. Im Risikovergleich sind in dieser Hinsicht die beiden mRNA-Impfstoffe möglicherweise günstiger zu beurteilen als die beiden Vektorimpfstoffe.

2. Da im Falle einer Infektion mit Sars-CoV-2 das Risiko für einen schweren Verlauf von Covid-19 bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen hoch ist (z. B. bei Personen von 50 bis 60 Jahren und älter, bei Menschen mit Risikofaktoren wie Adipositas, Diabetes, chronische Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen unabhängig vom Lebensalter, bei Schwangeren), überwiegt der Nutzen einer Impfung bei diesen Gruppen das Risiko einer Impfung deutlich.

3. Bedauerlich ist, dass es bei diesen Bevölkerungsgruppen bei uns in Deutschland im Vergleich etwa zu den skandinavischen Ländern noch erhebliche Impflücken bestehen. Diese könnten mit dazu beitragen, dass im Laufe der nächsten Monate wieder mehr Menschen an Covid-19 schwer erkranken, auf den Intensivstationen behandelt werden müssen und eventuell dort versterben.

4. Deshalb wäre es aus medizinischen Sicht wünschenswert, wenn es gelänge, in den nächsten Wochen mehr Menschen aus den oben genannten Bevölkerungsgruppen, die sich bisher nicht haben impfen lassen, vom Nutzen einer Impfung zu überzeugen. Das sollte vorwiegend durch eine intensive Aufklärung über Nutzen und Risiko der Impfung vonseiten der niedergelassenen Hausärztinnen und -ärzte, denen ihre Patienten vertrauen, geschehen.

5. Von politischer Seite sollte Folgendes bedacht werden: Von Menschen, die einer Covid-19-Impfung skeptisch gegenüberstehen, ist immer wieder zu hören, dass Viele Vorbehalte gegenüber den zugelassenen genetischen Impfstoffen haben und sich impfen lassen würden, wenn traditionelle Vakzine zur Verfügung ständen.

6. Deshalb ist es für mich nicht nachvollziehbar, dass traditionell hergestellte Vakzine wie z. B. die beiden von der WHO registrierten chinesischen Impfstoffe Coronavac und Sinopharm als eine zusätzliche Impfmöglichkeit in der EU bisher nicht zugelassen worden sind. Beide Impfstoffe verwenden das abgetötete Sars-CoV-2-Virus. Coronavac ist der in der Welt am meisten verbreitete Impfstoff und auf die beiden Vakzine aus China entfallen weltweit fast die Hälfte aller verwendeten Impfstoff-Dosen gegen Covid-19.7 [13]

Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin - Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de

Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6251961

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-09-21.pdf?__blob=publicationFile&v=6
[2] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_1
[3] https://saez.ch/article/doi/saez.2020.19430
[4] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_2
[5] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-zugelassenen-Covid-19-Impfstoffe-6048592.html
[6] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_3
[7] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_4
[8] https://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/DE/newsroom/dossiers/sicherheitsberichte/sicherheitsbericht-27-12-20-bis-30-09-21.pdf?__blob=publicationFile&v=6
[9] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_5
[10] https://www.infosperber.ch/gesundheit/dunkelziffer-an-nebenwirkungen-nach-impfung/
[11] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/corona-impfung-nebenwirkungen-pei-daten-100.htm
[12] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_6
[13] https://www.heise.de/tp/features/Wie-sicher-sind-die-vier-in-der-EU-zugelassenen-genetischen-Covid-19-Impfstoffe-6251961.html?view=fussnoten#f_7