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Windenergie: Verhinderungspolitik erfolgreich

"Wasserstress"? (siehe weiter unten im Text). Bild: Wikimedia/gemeinfrei

Energie- und Klimawochenschau: Immer neue Wärmerekorde, Wasserstress und die desaströse Energiepolitik einer abgewirtschafteten Koalition

Inzwischen ist es sozusagen amtlich. Copernicus, die Klimaabteilung des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersagen [1], hat bestätigt [2], dass der zurückliegende Juli einer der wärmsten Monate war, die der Planet seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gesehen hat. Zuvor hatte schon der Juni einen neuen Rekord aufgestellt. Nie zuvor war es seit mindestens 140 Jahren - so lange reichen die Aufzeichnungen in etwa zurück - so warm gewesen wie in diesem Jahr.

Der Juli 2019 sei gleichauf oder eventuell geringfügig wärmer als der Juli 2016 gewesen, dem bisherigen Rekordhalter. Dieser folgte allerdings einem sogenannten El-Niño-Ereignis, eine Phase ungewöhnlich warmen Oberflächenwassers im tropischen Pazifik. Solche Ereignisse sorgen regelmäßig auch im globalen Mittel für überdurchschnittliche Temperaturen. Doch davon kann zurzeit keine Rede sein.

Die globale Erwärmung schreitet also munter weiter voran, und inzwischen müssen auch Laien schon die Augen ganz fest zukneifen, um die Auswirkungen nicht zu sehen. (Einige schaffen es tatsächlich immer noch.)

Julitemperaturen als Abweichung vom Mittelwert der Jahre 1850 bis 1900, der als Annäherung an den vorindustriellen Wert angesehen werden kann. Oben für die letzten 140 Jahre, unten für die letzten 40 Jahre, dabei sieben verschiedene Datensätze vergleichend. Ergebnis: Die Abweichungen untereinander sind klein im Verhältnis zur Abweichung vom Referenzwert. Der Trend wird in allen Sätzen deutlich sichtbar. Bild [3]: Copernicus

Zunehmender "Wasserstress"

Eine Konsequenz der Erwärmung ist vielerorts zunehmender Wassermangel. Die Süddeutsche Zeitung hat eine Wasserstress-Europakarte veröffentlicht [4]. Als "Wasserstress" wird das Verhältnis von Verbrauch und zur Verfügung stehender Ressourcen bezeichnet. Demnach wird ein Verbrauch von über 80 Prozent der Ressourcen als "extrem hoch" bezeichnet.

Das ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass die zur Verfügung stehende Wassermenge wetterbedingt schwankt und die Versorgung im Falle von Dürren schnell prekär werden kann, wenn schon in normalen Jahren fast alles zur Verfügung stehende Wasser konsumiert wird.

Entsprechend gilt bereits ein Stresslevel von 40 bis 80 Prozent als sehr hoch. Dieses gilt schon in weiten Teilen Deutschlands, wie die SZ-Karte zeigt. Unbedenklich ist die Lage nur am Rhein und am Unterlauf der Elbe - mit Ausnahme Hamburgs, das schon lange über seine Verhältnisse lebt. Sehr hohes Stresslevel herrscht unter anderem auch in Berlin und in der Lausitz, wo weiter Braunkohle abgebaut und durch Absenken des Grundwasserspiegels dieses vernichtet wird.

Extrem hoher Wasserstress herrscht außerdem an vielen Küsten des Mittelmeeres, aber auch in einigen Ballungszentren wie Brüssel und Moskau, die mit deutlich mehr Niederschlägen gesegnet sind - ein weiteres Beispiel dafür, dass die Folgen des Klimawandels umso drastischer ausfallen werden, je schlechter das Notfall- und Ressourcenmanagement ist.

Besonders dramatisch ist die Situation derzeit in weiten Teilen Indiens (vgl. Indien: Wirtschaftswachstum verursacht Wasserkrise [5]). Die Süddeutsche Zeitung berichtet [6] von den Versorgungsschwierigkeiten der südindischen Metropole Chenai, dem ehemaligen Madras.

Dort muss das Wasser inzwischen mit der Bahn in Kesselwaggons herangeschafft werden. Auch hier ist das Problem ein Zusammenspiel von fehlender Planung, dem fahrlässigem Umgang mit endlichen Ressourcen und Klimaveränderungen. Und wie immer trifft es die Ärmsten am härtesten. Die Wasserpreise schnellen nach oben und manche Familie müsse über die Hälfte ihres Einkommens für das kostbare Nass aufwenden, so der Autor.

