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Windkraft: Die letzten fetten Jahre?

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom boomenden Markt für Windkraftanlagen, allerlei Ausbauhindernissen und einer sich erwärmenden Arktis

Auch im vergangenen Jahr hat es einen kräftigen Zuwachs bei den Windkraftanlagen an Land gegeben. Das berichteten [1] am Dienstag in Berlin der Bundesverband Windenergie (BWE) und der Verband Anlagenbauer VDMA Power Systems.

Damit hat sich nach einem sehr erfolgreichen ersten Halbjahr (siehe Windenergie: Fast ein neues Rekordjahr [2]) das Ausbautempo noch etwas beschleunigt. 1.624 Anlagen wurden neu errichtet und immerhin 336 abgebaut. Netto kamen 4.259,17 Megawatt (MW) neuer Leistung hinzu.

Insgesamt hat die Zahl der Anlagen netto zwar um1.288 zugenommen, aber es zeichnet sich vor allem an den Küsten, wo meist die ältesten, relativ kleinen Anlagen stehen, eine gewisse Entspannung ab. Die neuen Anlagen haben im Schnitt eine Leistung von 2,85 MW, die abgebauten nur eine von rund einem MW. Künftig wird also mit weniger Anlagen mehr Strom produziert werden können. Im direkten Ersatz, dem sogenannten Repowering, wurden 1,4 Altanlagen durch eine Neuanlage ersetzt.

Mit dem letztjährigen Zubau, der fast das Rekordniveau von 2014 erreichte und 2016 zum zweitbesten Jahr für die Branche machte, beträgt die Gesamtleistung aller an Land stehenden Windkraftanlagen inzwischen knapp 46.000 MW. Würde es rund um die Uhr wehen, könnten damit bereits etwa Zweidrittel des deutschen Strombedarfs gedeckt werden, aber das ist natürlich unrealistisch.

Faktisch sind die Anlagen die meiste Zeit aber nicht ausgelastet. 2016 haben Windkraftanlagen an Land nach den vorläufigen Zahlen [3] der Statistiker knapp 67 Milliarden Kilowattstunden Strom geliefert. Teilt man das durch die Leistung der Anlagen (43.543 MW zur Jahresmitte) ergibt das etwa 1.534 Vollaststunden, also etwas mehr als ein Sechstel des Jahres. Darin zeigt sich, dass 2016 ein schlechtes Windjahr war. In guten Jahren wie 2015 liegt der Durchschnitt deutlich näher bei 2000 Volllaststunden.

Neue Abstandsregeln in Bayern

Aber zurück zu den Neubauten in 2016. Die beiden Verbände berichten, dass dieser gleichmäßiger als bisher über die Bundesländer verteilt gewesen sei. Auch in Bayern und Baden-Württemberg sind zahlreiche Anlagen errichtet worden. In Bayern wurden allerdings nur noch ältere Projekte abgearbeitet, die vor der neuen Abstandsregelung genehmigt worden waren.

Inzwischen müssen dort Neuanlagen das Zehnfache der Anlagenhöhe (Nabenhöhe plus Rotorradius) Abstand [4] zum nächsten Wohnhaus halten, was den weiteren Ausbau massiv behindert. Im Binnenland müssen die Anlagen nämlich höher sein und einen größeren Rotordurchmesser haben, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Bundesweit betrug 2016 die durchschnittliche Anlagenhöhe der Neuanlagen 182 Meter. In Schleswig-Holstein waren es nur 151,5 Meter, in Bayern hingegen 198 Meter. (Die Passage wurde korrigiert, Anm. d.Red.)

Mit den dortigen neuen Abstandsregeln müssen Neubauten also künftig rund zwei Kilometer vom nächsten Wohnhaus entfernt sein, was die möglichen Flächen für die Aufstellung von Windkraftanlagen erheblich einschränkt. Dabei gibt es in Bayern nicht nur einen erheblichen Bedarf an sauberem Strom, insbesondere wenn dort in den nächsten Jahren die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden.

Das Bundesland hätte auch einiges aufzuholen. Die meisten Windkraftanlagen stehen nämlich weiter in Niedersachsen (5.857). Mit größerem Abstand folgen Brandenburg (3630), Schleswig-Holstein (3581) und Nordrhein-Westfalen (3345). In den beiden südlichsten Bundesländern, Bayern und Baden-Württemberg - rund 4,5 und 2,2mal so groß wie Schleswig-Holstein -, sind es hingegen nur 1.061 bzw. 572 Anlagen.

Wie geht es weiter mit der Windkraft?

Nach Angaben der Verbände lagen zum 31. Dezember 2016 bundesweit Genehmigungen für 2.053 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 6.128 Megawatt vor. Die meisten davon werden voraussichtlich in diesem und im nächsten Jahr gebaut. Ansonsten sind ab dem 1. Januar nur noch Projekte möglich, die in einem Ausschreibungsverfahren den Zuschlag bekommen haben. Mit diesen wollen Union und SPD, wie sie in der letzten Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes festgelegt haben, den Ausbau der Windkraft an Land auf jährlich maximal 2.800 brutto beschränken (siehe EEG: Kabinett verabschiedet Gesetzentwurf [5]).

Wegen des hohen Stands an Genehmigungen gehen beiden Verbände auch für die nahe Zukunft mit einem weiter kräftigen Zubau aus. 2017 könnten es demnach 4.500 bis 5.000 MW und 2018 3.000 bis 3.500 MW werden. Danach werden dann die in den Ausschreibungsverfahren festgelegten Grenzen maßgeblich. Diese sollen bei den jährlich vier Ausschreibungsrunden von Mal zu Mal so gewählt werden, dass der Anteil des Ökostroms (aus Solar-, Biogas-, Wind- und Wasserkraftanlagen) bis 2025 auf 40 bis 45 Prozent des Bruttostromverbrauchs begrenzt wird. Letzteres läuft auf eine deutliche Verlangsamung der Entwicklung hinaus. Gegenwärtig beträgt dieser Anteil nämlich bereits rund 33 Prozent.

