Wie westliche Panzer den Ukraine-Krieg verändern könnten
Die Ukraine fordert mehr Kampfpanzer und schwere Waffen. Das könnte Kiew bei der Rückeroberung von Territorium helfen. Doch es erhöht zugleich das Risiko einer nuklearen Eskalation durch Moskau. Ein Kommentar.
Großbritannien und Frankreich haben angekündigt, Panzer in die Ukraine zu schicken. Auch in Deutschland wird über Leopard-2-Lieferungen debattiert. Damit würden zum ersten Mal westliche Länder gepanzerte Kampffahrzeuge an Kiew liefern. Gegenüber der Washington Post erklärten ungenannte US-Offizielle, dass die Vereinigten Staaten beabsichtigen, der Ukraine eigene Schützenpanzer zur Verfügung zu stellen.
Die neuen Waffen könnten den Konflikt entscheidend voranbringen, der in eine zermürbende Pattsituation geraten ist, da Russland und die Ukraine ihre Stellungen entlang der Frontlinien weiter ausbauen. Kiew hat bereits einige Erfolge beim Einsatz von Panzern erzielt, um Gebiete von Moskau zurückzuerobern. Amerikanische Bradley-Kampffahrzeuge könnten dazu beitragen, diese Bemühungen auf die nächste Stufe zu bringen, so Lyle Goldstein von Defense Priorities.
"Den ukrainischen Kommandeuren ist es zu verdanken, dass sie hier einige interessante Taktiken entwickelt haben", sagte Goldstein. Er merkte an, dass Kiew einfachere gepanzerte Fahrzeuge wie MRAPs ("Mine Resistant Ambush Protected Vehicle") in einer Art "Blitzkrieg Light" eingesetzt habe, bei dem ukrainische Soldaten weit über die Frontlinien hinaus vorstoßen und "im Rücken der russischen Streitkräfte Chaos anrichten" konnten. Neue Panzer und Kampffahrzeuge könnten diese Taktik noch effektiver machen und möglicherweise dazu beitragen, die Pattsituation im Osten zu durchbrechen.
Natürlich sind diesem Vorgehen auch Grenzen gesetzt. Erstens, so Goldstein, "ist dies nach der traditionellen Militärtheorie ohne Luftunterstützung eigentlich unmöglich". Die ukrainische Luftwaffe "ist aber nach wie vor äußerst begrenzt". Mit anderen Worten: Es ist unklar, ob Kiew über alle notwendigen Mittel verfügt, um die Vorteile seiner neuen Panzerausstattung voll auszuschöpfen.
Der zweite Nachteil ist noch dramatischer. Wenn diese Fahrzeuge der Ukraine helfen, mehr von den von Russland gehaltenen Gebieten zurückzuerobern, von denen Moskau einen Großteil als Teil Russlands betrachtet, könnte der Kreml auf sogenannte "taktische" Atomwaffen zurückgreifen – Atomwaffen, die kleiner sind als strategische Sprengköpfe, aber immer noch mindestens so groß wie die Bomben, die die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg auf Japan abgeworfen haben.
Russische Analysten haben die Diskussion über taktische Nuklearwaffen seit letztem Herbst, als darüber aufgeregt geredet wurde, weitgehend eingestellt. Goldstein befürchtet jedoch, dass eine erfolgreiche Offensive den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bringen könnte, zu seinem Trumpf zu greifen. Panzer wären ein "verlockendes Ziel" für einen solchen Schritt.
Das Haupthindernis, das Putin vom Atomwaffen-Knopf trennt, ist das "nukleare Tabu", das besagt, dass rational agierende Führer zu sehr um ihren internationalen Ruf besorgt sind, um die ultimative Waffe einzusetzen.
"Aber wir befinden uns in einer Zone von Verzweiflungstaten", argumentierte Goldstein. "Ich glaube nicht, dass sich Russland allzu große Sorgen um seinen Ruf macht".
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.