Windkraft wird abgewürgt

Bei all dem sollte man meinen, dass hierzulande endlich mal eine Schippe nachgelegt wird, dass die Energiewende vielleicht beschleunigt wird. Wo doch nun die Schüler schon über ein halbes Jahr Woche für Woche auf die Straße gehen und seit mindestens zwei Jahren klar ist, dass das - völlig unzureichende - Klimaziel 2020 verfehlt werden wird. Doch denkste.

Die Union will eure Wählerstimmen gar nicht, liebe Jugendliche. Die SPD auch nicht. Sie kümmern sich einfach nicht um euren Protest und würgen in aller Seelenruhe nun auch noch den Ausbau der Windenergie ab.

In Deutschland sind in den ersten sieben Monaten des Jahres neue Windkraftanlagen mit lediglich rund 300 Megawatt (MW) Leistung ans Netz gegangen, wie die Daten [7] des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen. Nach Angaben [8] der Plattform windbranche.de ging an Land im Juni oder Juli keine einzige neue Anlage ans Netz.

So mickrig war der Ausbau schon seit vielen Jahren nicht mehr. 2017 waren es hingegen im ganzen Jahr fast 5.000 MW, 2018, als die Effekte der neuen Politik bereits zu spüren waren, immer noch 2.400 MW.

Und es wird vermutlich so weiter gehen. Schuld an der Misere ist vor allem das neue Ausschreibungssystem. Potenzielle Anlagenbetreiber müssen erst alle erforderlichen Genehmigungen einholen und sich an den geplanten Standorten mit den örtlichen Behörden absprechen. Dann müssen sie in ein Ausschreibungsverfahren und hoffen, dass sie dort den Zuschlag bekommen.

Das Verfahren ist umständlich und teuer. Die Bauherren müssen in finanzielle Vorleistung gehen, ohne sich sicher sein zu können, überhaupt bauen zu können. Wegen der größeren Risiken verlangen zudem die Banken höhere Zinsen von ihnen.

Entsprechend können sich kleine Genossenschaften und andere Bürgerprojekte kaum noch Windanlagen leisten. Um diesen entgegen zu kommen, mussten diese in den ersten Ausschreibungsrunden noch nicht alle Genehmigungen vorlegen. Doch der Schuss ging nach hinten los.

Winddeckel

Diverse Kapitalfonds tarnten sich als Bürgerprojekte, während echte Initiativen von Anwohnern gar nicht auftraten. Die Fake-Bürgerprojekte haben aber immer noch nicht gebaut, weil ihre Projekte durch Gerichts- und Genehmigungsverfahren aufgehalten werden.

Hinzu kommt, dass nur noch 2.800 MW [9] pro Jahr ausgeschrieben werden, um den Ausbau zu deckeln. Der Bundesverband Windenergie (BWE) hat zusammen mit dem Verband der Anlagenbauer seinerzeit kräftig gegrummelt, wie Union und SPD diesen Deckel 2016 eingeführt haben.

Doch nun schlägt der BWE regelrecht Alarm [10], denn die letzten Ausschreibungen sind unterzeichnet. Im Februar wurden nur 71 Prozent der möglichen Menge vergeben, im Mai nur 45 Prozent und zuletzt am 1. August nur noch 30 Prozent. Im Ergebnis, so der BWE, wurden von den insgesamt ausgeschriebenen 650 MW nur 208 MW vergeben.

Laut BWE stecken Onshore-Projekte mit einer Gesamtleistung von 11.000 MW zurzeit im Genehmigungsverfahren. Das wären gut 20 Prozent der bereits installierten Leistung. Projekte mit zusammen über 4.000 MW Leistung könnten kurzfristig realisiert werden, würden aber blockiert, weil in Deutschland höhere Abstände von Drehfunkfeuern verlangt werden als international üblich. Weitere Projekte mit 800 MW Leistung könnten wegen anhängiger Klagen nicht an Ausschreibungen teilnehmen.

Der Fachinformationsdienst IWR spricht [11] davon, dass "(d)ie Einführung der planwirtschaftlichen Ausschreibungs-Volumen und -Termine sowie die steigenden Genehmigungshürden" immer mehr mittelständische Projektierer aus dem deutschen Markt drängen. Große Unternehmen, die schwankende Volumina und ein zunehmend diskontinuierliches Projektgeschäft intern besser abfedern können, seien im Vorteil.