Ab 2019 werden dann nur noch Windparks errichtet werden, die einen Zuschlag per Ausschreibung bekommen haben. Die erste Runde dafür wird am 1. Mai 2017 abgeschlossen. Die erfolgreichen Teilnehmer haben danach zweieinhalb Jahre Zeit, ihr Projekt in Angriff zu nehmen, bevor der Zuschlag erlischt. Die Branchenverbände gehen davon aus, dass 2019 die Ausbauzahlen unter die anvisierte Marke von 2800 MW fallen, weil die Umsetzung vor allem für Bürgerenergieprojekte mehrere Jahre in Anspruch nehmen könnte.

Ab 2020 sollen dann jährlich 2.900 MW Leistung für Neuanlagen ausgeschrieben werden. Da aber ab 2020 die ersten Altanlagen aus der für 20 Jahre fixen EEG-Förderung herausfallen, wird sich deren Abbau verstärken und der Nettozuwachs deutlich geringer ausfallen. BWE-Präsident Hermann Albers befürchtet gar, dass die Gesamtleitung aller Windenergieparks schlimmstenfalls sinken könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Betreiber- und Herstellerverbände fordern daher, den Ausbaubedarf frühzeitig zu überprüfen und gegebenenfalls die Ausschreibungen zu vergrößern. Außerdem sei eine Beschleunigung des Netzausbaus nötig.

In der Arktis ist es viel zu warm

In der Arktis gehen derweil ungewöhnliche Dinge vor sich. Mitten im Winter, zu einer Zeit, zu der das Meereis auf dem Arktischen Ozean und den benachbarten Meeren seinem Maximum zustrebt, ist noch immer ein Teil der Gewässer nördlich und nordöstlich von Spitzbergen eisfrei (tagesaktuelle Grafik [6] mit der Eisbedeckung, erstellt an der Uni-Bremen). Das ist mehr als beachtlich, denn das offene Wasser ist weniger als zehn Breitengrade vom Nordpol entfernt. Noch in den 1980er Jahren war der größere Teil des jetzt unbedeckten Wassers nicht einmal im Hochsommer eisfrei (hier [7] können historische Satellitendaten aus den Jahren 1980 bis 2015 eingesehen werden).

Obige Grafik veranschaulicht, wie warm es derzeit in der Arktis ist. Über der ganzen Region nördlich des Polarkreises gemittelt lagen die Temperatur am 7. Februar rund fünf Grad Celsius über dem entsprechenden Mittelwert für die Jahre 1979 bis 2000. Bei den Daten handelt es sich um kurzfristige Vorhersagen auf der Grundlage der Messungen des Vortages. Abweichungen um einige Hundertstel Grad im regionalen Mittel sind möglich.

Allerdings stellt die Grafik nur eine Momentaufnahme da. Dass die Temperaturen in der Arktis schon das ganze vergangene Jahr über weit oberhalb des sonst Üblichen lagen, lässt sich unter anderem hier [8] in den Daten des Goddard Institutes for Space Studies der NASA nachvollziehen.

Wie extrem die Verhältnisse sind, zeigte sich am Montag unter anderem auf Spitzbergen, wo frühlingshafte 4,1 Grad Celsius [9] gemessen wurden. Nach Angaben [10] des norwegischen Wetterdienstes war das um rund 20 Grad zu warm und vergleichbar etwa mit 15 Grad Celsius in Oslo. Temperaturen über Null werden in den nächsten Tagen, wie die Vorhersagekarten [11] zeigen, für kurze Zeit auch in unmittelbarer Nähe des Nordpols sowie in Nordskandinavien und an der russischen Nordküste erwartet. Gleichzeitig wird im Süden die Frostgrenze wieder bis nach Griechenland und in die Türkei vorrücken.

Norwegens Umweltminister Vidar Helgesen bezeichnet die Veränderungen in der Arktis in einem Interview [12] mit der Internetplattform Climate Home als Anzeichen, die alle ernst nehmen sollten. Einer der größten Gletscher des Landes habe sich in den letzten fünf Jahren um zwei Kilometer zurückgezogen. Sein Land rüstet sich inzwischen für eine Zeit, in der der arktische Ozean zu einer wichtigen Schifffahrtsroute und die dort lagernden Rohstoffe zugänglich werden könnten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3619790

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.wind-energie.de/presse/pressemitteilungen/2017/windenergie-land-analyse-deutscher-markt-2016-und-ausblick-2017-nach
[2] https://www.heise.de/-3280689.html
[3] http://www.ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=20161216_brd_stromerzeugung1990-2016.pdf
[4] http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayBO-82?AspxAutoDetectCookieSupport=1
[5] https://www.heise.de/tp/news/EEG-Kabinett-verabschiedet-Gesetzentwurf-3232307.html
[6] http://www.iup.uni-bremen.de:8084/amsr2/Arctic_AMSR2_visual.png
[7] http://igloo.atmos.uiuc.edu/cgi-bin/test/print.sh?fm=09&fd=15&fy=1986&sm=09&sd=15&sy=2015
[8] https://data.giss.nasa.gov/gistemp/maps/
[9] https://www.nrk.no/troms/svalbard-varmest-i-landet-1.13364544
[10] https://www.yr.no/artikkel/_-det-er-ganske-vilt-1.13362319
[11] http://cci-reanalyzer.org/wx/fcst/#GFS-025deg.WORLD-CED.T2
[12] http://www.climatechangenews.com/2017/02/07/think-climate-change-is-a-hoax-visit-norway/