Obwohl die Hersteller sehr viel exportieren nehme "die Sorge zu, dass der deutsche Forschungs- und Produktionsstandort unter der aktuellen Politik leidet und industrielle Arbeitsplätze in der Windbranche durch Standortverlagerungen stärker gefährdet sind."

Wichtige und unwichtige Arbeitsplätze

In der Onshore-Windindustrie arbeiteten 2016 übrigens 133.000 [12] Menschen. Weitere 27.200 waren mit Herstellung, Installation und Wartung von Offshore-Windparks beschäftigt.

Eine kleine Anfrage der Linksfraktion hat kürzlich allerdings einen dramatischen Verlust an Arbeitsplätzen deutlich gemacht, wie der Bundestagsabgeordnete Lorenz Gösta Beutin auf seiner Seite schreibt [13]. Demnach gingen binnen Jahresfrist - für 2018 und 2019 liegen noch keine Zahlen vor - 26.000 Arbeitsplätze im Onshore- und weitere 4.300 im Offshore-Bereich verloren. Und das war zuzeiten, als es mit dem Ausbau noch ziemlich gut lief, aber sich der inländische Absatzeinbruch bereits abzeichnete.

Zum Vergleich: In den Braunkohlekraftwerken und -Tagebauen arbeiten rund 20.000 Beschäftigte. Was wohl ein Getöse wäre, wenn dort auch nur die Hälfte vor die Tür gesetzt würde. Doch während diese Beschäftigten gerne als Druckmittel in der öffentlichen Debatte eingesetzt werden, scheint in der Bundespolitik kaum jemand Anstoß an den Entlassungen in der Windbranche und der Ausbauflaute zu nehmen. Lieber führt man irgendwelche Scheindebatten über Fleischkonsum oder vermeintlich drohender Ökodiktatur.

Immerhin will Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier nun einen Krisengipfel zum Thema einberufen, wie dem Handelsblatt zu entnehmen ist [14]. Allerdings muss zugleich gezweifelt werden, dass es Altmaier damit besonders ernst ist.

Denn gleichzeitig holt er eine ausgewiesene Gegnerin in sein Ministerium und setzt sie an die Spitze der Abteilung, bei der es sich um die Schaltstelle für den Umbau der Stromversorgung handelt. Das will der Berliner Tagesspiegel erfahren haben [15].

Da kann man eigentlich nur noch hoffen, dass das Trauerspiel der inzwischen auf nur noch rund 40 Prozent in den Umfragen zusammengeschrumpften "Großen Koalition" endlich bald vorbei ist und diese mit nach den anstehenden Landtagswahlen zerplatzt.

Erdgas-Boom in China

Wie immer war in dieser Wochenschau mal wieder lange nicht für alles Platz, über das es sich zu berichten gelohnt hätte. Wie etwa die Aufregung über den Besuch von Greta Thunberg am Hambacher Tagebau, der den Boulevard und Polizeigewerkschafter wegen einer maskierten Besetzerin hyperventilieren ließ.

Oder des Verkehrsministers Maut-Desaster, das den Steuerzahler für den Autobahn-Nationalismus der CSU bluten lässt, oder den Amazonas Regenwald, dessen Entwaldung schon bald eine Grenze ohne Wiederkehr [16] überschreiten könnte. Auch über den letzte Woche veröffentlichten IPCC-Bericht [17] haben wir hier auf Telepolis noch nicht richtig berichtet.

Aber dann wäre da noch eine Nachricht, die sich weder bei den guten noch bei den schlechten so ohne Weiteres einordnen lässt. In der chinesischen Inlandsprovinz Henan, westlich von Schanghai und südlich von Beijing, sollen in diesem Jahr zwei Millionen Haushalte ihre Heizungen von Kohle auf Strom oder Gas umstellen, berichtet [18] die Plattform Oilprice.com.

Im vergangenen Jahr hätten das in Henan bereits knapp 1,3 Millionen Haushalte gemacht, und insgesamt seien seit 2016 in Nordchina in 13 Millionen Haushalten die Heizungen umgestellt worden. (Der Artikel lässt offen, ob die Zahlen aus Henan dort drin enthalten sind, denn eigentlich gehört die Provinz eher zur Landesmitte als zum Norden.)

Gut daran ist, dass die Verbrennung von Kohle in Heizungsanlagen dadurch vermieden wird. Dabei werden nicht nur jede Menge Schadstoffe in die Umwelt gepustet, nicht zuletzt das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2). Gas ist im Vergleich dazu sauberer und es entsteht im Vergleich zur nutzbaren Wärmemenge weniger CO2.

Doch auch Erdgas ist nicht klimaneutral und zum regelrechten Klimaproblem wird es, wenn bei Produktion und Förderung der Hauptbestandteil des Gases, das Methan, entweicht. Das ist nämlich ebenfalls ein potentes Klimagas und entweicht insbesondere beim Fracking häufig.

Nun ist China arm an eigenen konventionellen Erdgaslagerstätten und importiert daher zum einen im wachsenden Maß konventionelles Erdgas in Pipelines aus Russland und Zentralasien. Zum anderen wird aber auch zunehmend Flüssiggas eingeführt und China könnte schon 2022 der weltweit wichtigste Importeur für dieses sei. Sofern dies aus den USA stammt, handelt es sich meist um Frackinggas.

Außerdem hat China umfangreiche Vorkommen von in Gesteinseinschlüssen lagerndem Gas, das durch die verrufene umweltschädliche Methode gewonnen werden könnte. Mit der steigenden Gas-Nachfrage ist zu befürchten, dass auch in der Volksrepublik vermehrt dieses sogenannte nicht-konventionelle Erdgas mit dem Einspritzen von Wasser und Chemikalien aus dem Boden geholt wird [19].

Andererseits gebe es aber auch die Möglichkeit Wind- und Solarstrom, der in China bisher oft wegen unflexibler Netze abgeregelt werden muss, in Spitzenzeiten für Elektrolyse einzusetzen. (2018 betrug der Abregelungsverlust laut PhysicsWorld [20] beim Windstrom in Landesdurchschnitt sieben Prozent, was eine deutliche Verbesserung gegenüber den Vorjahren war.) Der so gewonnene Wasserstoff kann unter anderem dem Erdgas zugesetzt werden. In Deutschland findet dieses Verfahren schon in einigen Anlagen Anwendung.

Darüber hinaus ließe sich der Wasserstoff auch mit Kohlendioxid oder -monoxid in Methan umwandeln, was im Gegensatz zum Wasserstoff in unbegrenzter Menge ins Erdgasnetz eingespeist werden kann. Allerdings ist der Wirkungsgrad mit rund 50 Prozent bisher noch ziemlich schlecht. Fast die Hälfte der Energie des Stroms gehen bei der Umwandlung ungenutzt verloren. Das muss jedoch nicht so bleiben. In Karlsruhe hoffen Wissenschaftler [21] diesen Anteil auf 25 Prozent drücken, das heißt, den Wirkungsgrad auf 75 Prozent steigern zu können.

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[4] https://www.sueddeutsche.de/wissen/wasserstress-atlas-wasserknappheit-1.4555268
[5] https://www.heise.de/tp/features/Indien-Wirtschaftswachstum-verursacht-Wasserkrise-4481419.html
[6] https://www.sueddeutsche.de/wissen/chennai-wasser-1.4498859
[7] https://www.energy-charts.de/power_inst_de.htm
[8] https://www.windbranche.de/windenergie-ausbau/deutschland
[9] https://w3.windmesse.de/windkraft/Deckel
[10] https://www.wind-energie.de/presse/pressemitteilungen/detail/nochmalige-deutliche-unterzeichnung-der-ausschreibung-wind-an-land-macht-schnelles-handeln-fuer-mehr/
[11] https://www.iwr.de/news.php?id=36224
[12] https://www.fachagentur-windenergie.de/aktuell/detail/mehr-arbeitsplaetze-bei-erneuerbaren-energien.html
[13] https://www.lorenz-goesta-beutin.de/2019/08/01/die-gro%C3%9Fe-krise-der-windenergie/
[14] https://www.handelsblatt.com/dpa/wirtschaft-handel-und-finanzen-windkraft-krise-hersteller-vestas-fordert-nationalen-aktionsplan/24892408.html
[15] https://www.tagesspiegel.de/politik/schweigen-statt-machtworte-wie-peter-altmaier-an-der-energiewende-verzweifelt/24843378.html
[16] https://www.theguardian.com/world/2019/jul/25/amazonian-rainforest-near-unrecoverable-tipping-point
[17] https://www.ipcc.ch/report/srccl/
[18] https://oilprice.com/Latest-Energy-News/World-News/China-Steps-Up-Coal-To-Gas-Switching.html
[19] https://www.spe.org/en/jpt/jpt-article-detail/?art=5816
[20] https://physicsworld.com/a/green-power-curtailment-in-china/
[21] https://www.iwr.de/news.php?id=35044
[22] https://www.heise.de/Datenschutzerklaerung-der-Heise-Medien-GmbH-Co-KG-4860.html